Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2005

Spalte:

757–759

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Graupner, Axel

Titel/Untertitel:

Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2002. XIV, 459 S. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 97. Geb. 69,00. ISBN 3-7887-1916-8.

Rezensent:

Manfred Oeming

Die Bonner Habilitationsschrift von Axel Graupner ragt aus der Fülle der neueren Arbeiten zum Pentateuch heraus. Während die Verabschiedung der klassischen Quellen geradezu zu einer "neuen Orthodoxie" alttestamentlicher Literaturgeschichte zu werden scheint, die Quellenscheidung insgesamt somit vielfach als ein Irrweg beurteilt wird und insbesondere auch der Elohist- mit Hinweis auf die angeblich ganz schwach begründete Annahme seiner Existenz - als ein Phantom der Forschung "beerdigt" wird, geht die anzuzeigende Arbeit nochmals den Argumenten für eine Quellenscheidung im Allgemeinen sowie für die Annahme einer eigenständigen Quelle E kritisch und umsichtig nach. Sie legt eine sehr sorgfältige, konzentrierte Analyse aller Texte, die jemals in der Forschungsgeschichte dem Elohisten zugewiesen wurden, vor. Dies führt im Resultat zu einer Art "Auferstehung einer Quellenschrift": die alte, von E. Reuss, K. H. Graf, A. Kuenen und J. Wellhausen entwickelte These von einer selbständigen Elohim-Quelle, die älter ist als die Priesterschrift, war und ist zutreffend. Diese mit dem Kunstnamen "Elohist" bezeichnete Quelle aus dem Nordreich des 8. Jh.s liegt- auf Grund der wohl in Jerusalem erfolgten redaktionellen Zusammenarbeitung mit dem Jahwisten zu JE sowie der später durch Verkoppelung von JE mit der Priesterschrift und dem Deuteronomium zu JEDP wie auch weiteren Zufügungen- nur noch in einem fragmentarischen Zustand vor (der Anhang S. 401-413 bietet eine deutsche Übersetzung aller rekonstruierbaren Fragmente dieser Quellenschrift). Aber trotz seines durch die Redaktionsgeschichte bedingten nur bescheidenen Erhaltungsgrades sind Aufbau, Sprache und theologische Intention des Elohisten recht klar erkennbar. Die Arbeit ist in fünf Hauptabschnitte A bis E gegliedert:

Unter A wird eine forschungsgeschichtliche Orientierung geboten (1- 17). Dabei stellt G. nachhaltig die Kriterien heraus, die zur Annahme einer eigenständigen Quelle nötigen: die Dubletten im Text, die Widersprüche, der Wechsel des Gottesnamens, der Wandel des Stils und der theologischen Vorstellungswelt und vor allem die Koinzidenz der Phänomene! Die Gleichzeitigkeit aller dieser vier Faktoren kann man nicht anders oder jedenfalls nicht besser erklären als mit der Hypothese von Quellenschriften.

Vielleicht, weil die Kritik der Quellentheorie öfters vorgeworfen hat, sie funktioniere nur im Rahmen der Genesis, weicht die Untersuchung, wenn auch etwas irritierend, von der kanonischen Abfolge der Texte ab und setzt in Abschnitt B bewusst mit einer Untersuchung des Elohisten im Buch Exodus (18-154) ein, wiederum überraschend mit der Berufung des Mose (Ex 3,1-4,17). An diesem Text wird das Profil des Elohisten erstmals deutlich greifbar: Trotz seiner Alleinwirksamkeit bleibt Elohim transzendent. Allein in seinem geheimnisvoll angespielten Namen ("ich bin, der ich bin") gibt der jenseitige Gott seine Gegenwart und sein helfendes Handeln in der Geschichte zu erkennen. Danach werden Israels Bedrückung in Ägypten, die Kindheit des Mose, die Hebammen-Geschichte, Moses Flucht nach Midian (Ex 1,1-2,25), Moses Rückkehr nach Ägypten (4,18-31), die Auseinandersetzung mit dem Pharao, die Plagen und die Passah-Nacht (Ex 5-13*), der Weg zum Schilfmeer und die Errettung am Meer (Ex 13,17-14,31*), die Führung in der Wüste (Ex 15-17*) und die Einsetzung von Richtern am Gottesberg (Ex 18*) analysiert. Die Theophanie am Gottesberg (Ex 19 f.*) bildet den Höhepunkt.

