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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

689–692

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

1) Barbour, Ian G. 2) Koncsik, Imre, u. Günter Wilhelms [Hrsg.] 3) Padgett, Alan G.

Titel/Untertitel:

1) Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte. Aus dem Amerikan. v. S. Floer u. S. Starke-Perschke.

2) Jenseits, Evolution, Geist. Schnittstellen zwischen Theologie und Naturwissenschaften.

3) Science and the Study of God. A Mutuality Model for Theology and Science.

Verlag:

1) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. 508 S. gr.8 = Religion, Theologie und Naturwissenschaft/ Religion, Theology, and Natural Science, 1. Geb. Euro 49,90. ISBN 3-525-56970-X.

2) Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2003. 294 S. m. Abb. 8 = Bamberger Theologische Studien, 20. Kart. Euro 44,80. ISBN 3-631-50861-1.

3) Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XIV, 218 S. gr.8. Kart. US$ 22,00. ISBN 0-8028-3941-X.

Rezensent:

Dirk Evers

Die Monographie des amerikanischen Physikers und Theologen Ian G. Barbour Wissenschaft und Glaube (englische Originalausgabe: Religion and Science, San Francisco 1998) ist zugleich der erste Band der bei Vandenhoeck & Ruprecht neu erscheinenden Reihe Religion, Theologie und Naturwissenschaft (RThN). 1965 erschien B.s erstes größeres interdisziplinäres Werk Issues in Science and Religion, das die amerikanische Debatte um das Verhältnis von Naturwissenschaft, Religion und Theologie entscheidend prägte und als Standardwerk gilt. Das vorliegende Buch nun versteht sich als Zusammenfassung dieser Arbeiten (die Summe seiner Technikethik findet sich in Ethics in an Age of Technology, San Francisco 1993). Es gliedert sich in zwölf Kapitel, von denen die ersten drei eine überarbeitete Version der geschichtlichen Passagen aus seinen Issues darstellen. Die übrigen Kapitel entsprechen den um einige Abschnitte ergänzten Gifford Lectures, die B. 1990 unter dem Titel Religion in an Age of Science gehalten hat.

Die Kapitel 1-3 entfalten das Verhältnis von Naturwissenschaft, Religion und Theologie in historischer Perspektive und bieten in einem Dreischritt (Physik und Metaphysik im 17. Jh., Natur und Gott im 18. Jh., Biologie und Theologie im 19. Jh.) eine nicht unbedingt originelle, aber solide und allgemein verständliche Darstellung der großen geistes- und theologiegeschichtlichen Entwicklungen, wie sie seit der Konsolidierung der modernen Naturwissenschaften in Westeuropa das Verhältnis von Wissenschaft, christlicher Frömmigkeit und Theologie bestimmt haben. Dies geschieht unter der dreifachen Frage nach der naturwissenschaftlichen bzw. theologischen Methodik, dem Verhältnis von Gott und Natur und der Natur des Menschen. Eben diese drei Gesichtspunkte werden in den folgenden Kapiteln entfaltet. So vergleicht B. im 2. Teil Religion und Naturwissenschaft in methodologischer Hinsicht im Rahmen seiner bekannten vierwertigen Systematik einer möglichen Verhältnisbestimmung: Konflikt, Unabhängigkeit, Dialog und Integration. Während das Konfliktmodell weder den Naturwissenschaften noch der Theologie gerecht wird, ist die Behauptung der Unabhängigkeit beider Erkenntnisbereiche zwar eine erste gute Näherung, um die Eigenständigkeit beider Disziplinen zu wahren, doch wird sie dem Phänomen der Einheitlichkeit unserer Welterfahrung und des Zusammenhangs unserer Erkenntnisbemühungen nicht gerecht. B. selbst plädiert deshalb bei relativer Unabhängigkeit für einen Dialog in Bezug auf methodologische Überlegungen und eine Integration bezüglich der Schöpfungslehre und des Menschenbilds durch eine naturwissenschaftlich aufgeklärte Theologie der Natur. Es folgt eines der stärksten Kapitel des Buches, in dem B. Parallelen zwischen der Methodik der Naturwissenschaften und der Theologie untersucht und zu zeigen vermag, wie Daten, Begriffe, Theorien und Beobachtung sowie Interpretationsgemeinschaft in jeweils spezifischer, aber doch nicht vollkommen unähnlicher Weise interagieren. Die methodischen Unterschiede sieht B. also weniger in strengen Gegensätzen gegeben als vielmehr in einer unterschiedlichen Betonung von Fragehinsichten. Der 3. Teil entwickelt anhand dreier großer Bereiche der modernen Naturwissenschaft (theoretische Physik, Astronomie und Evolution) mit vielen Detailargumenten, wie jeweils die Unabhängigkeit von naturwissenschaftlichem und religiösem Zugang gewahrt werden kann, dialogisch ein Austausch und in welcher Hinsicht gar eine Integration der verschiedenen Erkenntnisbemühungen möglich ist. Der 4. Teil Philosophische und theologische Reflexionen beschäftigt sich zunächst mit der Natur des Menschen in naturwissenschaftlicher und theologischer Sicht. In den beiden Schlusskapiteln dann löst B. seine Ankündigung ein, mit Hilfe von Prozessphilosophie und -theologie das Weltbild der modernen Naturwissenschaften, religiöse Überzeugungen und theologische Denkbemühungen kohärent zu integrieren. Die Geschichtlichkeit des Kosmos und der Evolution wird von einem prozesstheologischen Gottesbegriff angemessen aufgenommen, der die Offenheit und Wechselseitigkeit der Gott-Welt-Beziehung voraussetzt und Gott nicht als statisches Sein, sondern als durch die Schöpfung affiziertes Werden begreift. Am Schluss des Buches finden sich ein hilfreiches Glossar sowie Namen- und Sachregister. Trotz einiger wohl in der Entstehungsgeschichte des Buches begründeter Längen und Doppelungen ist die Tatsache erfreulich, dass es nun in deutscher Übersetzung vorliegt, ist es doch in der Lage, auf unkomplizierte Weise Anschluss zu vermitteln an einen im englischsprachigen Raum bedeutsamen Strom theologischer Diskussion. Es vermittelt Grundbegriffe und historische Weichenstellungen, führt in zentrale Fragestellungen und Denkansätze ein, urteilt mit Vorsicht und findet immer wieder Anschluss an die europäische Philosophie- und Theologiegeschichte.

