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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

484–486

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Strelan, Rick

Titel/Untertitel:

Paul, Artemis, and the Jews in Ephesus.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1996. XXI, 380 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 80. Lw. DM 168,-. ISBN 3-11-015020-4.

Rezensent:

Andreas Lindemann

Es handelt sich um eine von M. Lattke betreute, von der philosophischen Fakultät der University of Queensland (Australien) angenommene Dissertation. St. behandelt im Ersten Teil (1-125) die "heidnischen" Kulte in Ephesus, insbesondere die Verehrung der Artemis; im Zweiten Teil (126-302) geht es um das Verhältnis des Paulus zum Artemiskult und zu den Juden in Ephesus nach dem aus der Apg und aus den Briefen zu erhebenden Befund. Es folgen zwei Appendices (s. u.) und eine umfangreiche Bibliographie (311-380), jedoch keine Register.

In der Einleitung (1-23) sagt St., er wolle alles zusammenstellen, was sich über Ephesus im 1. Jh. n. Chr. aufgrund der literarischen und vor allem auch der reichen epigraphischen und archäologischen Quellen sagen lasse (3). Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick (6-11) erörtert St. methodologische Probleme: Man müsse mit den greifbaren Daten ("data") vorsichtig umgehen, da sich beispielsweise schwer entscheiden lasse, ob es legitim sei "to construct an Ephesus with bricks from Antioch or Alexandria", und dies gelte gerade auch für den Artemiskult (13). Auch sei es historisch falsch, von "der Kirche" in Ephesus zu sprechen; vermutlich habe es nur sehr kleine "’communities’ or ’groups’" mit höchstens 50 Mitgliedern gegeben (16). Mit der Existenz des "Judenchristentums" sei nicht nur in Palästina zu rechnen, denn in Ephesus sei die Zahl der Juden unter den Christen deutlich höher gewesen als die Zahl der Heiden (19). Die Frage nach dem historischen Wert der Apg sei schließlich kaum beantwortbar, da andere Quellen fehlten; wer die paulinischen Briefe für zuverlässiger halte, müsse beachten "that Paul too constructs his ’history’" (21). Das lukanische Bild von der stets auf die Synagoge bezogenen Mission des Paulus sei richtiger als oft angenommen (23). Zusammenfassend nennt St. vorweg die Ergebnisse seiner Studie (23): 1. Der Artemiskult blieb in Ephesus die alles entscheidende Größe, während die paulinische Mission und die christliche Gemeinde praktisch einflußlos blieb ("virtually no impact on the cults or on the city itself"). 2. Paulus hatte in der Stadt größte Schwierigkeiten; erfolgreich war er allenfalls bei Juden, kaum aber bei Heiden; Ephesus sei entgegen der landläufigen These jedenfalls kein "centre of gentile Pauline Christianity" gewesen.

St. informiert in Teil Eins zunächst (24-94) ausführlich über Aspekte der Artemis-Frömmigkeit in Ephesus: "Eusebeia was not simply a dimension of life, it was city life" (28; Kursive im Original); denn die Verehrung der städtischen Götter war Bestandteil der bürgerlichen Existenz in der Polis, und dies habe sich im 2. Jh. sogar noch verstärkt. St. gibt eine Beschreibung der Formen der bis ins 11. Jh. v. Chr. zurückreichenden Artemis-Verehrung, insbesondere der unterschiedlichen Attribute, Bilder, Mythen (z. B. die Überlieferung, daß Artemis in Ephesus geboren wurde) und Feste. Eindrücklich ist die Darstellung des Artemistempels, der die Stadt bis zur Zerstörung durch die Goten 265 gerade auch in finanzieller Hinsicht bestimmt habe (68-79; Inschriften zeigen noch im 5./6. Jh. den Artemiskult als Rivalen des Christentums, 81). Die These, Artemis habe auch gefährliche Züge getragen, sei geradezu eine Göttin der Unterwelt gewesen (1), wird mit m. E. überzeugenden Argumenten zurückgewiesen (83-88). St. stellt schließlich weitere ephesinische Kulte, insbesondere den Kaiserkult dar; Apk 2 lasse erkennen, daß die Christen sich durchaus in die städtische Gesellschaft integriert hatten und daß es der Seher der Apokalypse war, der diese Integration durch ein selbstgeschaffenes Ghetto habe auflösen wollen (108); eine kritische Anspielung auf Statuen der Artemis könne man in Apk 12 erkennen (114). Schließlich beschreibt St. die Rolle der Frauen in den ephesinischen Kulten, wobei er in den Timotheusakten eine wertvolle Quelle sieht (122 ff.; freilich findet sich weder eine detaillierte Textinterpretation noch auch nur ein Datierungsvorschlag für diese im allgemeinen als sehr spät geltende Märtyrerlegende). Das Ergebnis des an sich sehr informativen Ersten Teils bleibt etwas allgemein, weil im Grunde nur gezeigt wird, daß der Artemiskult für Ephesus zur Zeit des Paulus und noch lange danach von größter Bedeutung war (125); dies wird ja auch von denen nicht bezweifelt, die in Ephesus ein paulinisches Missionszentrum vermuten.

