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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

667–669

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Balch, David L., and Carolyn Osiek [Eds.]

Titel/Untertitel:

Early Christian Families in Context. An Interdisciplinary Dialogue.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XX, 412 S. m. Abb. gr.8 = Religion, Marriage, and Family. Kart. US$ 28,00. ISBN 0-8028-3986-X.

Rezensent:

Heike Omerzu

Die insgesamt 17 Beiträge des anzuzeigenden Bandes entstanden überwiegend anlässlich einer Konferenz, die vom 30. November bis zum 3. Dezember 2000 an der Brite Divinity School (Texas Christian University, Fort Worth) abgehalten wurde. Die Herausgeber, David L. Balch und Carolyn Osiek, sind beide u.a. durch verschiedene sozialgeschichtliche und kulturanthropologische Untersuchungen ausgewiesen und haben bereits 1997 gemeinsam den Band "Families in the New Testament World: Households and House Churches" veröffentlicht. Während sich diese frühere Studie jedoch vornehmlich mit dem antiken Haushalt und christlichen Hausgemeinden im Allgemeinen befasst, nimmt der vorliegende Band die Familien insgesamt, ihr Lebensumfeld und ihre einzelnen Mitglieder und deren Verhältnis untereinander in den Blick. Dies geschieht aus dezidiert interdisziplinärer Perspektive: "Biblical scholars and theologians join forces with the world's leading classicists, archeologists, and historians" (IX), um sowohl die frühchristlichen Gemeinden als auch deren Umwelt zu beleuchten. Thematisch wird dabei ein weites Band gespannt, das insgesamt sechs Abschnitte umfasst.

Unter dem Titel "Archaeology of Domus and Insulae" finden sich drei Beiträge zur Frage der konkreten, archäologisch nachweisbaren Lebensbedingungen von Familien.

Im Blick auf die stadtrömischen Verhältnisse schlägt Andrew Wallace-Hadrill (Domus and Insulae in Rome: Families and Housefuls; 3-18) vor, den Begriff "household" durch "houseful" (4) zu ersetzen, um so der Vielfalt an Beziehungen innerhalb eines Hauses gerecht zu werden. Er stellt zugleich die kategoriale Unterscheidung von domus und insula in Frage. Man habe sich das Wohnumfeld vielmehr vorzustellen als "cellular neighborhoods ... essentially mixed in nature, between grand houses and blocks of flats and little shop units on the one hand, and buildings that formed focuses of local communal life on the other" (13). Daher sei das unmittelbare soziale und religiöse Umfeld des frühen Christentums weitaus heterogener als oft angenommen. Eric Meyers (The Problems of Gendered Space in Syro-Palestinian Domestic Architecture; 44-69) zeigt auf der Grundlage archäologischer Zeugnisse, dass Frauen in palästinischen Haushalten keineswegs eine marginaliserte Rolle einnahmen: "[W]omen participated far more fully in crafts, daily household labors and management, and hence had a much higher degree of recognition and responsibility than one might infer from literary sources alone." (68)

Die Rubrik "Domestic Values: Equality, Suffering" enthält zwei Beiträge.

Aus konstruktivistisch-wissenssoziologischer Perspektive deutet Peter Lampe ("The Language of Equality in Early Christian House Churches"; 73- 83) Gal 3,28 als Ausdruck jener zwei "Welten", in denen sich die frühen Christen bewegten, einerseits der christlichen, anderseits der römisch-hellenistischen: "Whenever they shifted from one to the other, the mental context became social - and the social became mental. It depended on which people they interacted with: fellow Christians or pagans." (81) Diese Einsicht ist freilich wenig spektakulär, weshalb die abschließende Würdigung der Methode doch übertrieben erscheint: "[T]he constructivist instrument provides an adequate tool for describing the coexistence of the two realities that are hinted at in New Testament texts" (81). Der Herausgeber David L. Balch (Paul's Portrait of Christ Crucified [Gal. 3:11] in Light of Paintings and Sculptures of Suffering and Death in Pompeiian and Roman Houses; 84-108) befasst sich hingegen mit der bislang vernachlässigten Frage, welchen direkten wie indirekten Einfluss die bildliche- vor allem tragische - Kunst in paganen Häusern auf Sprache und Vorstellungswelt der frühen Christen und Christinnen hatte.