Das zweite zu besprechende Werk ist das Buch Science and the Study of God von Alan G. Padgett, der am Luther Seminary in St. Paul, Minn., Systematische Theologie lehrt. Auch in diesem Fall handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Kompilation früher veröffentlichter Texte, und auch P. möchte den Konflikt zwischen Theologie und Naturwissenschaften überwinden. Dazu soll sein "mutuality model" (Gegenseitigkeits-Modell) dienen, das er zwischen den Barbourschen Kategorien Dialog und Integration ansiedelt. Schon innerhalb der empirischen Wissenschaften, so P., zeigen sich verschiedene Erklärungsebenen. Ihr Zusammenhang verlangt weitere umfassendere Erklärungssysteme, die weniger von empirischen Daten als von weltanschaulichen Grundannahmen (worldview commitments) bestimmt sind. Theologische Erkenntnis impliziert auf Grund der ihr durch Offenbarung zugänglichen "Fakten über Gott" auch Behauptungen über die Beziehungen der alles umfassenden Wirklichkeit Gottes zu unserer Lebenswirklichkeit, die sie nur unter Bezug auf die empirischen Einzelwissenschaften explizieren kann, wie umgekehrt die Einzelwissenschaften aus theologischer Erkenntnis z. B. lernen können, dass Gott die Welt geschaffen hat, dass wir unseren Sinnen trauen können, dass der Behaviorismus nicht die ganze Wahrheit sein kann, dass die Wissenschaften in sich gut sind und anderes mehr. Im 2. Kapitel wird diese "kollegiale Metapher" (collegial metaphor) in den philosophischen Rahmen eines "dialektischen Realismus" gestellt und anschließend wird in den Kapiteln 3 und 4 zu zeigen versucht, dass man weder in den Geschichts- noch in den Naturwissenschaften auf rein objektive Methoden zurückgreifen kann, sondern Werturteile und Empirie sich immer wechselseitig bedingen. In den Kapiteln 5 und 6 entfaltet P. dann sein Verständnis von Theologie als Ausdruck wahrer Gotteserkenntnis, die aus Schrift und Tradition gewonnen werden muss und die ihrer Natur und Zielsetzung nach eine Form des Gottesdienstes (a form of worship) ist. Ihr erster Adressat ist Gott selbst, in zweiter Linie richtet sie sich an die Gemeinschaft der Glaubenden und in dritter Hinsicht an die interessierte allgemeine Öffentlichkeit, die mehr über den christlichen Gott erfahren möchte. Von daher wird auch die Rolle der Theologie als akademischer Disziplin im Rahmen einer säkularen "postmodernen" Universität erläutert, die keiner bestimmten Religion, Philosophie oder Weltanschauung verpflichtet sein darf. Sie soll zum einen denjenigen Wissenschaftlern anderer Disziplinen, die mit Ernst Christen sein wollen, als Dialogpartner dienen und zum anderen der akademischen Öffentlichkeit ihre Voraussetzungen und Erkenntniswege beschreiben und explizieren. Die Kapitel 7 und 8 zeigen anhand zweier Fallbeispiele die Anwendung des "mutuality models": Zwischen dem Konzept einer linearen und einer gerichteten Zeit lässt sich auf Grund theologischer Prämissen zu Gunsten der Letzteren entscheiden, und im Dialog mit den Geschichtswissenschaften wird für die "historische" Plausibilität einer orthodoxen Inkarnationslehre gegenüber einer ebionitischen oder doketischen Christologie argumentiert. Offen bleibt bei alledem die Verbindlichkeit eines solchen "kollegialen" Austauschs. Kapitel 9 fasst auf fünf Seiten den Gang der Abhandlung zusammen, den Anhang bilden einige Bemerkungen zum Problem der Induktion.