Teil Zwei beginnt unter der Überschrift "Paul and Artemis in Ephesus" (126-165) mit einer ausführlichen Explikation der These, daß Paulus entgegen oft geäußerter Behauptung in der Stadt keineswegs einen überwältigenden Missionserfolg gehabt habe; vielleicht sei es ihm gelungen, etwa 25-40 "Heiden" für seine Botschaft zu gewinnen - bei einer Gesamtbevölkerung von 200000 (129). Der Mißerfolg zeige sich in Apg 19,23-40, zumal Lukas über einen Erfolg bei den Heiden in Ephesus gar nichts sage (132-153).

St.s Exegese ist freilich hier wie bei vielen anderen Texten methodisch problematisch, was an einem Beispiel gezeigt werden soll: Demetrius sage in seiner Ansprache nicht, daß Paulus Heiden zum Christentum bekehrt habe, sondern er spreche in V. 26 nur davon, daß "Paul’s message was changing the opinions and the thinking of the crowds" (das sei der Sinn des Verbs "mesthisteni"); daß "fast ganz Asien" davon betroffen sei, müsse als rhetorische Übertreibung angesehen werden (138 f.). Wenn St. den Gebrauch der Begriffe "methanoia" und "pistis" vermißt, übersieht er, daß auch der lukanische Demetrius solche Worte nicht gut verwenden kann. Nach dem Duktus der Rede in 19,25-27 und der anschließend geschilderten Ereignisse muß der Eindruck entstehen, daß der Artemiskult ernsthaft gefährdet ist - wie immer es historisch damit stehen mag (vgl. aber immerhin den Pontus und Bithynien betreffenden Brief des Plinius an Trajan). Wenn St. meint, Lukas spreche nicht von einem Erfolg des Paulus, dann nimmt er den Text nicht ernst; und es ist jedenfalls zu "modern" gedacht, wenn er zu 19,27 erklärt, Lukas wende sich hier gegen die Verquickung von Religion und Geschäft (139).

