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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

711–713

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ziller, Klaus-Joachim

Titel/Untertitel:

Gemeinsame Verantwortung der evangelischen und katholischen Kirche für den Religionsunterricht in Ostdeutschland. Eine Untersuchung aus evangelischer Perspektive anhand religionspädagogischer und kirchlicher Stellungnahmen und evangelischer und katholischer Lehrpläne.

Verlag:

Münster: LIT 2004. 267 S. m. Tab. gr.8 = Schriften aus dem Comenius-Institut, 10. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-8258-7416-8.

Rezensent:

Helmut Hanisch

Die Studie gehört zu einer Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, die in den letzten Jahren über den Religionsunterricht im Osten Deutschlands verfasst worden sind. Wie der Buchtitel verrät, geht es um keine empirische Untersuchung, wohl aber orientiert sich Z. an konkretem Material, anhand dessen er danach fragt, inwiefern im Hinblick auf die beiden großen Konfessionen von einer gemeinsamen Verantwortung für das Fach Religion gesprochen werden kann. Dabei befasst er sich u. a. mit offiziellen kirchlichen Verlautbarungen zur Standortbestimmung des neuen Faches. Daneben fragt er danach, inwieweit die in den Lehrplanvorworten der ostdeutschen Religionslehrpläne vorfindlichen Aussagen mit kirchlichen Stellungnahmen konvergieren und damit "Möglichkeiten und Voraussetzungen gemeinsamer Verantwortung beider Kirchen für den RU in den Blick" (9) kommen. Mit großem Fleiß trägt er die Materialien aus den fünf ostdeutschen Bundesländern einschließlich Berlins zusammen, die ihn in die Lage versetzen, Antworten auf seine Fragestellungen zu finden.

Im Zusammenhang mit der Standortbestimmung gelangt Z. zu der Feststellung, dass sowohl die katholische Kirche als auch die evangelischen Kirchen die gleichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vorfanden, sich jedoch in dem durch das SED-Regime politisch eng gesteckten Rahmen im Hinblick auf die Wahrnehmung der Bildungsverantwortung unterschiedlich verhielten. Während sich die evangelischen Kirchen darum bemühten, eigene pädagogische Konzepte zu entwickeln und die Allgemeingültigkeit christlicher Grundwerte zu betonen, was zu fortgesetzten Konflikten mit den sozialistischen Machthabern führte, ging es der katholischen Kirche nach Z. auf Grund ihrer extremen Diasporasituation vor allem um Bestandssicherung und um die enge Verknüpfung mit der römischen Gesamtkirche (vgl. 158).

Nach der Wende zeichnet sich ein grundlegender Unterschied der beiden Kirchen im Hinblick auf den Religionsunterricht ab. Er besteht darin, dass die evangelischen Kirchen den Religionsunterricht als ein Schulfach verstehen, das trotz der im Grundgesetz verankerten konfessionellen Orientierung grundsätzlich für alle Schülerinnen und Schüler offen ist. Im Gegensatz dazu will die katholische Kirche "die Konfessionalität auch von der Schülerseite her gewährleistet wissen" (158). Dies führt dazu, dass der katholische Religionsunterricht auf Grund der geringen Schülerzahlen weit verbreitet in katholischen Gemeinderäumen stattfindet.

