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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

708–710

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Meyer-Blanck, Michael

Titel/Untertitel:

Kleine Geschichte der evangelischen Religionspädagogik. Dargestellt anhand ihrer Klassiker.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2003. 281 S. m. Abb. 8. Kart. Euro 24,95. ISBN 3-579-05202-0.

Rezensent:

Rainer Lachmann

Um es gleich vorweg zu sagen: Es handelt sich um eine gut und nützlich zu lesende (ganz) "Kleine Geschichte der evangelischen Religionspädagogik", die konventionell und solide anhand "ihrer Klassiker" dargestellt wird. Dabei wird der Ehrentitel "Klassiker" auch noch lebenden Personen zuteil, weshalb sich das Buch zugleich problemlos als Darstellung religionspädagogischer Konzeptionen des vorigen Jh.s lesen lässt, denen über zwei Drittel des Umfangs gewidmet sind. Für sein Buch wählt M.-B. elf religionspädagogische Klassiker aus - außer den beiden ersten und dem letzten übrigens ausschließlich Pfarrerskinder! -, wobei er unter Klassikern solche Theoretiker versteht, "die uns noch heute beschäftigende Fragen so bearbeitet haben, dass wir uns trotz des historischen Abstandes mit ihnen beschäftigen sollten" (9). Das verbürgt Gegenwartsrelevanz und schafft im Verbund mit dem gewählten biographischen Ansatz lebensbezogenes Lesevergnügen, indem an Personen veranschaulicht wird, "was der Glaube für das Leben bedeutet" (10). Geschickt und eingängig wird jeweils auf der ersten Seite eines Kapitels das Klassische mit dem Anschaulichen so verbunden, dass außer dem Namen ein klassischer Grundsatz und ein Porträt des ausgewählten Klassikers präsentiert werden. Selbst wenn besonders in den ersten Beiträgen das Biographische sehr marginal bleibt und auch die klassischen Kurzformeln nicht immer ganz stimmig sind, muss es M.-B. doch hoch angerechnet werden, dass er die spannende Frage nach dem je Klassischen einer Konzeption als gleichsam integrativen Leitfaden seiner Geschichtsdarstellung durchgängig von Anfang bis zum Ende durchhält.

Auf einem anderen Blatt steht die Klassiker-Auswahl, die M.-B. unter den Religionspädagogen getroffen hat. Obwohl er sie als "subjektiv" bezeichnet, ist sie nicht unbegründet. Wenn M.-B. z.B. die "evangelische Religionspädagogik" nicht auf die Zeit des Aufkommens des Begriffs Ende des 19. Jh.s fixiert, sondern ausweitet auf die Anfänge moderner Religionspädagogik in der philanthropischen Aufklärung und bei Schleiermacher, dann ist das sachlich ebenso berechtigt, wie wenn er in einer Geschichte evangelischer Religionspädagogik mit Martin Luther und "seiner Kunst der Unterscheidung" (1. Kapitel) beginnt. Dass sich dabei das programmatisch vorangestellte "Lernen aus der Bibel" mit der Bibel als dem "vornehmsten schulischen Lehrstoff" (14.27) schon zu Luthers Lebzeiten zu einem Lernen aus und mit dem "Kleinen Katechismus" entwickelte, lehrt uns die Geschichte protestantischen Religionsunterrichts bis ins 19. Jh. in erschreckendem Maße! Es ist deshalb nachzuvollziehen, wenn M.-B. bis zur Evangelischen Unterweisung auf Vertreter einer solchen meist orthodox-lutherisch geprägten Religionspädagogik verzichtet und sich für seine Kleine Geschichte auf M. Luther, Ch. G. Salzmann (2. Kapitel), F. Schleiermacher (3. Kapitel) und R. Kabisch (4. Kapitel) konzentriert. Dass dabei die Historische Religionspädagogik natürlich so illustre Namen wie Ph. Melanchthon oder J. A. Comenius vermisst, liegt auf der Hand. Immerhin überbrückt M.-B. den großen "Klassiker-leeren" Zeitsprung von der Reformation zur Aufklärung mit informativen "Zwischenbemerkungen", in denen er insbesondere August Herrmann Francke mit seiner pietistischen Orientierung am "glaubenden Individuum" religionspädagogisch würdigt. Gerade an Franckes berüchtigtem Monitum vom "Brechen des kindlichen Eigenwillens" weist M.-B. mit eindrücklichem Recht hin auf ein der Religionspädagogik "von nun an bleibendes Grundproblem, auf das Verhältnis von pädagogisch notwendiger Autonomie und religiös (soteriologisch) notwendiger Heteronomie" (42)!

