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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

698 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

McGrath, Alister E.

Titel/Untertitel:

A Scientific Theology. Vol. 3: Theory.

Verlag:

London-New York: T & T Clark (Continuum) 2003. XVIII, 340 S. 8. Lw. £ 35,00. ISBN 0-567-08349-7.

Rezensent:

Hans Schwarz

Alister McGrath ist der produktivste britische Systematiker unserer Zeit. Kaum liegt der dritte Band seiner Scientific Theology vor, in dem er die Prolegomena zu einer künftigen wissenschaftlichen Dogmatik behandelt, verspricht er schon eine weitere Publikation. Im vorliegenden Band möchte McG. die Möglichkeit der Darstellung einer in sich schlüssigen Systematischen Theologie verteidigen (296). Dabei widmet er sich der Frage, wie die existierende Wirklichkeit repräsentiert und interpretiert werden kann, und versteht in Anlehnung an Heidegger und Habermas Theorie als gemeinschaftliches Erfassen von Wirklichkeit (XIII).

Zuerst beschäftigt sich McG. mit der Legitimität einer Theorie in einer wissenschaftlichen Theologie, die es als Antwort auf das christliche Evangelium geben muss, da "eine Kirche, die nicht kritisch auf ihre Identität und Verkündigung reflektiert, ... letztendlich eine tote oder sterbende Kirche" (6 f.) ist. Eine Theorie entsteht, weil Menschen rational, neugierig und erforschend sind. In den Wissenschaften gibt es einen unumkehrbaren Weg von Beobachtung zur Theorie. Wissenschaftliche Theorien sind reduktionistisch, da sie vom Besonderen zum Allgemeinen führen. Auch die christliche Lehre kann als Theorie verstanden werden (24). Ein undogmatisches Christentum, wie von Adolf von Harnack und Martin Werner propagiert, zieht sich jedoch von der intellektuellen Auseinandersetzung zurück. In der britischen Tradition, etwa bei Charles Gore oder P. T. Forsyth, sieht er dagegen eine positivere Sicht des Dogmas, das für die Kirche wegen der christlichen Lehre unvermeidbar ist (64). Nach einem Abriss der Entwicklung des Verständnisses von Lehre widmet sich McG. der Repräsentation der Wirklichkeit.

Auf Grund verschiedener Ebenen von Wirklichkeit kann man erklären (Naturwissenschaften) und verstehen (Geisteswissenschaften) nicht streng trennen (83). Erklären heißt nicht, die Wirklichkeit völlig zu verstehen, sondern ihre Eigenschaften zu erkennen, da man nicht zum Ding an sich vordringen kann. Bilder, Metaphern und Analogien dienen dabei dem Verstehen der Wirklichkeit. Kritisch sieht McG. den Symbolbegriff Tillichs, der Symbole von ihrer historischen Verankerung trennt (97). Besser ergeht es Karl Barth, den McG. aufgreift. Die strenge Unterscheidung zwischen analogia entis und analogia fidei gibt er aber auf und betont, dass eine verantwortliche analogia entis nicht als eine Behauptung menschlicher epistemologischer Autonomie verstanden werden kann. "Die Fähigkeit der geschaffenen Ordnung, Gott darzustellen, ist deshalb eine geoffenbarte, nicht eine naturgegebene Einsicht" (119). Trotzdem ist die Repräsentation der Welt ein theoretisch gültiges und konstruktives Unterfangen (132).

Bei der Erklärung steht dagegen die Offenbarung im Zentrum, wobei er Vergleiche zu naturwissenschaftlichen Konstellationen zieht. "Die Naturwissenschaften und eine wissenschaftliche Theologie versuchen, Erklärungen der Wirklichkeit anzugeben, indem sie enthüllen, wie die Dinge wirklich sind" (134). Im Kontext wissenschaftlicher Theologie begreift er die christlichen Lehren als Antwort auf die Offenbarung. Kritisch setzt er sich mit Pannenbergs Offenbarungsverständnis auseinander, denn für McG. ist es fraglich, ob das Ergebnis differenziert genug und theologisch lebensfähig ist (172). Sachgemäßer erscheint ihm Alan Richardsons universalgeschichtliche Interpretation, die biblisch differenzierter argumentiert und theologisch den Glauben nicht auf Einsicht reduziert.

