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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

704–706

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Heyen, Heye

Titel/Untertitel:

Biographie-Faktor Höllenglaube. Eine qualitativ-empirische Studie aus religionspädagogischer Perspektive

Verlag:

Münster: LIT 2003. 458 S. gr.8 = Religion und Biographie, 10. Kart. Euro 34,90. ISBN 3-8258-7059-6.

Rezensent:

Holger Oertel

Die Rede von der Hölle muss als ein Thema gelten, das in der religionspädagogischen Praxis weitgehend ausgeklammert wird. Der Fokus wird häufig auf das Bild des nur liebenden Vaters gerichtet, was in eine kaum intendierte theologische Unredlichkeit führt. Im Hintergrund steht dabei die Sorge, alle fördernden religionspädagogischen Impulse ad absurdum zu führen, weil die Rede von der Hölle basale Ängste vor einem möglicherweise in die Ewigkeit verlängerten Scheitern hervorrufen könnte und somit die Entwicklung der Heranwachsenden potenziell gefährdet. Das Thema ist bislang kaum gezielt auf seine religionspädagogische Relevanz hin reflektiert worden. Hier setzt die Studie Heyens an, in der die Hölle als Thema des Glaubens und als subjektiv bedeutsames Handlungsmotiv der Lebenspraxis analysiert wird.

Die Untersuchung gliedert sich in vier Hauptteile, denen eine systematisch-theologische Einführung vorangestellt ist (19-42). Dass vor allem die Lehre von der Allversöhnung mehr oder weniger dezidiert in den heutigen Theologien vertreten wird, beschreibt den gegenwärtigen Stand. Nach einer treffenden religionspädagogischen Reflexion der Relevanz des Themas im ersten Hauptteil (43-60) rückt der Vf. den Fokus auf die Alltagstheologien. Die neueren quantitativen Studien, die H. im zweiten Hauptteil auswertet (82-110), geben kaum Auskunft über die Verbreitung eines "Höllenglaubens" unter Erwachsenen, der zudem inhaltlich nur selten näher bestimmt wird. Die Zustimmungswerte dürften laut H. kaum im zweistelligen Prozentbereich liegen (111). Völlig offen ist, wie verbreitet der Höllenglaube unter Heranwachsenden ist und welche Konsequenzen ein solcher Glaube auf die (religiöse) Entwicklung ausübt (108). Hieraus ergibt sich das religionspädagogische Forschungsdesiderat, das H. - ich greife voraus - jedoch nur z. T. erfüllt. Im dritten Hauptteil (113-349) stellt er anhand von vier Fallbeschreibungen den Höllenglauben in der Biographie in den Mittelpunkt. Die qualitativ-empirische Methodologie (objektive Hermeneutik, Erzählanalyse nach Schütze, Integration psychotherapeutischer Diagnostik) wird dabei forschungspragmatisch gehandhabt. Das sequenzanalytische Vorgehen lässt sich anhand informationsreicher Gesprächstranskripte auch kritisch mitverfolgen - in diesem Teil kann H. das qualitative Paradigma mit seiner Forderung nach Transparenz des Forschungsprozesses zur Geltung bringen.

Zwei Fallanalysen stellen biographische Erzählungen von Frauen in den Mittelpunkt, die zu Beginn der 50er Jahre geboren wurden. Gerade am Beispiel von Frau Zeller (katholisches Milieu) kann der Stellenwert der Familienreligiosität bei der Internalisierung einer Höllenangst nachvollzogen werden, die in eine von Furcht geprägte Gottesbeziehung mündet und vielfältige Lebensperspektiven verschließt. Der Fall zeigt deutlich, dass die Aufarbeitung einer solchen Biographie nicht nur in der Psychotherapie, sondern auch in der Gemeinde erfolgen muss, damit die Betroffenen den eigenen Glauben neu sehen lernen. Anhand des Falls von Frau Wolters (pietistisch-evangelikales Umfeld) analysiert H. die Folgen eines hohen familiären Bekehrungsdrucks; unter dem Gesichtspunkt "Alltagstheologien" ist der rationalisierende Aufarbeitungsversuch der Frau aufschlussreiches Zeugnis gelebter Religion. Die Hölle ist für die Befragte jedoch nicht unmittelbar Gegenstand des Nachdenkens.

Wie sich der Höllenglaube bei jungen Erwachsenen heute manifestiert, zeigt H. am Beispiel des Muslimen Mehmet. H. stellt an seinem Beispiel die Hölle als weitreichendes ethisches Handlungsmotiv heraus, wobei m. E. in der Analyse noch stärker islamtheologische und identitätstheoretische Aspekte (Migrationsproblematik) zu reflektieren wären. Bleibt als Fallbeispiel, das über den Höllenglauben christlich geprägter Jugendlicher Auskunft geben könnte, die biographische Erzählung Annes. Hier ist die Hölle nur ein untergeordnetes Thema, das aus systematischen Gründen und erst auf Nachfragen des (theologisch geschulten) Interviewers in die Alltagstheologie integriert wird - ein Aspekt, den H. stärker herausarbeiten müsste. H. gibt der psychotherapeutischen Sicht den Vorzug; erhellend wäre auch eine stärkere Einbeziehung entwicklungspsychologischer Gesichtspunkte. So könnte die Tendenz Annes, Wesentliches immer wieder unausgesprochen zu lassen, als typisch adoleszentes Kommunikationsverhalten gedeutet werden. H. spricht hier von einer "individuellen Arkandisziplin" (339 ff.).

Zusammenfassend stellt H. die Bedeutung der Familienreligiosität für die Entwicklung des Höllenglaubens heraus (343), der insgesamt zu einem strengeren Gottesbild führt (345). Vermindert werden laut H. das subjektive Gefühl der Handlungsfreiheit (346) sowie die Fähigkeit zur Selbstannahme (347). Die abschließenden religionspädagogischen Reflexionen bleiben praxisorientiert (415 ff.).