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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

658–660

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

McLay, R. Timothy

Titel/Untertitel:

The Use of the Septuagint in New Testament Research.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XIV, 207 S. gr.8. Kart. US$ 30,00. ISBN 0-8028-6091-5.

Rezensent:

Wolfgang Kraus

Die Einführung von R. Timothy McLay in die Probleme des Septuagintagebrauchs in der neutestamentlichen Forschung erscheint zu einem günstigen Zeitpunkt: Septuaginta-Forschung hat derzeit Konjunktur. Dazu haben nicht nur wichtige in jüngster Zeit erschienene Monographien, sondern vor allem Einführungen in die Septuaginta beigetragen (u. a. M. Harl - G. Dorival - O. Munnich; E. Tov; N. Fernández-Marcos; K. Jobes - M. Silva; F. Siegert) und nicht zuletzt auch die von McL. erwähnten Übersetzungsprojekte wie La Bible d'Alexandrie (BdA) und A New English Translation of the Septuagint (NETS) (5). Das seit 1999 etablierte Projekt Septuaginta-deutsch (LXX.D) kennt McL. offensichtlich noch nicht.

In diesem Kontext trägt auch sein Werk dazu bei, die zu Beginn des Buches diagnostizierte Situation langfristig zu ändern: "Despite the fundamental importance of the Jewish Scriptures written in Greek for understanding Judaism and the origin and development of the Early Church and its Scripture, the study of the Septuagint continues to reamin on the margins of New Testament research. The evidence for this is available in most every introductory text to the NT. While sections on mystery religions, Greek philosophies, the Essenes, and the Dead Sea Scrolls are plentiful, one looks in vain for a section on the LXX" (1). Im Übrigen waren es im Wesentlichen Patristiker, die BdA, und Alttestamentler bzw. Religionsgeschichtler, die NETS ins Leben gerufen haben. Anders verhält es sich beim Projekt LXX.D, das von Neutestamentlern initiiert wurde.

McL.s Buch umfasst nach einer Einleitung sechs Kapitel, die jeweils durch eine Zusammenfassung abgeschlossen werden: 1.The Use of Scripture in the New Testament, 2. Identifying a Source as Greek or Hebrew, 3. A Model for T(ranslation) T(echnique), 4. The Origin of the Septuagint and Its History, 5. The Impact of the LXX on the NT, 6. Summary, Conclusions, and Prospects. Glossar, Bibliographie und Indizes (Autoren und Belegstellen) schließen das Buch ab.

In der Einleitung werden grundlegende terminologische Fragen angesprochen (Schrift und Kanon, Masoretischer Text und Hebräischer Text, Old Greek und LXX) sowie eine Problemanzeige für Fragen der LXX-Forschung und der Verwendung der LXX im Neuen Testament aufgeführt. Das Buch ist primär nicht für Septuaginta-Spezialisten konzipiert, sondert richtet sich eher an Einsteiger. Gleichwohl ist die wissenschaftliche Diskussion im Großen und Ganzen berücksichtigt, wenngleich die Auswahl von Fall zu Fall etwas willkürlich erscheint. Der Fachmann erkennt durchaus, von welchen Grundlagen her McL. argumentiert.

Kapitel 1 beginnt mit einem Fallbeispiel, dem Zitat von Am 9,11-12 in Apg 15,16-18, und exemplifiziert daran die Probleme, die sich bei der Frage nach dem Verhältnis von Neuem Testament und LXX/OG einerseits und LXX/OG und Hebräischem Text andererseits ergeben.

Kapitel 2 ist dem Thema Translation Technique (TT) gewidmet. Es geht McL. darum, ein Fundament zu legen für ein Modell, das dann in Kapitel 3 ausgebreitet wird. Nach seiner Definition versucht die Untersuchung der TT "to describe the way in which individual translators engaged in the task of translating a unit of Scripture for a community" (76). Fünf Voraussetzungen nennt er: "TT is Descriptive; TT is Primarily Synchronic; TT Accounts for Langue and Parole; TT is Structural; and TT Takes the Source Language as its Point of Departure" (76). Warum man bei der "Source Language" beginnen soll, wäre m. E. ausführlicher zu diskutieren, selbstverständlich ist es nicht, zumal uns die "Source" nicht immer zur Verfügung steht und auch bei hebräisch verfassten Schriften mit dem Masoretischen Text nicht eo ipso die Vorlage der LXX gegeben ist.

