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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

650–652

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kammler, Hans-Christian

Titel/Untertitel:

Kreuz und Weisheit. Eine exegetische Untersuchung zu 1Kor 1,10-3,4.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XII, 302 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 159. Lw. Euro 74,00. ISBN 3-16-148133-X.

Rezensent:

Gerhard Sellin

Es handelt sich bei dieser Tübinger Habilitationsschrift um eine gründliche, konzentrierte und konsistente Exegese von 1Kor 1,10-3,4. Während der Einsatz mit 1,10 plausibel ist, bleibt der abrupte Abschluss mit 3,4 allerdings überraschend und unbegründet. Die Einheitlichkeit des ganzen Abschnittes Kapitel 1-4 wird nicht thematisiert. Dabei musste K. an einer Stelle (zu 1,12) aber auf 3,18-23 vorgreifen (11-16). Dass hier eine Ringförmigkeit vorliegt, wird nicht vermerkt, obgleich K. in einzelnen Textpassagen ringförmige Strukturen und Korrespondenzen nachweist (18.33.88.90.93.112 f. u. ö.) und neben den syntaktischen auch formale Strukturen sehr beachtet.

Die Exegese setzt ein mit der Frage nach den "Parteien" (1,12), doch fragt K. nicht weiter nach den historischen und situativen Hintergründen. Sein eigentliches Interesse setzt erst mit 1,17b ein, an der Stelle, wo Paulus erstmals seine Verkündigung kennzeichnet mit den Worten: "nicht in Weisheitsrede, damit das Kreuz Christi nicht zunichte gemacht wird". Es stehen sich demnach gegenüber eine hellenistisch-jüdische "Heilskonzeption ..., die in der Weisheit die eigentliche heilsrelevante Größe erblickt und Christus lediglich als Mittel und Weg zur Erlangung solcher Weisheit begreift", und die paulinische Verkündigung des gekreuzigten Christus, die Paulus selbst als "Torheit" (für die, die verloren gehen) und zugleich als "Gottes Kraft" (für die, die gerettet werden) bezeichnet. Eine der zentralen Thesen des Buches besteht in der überzeugend nachgewiesenen Behauptung, dass es (trotz gegenteiligen Anscheins) für Paulus neben der Kreuzespredigt nicht auch noch eine Weisheitsverkündigung gebe, die etwa für die Fortgeschrittenen und Eingeweihten nützlich sei. Wo Paulus positiv von "Weisheit" redet, ist es Gottes Weisheit, die gerade in der Predigt vom gekreuzigten Christus besteht, was die "Weisen" als Torheit auffassen.

Für die Korinther ging der Streit bezüglich der Parteihäupter um die Frage, "welcher der Weisheitslehrer die wahre und vollkommene Weisheitserkenntnis vermittelt" (39). In einer syntaktisch und semantisch exakten Analyse zeigt K., dass die Begriffe "Weisheit Gottes" und "Dynamis (Kraft) Gottes", aber auch das Abstraktum moria ("Torheit") den gekreuzigten Christus selbst bedeuten. "Weisheit Gottes" in 2,7 bezeichnet auch nicht den "göttlichen Heilsplan" (wie die meisten Ausleger, darunter auch der Rezensent, meinten), sondern den gekreuzigten Christus selbst. Wenn es in 2,6 heißt: "Von Weisheit aber reden wir ...", dann ist damit gerade die Kreuzespredigt gemeint, die mit jener identisch ist. Paulus kennt keineswegs zwei unterschiedliche Gestalten der Verkündigung (etwa: eine die Kreuzespredigt noch vertiefende Weisheitspredigt für Eingeweihte).

Neben dieser Hauptthese der Interpretation hat K. auch einige untergeordnete exegetische Probleme plausibel geklärt: So verstärkt er die These von M. Lautenschlager, dass der Ausdruck syzetetes (1,20) nicht einen "Disputierer" (etwa gar im abwertenden Sinne eines Sophisten) bedeutet, sondern einen um Wahrheit bemühten Philosophen (76). Ebenso macht K. die vor allem auf J. Schniewind zurückgehende These plausibel, dass die archontes (2,8) nicht Dämonen, sondern menschliche Machthaber seien (205 f.).

