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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

652–654

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kooten, George H. van

Titel/Untertitel:

Cosmic Christology in Paul and the Pauline School. Colossians and Ephesians in the Context of Graeco-Roman Cosmology, with a New Synopsis of the Greek Texts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XIV, 340 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 171. Kart. Euro 59,00. ISBN 3-16-148007-4.

Rezensent:

David du Toit

Um es vorweg zu nehmen: Man wird in der Epheser- und Kolosserforschung künftig nicht darum hinkommen, sich mit den Argumenten auseinander zu setzen, die der niederländische Neutestamentler George van Kooten in der hier anzuzeigenden Studie vorträgt. Das Buch ist die überarbeitete Fassung seiner Leidener Dissertation. Van K. ist darum bemüht, die Zuordnung von Gott, Christus und Kosmos bei Paulus und in Kol und Eph zu bestimmen und somit die Entstehung einer christologischen Kosmologie innerhalb des frühen Christentums nachzuzeichnen. Er leistet dadurch einen bedeutenden Beitrag auf den Gebieten des religions- bzw. philosophiegeschichtlichen Hintergrunds der beiden Briefe (sowie von Gal 4,3-10; 1Kor 15,23-28), der theologiegeschichtlichen Entwicklung innerhalb der paulinischen "Schule" sowie in der Frage nach der Art des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Eph und Kol.

Van K.s Hauptthese ist, dass in der paulinischen Schule eine Debatte über das Verhältnis von Gott, Christus und Kosmos geführt wurde, die sich um die Frage drehte, ob das soma des Kosmos der Leib Christi sei oder nicht. Van K. zufolge beantworten die beiden Autoren von Kol und Eph diese Frage in unterschiedlicher Weise: Der Verfasser von Kol habe sie bejaht, wohingegen der Verfasser des Eph in Auseinandersetzung mit Kol die Vorstellung von Christi soma als Leib des Kosmos dahingehend abwandelt habe, dass nicht der Kosmos, sondern die Kirche Christi Leib sei.

Diese These folgt zum einen aus dem Nachweis, dass die kosmologische Terminologie in Gal, 1Kor, Kol und Eph auf dem Hintergrund der zeitgenössischen Physik der griechisch-römischen Philosophie, genauer der Stoa und des Mittel-Platonismus, zu verstehen ist. Zum anderen bildet sie die logische Konsequenz der von van K. entwickelten These, dass Eph eine kritische, kommentierende Bearbeitung des Kol sei, einer These, die u. a. auf der Einsicht beruht, dass der Verfasser des Eph weitgehend die Struktur des Kol übernommen hat. Dies belegt van K. mit einer von ihm hergestellten und als Appendix beigefügten Parallelsynopse (239-289).

Van K. entwickelt seine Thesen in vier Schritten. Ausgehend von der Beobachtung, dass der Begriff soma in Kol 2,8-3,4 im Zentrum der Widerlegung einer gegnerischen Lehre über die stoicheia tu kosmu steht und darum dort durchgehend in kosmologischem Sinne Verwendung findet (11-16), bringt van K. in Kapitel 1 (9-58) den überzeugenden Nachweis, dass eine Terminologie wie soma/somatikos, he kephale, hai haphai und hoi syndesmoi in Kol die Vorstellung des kosmologischen Leibs, wie sie in der zeitgenössischen stoischen und mittelplatonischen Physik geläufig war, widerspiegelt (17-52). In Kapitel 2 (59- 109) demonstriert van K. zum einen (mit vielen Belegen aus Plutarch und Philon) überzeugend, dass schon Paulus rudimentär eine solche Kosmologie vertritt, wenn er sich in seinem Argument in Gal 4,3-10 der Vorstellung von den stoicheia tu kosmu, ihrer versklavenden Macht über die Menschen sowie ihrer Gesetz begründenden Funktion bedient (59-79). Zum anderen zeigt er (80-109), dass Paulus in 1Kor 15,23-28 in Aufnahme von Dan 7,27 LXX die jüdische Vorstellung des himmlischen eschatologischen Agenten dahingehend abwandelt, dass Christus in der Zeit zwischen Auferweckung und Ende der Zeit in eine graduelle Unterwerfung der kosmischen archai, exusiai und dynameis involviert ist.

