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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

669–671

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Bobichon, Philippe

Titel/Untertitel:

Justin Martyr. Dialogue avec Tryphon. Édition critique. Vol. 1: Introduction, Texte grec, Traduction. Vol. 2: Notes de la traduction, Appendices, Indices.

Verlag:

Fribourg: Département de Patristique et d'Histoire de l'Eglise de l'Université de Fribourg; Academic Press 2003. XII, 563 S. und S. 564-1125. gr.8 = Paradosis, 47/1 u. 47/2. Kart. Euro 120,00. ISBN 2-8271-0958-1.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Bei diesem Doppelband handelt es sich um die revidierte Fassung einer bereits Ende 1999 am altphilologischen Institut der Universität Caen bei Jean-Marie Mathieu abgeschlossenen Promotion. Dass das Erscheinen der Druckfassung verhältnismäßig viel Zeit in Anspruch genommen hat, ist zu bedauern. Andererseits ist durch das offensichtlich nochmalige gründliche Überarbeiten jeglichen Details nunmehr ein in gewisser Hinsicht monumentales Werk entstanden, das sämtliche Diskussion um den Dialog Justins mit dem Juden Tryphon sammelt, bündelt und zugleich auf eine neue Stufe stellt.

Die Entscheidung, nur wenige Jahre nach der kritischen Edition des Dialogs durch Miroslav Marcovich (PTS 47) abermals eine neue Edition vorzulegen, obgleich der Dialog ja nur in einer einzigen erhaltenen Handschrift sowie einer einzigen Abschrift derselben überliefert ist, bedarf einer Begründung. Sie ist darin zu finden, dass die Ausgabe von Marcovich wegen der auch sonst bekannten und viel kritisierten Hypothesen- und Konjekturfreudigkeit ihres Bearbeiters wenig Vertrauen verdient. Ob nun aus diesem Grunde der gesamte Text noch einmal ganz neu zu edieren war oder ob man auch eine Übersetzung auf Basis der Marcovich-Edition hätte unternehmen können, in der man dann an den kritischen Stellen die Differenzen eigens ausgewiesen hätte, sei dahingestellt. Es sei jedenfalls vermerkt, dass die von B. besorgte neue Textversion in gutem Sinne konservativer gearbeitet ist und somit eine solidere philologische Grundlage für jede Analyse dieser für die Wahrnehmung der christlich-jüdischen Debatten im 2. Jh. so zentralen Schrift ist.

Die detailreiche Einleitung (1-181) schlüsselt den Aufbau von Justins Dialog präzise auf und macht das Gefälle der Argumentation und die Originalität der Disposition transparent. Die berühmte lacuna von Kapitel 74, die sich natürlich jeder textlichen Rekonstruierbarkeit entzieht (72), wird mit einer gut begründeten Hypothese wenigstens von ihrer inhaltlichen Ausrichtung her profiliert, besonders im Blick auf die aus inhaltlichen Gründen zu erwartenden Schriftzitate (Schaubild, 68). Die ergiebigen Erwägungen über Justins tatsächliche Kenntnis des zeitgenössischen Judentums, die sich gerade hinsichtlich der Kenntnisse der rabbinischen Exegese als ausgesprochen gut darstellt, sowie über seine Prinzipien der Exegese und über den möglichen Adressatenkreis des Werkes fassen die Forschung zu den jeweiligen Themen zusammen und führen zugleich weiter. Man kann freilich fragen, ob das Schlussurteil, dass der Dialog im Unterschied zu den Apologien eine Art theologisches Vermächtnis Justins sei (166), nicht doch den vermeintlichen Universalitätscharakter des Werkes ein wenig zu hoch ansiedelt. So richtig es ist, dass Justin selbstverständlich mit seinem Text auch am Judentum interessierte Heiden als Adressaten (und als potentielle Christen) im Blick hat, so ist das Werk doch zunächst einmal als Zeugnis der jüdisch-christlichen Kontroverse der Zeit und des jeweiligen Schulbetriebes anzusprechen (so richtig 165) und in doppelter Hinsicht in diesem Kontext zu verorten, nämlich als Streitschrift an Juden und Argumentationshilfe für Christen.

Die französischsprachige Übersetzung ist eng am griechischen Text orientiert und zeichnet sich zugleich durch gute Lesbarkeit aus, wobei jede Blumigkeit und sprachliches Pathos vermieden sind. Den existierenden Übersetzungen teils älteren Datums ins Deutsche, Englische und Italienische ist damit ein beachtliches französisches Äquivalent an die Seite getreten, das die 1994 erschienene verbesserte Neuausgabe der alten französischen Übersetzung schon auf Grund ihrer konzeptionellen Geschlossenheit zweifellos übertrifft.

Die eigentliche Kommentierung wird über Endnoten zur Übersetzung durchgeführt, was für die praktische Handhabbarkeit ungünstig ist. Für das ständige Blättern wird man aber durch reiche inhaltliche Erträge entschädigt: Schon der Umfang von knapp 350 Seiten (579-917) zeigt, wie breit die Kommentierung angelegt ist. Mit Recht hat B. die berühmten ersten neun Kapitel des Textes, die schon des Öfteren Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Bemühungen gewesen sind (Hyldahl, van Winden), etwas knapper behandelt und sich auf das eigentliche Streitgespräch zwischen Justin und Tryphon konzentriert. Hier fördert er viele neue Ergebnisse zu Tage. Insbesondere die zahlreichen Hinweise auf das differenzierte Verhältnis Justins zu Traditionen der zeitgenössischen paganen und jüdischen Exegese und die Wirkungen der Exegesen Justins auf die christliche Schriftauslegung späterer Zeiten (Tertullian, Euseb u. a.; 782 f.) ermöglichen eine bessere Profilierung Justins innerhalb der Geschichte der Exegese, als das bislang möglich war. Ein kleines Manko der Kommentierung besteht m. E. darin, dass die Apologien nicht immer in dem Maße als Referenztexte herangezogen worden sind, in dem das möglich und sinnvoll gewesen wäre, z. B. fehlt bei der Kommentierung der Auferstehungspassage in Dial. 80 jeder Hinweis auf die Behandlung der Auferstehung in 1. Apol. 19 und 52.

Eine Fundgrube der besonderen Art sind zweifellos die dem Werk angehängten insgesamt 12 Appendizes. Unter ihnen sticht die Liste der wechselseitigen Interventionen im Gespräch der beiden streitenden Parteien hervor, die die Lebendigkeit der Auseinandersetzung glänzend illustriert. Der wichtigste Appendix ist sicher der letzte; er bietet eine Auflistung der christologischen Titel im Werk Justins (also einschließlich der Apologien), die, wie B. mit Recht betont, als einer der Schlüssel zum Werk des "Philosophen und Märtyrers" angesehen werden müssen (978). Hier und andernorts bietet der vorliegende Kommentar nicht nur gründliche Recherche, sondern auch Ausblick auf weitere intensive Beschäftigung mit dem Werk Justins und dem der Apologeten insgesamt. Es handelt sich also um ein in jeder Hinsicht begrüßenswertes Werk.

Die Ausführung des Buches ist von großer Sorgfalt, die Register sind zuverlässig und die Literaturhinweise, soweit das bei einem so "monströsen" (Harnack) Werk wie dem Justins überhaupt möglich ist, vollständig. Dass eine eigentliche Gesamtliteraturliste fehlt, ist freilich ein Manko. Zahlreiche Fehler in den deutsch- und englischsprachigen Zitaten aus der Literatur lassen auf eine gewisse Nonchalance B.s im Umgang mit den nichtfranzösischen modernen Sprachen schließen.