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Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

781–784

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mayer-Haas, Andrea J.

Titel/Untertitel:

"Geschenk aus Gottes Schatzkammer" (bSchab 10b). Jesus und der Sabbat im Spiegel der neutestamentlichen Schriften.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2003. 730 S. gr.8 = Neutestamentliche Abhandlungen. Neue Folge, 43. Kart. 86,00. ISBN 3-402-04790-X.

Rezensent:

Michael Becker

Die Studie stellt die überarbeitete Fassung einer im Sommersemester 2001 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls-Universität Tübingen eingereichten Dissertation dar. Betreut von Michael Theobald behandelt die Vfn. das Sabbatverständnis Jesu im Wandel der urchristlichen Schriften bis in das zweite Jh.

In ihrer Einführung (13-80) geht die Vfn. zunächst auf die Forschungsgeschichte ein. Dazu werden vier Typen des Sabbatverständnisses Jesu dargestellt (16-31), die von der Aufhebung des Sabbats durch Jesus bis zu der Auffassung reichen, Jesus habe niemals den Sabbat verletzt, sondern sich an seiner Auslegung beteiligt. Darauf werden vier Dissertationen (Scott, Dione, Back und Doering [sic!]) beschrieben, deren Desiderat hauptsächlich in der zu dürftigen Berücksichtigung des gesamten neutestamentlichen Befundes gesehen wird. Demgegenüber will die Vfn. eine Gesamtsicht entwickeln, welche sich methodisch von einer antithetischen Relationsbestimmung abhebt. Dies soll im zweiten und dritten Hauptteil durch eine vollständige Textbearbeitung und kritische Auseinandersetzung mit der Rückfrage nach dem irdischen Jesus eingelöst werden.

Die Skizze der Entwicklungsgeschichte der jüdischen Sabbatvorstellung (32-80) bietet nicht viel Neues, zumal sie sich im nach-alttestamentlichen Part stark an die Befunde von Doering anlehnt, der bereits die Pluralität des frühjüdischen Sabbatverständnisses aufgezeigt hat. Als eines der Hauptprobleme bleibt die Erfassung des alltäglichen Umgangs mit dem Sabbat speziell der einfachen Bevölkerung Galiläas bestehen. Obwohl die Vfn. die frühjüdische Pluralität würdigt, kommen hermeneutische Aspekte zu kurz. Speziell hätten Auffassungen, die den Sabbat mit dem Schöpfungs- und Geschichtsverständnis in Verbindung bringen, einer breiteren Diskussion (vgl. die Andeutungen S. 59) auch im Hinblick auf das Verständnis Jesu bedurft. Es kommt zu einer Dominanz der aus der rabbinischen Literatur extrahierten pharisäischen Diskussion, die ihrerseits eine Fülle von Detailproblemen aufweist.

Den Hauptteil der Arbeit (81-645) machen umfangreiche Analysen zu neutestamentlichen und frühchristlichen Texten aus. Als interessant erweist sich dabei die Einbeziehung der paulinischen Sicht (81-135), wozu Gal 4,10 und Röm 14,5 f. (sowie als Anhang Kol 2,16 f.) mit dem Fazit diskutiert werden, dass bei Paulus noch "nirgends davon die Rede (sei), daß Jesus der jüdischen Sabbatobservanz ein Ende gesetzt hätte" (115). Die Behauptung, dass "im paulinischen Missionsgebiet Mitte des 1. Jh. n. Chr. und auch noch Jahre später ein Jesuswort zum Sabbat ebensowenig bekannt war wie die Erinnerung an eine Auflösung des Sabbats durch Jesus" (134), lässt freilich gewisse Bedenken gegen eine argumentatio e silentio aufkommen.