Bei dem Buch Jenseits, Evolution, Geist handelt es sich um die Dokumentation eines interdisziplinären Symposions zur Frage nach Berührungspunkten zwischen Theologie und Naturwissenschaften. So unterschiedlich wie die Autoren sind die Umfänge und die Qualität der Beiträge. Der Schweizer Astrophysiker Arnold Benz eröffnet den Band mit einigen erläuterten Thesen, in denen er die Offenheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis für Deutungen begründet, die aus nichtobjektivierender, teilnehmender Erfahrung gewonnen werden. Es schließt sich ein Beitrag des Herausgebers Imre Koncsik an, der auf über 50 Seiten Grundlagen des Dialogs entwickeln will. Da alle Wirklichkeit eine "horizontale" (d. i. raumzeitliche, naturwissenschaftliche) und eine "vertikale" (d. i. metaphysische, theologische) Dimension besitze, die zwar kategorial strikt verschieden, aber zugleich als Dimensionen der einen Wirklichkeit auch als Einheit zu verstehen sind, kann ein Dialog nur stattfinden, wenn ein interdisziplinärer "Mustertransfer" (23) möglich ist und der Erkenntnis des Naturwissenschaftlers wie des Theologen gemeinsame "Urintentionen" zu Grunde liegen. Diese Verhältnisbestimmung bezeichnet Koncsik als "Einheit von Identität und Differenz" (46) und sieht damit ein "Grundmuster" (66) formuliert, das sich z. B. im christologischen Dogma (wahrer Gott und wahrer Mensch) auf "analoge" Weise manifestiere wie in den Symmetrieprinzipien der Naturwissenschaften, so dass die "analoge" Einheit von Wissenschaften und Wirklichkeit behauptet werden könne (unklar bleibt die genaue Bedeutung von "analog" in diesen Fällen).

Gemeint ist wohl ein Vorgehen, wie es der folgende Beitrag von Alexandre Ganoczy Chaostheorie als Herausforderung für die Theologie verfolgt, der formale Analogien zwischen Grundbegriffen der Chaostheorie und theologischen Einsichten entwickelt, so dass die Erfahrung des Göttlichen als Symmetriebrechung, das trinitarische Gottesverständnis als synergetisches Zusammenwirken, das Ordnen der Schöpfung als Wirkung eines Attraktors, die Entstehung des Dogmas aus kirchlichem Chaos als Selbstorganisation und anderes mehr interpretiert werden. Es folgen drei der Evolution gewidmete Beiträge. Dabei rahmen ein kurzer Beitrag von Martin Heisenberg zur Bedeutung von Darwins Evolutionstheorie und ein noch kürzerer, überaus besonnener Artikel von Gottfried Müller zum Verhältnis von Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube ein 90- seitiges (!) Konvolut des Aachener Physiologen Holger Schmid-Schönbein ein, der dafür plädiert, Lebensvorgänge als stark getriebene und durch "Auslöser" eruptiv rhythmisierte Fließprozesse zu verstehen, die nicht durch Zielvorgaben, sondern durch ihre Startbedingungen determiniert sind. Eine Verbindung zur Dialogthematik ist nicht erkennbar.

In den drei anschließenden, der Frage nach dem Geist gewidmeten Beiträgen argumentiert noch einmal Ganoczy für eine holistische Strukturanthropologie, die Leib und Seele als im Werden begriffene Einheit versteht, weist Godehard Brüntrup in einer modallogisch orientierten Begriffsanalyse den nicht reduzierbaren philosophischen Kern des Leib-Seele-Problems nach und analysiert Erwin Discherl die Seele als Beziehungsgeschehen. In den beiden unter der Thematik des Jenseits eher missverständlich kategorisierten Schlussbeiträgen entwickelt der Tübinger Chaosforscher Otto Rössler seine "Endophysik" und versucht eine Deutung des Cartesischen "cogito" mit Bezug auf physikalische Theoriebildungen, während Wolfgang Klausnitzer die Rede von der Auferstehung Jesu und der Toten und ihre Deutungen im 19. und 20. Jh. theologisch untersucht und zu dem Schluss kommt, dass der Glaubenssatz der Auferstehung naturwissenschaftlich nicht verständlich gemacht werden kann.