Im zweiten Abschnitt "Paul among Jews in Ephesus" (165-273) will St. sowohl aus der Apg wie auch aus den Paulusbriefen zeigen, daß es ein Heidenchristentum in Ephesus so gut wie nicht gegeben hat. Für Juden sei das paulinische Evangelium attraktiv gewesen, sofern sie schon bisher nicht toratreu gelebt hätten (183). Im Grunde gelte dies generell für die Darstellung der paulinischen Mission in der Apg; die Notiz in 11,26, daß die Jünger in Antiochia "christianoi" genannt worden seien, könne auch signalisieren, daß sie so von Pharisäern, Sadduzäern usw. unterschieden wurden; die Nicht-Beteiligung von Ephesus an der Jerusalem-Kollekte spreche deutlich für den judenchristlichen Charakter der dortigen Gemeinde (202 ff.). Alle Abschnitte in der Apg, wo Ephesus erwähnt werde, zeigten, daß weder Paulus noch Apollos Heidenmission betrieben hätten; der Wechsel von der Synagoge in das Lehrhaus ("schole") des Tyrannus (19,8 f.) sei möglicherweise nur der Wechsel vom Gebetshaus zum Lehrhaus der Synagoge gewesen (250-254). Und die Kombination "Juden und Griechen" in 19,10 meine einfach "alle" - ohne jeden betonten Hinweis auf Heiden (255; auf 19,11 f. geht St. nicht ein). Die Abschiedsrede in Milet lasse erkennen, daß die ephesinischen Presbyter Juden waren und daß im übrigen Paulus in der Stadt praktisch einflußlos gewesen sein muß (265-271). Auch die paulinischen Texte bestätigten dieses Bild. Nicht eine erfolgreiche Tätigkeit in Ephesus, sondern das Gegenteil lasse sich aus 1Kor 4,9-13 ableiten; zwar handele es sich um einen stilisierten Peristasenkatalog, doch ein realer Hintergrund sei zwingend anzunehmen (279 ff.). Wenn Paulus in 1Kor 16,8 f. ankündige, bis Pfingsten in Ephesus bleiben zu wollen, dann könne die erwähnte "große Tür" auf eine Gefahr hinweisen (Epiktet spreche von der "Tür des Todes"); Paulus sage, daß er keinesfalls länger als (nur noch) bis Pfingsten bleiben wolle (285).

Als Ergebnis wiederholt St. (294-302) die eingangs formulierten Annahmen (s. o.). Er fügt hinzu, daß Ephesus in nachpaulinischer Zeit der Sitz der johanneischen Tradition geworden sei, womit das gewonnene Bild bestätigt werde.

Anhangsweise erörtert St. zunächst (303-306) die Frage, was Paulus mit der Selbstbezeichnung "ethnon apostolos" gemeint habe. Da er ja in erster Linie Juden missioniert habe, sei der Begriff "ethne" wohl auf die Juden zu beziehen, die außerhalb Judäas bzw. Israels lebten: "They need no longer look to Jerusalem but they are called to join the community of those in-Christ" (306); vielleicht handele es sich bei "ethnon" auch um einen Genitiv der Herkunft ("Paul comes from the gentiles", 303). Auf den Galaterbrief geht St. nicht ein, ebensowenig auf Röm 11,13. Der zweite Appendix (306-309) enthält den berechtigten Hinweis, daß man die Entwicklung der Kirche zu einem reinen Heidenchristentum nicht zu früh ansetzen darf.

St.s Argumentation leidet unter einer Engführung: Da es ihm nicht um Paulus, sondern um Ephesus geht, bekommt er weder das Paulusbild der Apg noch gar die Paulusbriefe im ganzen in den Blick. Er beschränkt sich auf die Ephesus betreffenden Textausschnitte und liest sie von der Voraussetzung her, daß sie einen Mißerfolg des Paulus zumindest bei den Heiden belegen. Bei den Beobachtungen zur Apg unterscheidet St. nicht immer klar zwischen der lukanischen Darstellung und den möglicherweise zu eruierenden historischen Fakten. Sehr häufig finden sich auch Erwägungen nach dem Muster "Warum sollte nicht ... (z. B. 251: "Why should some orthodox traditional Ephesian Jews ... have not agreed with Paul’s interpretation of the scriptures?" - wohlgemerkt: innerhalb der Synagoge). Das Buch enthält zweifellos wichtige Informationen über bislang weithin übersehene Aspekte der Situation in Ephesus; aber St.s Versuch einer völligen Neuinterpretation des Verhältnisses Paulus/Ephesus und gar einer grundsätzlichen Neubewertung der paulinischen Mission scheint mir aus Gründen methodischer Unzulänglichkeiten im Umgang mit den neutestamentlichen Texten im wesentlichen gescheitert zu sein.

Fussnoten:

(1) St. führt hier eine eingehende Diskussion mit C. Arnold, Ephesians: Power and Magic, 1989.