Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

629–631

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

1) Inscriptiones Judaicae Orientis. Vol. 1: Eastern Europe. Ed. by D. Noy, A. Panayotov and H. Bloedhorn.

2) Inscriptiones Judaicae Orientis. Vol. 2: Kleinasien. Hrsg. von W. Ameling.

3) Inscriptiones Judaicae Orientis. Vol. 3: Syria and Cyprus. Ed. by D. Noy and H. Bloedhorn.

Verlag:

1) Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XVI, 397 S. m. Abb. gr.8 = Texts and Studies in Ancient Judaism, 101. Lw. Euro 99,00. ISBN 3-16-148189-5.

2) Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XVIII, 650 S. m. Abb. gr.8 = Texts and Studies in Ancient Judaism, 99. Lw. Euro 119,00. ISBN 3-16-148196-8.

3) Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XVI, 284 S. m. Abb. gr.8 = Texts and Studies in Ancient Judaism, 102. Lw. Euro 89,00. ISBN 3-16-148188-7.

Rezensent:

Jan Dochhorn

Die drei Bände der "Inscriptiones Judaicae Orientis" (IJO) stellen eine neue Sammlung jüdischer Inschriften aus Antike und Spätantike dar. Erfasst werden sämtliche Inschriften vom Balkan, aus Griechenland und dem Schwarzmeergebiet (I), aus Kleinasien (II), Syrien und Zypern (III). Andere Regionen, beispielsweise Palästina, werden nur berücksichtigt, wenn die Inschriften einen Bezug zu den genannten Gebieten haben (etwa wenn ein Jude aus Phönizien in Beth-Schearim begraben liegt, vgl. III, Syr6-8 [III, 12-14]).

Die Sammlung bietet alle Inschriften bis zum 7. Jh. n. Chr. - und zwar mit dem Anspruch auf Vollständigkeit. Mit Inschriften, die nach Meinung der Editoren in der bisherigen Forschung dem Judentum zu Unrecht zugewiesen werden, verfahren sie je unterschiedlich: Bei Noy, Panayotov und Bloedhorn werden sie ausführlicher präsentiert (I, 235-246; III, 331- 344), bei Ameling nur bibliographisch dokumentiert (II, 575- 580); dafür begründet Ameling seine Auswahlkriterien sehr gründlich (II, 8-21). Noy, Panayotov und Bloedhorn präsentieren darüber hinaus auch einige Inschriften, die zeitlich und geographisch über den Rahmen des Corpus hinausgehen (I, 325- 330: vermutlich mittelalterliche Inschriften; III, 227-232: jüdische Inschriften in Palmyrene; III, 233-234: Inschriften, die in der Sekundärliteratur zu Unrecht mit Syrien in Verbindung gebracht wurden). Das Corpus umfasst Inschriften mehrerer Sprachen (u. a. Griechisch, Latein, Hebräisch, Phönizisch, Pahlevi); die dominierende Sprache ist eindeutig das Griechische. Es werden auch samaritanische Inschriften berücksichtigt. Dargeboten werden die epigraphischen Zeugnisse in griechischer Minuskel, lateinischer Umschrift (Pahlevi) oder Quadratschrift (ebenso - wie auch sonst gebräuchlich - die phönizischen Inschriften); eher selten werden Abbildungen, Faksimiles oder Schriftproben beigefügt. Die Kommentierung der einzelnen Inschriften umfasst eine bibliographische Dokumentation, eine Schilderung der Fundumstände sowie eine historische Verortung. Ohne Zweifel werden die IJO für die Erforschung des Diasporajudentums von beträchtlicher Bedeutung sein, zumal sie schwerpunktmäßig Regionen abdecken, aus denen uns kaum literarische Zeugnisse des Judentums erhalten sind. Die Sammlung tritt damit für die von ihr erschlossenen Gebiete die Nachfolge des "Corpus Inscriptionum Judaicarum" (CIJ) von J.-B. Frey (1936/1952) an; ein Vergleich beider Corpora zeigt, wie sehr inzwischen dass Material gewachsen und die Forschung intensiviert worden ist. Die Bedeutung der IJO für die neutestamentliche Wissenschaft erhellt sich beispielsweise daraus, dass die für die Erforschung der Missionsgeschichte so wichtige Aphrodisiasinschrift hier erstmalig in einem Corpus jüdischer Inschriften dargeboten wird (vgl. II, 71-112).

Bei aller Gelehrsamkeit und Detailfülle gibt das neue epigraphische Referenzwerk aber in mancher Hinsicht auch Anlass zur Kritik, und zwar speziell bei der philologischen Erschließung der Dokumente. So werden nur wenige Abbildungen und Faksimiles geboten, bei Ameling erklärtermaßen mit der Begründung, dass diese schon anderswo publiziert seien (II, 24). Doch selbst wenn man diese Begründung überzeugend finden mag, mindestens da, wo die Herausgeber neue Lesungen etablieren, sollten diese auch materiell dokumentiert werden. Zudem scheinen die Editoren, vor allem die von Band I und III, kaum damit gerechnet zu haben, dass ihre Inschriften auch grammatisch und sprachhistorisch von Interesse sein könnten; nicht immer haben wir es nur mit uninteressanten Itazismen oder bedeutungslosen orthographischen Schnitzern zu tun. Schwierigkeiten bereitet schließlich auch die graphematische Wiedergabe der Dokumente.