In Abschnitt C werden die spärlichen Reste des Elohisten im Numeribuch untersucht, besonders die Bileamperikope Num 22-24* (158-176).

Danach erst kommt die Analyse in Abschnitt D zur Genesis. Die zentral wichtigen Kapitel der Abrahamerzählung (Gen 15; 20-22), der Jakoberzählung (Gen 25-35*) sowie der Josefsgeschichte (Gen 37-50*) werden gründlich untersucht (177- 382).

In all diesen Textarbeiten, die hier natürlich nicht im Detail besprochen werden können, zeigen sich vier Stärken: a) G. ist sehr stark am Text orientiert; nicht die von der Forschungsgeschichte vorgespurten Denkbahnen werden abgeschritten, sondern die Phänomene der Texte akribisch abgetastet. b) Die Formulierungen sind sprachlich sehr dicht; das schadet der Lesbarkeit, nützt aber der Kürze, die angesichts der behandelten Textmasse erstaunlich ist. c) Die Auslegungen verbleiben nicht im Technischen; auch wenn manche literarkritischen Debatten G.s einem vorkommen wie höhere Mathematik und Mengenlehre, stößt die Analyse doch immer durch zu den theologischen und ethischen Kernaussagen des Elohisten. G. betreibt Literarkritik nicht als l'art pour l'art, sondern als notwendiges Hilfsmittel der theologischen Interpretation. d) Die theologische Interpretation steht im Kontext einer Gesamtsicht der Glaubensgeschichte Israels, so dass der Elohist in einleuchtende Relationen zu Elia und Hosea, dem Jahwisten und der Priesterschrift gesetzt wird.

Den Ertrag seiner Textarbeit systematisierend legt G. auf den Seiten 383-400 eine vorzügliche knappe Zusammenfassung vor, die man jedem Volltheologen und auch Religionslehrer zur Lektüre empfehlen möchte (besonders 390-393). Hier seien nur einige wenige Sätze zitiert:

"Aufbau und Gestaltungsprinzip des Werkes, das in Moses Frage nach dem Namen des Vätergottes und Gottes Antwort Ex 3,13f zu Tage tritt, lassen deutlich erkennen, daß der Elohist eine katechetische Intention verfolgt. Das Werk nimmt mit der Meidung des Gottesnamens die Frage Wer ist der Gott Israels? auf (vgl. 1 Kön 18,21; 2 Kön 1,3) und beantwortet sie, indem es das Bekenntnis ... Jahwe - er ist der Gott (1 Kön 18,39) geschichtlich begründet und in erzählender Form weitergibt. Der Gott, der die Väter durch sein Mitsein geführt hat und dessen Mitsein Israel seine Volkwerdung verdankt, ist niemand anderer als Jahwe; denn Mitsein ist seinem Namen nach sein Wesen (Ex 3,14 in Anlehnung an V 12). Dabei gestaltet der Elohist Israels Anfangsgeschichte als Urbild für das Verhältnis von Gott und Volk, indem er durch Ex 13,17*.18 das durch die Überlieferung vorgegebene Murrmotiv aus seiner Darstellung ausschließt und die Theophanie am Gottesberg als Prüfung des Volkes gestaltet, die es besteht. Die angemessene Antwort des Volkes auf Gottes Zuwendung und Gegenwart ist die Gottesfurcht, die unbedingte Bindung an Gott als König (Num 23,21), die sich in vorbehaltlosem Vertrauen in Gottes Führung (Gen 22,1-14a) und der Anerkennung von Gottes Gottsein, seiner Jenseitigkeit und Unverfügbarkeit (Ex 20,18b), äußert. In dieser Bindung ist Israel bleibend vor Sünde bewahrt (V 20), d. h. der Menschenfurcht entnommen, die im vermeintlichen Zwang zur Selbstsicherung Gottes Willen mißachten muß und das Recht des anderen nicht achten kann (Gen 20,1b-17). Möchte der Elohist damit dem Israel seiner Zeit die Gottesfurcht einschärfen? Ein entsprechender Imperativ fehlt. Folgt man der Darstellung, ist die Gottesfurcht keine Forderung an Israel, erst recht keine Bedingung, die Israel erst zu erfüllen hätte, damit Gott seine Gemeinschaft gewährt, sondern bereits eine Folge oder Wirkung von Gottes Zuwendung. ... Das Werk vermittelt vielmehr eine ausgesprochen positive Sicht von Nicht-Israeliten. Mehrfach wirken Fremde als Werkzeuge in Gottes Heilsplan: Abimelech von Gerar (Gen 20,15; 21,22), Jakobs aramäischer Schwiegervater (31,29.44a), der Pharao der Josefgeschichte (41,37-40.43; 45,16-18), die ursprünglich vielleicht als Ägypterinnen, jedenfalls als Nicht-Israelitinnen vorgestellten Hebammen (Ex 1,17), Moses midianitischer Schwiegervater (4,18; 18,17.18.19a.21a. 22.23), der aus der Euphratregion stammende Seher Bileam (Num 23,7f. 18-20). Moses midianitischer Schwiegervater erhält sogar zeitweilig eine Mose übergeordnete Stellung (Ex 18,7.12*), und der Abschluß des Werkes nimmt kaum zufällig noch einmal die zuvorkommende Haltung gegen Fremde auf ...: es ist der auswärtige Prophet, der in Jahwes Namen ... Israel Segen zuspricht. ... Gottes Geschichtslenkung ereignet sich nicht in großen Schlägen (7,17.25.27; vgl. Gen 12,17 J), sondern verborgen in menschlichem Handeln. ... Gott läßt das Böse zwar zu, begrenzt es aber gleichzeitig (Gen 20,6), verhindert das Böse (31,7; vgl. Ex 1,15-20*; Num 22,20; 23,f.19f.26) oder lenkt es zum Guten (Gen 50,20). ... Mit der Darstellung von Gottes Geschichtslenkung als gubernatio ist eine teilweise tiefgreifende Revision der Geschichte unter ethischem Aspekt unlösbar verbunden, die sich mit der Verlegung der Handlung in den Dialog, dem Stilmittel der Nachholung und der Verbindung ursprünglich selbständiger Stoffe zu einer Erzählung eigener literarischer Techniken bedient und weisheitlichen Maximen folgt. Konsequent beseitigt der Elohist Anstöße, die die Überlieferung unter ethischem Aspekt bietet, und entlastet dabei die Erzväter von nachteiligen Zügen. Ziel dieser ethischen Revision ist jedoch nicht die Idealisierung der personae dramatis."

Ich selbst habe in Bonn studiert und unter Anleitung meines Lehrers A. H. J. Gunneweg die E-Fragmente immer mit großer Skepsis zu betrachten gelernt. Die Untersuchungen von G. haben aber bewirkt, dass ich meine Position nochmals überdenken muss. Besonders hat mich ein Gedanke beeindruckt, den G. in der Arbeit leider gar nicht entfaltet hat, wohl aber 1997 bei einem Vortrag in der Heidelberger alttestamentlichen Sozietät, und den ich abschließend noch anfügen möchte: Das abrupte Ende von E mit der Bileam-Perikope (Num 22-23*) ist immer wieder als einleuchtendes Argument gegen E in Anschlag gebracht worden. Aber ist das überhaupt ein abruptes Ende? Wenn schon ein heidnischer Prophet die Zukunft schaut, in der ein jetzt heranwanderndes Volk unter dem Segen seines Gottes Jahwe aufblühen und das Land gegen alle seine Feinde beherrschen wird, um wie viel getroster darf das Israel zur Zeit des Elohisten des Beistandes Gottes gewiss sein? Ist es nicht ein dichterisch sogar hoch gelungener Kunstgriff mit einer prophetischen Vision zu enden: "Jahwe, sein Gott, ist mit ihm!", sagt Bileam (Num 23,21), und genau das ist es, was das Kerygma des Elohisten vermitteln wollte.

G. hat für seine Analysen zehn Jahre Arbeit investiert. Die Mühe hat sich gelohnt. Dieses (vermeintlich konservative) Buch ist zukunftsweisend und wird vermutlich Forschungsgeschichte machen (auch dadurch, dass G. im Biblischen Kommentar die Kommentierung des Exodusbuches übertragen wurde).