Im Fortgang werden die Synoptiker inklusive Apg (136-493) und Joh (494-605) im Blick auf das Sabbat- wie das Toraverständnis untersucht. Dabei wird generell eine abnehmende Bedeutung des Sabbats im frühen Christentum ausgemacht. Sonderbar ist, dass der negative Befund der Logienquelle bis auf Randnotizen (360) kaum eigens erörtert wird. Eine Schlüsselstellung nimmt dagegen die Auswertung der markinischen Belege ein. Primär literar- und redaktionskritische Überlegungen führen zum Ausschluss vieler Traditionen von einer historischen Rückfragemöglichkeit. Von zentraler Bedeutung erweisen sich Mk 2,23-28 und 3,1-6, wobei die Vfn. nur 2,27 sowie ein 3,4 äquivalentes Logion in Sinne von Lk 14,5/13,15 f. par. Mt 12,11 f. (353-360) und Heilungen Jesu am Sabbat für authentisch hält. Die äußerst detailliert geführte Diskussion kann dabei in vielen, wenn auch nicht allen Punkten überzeugen. Historisch erkennt die Vfn. an, dass Jesu Handeln auf den Widerstand toratreuer Kreise gestoßen sein kann, doch lehnt sie ab, dass er bevorzugt am Sabbat heilte, geschweige denn mit diesen Handlungen provozieren wollte. Jesu Praxis sei eher der der galiläischen Bevölkerung vergleichbar, und die Heilungen am Sabbat werden als "Zeichen für den prophetischen Charakter und die Dringlichkeit seiner Botschaft vom Gottesreich" gesehen (214 f.).

Die Untersuchung des weiteren markinischen sowie des lukanischen und matthäischen Stoffes dient primär der Profilierung redaktioneller Interessen. Mk wird dabei außerhalb des Synagogenverbands und jenseits jeglichen Interesses am Sabbat verortet- obwohl mit einer Diskussion mit einer innerchristlichen Minorität, die am Sabbat festhält, gerechnet wird (258). Lk nimmt wie Mt Korrekturen am markinischen Jesusbild vor, die auf eine deutlichere Disqualifizierung der Kritiker Jesu zielen (399). Mt zeichnet das negativste Pharisäerbild und steht in doppelter Frontstellung gegenüber einem christlichen Antinomismus und einem jüdischen Gesetzesrigorismus, der über die Trägerkreise der Logienquelle bis in seine Gemeinde ausstrahlt. Die Komplexität der matthäischen Situation ist gut erkannt, wenn auch manchmal nicht ganz treffend auf den Begriff gebracht (siehe die Rede vom "nichtchristlichen Judentum" [486]). Insgesamt argumentiere Mt mit dem Liebesgebot gegen eine rigoristische Sabbatobservanz.

Noch weiter entfernt stehe die johanneische Tradition, da hier jegliche Sabbatpraxis der Gemeinde, wie sie bei den Synoptikern noch durchschien, keinen realen Anhalt mehr hat. Die johanneischen Sabbatheilungen werden ausschließlich im Dienste der Christologie gesehen, weshalb eine historische Rückfragemöglichkeit abgelehnt wird. Abgeschlossen wird dieser Teil durch eine Analyse von Texten aus dem Hebräerbrief (606-625) und weiteren frühchristlichen Texten (626-645), welche die Entwicklung von Sabbat und Sonntag im 2. Jh. dokumentieren.

Der dritte Hauptteil (647-680) setzt nochmals mit methodischen Fragen an. Dies erscheint vom Aufbau her unzeitig, da die Rückfrage nach Jesus zuvor bereits von den hier vorgenommenen Weichenstellungen beeinflusst ist. Speziell problematisiert wird das Differenzkriterium, das Jesus vom Judentum scheide und so Probleme im Blick auf dessen Sabbat- und Toraverständnis bereite. Dem wird auf Grund der Diskussion bei Theißen/ Winter ein modifiziertes Plausibilitätskriterium entgegengesetzt, wobei großer Wert auf die Gesamtentwicklung gelegt wird (656). Die Problematik eines Argumentationszirkels wird zwar gesehen, entgangen ist ihm die Vfn. aber nicht ganz.

