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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

702–704

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Adam, Gottfried, Lachmann, Rainer, u. Regine Schindler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament in Kinderbibeln. Eine didaktische Herausforderung in Vergangenheit und Gegenwart.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2003. 288 S. m. Abb. 8. Kart. Euro 39,00. ISBN 3-290-17253-8.

Rezensent:

Thomas Erne

Bei kaum einem Medium religiöser Bildung ist die Diskrepanz zwischen seiner großen Verbreitung und dem geringen wissenschaftlichen Interesse so auffällig wie bei den im deutschsprachigen Raum in hohen Auflagen erscheinenden Kinderbibeln. Dank des Herausgeberteams beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, dass Kinderbibeln von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die religiöse Bildung in Familie, Schule und Gemeinde sind. Dabei stellen die vom Herausgeberteam organisierten Internationalen Forschungskolloquien einen Motor der wissenschaftlichen Untersuchung von Kinderbibeln dar. Der vorliegende Band ist im Wesentlichen das Ergebnis des dritten Kolloquiums, das in Zürich stattfand und sich mit der Frage beschäftigte, wie das Alte Testament in Kinderbibeln präsentiert wird und welche Probleme und Chancen sich daraus für Religionspädagogen ergeben, die ihre Medien kennen und erforschen.

Die vier Abschnitte des Bandes ordnen die vielfältigen Beiträge unter grundlegende Horizonte (I), detaillierte historische Tiefenbohrungen (II), religionsdidaktische Fragen (III), methodische Zugänge (IV) und einen Literaturbericht (V), der die neuesten Kinderbibeln kritisch bespricht.

Die Horizontabschreitungen (I) eröffnet Regine Schindler mit der Frage, wie die Verbindung von Himmel und Erde, wie also der Transzendenzbezug vor allem in den programmatischen Umschlagbildern der Kinderbibeln organisiert wird. Bemerkenswert für die Frage nach der Stellung des Alten Testaments ist ihre Beobachtung (vgl. 23 f.), dass in modernen Kinderbibeln die bildliche Darstellung Gottes weitgehend ausfällt, während im 19. Jh. der Schöpfergott als sprichwörtlicher alter Mann mit Bart auf einer Wolke weit verbreitet war. Christine Reents geht der Frage nach, ob und wie in gegenwärtigen Kinderbibeln das Alte Testament als eigenständiges erstes Testament oder nur als Vorläufer der Jesustradition aufgenommen wird. Reents sieht eine Tendenz in modernen Kinderbibeln, das Alte Testament als eigenständig und gleichwertig mit dem Neuen Testament zu würdigen. Daraus ergeben sich Fragen, etwa die, welche Folgen das für das Jesusbild in Kinderbibeln hat, und die heimliche Leitfrage des Bandes, ob die für Kinder anstößigen Seiten des Alten Testaments eliminiert, interpretiert oder möglichst getreu nacherzählt werden sollten (vgl. 54 f.). Eine eindeutige Antwort gibt Judith Suliman aus jüdischer Sicht. Sowohl der liebe als auch der strafende und strenge Gott werden jüdischen Kindern vermittelt, weil es sich dabei um komplementäre Seiten des göttlichen Wesens handelt. Eindeutig ist auch die Funktion jüdischer Kinderbibeln. Jüdische Kinder sollen darin Gott und sein Wirken in der Welt kennen lernen, dadurch verbindliche ethische Werte ausbilden und eine klare jüdische Identität entwickeln (vgl. 63).

Da es bisher kaum eine nennenswerte empirische Rezeptionsforschung bei Kinderbibeln gab und gibt, folgen die meisten historischen Beiträge (II) dem methodischen Ansatz, aus produktionsästhetischen Faktoren wie Textauswahl, Illustrationsstil, Vorwort, Erzählvarianten etc. die sozialgeschichtlichen Hintergründe und die implizite Religionsdidaktik herauszuarbeiten. Ruth Bottigheimer zeichnet ein lebendiges Bild einer untergegangenen jüdischen Familienfrömmigkeit im 19. Jh. am Beispiel der jüdischen Kinderbibel des Mose Mordechai Büdinger. Horst Weigelt untersucht Lavaters Bearbeitungen alttestamentlicher Erzählungen, in denen Lavater die "sensitive Gotteserfahrung" und die "Empfindung und Theilnehmung"(97) in den Herzen der Kinder stärken wollte. Lavaters Bearbeitungen waren populär, gingen jedoch zu Lasten der Substanz. Dieses moderne Dilemma spiegelt sich in Herders vernichtender Kritik wider, der Lavater empfahl, die Sprache der Bibel in seinen "Biblischen Geschichten" wiederherzustellen (vgl. 95).