Auf Grund der räumlichen Schulferne ergibt sich eine Reihe von Problemen, die nicht zuletzt auch dazu führen, die pädagogische Begründung des Faches Religion als ein für die Allgemeinbildung unverzichtbares Angebot der Schule in Frage zu stellen. Daneben sind religionspädagogische Konsequenzen ins Auge zu fassen, die von Z. zunächst jedoch nicht im Einzelnen verfolgt werden. Zu bedenken ist Folgendes: Wenn der Religionsunterricht nicht in der Schule stattfindet, sondern in katholischen Gemeinderäumen, dann scheint das religionspädagogische Anliegen vor allem darin zu bestehen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am katholischen Religionsunterricht in ihrem Glauben zu festigen und ihnen zu helfen, stärker mit der eigenen Glaubenstradition vertraut zu werden. Die Lerngruppen selbst sind weitgehend homogen, und es kann von ihrer Seite her mit dem prinzipiellen Einverständnis im Hinblick auf die Glaubensinhalte gerechnet werden, um die es im Unterricht geht. Vor diesem Hintergrund stellen sich nicht die religionspädagogischen Herausforderungen, mit denen sich der evangelische Religionsunterricht als ein für alle Schülerinnen und Schüler offenes Angebot konfrontiert sieht. Dazu gehört vor allem die Heterogenität der Lerngruppen, in denen sich junge Menschen finden, die auf Grund unterschiedlicher, oftmals divergierender Motive am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen.

Auffallend ist, dass Z. in diesem Zusammenhang die Situation des katholischen Religionsunterrichts in den neuen Bundesländern faktisch beschreibt, ohne die religionspädagogischen Implikationen schärfer ins Auge zu fassen. Er begnügt sich mit dem offenbar an die katholische Kirche gerichteten Appell: "Die beschriebenen Situationen des RUs in den ostdeutschen Ländern sprechen für eine Zurückstellung konfessioneller Interessen, ohne vorfindliche konfessionelle Profile im Lernprozess zu ignorieren" (160). In welcher Weise die konfessionellen Interessen zurückgestellt werden und wie eine mögliche Zurückstellung von den beiden großen Kirchen begründet und faktisch verfolgt wird, darüber gibt Z. im ersten Teil seiner Untersuchung keine Auskunft.

Im zweiten Teil seiner Arbeit wird er jedoch deutlicher. Hier arbeitet er überzeugend heraus, dass der Grundsatz der katholischen Kirche, nach dem katholisch getaufte Kinder und Jugendliche von katholischen Lehrerinnen und Lehrern zu unterrichten sind, in deutlicher Spannung zu den kirchlichen, religiösen und gesellschaftlichen Bedingungen und pädagogischen Interessen des Religionsunterrichts steht. Wörtlich heißt es in diesem Zusammenhang bei ihm: "Der rein pragmatischen Offenheit des katholischen RUs steht die prinzipielle Offenheit des evangelischen RUs für alle Schüler/innen gegenüber" (231). Im Unterschied zu den evangelischen Kirchen "ist die katholische Kirche in Deutschland lediglich dort, wo es unvermeidbar erscheint, etwa in extremen Diasporasituationen, und lediglich schulartbezogen zur konfessionellen Kooperation bereit" (231).

Angesichts dieser Feststellung sieht sich Z. dazu herausgefordert, Plausibilitätsstrukturen aufzudecken, die eine gemeinsame Verantwortung der beiden großen Konfessionen für den Religionsunterricht begründen. Unter anderem geht er aus von der Situation des Religionsunterrichts in den ostdeutschen Bundesländern, dem kirchlich-theologischen Verständnis des Religionsunterrichts als Dienst am jungen Menschen, von pädagogischen Grundsätzen, die sich in den Lehrplänen beider Konfessionen finden, und dem Gebot der Schülerorientierung. Inhaltliche und konzeptionelle Konvergenzen, die eine konfessionelle Kooperation erlauben, werden nachvollziehbar dargestellt. Zugleich weist er darauf hin, dass von Seiten der Unterrichtenden große Bereitschaft zur Kooperation vorausgesetzt werden kann.

Die von Z. vorgelegte Studie ermutigt auf Grund ihrer überzeugenden Argumentation alle diejenigen, die nachhaltig an der Einführung des Religionsunterrichts im Osten Deutschlands interessiert sind, weiterhin an der bestmöglichen Gestaltung des neuen Faches zu arbeiten, wozu es unabdingbar erscheint, konfessionelle Grenzen und Engführungen zu überwinden.