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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

671 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Geffers Browne, Christine

Titel/Untertitel:

Theodor Storm. Das Spannungsverhältnis zwischen Glauben und Aberglauben in seinen Novellen.

Verlag:

New York-Washington-Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2002. XIV, 155 S. gr.8 = North American Studies in 19th Century German Literature, 30. Geb. Euro 56,30. ISBN 0-8204-5153-3.

Rezensent:

Heinrich Detering

Theodor Storms "Neigung zum Aberglauben und Gespensterwesen, die auch ein Zubehör seiner Vorchristlichkeit war", seine "gemüthafte Nachgiebigkeit gegen heidnischen Volksglauben" und seine "Dichtersympathie mit dem Spukhaften" hat schon Thomas Mann in seinem berühmten Essay von 1930 hervorgehoben. Und er hat auf die "bestimmende" Funktion des Aberglaubens für einige Novellen hingewiesen. Die vorliegende Studie geht diesen Spuren in theologischer (dies allerdings sehr knapp) und in literaturwissenschaftlicher Richtung nach, ohne sie vorschnell auf "vorchristliche" Traditionen zu reduzieren. Eindringlich und umsichtig bezieht sie die oft strukturbestimmenden Motive des Abergläubischen - das sie einleitend knapp terminologisch zu bestimmen und vom "Glauben" abzugrenzen sucht - auf Storms Abwendung vom protestantischen Christentum seiner Herkunft, auf die Auseinandersetzung mit Feuerbach und auf die ihrer Ansicht nach von Storms Jugend an gleichsam konkurrierenden Deutungsangebote einer auf heidnische Kulte zurückgehenden Naturreligiosität, zu der Zeichen- und Orakeldeutung, Phänomene des Spukhaften usf. gehören. An fünf ausgewählten Novellen (In St. Jürgen, Aquis submersus, Renate, Im Brauerhause und Der Schimmelreiter) sollen dann die literarische Produktivität dieser "Dynamik zwischen Glauben und Aberglauben" und das destruktive Potential des Aberglaubens demonstriert werden.

Im Bemühen um systematische Gliederung der Untersuchung verfährt die Vfn. allerdings allzu schematisch. Das gilt für die grundlegende Begriffs-Opposition selbst, für die Reduktion der oft überaus komplexen, spannungsvollen narrativen Strukturen auf Figurenkonstellationen und -perspektiven sowie für die Auflösung der Denk- und Weltdeutungsformen des "Aberglaubens" in (ausdrücklich so genannte) "Elemente", deren systematische Bezüge damit von vornherein zurücktreten. So geraten einzelne Motive der erzählten Welt in den Rang von Kapitelüberschriften ("Bäume und Büsche", "Vögel", "Weitere Elemente"), während so textkonstituierende Verfahren wie konkurrierende mythische oder realistische Geschehensmotivationen kaum in den Blick kommen. Hier hätte die Einbeziehung neuerer narratologischer Forschungsarbeiten, überhaupt differenzierter narratologischer Kategorien entschieden weiterführen können. Was hier erörtert wird, sind weniger die Konzepte der jeweils erzählten Welten als vielmehr die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster einzelner fiktiver Figuren.

Innerhalb dieser Grenzen jedoch arbeitet die Studie einige bedenkenswerte Einsichten heraus und bestätigt, dass Storms Christentums-Kritik in seinen Novellen oft subtiler gestaltet ist, als Freund wie Feind das wahrhaben wollten. Auch wird insgesamt abermals deutlich, wie entschieden (und mit wie zweifelhaftem Erfolg) Storm am Emanzipations-Optimismus des späten 19. Jh.s teilhatte. Da auch hier der Blick jedoch auf vergleichsweise oberflächliche Textphänomene gerichtet bleibt und sozial-, ideen- und gar theologiegeschichtliche Horizonte kaum berücksichtigt werden, bleibt der Erkenntniswert solcher Ergebnisse begrenzt.

Eine Studie über Storms antichristlich-religiöses Denken, seine spannungsvolle Bezogenheit auf christliche Denkfiguren noch in der Ablehnung, seine Suche nach alternativen Erlösungsmodellen: Eine solche Studie bleibt auch nach diesem, in der Auseinandersetzung mit einem eng gefassten Thema durchaus verdienstvollen Buch ein Desiderat.