In einem dritten Schritt untersucht van K. die Verwendung der Begriffe archai, exusiai und stoicheia in Kol im Vergleich zu ihrer Verwendung bei Paulus (Kapitel 3: 110-146). In einer Auslegung von Kol 1,9-23 zeigt van K., dass der Verfasser im Gegensatz zur paulinischen Vorstellung von der endzeitlichen Unterwerfung des Kosmos eine Vorstellung von der dauerhaften Stabilität des Kosmos vertritt: Die archai und exusiai des Kosmos seien nicht nur in, durch und für Christus geschaffen, sondern auch schon rekonstituiert (110-129). Nach Kol 2,8-3,4 stehen die archai, exusiai und stoicheia mit dem kosmologischen soma Christi in Harmonie: Es herrscht kosmischer Frieden (129-135). Diese Kosmologie reflektiert durchgehend Sprache und Gedankengut des Mittelplatonismus. Der Rest des Kapitels (138-146) ist dem Versuch gewidmet, die in Kol reflektierte gegnerische Position ("Colossian philosophy") näher zu bestimmen: Van K. zeigt, dass sowohl der Verfasser des Kol als auch seine Gegner eine Kosmologie mittelplatonischer Prägung vertreten haben.

In einem letzten Schritt wendet van K. sich dem Eph zu (Kapitel 4: 147-203) und fragt nach den Gründen für die Abfassung dieser Schrift. Nach van K. lässt sich diese Frage nur beantworten, wenn die Art der literarischen Abhängigkeit des Eph von Kol bestimmt werden kann. Eine Parallelsynopse der beiden Briefe (239-289) dient der Klärung dieses Verhältnisses.

Die Synopse (ausführliche Erläuterungen: 223-237) hat vier Spalten: die erste bietet den fortlaufenden Text des Eph als Basistext, die zweite den fortlaufenden Text des Kol; die dritte Spalte führt dem Kol entnommene Parallelen zu Eph auf, die über den Paralleltext in Spalte 2 hinausgehen, die vierte die den Paulusbriefen und der LXX entnommenen Parallelen zu Eph (es ist also eine Eph-Synopse!). Unterstreichungen signalisieren Parallelstellen, und ein übersichtliches Nummernsystem ermöglicht das schnelle Auffinden der jeweiligen Parallele. Trotz einiger Unzulänglichkeiten (bei Kol 2,8-3,4 [E] fehlen die Eph-Parallelen; unübersichtliche Optik, vor allem in Spalte 3 und 4) lässt sich die Synopse nach kurzer Eingewöhnung gut handhaben: Autor und Verlag sei empfohlen, eine verbesserte Fassung als eigenständige Publikation zu veröffentlichen.

Die Synopse zeigt, dass der Eph die aus neun Teilen bestehende Struktur des Kol (A-I) fast komplett übernommen hat (vgl. Kapitel 4 passim, ferner 223-229), jedoch drei neue Partien (N1-N3 = Eph 2,11-22; 4,1-16; 6,10-17) hinzufügte (Eph = A-C.N1.D.N2.F-G.N3.H-I) und so Kol 2,4-3,8 (E) durch eine neue Partie (Eph 4,1-16 = N2) ersetzte (in N1, N2 machte er jedoch großzügig von Kol 2,4-3,8 [E] Gebrauch). Van K. folgert aus seiner "synoptischen" Auslegung, dass Eph "a full-scale critical commentary on Col" ist (213).

Van K. zeigt, dass der Verfasser des Eph die Kosmologie des Kol korrigieren will. Besonders in Eph 1,15-23 (154-166), 3,1-21 (171-183), 4,15 f. (187-190) wird der in Kol vertretene Standpunkt (u. a. mit Rückgriff auf 1Kor 15) verändert: Eph hält nicht den Kosmos, sondern die Kirche für das soma Christi, die durch ihr Wachsen den Kosmos zunehmend füllt, und bedient sich somit der hellenistischen Vorstellung vom Füllen des Kosmos (159-166). Die Kirche ist also der Ort, wo Christi kosmische Herrschaft schon vollständig realisiert ist, und sie hat an der endzeitlichen Restauration des Kosmos mitzuwirken, indem sie die Weisheit Gottes den kosmischen Mächten vermittelt (3,10, vgl. 172-179). Die Ekklesiologie des Eph ist also eine Funktion der Kosmologie (212).

Van K. ist zu seiner innovativen Studie zu gratulieren: Die Verbreiterung der religionsgeschichtlichen Quellenbasis konstituiert einen wirklichen Fortschritt, die plausible theologiegeschichtliche Hypothese hat großes problemlösendes Potential und für die nützliche Synopse wird man ihm künftig danken.