Die folgenden vier Beiträge beschäftigen sich mit dem Thema "Frauen".

Suzanne Dixon (Sex and the Married Woman in Ancient Rome; 111-129) stellt methodisch überzeugend die gängige Annahme in Frage, römische Ehen seien - weil arrangiert - notwendig unromantisch und asexuell. Margaret Y. Macdonald (Was Celsus Right? The Role of Women in the Expansion of Early Christianity; 157-184) untersucht - von der Polemik des Celsus ausgehend -, inwiefern der Topos des besonderen Einflusses von Frauen in frühchristlichen Gemeinden die soziale Wirklichkeit widerspiegelt. Auch wenn ihre Bedeutung teilweise überschätzt werde, sei sie doch groß gewesen, "involving women in such different roles as patrons, heads of household, mothers, teachers, and various kinds of ambassadors of the new faith" (184). Richard Saller (Woman, Slaves, and the Economy of the Roman Household; 185-204) widmet sich dem Verhältnis von Arbeit und Geschlecht, wobei als wesentlicher Ertrag festzuhalten ist, dass weibliche Sklaven besonders wegen ihrer Gebärfähigkeit ("reproductive capacity"; 203) geschätzt wurden. Dieser Aufsatz leitet thematisch bereits zum nächsten Abschnitt über, der drei Untersuchungen zum Sklavenwesen enthält. Dale Martin (Slave Families and Slaves in Families; 207-230) stellt anhand von Grabinschriften heraus, dass Sklaven in anderen Haushalten vielfältige Rollen einnehmen konnten, sogar gegenüber Freien: "[A]s husbands, wives, children, parents, lovers, siblings, patrons, and clients in relations with slave, freed, and free people" (230). J. Albert Harrill (The Domestic Enemy: A Moral Polarity of Household Slaves in Early Christian Apologies and Martyrdoms; 231-254) zeigt, dass frühchristliche Texte die gegensätzlichen Stereotypen des unzuverlässigen und treuen Sklaven aufgreifen, die auch in paganen Erzählungen begegnen. Die Herausgeberin Carolyn Osiek (Female Slaves, Porneia, and the Limits of Obedience; 255- 274) erhebt zunächst, dass die sexuelle Ausnutzung von Sklaven in christlichen Texten nicht thematisiert wird. Dies erlaube verschiedene Rückschlüsse, entweder habe sie nicht stattgefunden oder aber sie sei toleriert oder ignoriert worden.

Es schließen sich zwei Beiträge über die Rolle von Kindern in Familien an.

So stellt Beryl Rawson (Death, Burial, and Commemoration of Children in Roman Italy; 277-297) anhand von Grabinschriften fest, dass christliche Kinder nicht auf Grund ihrer biologischen Familienbeziehungen und mittels kindlicher Attribute erinnert werden. "Children were perceived as part of a wider community, where all - adults and children - were brothers and sisters in faith and children of God." (297) Allerdings könnte diese christliche Sitte auch lediglich den allgemeinen Trend der Zeit widerspiegeln. Den Abschluss bilden drei Aufsätze zu Implikationen der vorgestellten Ergebnisse für die theologische Ausbildung. Im Verhältnis zu den vorangehenden Beiträgen bleiben diese jedoch recht unkonkret. Der Band wird durch eine umfangreiche Bibliographie (359-388) und Verzeichnisse der Abbildungen, die den Band sehr anschaulich machen (389 f.), sowie Indizes der modernen Autoren (391-400) und antiker Literatur (401-412) abgerundet.

Zwar bietet die Sammlung - entgegen dem Untertitel - keinen interdisziplinären Dialog, insofern keine Diskussionsbeiträge abgedruckt sind und die Einzelbeiträge unverbunden nebeneinander stehen, sie liefert jedoch einen instruktiven Einblick in zum Teil, insbesondere aus theologischer Sicht, vernachlässigte Gebiete der antiken Sozialgeschichte auf einem wissenschaftlichen Niveau, das für Konferenzbände keineswegs selbstverständlich ist.