Interessant ist nicht nur McG.s Betonung der Notwendigkeit der Tradition, sondern auch seine Zusammenfassung der Einsichten der Reformation, des Vaticanum II und der gegenwärtigen Orthodoxie (183). Die Versuche von Martin Kähler und Rudolf Bultmann, vom historischen Grund der Tradition zu abstrahieren, lehnt McG. ab, da weder Lehre und Verkündigung getrennt noch die Rolle der Kirche als Trägerin des Kerygmas vernachlässigt werden dürfen.

Für McG. ist "eine wissenschaftliche Theologie unnachgiebig trinitarisch in ihrem Ausblick wie in ihrem christologischen Fokus und biblisch in ihrer Grundlage" (191). Schließlich geht McG. noch auf die Entwicklung der Erklärung von Welt und Gott ein. Er zeigt, dass es keine lineare Entwicklung der christlichen Lehre gibt und auch die Zuordnung von Orthodoxie und Häresie komplexer ist als sie von Walter Bauer klassisch vertreten und in jüngster Zeit wieder von J. M. Robinson und Helmut Koester propagiert wurde (226 f.).

Zum Schluss thematisiert McG. den Ort der Metaphysik in der wissenschaftlichen Theologie. In Auseinandersetzung mit Ayer zeigt er im Gefolge Poppers auf, dass das Verifizierungskriterium nicht nur metaphysische Behauptungen, sondern auch allgemeine Naturgesetze ausschließt, da diese vorausgesetzt werden und im strengen Sinne unbeweisbar sind (238). Somit muss sich auch die Naturwissenschaft auf die Metaphysik stützen, um selbst nicht unglaubhaft zu werden (243). Bei seiner Verteidigung setzt er sich u. a. mit dem "radikal-orthodoxen" John Milbank sowie mit Derrida und dem Wiener Kreis auseinander. Gegen Postmoderne, wie etwa Richard Rorty, stellt McG. die berechtigte Frage, wie man von der Selbstreferentialität des postmodernen Verständnisses der Wahrheit aus zur Einsicht kommen kann, dass Wahrheit erreichbar ist. Auch Foucaults Kritik der Moral setzt moralische Werte voraus, so dass man sagen kann, dass metaphysische Annahmen implizit auch bei Ideologien, die diese ablehnen, vorhanden sind (266). Im Gegensatz zu Ritschl und Harnack, die gegen Metaphysik und für eine funktionale Bedeutung der Theologie plädieren, betont McG., dass "funktionale Behauptungen ontologische Implikationen mit sich ziehen, die kritisch ausgewertet werden müssen" (284).

Mit Luther will McG. aber kein apriorisch metaphysisches Gerüst errichten, sondern sieht die Metaphysik als einen aposteriorischen Versuch, der biblischen Erzählung gerecht zu werden. "Eine wissenschaftliche Theologie bejaht keinen metaphysisch inflationären Bericht über die Wirklichkeit, sondern besteht darauf, dass, was immer wir als Bericht von der Wirklichkeit anbieten, einer angemessenen Antwort auf unsere Begegnung mit der Wirklichkeit entsprechen muss" (293).

McG. hat durch ausführlichen Rekurs auf die Naturwissenschaften, die Theologie(geschichte) und die neuzeitliche Philosophie den Grund gelegt für eine Ausarbeitung einer Systematischen Theologie. Dabei ist er Karl Barth sehr verbunden, ohne ihm hörig zu sein, wie seine Auseinandersetzung z. B. mit den Naturwissenschaften zeigt. Erstaunlich ist die Belesenheit McG.s, die ihm sorgfältiges (und manchmal für den Leser fast ermüdendes) Argumentieren auch mit neuester Literatur ermöglicht. Trotzdem ist man froh, dass es schon eine Kurzfassung dieser Prolegomena (The Science of God. An Introduction to Scientific Theology, T & T Clark 2004) gibt, und man darf gespannt sein, ob sein eigener Entwurf die drei Bände von Pannenbergs Systematischer Theologie übertreffen wird.