Diese Problemanzeigen sollen im Folgenden an der ersten Inschrift demonstriert werden, einer griechisch-lateinischen Grabaufschrift aus Salva (P Pan1), die in I, 2 folgendermaßen dargeboten wird:

memoria Iudati patiri

et memoria Kassie

eul (ogia)

(menorah)

Zuallererst fällt das merkwürdige "et" in der zweiten Zeile ins Auge. Dieses "et" haben die Herausgeber - ausweislich der Kommentierung - als die Ersten gesehen; alle früheren Bearbeiter lesen es nicht. Man wird es den Editoren wohl glauben müssen, denn die ausnahmsweise beigefügte Abbildung gibt in dieser Sache nichts her. Hier wäre eine Detailaufnahme, vielleicht auch ein Faksimile, angebracht gewesen. Außerdem kommt die Frage auf, warum die anderen Editoren das "et" nicht erkannt haben. Ist es vielleicht besonders schwer lesbar? In diesem Falle hätte man dies durch Punkte unter den Buchstaben andeuten müssen - oder aber es wäre nachdrücklich hervorzuheben gewesen, dass wirklich klar und deutlich "et" zu lesen ist.

Ähnliche Probleme ergeben sich bei "Iudati patiri". Hier lesen die anderen Editoren ebenfalls abweichend - und auf der Abbildung kann man auch mit der Lupe nichts erkennen. Es kommt aber noch hinzu, dass die Editoren von Band I ihre Deutung in ihren grammatischen und sprachhistorischen Implikationen überhaupt nicht diskutieren. Sie deuten die Form - wohl zutreffend - als Genitiv oder Dativ (3), sagen aber noch nicht einmal explizit, ob wir es hier nun mit vulgärem Latein oder mit vulgärem Griechisch (in lateinischer Schrift) zu tun haben. Außerdem wäre sowohl die t-Stamm-Bildung bei "Iudati" als auch das rätselhafte -i- bei "patiri" zu erklären. Beide lassen sich vor einem griechischem Sprachhintergrund gut deuten (Ersteres als Analogiebildung zu Formen wie onomati, Letzteres als Analogiebildung zu patera [intendiert wäre dann pateri]), aber vielleicht gibt es ja auch vulgärlateinische Parallelen.

Auch über den Namen Kassie wüsste man gerne mehr. Die Edioren von Band I identifizieren ihn als das Gentilizium, erwägen aber auch eine Herleitung von dem Namen einer der Töchter Hiobs. Doch bei der letztgenannten Option referieren sie nur auf die hebräische Form; viel interessanter wäre es aber gewesen, die griechische und lateinische Überlieferung zu diesem Namen in den Blick zu nehmen, vgl. etwa Kasian in Hiob 42,14 LXX (mit Varia lectio Kassian) und Kasia in Test Hiob 1,3; 47,1; 49,1 (mit Varia lectio Kassia), Kasias in Test Hiob 49,3 (mit Varia lectio kassias) und kasia in Test Hiob 52,4 (mit Varia lectio Kassia), daneben "Cassiam" in Hiob 42,14 Vulgata. Signifikant ist allein schon die Tatsache, dass der Name in unserer Inschrift, sofern er dort denn tatsächlich vorliegt, genauso deklinabel ist wie in den literarischen Zeugnissen; vielleicht wird es auch den einen oder anderen interessieren, dass die Inschrift die Wiedergabe des Namens mit gedoppeltem /s/ stützt; dies könnte für die Phonetik des hebräischen Sade von Bedeutung sein.

Ein weiteres Problem tritt in diesem Fall vor allem in der letzten Zeile hervor: Dort erscheint plötzlich ein Wort mit griechischen Akzenten. Dies ist nicht der Ausnahmefall, sondern die Regel: Die Editoren der IJO haben sich tatsächlich die Mühe gemacht, sämtliche griechischen Inschriften in byzantinischen Minuskeln mitsamt Akzenten wiederzugeben! Dies Verfahren ist nicht ganz unüblich, aber unangemessen. Wir haben es bei epigraphischen Dokumenten eben nicht wie bei literarischen Texten mit kritisch ermittelten Urtexten zu tun, die immer auch ein Konstrukt sind und daher ohne Weiteres auch mit sekundären Lesehilfen wie etwa Akzenten dargeboten werden können, sondern mit Originaldokumenten. Deren Verfasser sollte man nicht bei den byzantinischen Grammatikern in die Schule schicken, es sei denn, man normalisiert auch gleich noch ihre Orthographie. Dies aber haben die Editoren unterlassen - prinzipiell völlig zu Recht, nur leider mit der Folge, dass man sich Unformen mit irregulärer Orthographie und regulärer Akzentuation gefallen lassen muss. Derartige Sorgen kann man sich sparen, wenn man die Inschriften wahlweise in antiker oder hellenistischer Majuskel wiedergibt. Dann wird auch sinnenfällig, wie wenig sich lateinische und griechische Buchstaben prinzipiell unterscheiden, was gerade bei der hier diskutierten Inschrift von Interesse sein dürfte.

Eine Inschrift kann im Anschluss an die Majuskeltranskription auch in akzentuierter Minuskel wiedergegeben werden, doch dann mit fehlerbereinigter, aber morphematisch vorlagentreuer Orthographie. Ideal wäre m. E. die Wiedergabe einer Inschrift in fünf Darbietungsformen, bei denen das interpretative Moment von Mal zu Mal zunähme: 1. Foto, 2. Faksimile, 3. paläographisch normalisierte Wiedergabe in antiker oder hellenistischer Minuskel ohne Worttrennung unter Beibehaltung der Zeilengliederung, 4. dasselbe mit Worttrennung, 5. Wiedergabe in akzentuierter Minuskel und in normalisierter Orthographie. Entbehrlich sind am ehesten die Darbietungsformen 3 und 5.

Alles in allem hat man es aber mit einem Werk von herausragender Qualität zu tun, das - nicht zuletzt - auch in seiner äußeren Gestaltung überzeugt.