Das große didaktische Interesse (III) an Kinderbibeln beruht nicht zuletzt auf der Annahme, dass die prägende Kraft von gedrucktem Wort in Verbindung mit anschaulichen Bildern tiefer reicht als bei audiovisuellen Medien. Sofern die hohe Auflagenzahl der Kinderbibeln zu einem intensiven Gebrauch führt, was nicht so sein muss, prägt eine Kinderbibel unter anderem auch das "Bild von der Welt und von der Bedeutung der Geschlechter" (102). Anneli Baum-Resch untersucht die Art und die Qualität des weiblichen Rollenrepertoires, das den jungen Leserinnen und Lesern aus dem Alten Testament begegnet. In noch höherem Maß gilt die Prägungsthese für das Gottesbild, das Josef Braun an verschiedenen Erklärungs- und Illustrationsversionen derjenigen biblischen Geschichte verfolgt, die bei Kindern den ersten Platz einnimmt, der Geschichte von der Arche Noah. Das Problem stellt sich bei vielen alttestamentlichen Texten. Entweder werden sie in ihrer theologischen Rätselhaftigkeit und Härte belassen oder rigide umgearbeitet, um sie kindgemäß erzählen zu können.

Braun plädiert für eine offene Erzählform, die nichts verschweigt, aber auch nichts normiert. Christoph Scheilke argumentiert im Blick auf das Gespräch mit dem Judentum und dem Islam für eine ungekürzte Wiedergabe anstößiger Texte aus dem Alten Testament. Eine problematische Geschichte für Kinder, die Geschichte von der Opferung des Isaaks, ist unter der Überschrift "Bindung des Isaaks" für die jüdische Identität schlechthin zentral (vgl. 65). Für den Dialog mit dem Islam, der schon im Kindergarten geführt wird, ist nicht nur Isaak, sondern auch sein Halbbruder Ismael entscheidend. Beide Texte fallen aber in der Regel dem Kriterium der Kindgemäßheit zum Opfer, aus dem sich eine Art von Kinderbibel-Kanon im Kanon entwickelt hat. Ganz im Sinne der Kritik Herders an Lavater will Reinmar Tschirch für die angemesse Aufnahme exegetischer Erkenntnisse bei der Übertragung biblischer Texte für Kinder sorgen. Dem theologischen Grundproblem, ob und wie die dunklen und rätselhaften Seiten Gottes in alttestamentlichen Texten Kindern erzählt werden können oder gar erzählt werden müssen, stellt sich Irmgard Weth. Dass ein Ausblenden der rätselhaften, dunklen Seiten Gottes zu "Wellness-Kinderbibeln" (54), so Christine Reents, führen könne, dass Gott verharmlost wird, die Gnade zu einem billigen Trost verkommt, das sind Befürchtungen, die sich wie ein roter Faden durch diesen Band ziehen. Auch wenn man sie teilt, ist die Option für den deus absconditus im Sinne eines in seinem Zorn und seiner Strenge rätselhaften Gottes nicht alternativlos. Die Linie, die theologisch von Luther zu Karl Barth führt, geht davon aus, dass Gott für die Menschen in seiner Liebe vollständig offenbar ist. Absconditus ist Gott nur in seinem absoluten Bei-sich-sein. Im Übrigen ist die Bibel ein in sich so reicher Erzählzusammenhang, dass biblische Geschichten auch ohne die "Schwere ihrer Botschaft" (167) bedeutsam und spannend für Kinder erzählt werden können.

Neben den historischen und didaktischen Zugängen bietet sich beim Thema Kinderbibel die Frage nach dem Gesamtzusammenhang mit anderen Medien an (IV). In diese Richtung weist die These von Winfried Bader, dass "sich die Präsentation biblischer Stoffe an den Lese-, Seh- und Spielgewohnheiten des Zielpublikums orientieren sollte" (174) Dann ist man umstandslos bei TV und PC. Bader liefert eine Analyse der Computer-Spielgewohnheiten von Kindern und stellt die wenigen Kinderbibeln auf interaktiven CDs vor. In den Zusammenhang einer theologischen Medientheorie gehört auch Philipp Wegenasts Untersuchung von Bibel-Comics, die als eine "sequentielle Kunstform" (224) in großer Nähe zum Kino den Übergang von der Schrift zur audiovisuellen Bildkultur markieren. Sehr persönlich, aber gerade deshalb anregend, sind die beiden Beiträge des Illustrators Reinhard Hermann und des Schriftstellers und Erzählers Dietrich Steinwede. Hermann lenkt die Aufmerksamkeit auf das Bild in Kinderbibeln, das einen eigenständigen Kommentar und eine eigene szenische Anschaulichkeit in die biblischen Geschichten einbringt. Steinwede entwirft eine kleine, erfahrungsgesättigte Erzählkunde.

Die beiden Bände, die aus den Internationalen Forschungskolloquien bisher hervorgegangen sind, geben zusammen mit den einschlägigen Artikeln in der TRE und der RGG ein umfassendes Bild vom Stand der bisherigen Kinderbibelforschung. Die historische und religionsdidaktische Arbeit ist bereits weit gediehen, ebenso die kontinuierliche und kritische Aufarbeitung der neu erscheinenden Kinderbibeln. Die Ergebnisse zeigen aber auch, was noch wünschenswert wäre. Eine der interessantesten Fragen ist sicher die nach der Rezeption von Kinderbibeln in den Familien und in der Schule sowie nach ihrem Einsatz in den Gemeinden. Das Phänomen der Kinderbibel gehört als ein Wort-Bild-Medium und als Symbolgestalt religiöser Sinndarstellung in den Zusammenhang einer theologischen Medientheorie und müsste im Rahmen einer umfassenden Kulturhermeneutik reflektiert werden. Man darf auf die weiteren Forschungskolloquien der Arbeitsgruppe gespannt sein.