An zwei Stellen sind allerdings Fragen angebracht: 1. Die erste Frage ist eine offene. Sie betrifft das Problem der in 1,18 anklingenden doppelten Prädestination, die "den Gedanken der Erwählung wie den der Verwerfung impliziert". K. macht es sich nicht einfach, wenn er die paulinische Aussage nicht abmildert: Die "Entscheidung über das ewige Heil und Unheil eines jeden Menschen" in der gegenwärtigen Begegnung mit der Verkündigung ist "zugleich von ewiger Relevanz und Gültigkeit" (61). Auf S. 65, Anm. 73, verweist er aber auf Röm 9-11, wonach Israel trotz seiner verfügten Verstockung am Ende gerettet werde. Und in Anm. 78 auf S. 67 vermerkt er das "noch nicht wirklich gelöste ... Problem" des Widerspruchs zwischen universalistischen Heilsaussagen (Röm 5,15 f.18 f.; 2Kor 5,19) und solchen, die eine doppelte Prädestination (zu Heil und Verderben) ausdrücken. Die Frage ist, wie man den prädestinatianischen Ansatz in 1Kor 1,18 gewichten und mit den gegenteiligen Aussagen des Paulus in Einklang bringen kann bzw. muss.

2. Die zweite Frage impliziert eine Kritik. An einer Stelle hat K. seine philologische Konsequenz leichtfertig gelockert: In der Aufzählung der Parteien in 1,12 ("ich gehöre Paulus an, ich aber Apollos, ich aber Kephas, ich aber Christus") stellt die vierte Parole ein Problem dar, das K. auf zu einfache Weise lösen will: Er ist der Meinung, dass die vierte Parole (die von der "Christus-Partei") einen Widerspruch des Paulus selbst gegen die drei in Korinth vertretenen Parolen darstellt. Diese Erklärung kommt immerhin ohne Konjekturen aus. Sie ist aber syntaktisch nicht möglich. Die Aufzählung (men ... de ... de ... de ...) ist in sich syntaktisch konsistent. Kein Leser oder Hörer kann die vierte Parole als Antithese gegen die drei anderen verstehen. Wenn die vierte Parole den Gegensatz zu den drei ersten bilden soll (und überdies das "ich" im vierten Fall von der Ebene der "erzählten Figuren" auf die Ebene des "Briefschreibers" verlagert werden soll), müsste das explizit kenntlich gemacht werden - etwa durch ein allá oder Ähnliches. K. beruft sich für seine These auf 3,23, wo Paulus ja selber schreibt: "ihr aber seid Christi". Doch muss der andere Kontext von 3,21-23 beachtet werden: Paulus verändert hier eine hierarchische Kette, indem er die Apostel der Gemeinde unterordnet (statt Gott - Christus - Apostel - Gemeinde nun: Gott - Christus - Gemeinde - Apostel). Und 3,21 bedeutet nicht, dass sich die Korinther ihrer Apostel rühmen. Das kauchasthai en anthropois ist eine Wendung aus dem Kontext der Mission, vgl. 2Kor 10,15 f. (Apostel rühmen sich der bekehrten bzw. getauften Menschen). In 2Kor 10,7 erscheint nun auch das Christou einai ("Christi sein") in polemischem Kontext: "Wenn jemand sich zutraut, Christi zu sein, so bedenke er ... dass wie er Christi ist, so auch wir (= Paulus)". "Christi sein" ist demnach ein hierarchischer Anspruch von Aposteln. Und die durch Apostel gewonnenen Menschen sind Anhänger ihres jeweiligen Apostels, was im hierarchischen Genitiv-Verhältnis ausgedrückt wird.

Aber diese Bemerkungen (die ja selbst hypothetisch sind) tangieren das eigentliche Anliegen der verdienstvollen Arbeit kaum. Schade ist allenfalls, dass K. seine Exegese nicht auf die ganze Einheit Kapitel 1-4 ausdehnen konnte.