Kapitel 3 bietet ein Modell in vier Stufen: a) Morphologischer, lexikographischer, syntaktischer Vergleich der Texteinheiten ausgehend vom Hebräischen Text als Vorlage; b) Feststellung der Anpassungen, die der Übersetzer vorgenommen hat ("adjustment") auf morphologischer, lexikographischer und syntaktischer Ebene; c) "Motivation" - Feststellung und Unterscheidung der bewussten und unbewussten Veränderungen, die der Übersetzer vorgenommen hat; d) Feststellung des aus diesen Veränderungen resultierenden Textverständnisses ("effect on meaning"). McL.s 4-Stufen-Modell steht funktional an der Stelle, wo A. Pietersma von der Feststellung des "textual-linguistic make-up" der Übersetzung spricht, das einen ständigen Vergleich mit der hebräischen Vorlage beinhaltet (vgl. seinen Beitrag in ThLZ 129 [2004], 1008). Auch wenn McL. seinen Ausgangspunkt der Untersuchung bei der hebräischen Vorlage nimmt, so entspricht m. E. sein Programm nicht völlig dem "interlinearity model", das Pietersma in die Diskussion eingeführt hat und auf das sich McL. an späterer Stelle positiv bezieht (105). In diesem Zusammenhang hätte eine explizite Auseinandersetzung stattfinden sollen, zumal diese Frage die LXX-Forschung ständig beschäftigt und die beiden von McL. genannten Übersetzungsprojekte NETS und BdA gerade an dieser Stelle von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen.

In Kapitel 4 diskutiert McL. zuerst ansatzweise die Fragen zur Entstehung der LXX. Er stellt hier jedoch vornehmlich die ältere Diskussion dar, um dann auf das "educational model" abzuheben, das A. Pietersma wieder in die Diskussion gebracht hat - und zwar auf der Basis seines Verständnisses der Abhängigkeit der LXX von der hebräischen Vorlage. Hiernach sei die LXX am besten so zu verstehen, dass sie nie ohne den hebräischen Text existierte und als Übersetzung den Leser zum hebräischen Text zurückführen wollte, anstatt ein eigenständiges Werk zu sein. McL. nimmt diese Sicht positiv auf, teilt sie dann aber doch nicht ganz, denn er schränkt sie schließlich dahingehend ein, dass die Beziehung zwischen Vorlage und Übersetzung je nach biblischem Buch differenziert werden muss. Anhand von Beispielen geht er dann auf die Geschichte des griechischen Textes ein und zieht dabei auch die anderen Rezensionen hinzu. Beim Beispiel Dtn 32,43/Od 2,43/Hebr 1,6 ist ihm ein Fehler unterlaufen: Die Oden der LXX sind gegen McL. zu unterscheiden von den Oden Salomos (110.111). Der Hinweis auf die Ausgabe von Charlesworth ist irreführend (111, Anm. 24). Ein 7-Punkte-Programm zur Analyse eines Zitats im Neuen Testament schließt dieses Kapitel ab.

Das 5. Kapitel befasst sich (wiederum anhand von Beispielen) mit dem Einfluss der LXX auf das theologische Denken im Neuen Testament. McL. betont zu Recht, dass die Bibel der Urchristenheit die LXX gewesen sei. Dies schlägt sich auf der Wortebene, aber auch auf der Ebene von Motiven und theologischen Konzeptionen nieder.

McL. hat eine gut lesbare Einführung in grundlegende Fragen der LXX-Forschung und des LXX-Gebrauchs im Neuen Testament geschrieben. Es handelt sich nicht um eine umfassende Darstellung, sondern um ausgewählte Problemfelder. Viele Fragen können dabei nur angerissen werden oder müssen unberührt bleiben. Bedauerlich ist, dass McL. bis auf ganz wenige Ausnahmen die deutschsprachige Forschung kaum zur Kenntnis genommen hat - sie zumindest nicht zitiert. Gewiss ist dies auch eine Frage an die deutschsprachige Forschung, aber wohl nicht nur.