De facto bleibt nur ein sehr schmaler Bestand an historisch auswertbarem Material übrig. Die angesprochenen Jesusworte sowie die Sabbatheilungen als solche bieten dafür die einzige Basis. Bedauerlich ist, dass sich die Diskussion ganz auf die Sabbatobservanz verengt, was unmittelbar mit den Vorentscheidungen der Vfn. zusammenhängt. Dann bildet Jesu "Heiltätigkeit am Sabbat sicher nur einen unbedeutenden, da unauffälligen Aspekt seines Gesamtverhaltens, das ganz durch seine Botschaft von der anbrechenden Basileia Gottes bestimmt war" (674). "Die Auffassung, Jesus habe um seiner Botschaft willen gerade und gezielt am Sabbat geheilt, ist Folge einer einseitig am Differenzkriterium ausgerichteten Rückfrage nach Jesus, welche die aus den Erzählungen wie Mk 3,1-6 erhobenen Differenzen Jesu zu einer diesbezüglich angeblich eindeutigen jüdischen Sabbathalacha als authentisch verstehen musste" (ebd.). Eigentümlich erscheint freilich, dass die Vfn. dennoch mit der Historizität von Konflikten um den Sabbat rechnet, deren Bedeutung aber gering einschätzt, da das "Verhältnis zum Sabbat für den irdischen Jesus von Nazareth noch in keiner Weise ein zentrales Element seines Wirkens war, sondern dies erst im Zuge der frühchristlichen Überlieferungsgeschichte wurde" (650). Ein ausführliches, wenn auch nicht vollständiges Literaturverzeichnis und eine Auswahl alttestamentlicher Stellen schließen die Untersuchung ab.

Anzumerken bleibt, dass sich die Vfn. wohl selbst am meisten über die recht zahlreichen Trennungsfehler im ersten Teil ärgern wird. Auf Grund des Umfangs ist es auch nicht immer ganz leicht, dem Spannungsbogen der Analyse zu folgen. Nicht nur, dass viele interessante Details in den Ausführungen leicht untergehen, es werden im Grunde genommen auch zwei unterschiedliche Ziele verfolgt, da sich die literarischen Analysen recht weit von der Rückfrage nach Jesus entfernen. Das Rezeptionsinteresse ist aber der eigentliche Schlüssel für diese Rückfrage und ihr weithin negatives Ergebnis.

Die These, die dem Sabbat eine marginale - wenn auch keine negative - Rolle im Verständnis und Handeln Jesu zuweist, müsste unter stärkerer Einbeziehung von weisheitlich sowie apokalyptisch geprägten hermeneutischen Ansätzen nochmals überdacht werden. In Jesu Wirken - das gewiss keine Auflösung des Sabbats impliziert - kommt gegenüber der in den rabbinischen Texten sichtbar werdenden kasuistischen Hermeneutik eine Differenz zum Ausdruck, deren innere Sprengkraft durchaus wahrgenommen und von jüdischer wie christlicher Seite als Unterscheidungsmerkmal interpretiert wurde. Die Frage, warum Jesus am Sabbat geheilt hat, nur mit dem Verweis auf die Dringlichkeit seiner Botschaft zu beantworten, greift daher zu kurz. Die von der Vfn. abgelehnten eschatologischen Aspekte (679) und vor allem der Zeichencharakter, den entsprechende Handlungen im Rahmen der Verkündigung Jesu besitzen, müssen hier stärker beachtet werden. Dann aber erhält der Sabbat durchaus eine Bedeutung im Blick auf das Wirken Jesu, auch wenn - und darin ist der Vfn. Recht zu geben - keine Abrogation des Sabbats erfolgte. Ein wichtiges Ergebnis der Arbeit besteht aber darin, die oft unterschätzte Bedeutung des Judenchristentums für die frühe Phase in Erinnerung gerufen zu haben.