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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

637 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Köckert, Matthias, u. Martti Nissinen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Propheten in Mari, Assyrien und Israel.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. X, 175 S. gr.8 = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 201. Lw. Euro 52,00. ISBN 3-525-53885-5.

Rezensent:

Aaron Schart

Der Sammelband geht zurück auf zwei Tagungen, von denen die eine im Rahmen der Europäischen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie im März 2002 in Berlin und die andere im Rahmen des SBL International Meeting im Juli 2002 in Berlin stattgefunden hat.

Der Band wird eröffnet von Martti Nissinen (1-32), der dem kritischen Potential altorientalischer Prophetie nachgeht.

Gegenüber dem geläufigen Vorurteil, diese würde den Königen immer nur nach dem Munde reden, kann Nissinen einige prophetische Botschaften aus Mari und vom assyrischen Königshof anführen, die an den König zum einen kultische Forderungen richten und dabei implizit den Tadel enthalten, dass ihr Anliegen vom König bisher nicht ernst genommen worden sei. Zum zweiten erinnern sie an die Verpflichtung des Königs, für die Schwachen und Rechtlosen einzutreten, worin man implizit die Einschätzung erkennen kann, der König tue nicht genug für Recht und Gerechtigkeit (20). Zum dritten ergriffen Propheten auch in außenpolitischen Angelegenheiten, wie etwa den Friedensverhandlungen zwischen dem letzten Mari-König Zimri-Lim und dem König von Eschnunna, das Wort und stellten sich in aller Öffentlichkeit gegen die Politik des Königs, auch wenn dieser sich, wie man weiß, weder durch die Propheten noch durch seine engsten Berater von seinem Vorhaben abbringen ließ. Der Briefschreiber Nabu-rehtu-usur berichtet sogar, dass eine Frau den Untergang der Dynastie Sanheribs und den Übergang der Königswürde auf den Verschwörer Sasi geweissagt habe (ABL 1217 = SAA 16 59; S. 25). Insgesamt zeigt sich, dass diejenigen, die dem König von prophetischen Auftritten berichteten, auch deren kritische Töne nicht verschwiegen, sondern zum Teil noch durch eigene Bemerkungen verstärkten. Ohne Zweifel wurde erwartet, dass der König prophetische Stimmen bei seinen Entscheidungen gebührend berücksichtigte. Nissinen verweist zu Recht darauf, dass die altorientalische prophetische Kritik in ihrem Mut und ihrer Reichweite nicht unterschätzt werden darf (14), gleichwohl scheint sie lange nicht so radikal gewesen zu sein wie die alttestamentliche.

Eva Cancik-Kirschbaum untersucht die keilschriftlichen Quellen unter dem Titel "Prophetismus und Divination" (33-53). Insbesondere stellt sie die Rolle der Prophetie im Vergleich zu anderen Institutionen der Divination dar.

In sehr sorgfältiger und differenzierter Weise berücksichtigt sie bei der Interpretation der prophetischen Texte jeweils die Quellenlage: In welcher Situation hat wer in welcher Funktion im Auftrag welcher Gottheit in welchem Bewusstseinszustand geredet und von wem wurde dieser Auftritt mit welchem Interesse wie schriftlich festgehalten? Lediglich die Frage des Geschlechts des Propheten oder der Prophetin bleibt etwas unterbelichtet. Den Status einer Traditionsliteratur wie in Israel haben prophetische Texte des Alten Orients nie erreicht (42). Dies hängt damit zusammen, dass sie in Konkurrenz zu anderen Formen der Divination, insbesondere der Leberschau und der Ominadeutung, standen, die gesellschaftlich erheblich anerkannter waren (47).

In einer Zeit, in der zunehmend auf die Rekonstruktion der mündlichen Auftritte von Propheten verzichtet wird, versucht Reinhard G. Kratz den historischen Amos zu rekonstruieren (54-89).

Dabei geht er von der Prämisse aus, dass das Bild des historischen Amos umso wahrscheinlicher ist, je markanter es sich von dem des kanonischen Buches unterscheidet. Von da aus entscheidet er sich dann in allen Zweifelsfällen der Authentizitätsfrage, und solche Fälle gibt es angesichts unseres bruchstückhaften Wissens bekanntlich mehr als genug, für die Lösung, die die wenigste Kontinuität zum kanonischen Buch aufweist. Wie zu erwarten, kommt dann am Schluss ein Amos heraus, den man nur noch mit Mühe als einen (aus dem Alten Orient bekannten) Propheten ansprechen kann. Wie aus dieser kümmerlichen historischen Gestalt dann der wegweisende kanonische Prophet werden konnte, kann dann nur durch ein "Wunder" (nach Kratz "mit einer plötzlichen, sprunghaften Metamorphose", 88) in den abgeschiedenen Schreibstuben der Redaktoren erklärt werden. Das allerdings, so Kratz, sichert die theologische Einsicht ab, dass "Jhwh und sein Prophet das erste und letzte Wort" (89) haben.

Jörg Jeremias zeichnet in äußerst sorgfältiger und einfühlsamer Weise die Redaktionsgeschichte des Komplexes Mi 4-5 nach (90-115).

In Mi 4,14; 5,1.3a findet er noch Spuren des historischen Micha und verfolgt dann das Wachstum dieses Abschnittes über die perserzeitlichen (Mi 4,1-3.4-5.6-7.8; 5,6-7) und die hellenistischen Zusätze (4,11-13; 5,9- 13.14). Auf der letzten Stufe wird Micha nicht mehr als autarkes Buch, sondern als zentraler Abschnitt des Zwölfprophetenbuchs gelesen. Die Zusätze harmonisieren die Erwartung einer endzeitlichen Vernichtung aller widergöttlichen Mächte der Völker (Joel 4) mit der friedlichen Perspektive von Mi 4,1-3. Insgesamt ist so eine höchst komplexe und in sich widersprüchliche Aussagen enthaltende Einheit entstanden, die das zuhöchst spannende Ringen Israels um seine Rolle in der Völkerwelt dokumentiert.

Herbert B. Huffmon widmet sich der Frage, im Namen welcher Gottheiten altorientalische Propheten auftreten (116-131).

Obwohl Propheten ihre Eingebungen dem Kontakt mit einer bestimmten Gottheit verdanken, in deren Namen sie dann auch auftreten, ist deutlich, dass dies nicht als monotheistische Tendenz missverstanden werden darf. Die Texte rechnen selbstverständlich damit, dass andere Götter am Zustandekommen einer prophetisch angesagten Zukunft mitbeteiligt sind.

Beate Pongratz-Leisten geht insbesondere der Rolle der Ischtar in den neuassyrischen Prophetien nach (132-168).

Die sorgfältige Analyse der Metaphorik, mit denen weibliche Gottheiten ihr Verhältnis zum König beschreiben, zeigt auf, welche Aspekte der Gott-Mensch-Relation dem Gott des Alten Testaments weitgehend fehlen: Hieros Gamos, divine mother, divine midwife, mediatrix, wet nurse.

Der Sammelband bringt hoch interessante Beiträge zusammen, die das Verständnis der altorientalischen Prophetentexte sehr fördern und zugleich die Eigenheiten der israelitischen Prophetie besser zu erfassen erlauben.