Mit der Aufklärung als Wurzelgrund moderner Religionspädagogik und -didaktik beginnen die "Karriere" des Religionsbegriffs und die Ausrichtung am denkenden Individuum. In Gemeinsamkeit und charakteristischer Unterschiedenheit weiß das M.-B. an den drei unbestritten klassischen Religionspädagogen Salzmann, Schleiermacher und Kabisch beispielhaft aufzuzeigen. Wenn er dabei für Salzmann das "Ausgehen vom Kinde und dessen psychologischer Entwicklung" und sein Verständnis von Religion als "Gesinnung" im Sinne von "religiöser Erfahrung" bzw. "religiöser Wahrnehmung" als das Klassische herausstellt, ist das sicher richtig. Weniger richtig ist es, Salzmann methodisch als Klassiker des Unterrichtsgesprächs zu "feiern" - vom sokratischen Gespräch hat er sich ab 1780 immer mehr distanziert; eher gebührt ihm die Ehre eines Klassikers des Erzählens, für das von ihm erstmals eine eigene Erzähltheorie entwickelt wurde. Für Schleiermacher wird das Klassische in seiner Betonung des Eigenwerts des Religiösen gesehen. Neben ihm erfährt Richard Kabisch unter dem Stichwort "Erlebnis" eine vergleichsweise ausführliche Darstellung. Das ist sicher berechtigt, wenn man in ihm sowohl den "ersten Theoretiker des schulischen Religionsunterrichts" wie den "ersten Empiriker" und Rezipienten der "damals modernsten Psychologie" (84) meint sehen zu können, wofür vieles spricht.

Konzeptionell bekannteres religionspädagogisches Terrain wird abgesehen von den Kapiteln 8 und 10 - sie beschäftigen sich unter den Stichworten "fast vergessene Frauen" und "Gemeindepädagogik" mit Lieselotte Corbach und Eva Heßler - mit den Kapiteln 5 bis 11 betreten, die mit Gerhard Bohne "und die Theologie der Krise" (5. Kapitel), Martin Rang "und die Bibel" (6. Kapitel), Martin Stallmann "und die Bildung" (7. Kapitel), "Hans Bernhard Kaufmann (geb. 1926) und die Problemorientierung" (9. Kapitel) sowie "Peter Biehl (geb. 1931) und das Symbol" den bewährten Konzeptionenweg nachzeichnen.

Natürlich lässt sich insbesondere bei den noch lebenden Religionspädagogen die getroffene Auswahl hinterfragen: Kann eine sich bis in die unmittelbare Gegenwart vorwagende Geschichte der Religionspädagogik wirklich an Gert Otto und seinem schillernden religionspädagogischen Wandel-Weg vorbeigehen oder an Karl-Ernst Nipkow, dem klassischen Meister der Vermittlung im Konzeptionenkarussell der Nachkriegszeit? Hier spielen legitimerweise auch persönliche und positionelle Präferenzen mit, die uns zum guten Schluss mit Peter Biehl einen verdienten Religionspädagogen bescheren, dessen Klasse zu Recht in seiner Rolle als "Systematiker der gegenwärtigen evangelischen Religionspädagogik" gesehen wird.

Alles in allem liegt eine aspektreiche und problembewusste "Kleine Geschichte evangelischer Religionspädagogik" vor, der es gelungen ist, komplexe Sachverhalte verständlich und "klassisch" zu elementarisieren. Das kann Geschmack auf Geschichte vermitteln und mahnt im gleichen Atemzug die längst überfällige "Große Geschichte der Religionspädagogik" an, die nicht nur orientiert ist an ausgewählten Klassikern, sondern auch den gesellschaftlich-politischen, geistesgeschichtlichen und kirchlichen Kontext der jeweiligen Epoche, die Schulgeschichte, die staatliche und kirchliche Bildungspolitik sowie die Rechtslage des Religionsunterrichts mit einbezieht und nicht zuletzt der je real existierenden Praxis religiöser Bildung innerhalb und außerhalb der Schule ausreichend Beachtung schenkt.