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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

624–626

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Horst, Pieter W. van der

Titel/Untertitel:

Japheth in the Tents of Shem. Studies on Jewish Hellenism in Antiquity.

Verlag:

Leuven-Paris-Sterling: Peeters 2002. IV, 272 S. gr.8 = Contributions to Biblical Exegesis and Theology, 32. Kart. Euro 35,00. ISBN 90-429-1137-9.

Rezensent:

Dieter Sänger

Die frühe rabbinische Tradition deutet Noahs Segen über seinen dritten Sohn: "Gott schaffe Japhet Weite, dass er wohne in den Zelten Sems" (Gen 9,27), auf die Septuaginta als gültige Übersetzung der Tora. Das Schönste von Japhet - die griechische Sprache - sei in den Zelten Sems - dem jüdischen Volk - zu finden (bMeg 9b; BerR 36,8). Später wird dieser Ausdruck zur Metapher für die Herausbildung einer von griechischem Einfluss geprägten jüdisch-hellenistischen Kultur.

Der aus der biblischen Urgeschichte entlehnte Titel des Sammelbandes ist leitmotivisch zu verstehen und hat insofern programmatischen Charakter. In Abbreviatur benennt er den übergreifenden Fragehorizont der 15 Beiträge, die allesamt im Zusammenhang des von van der Horst maßgeblich initiierten und lange Jahre geleiteten Utrechter Forschungsprojekts "The Cultural Milieu of Early Christianity" entstanden sind. Unter verschiedenen Aspekten fokussieren sie die vielfältigen, in manchen Bereichen noch kaum wahrgenommenen Wechselbeziehungen zwischen jüdischer und hellenistischer Kultur, die auch auf das frühe Christentum nachhaltig eingewirkt haben. Inhaltlich wie sachlich knüpfen die Studien an die Ausführungen des 1998 in 2. Auflage erschienenen Vorgängerbandes "Hellenism - Judaism - Christianity. Essays on Their Interactions" an, setzen jedoch noch einmal ganz eigene Akzente. Die meisten Aufsätze wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht. Für die Neuausgabe sind sie durchweg überarbeitet und aktualisiert worden. Nur zwei werden erstmals dargeboten (12. Who was Apion?, 207- 221; 15. Samaritans at Rome?, 251-260). Der zuletzt genannte Beitrag überlappt sich streckenweise mit dem unmittelbar vorhergehenden (14. The Samarita Languages in the Pre-Islamic Period, 235-249). Überschneidungen gibt es auch zwischen 5.The Greek Synagogue Prayers in the Apostolic Constitutions, Book VII (83-108) und weiten Teilen von 6.Jews and Christians in Antioch at the End of the Fourth Century (109-118). Dass sich der Vf. trotz dieser Redundanzen auf einen im Wesentlichen unveränderten Abdruck der ursprünglichen Fassungen entschieden hat (vgl. das Vorwort), ist zu begrüßen. Eine starke Kürzung oder gar Tilgung ganzer Abschnitte hätte die innere Struktur der betroffenen Texte zerstört, die ja als eine Einheit konzipiert sind und aus sich heraus verständlich sein sollen.

Das thematische Spektrum ist breit gefächert. Neben zentralen, an der Schnittstelle von judaistischer und neutestamentlicher Forschung angesiedelten Fragen werden auch solche behandelt, deren z. T. sehr spezifische Problematik am ehesten für den überschaubaren Kreis einschlägig interessierter Spezialisten von Belang sein dürfte. Vielleicht hängt es mit dieser doppelten Zielsetzung des Vf.s zusammen, dass seine Auswahl der Beiträge etwas bunt wirkt und ihre Anordnung eine gewisse Stimmigkeit vermissen lässt. So steht z. B. 2. The Last Jewish Patriarch(s) and Graeco-Roman Medicine (27-36) ziemlich unverbunden neben 3. Neglected Greek Evidence for Early Jewish Liturgical Prayer (37-54). Nach 7. The Tombs of the Prophets in Early Judaism (119-137 [das überzeugende Fazit: "Jews venerated tombs of biblical holy persons as objects of pilgrimage and as places where miracles and intercession ... could be sought", 136]) folgt mit 8. Antediluvian Knowledge (139-158) wiederum ein abrupter Sprung, jetzt auf apologetisches Gebiet: Um den Ursprung der kulturellen Errungenschaften und wissenschaftlichen Erkenntnisse jeweils für sich zu reklamieren, beriefen sich Juden wie Nichtjuden auf das hohe Alter ihrer Wissenstraditionen, deren Gewährsträger bereits vor der großen Flut (Sintflut) lebten. Freilich wird dieses kleine Manko durch den Gewinn, den man aus den Aufsätzen zieht, mehr als wettgemacht. Der den Sammelband eröffnende Beitrag 1. Greek in Jewish Palestine in the Light of Jewish Epigraphy (9-26) - zweifellos eine Pflichtlektüre (nicht nur) für Neutestamentler - wertet alle relevanten epigraphischen Zeugnisse aus, die Rückschlüsse auf die Sprachsituation in Palästina von der hellenistischen bis zur frühbyzantinischen Zeit erlauben. Sie bestätigen die verbreitete Annahme, das Griechische sei für viele die lingua franca, zumindest aber die gebräuchliche Zweitsprache gewesen. Mit 4. Was the Synagogue a Place of Sabbath Worship Before 70 CE? (55-82) schaltet sich der Vf. in die von Heather McKay (Sabbath and the Synagogue, 1994) wieder neu entfachte Diskussion ein, ob es vor der Zerstörung des Zweiten Tempels Synagogen als eigenständige Funktionsbauten gegeben hat und wenn ja, ob in ihnen am Sabbat Gottesdienst gefeiert wurde.

Ergebnis: Selbst beim Anlegen strenger Kriterien gestatten die zur Verfügung stehenden Quellen (Philo, Josephus, rabbinische Texte, Neues Testament, archäologische Befunde), beide Fragen positiv zu beantworten. Andere Beiträge, deren Überschriften nicht unbedingt die ihnen zukommende Bedeutung verraten, erweisen sich als höchst informativ und warten mit z. T. überraschenden Entdeckungen auf. In diese Rubrik gehören 9. Sortes: Sacred Books as Instant Oracles in Late Antiquity (159-189 [glänzend die Typologie antiker Divinationspraktiken]) und 11. Maria Alchemista, the First Female Jewish Author (203-205 [nicht nur für Gender-Bewegte zur Lektüre empfohlen; wer weiß schon, dass es sich um die Erfinderin des Wasserbades, des balneum Mariae handelt, die damit Küchengeschichte geschrieben hat?]).

Einmal mehr präsentiert sich der Vf. als ein exzellenter Kenner des antiken Judentums und seiner paganen Umwelt, der darüber hinaus bis in die altkirchliche Überlieferung ausgreift. Die Fülle des herangezogenen literarischen, epigraphischen, numismatischen und archäologischen Quellenmaterials beeindruckt ebenso wie die Weite des durchmessenen geschichtlichen Raums (4./3. Jh. v. Chr. bis 6. Jh. n. Chr.). Bei kontrovers diskutierten Fragen werden die positionellen Alternativen deutlich herausgearbeitet und, wo möglich, in ihrem relativen Recht gewürdigt. Die stets an den Primärquellen orientierten, auf unkalkulierbare Hypothetik verzichtenden Interpretationen sind frei von vorgängigen Fixierungen. Sie zeichnen sich durch sprachliche Klarheit, analytische Schärfe und ein abgewogenes, gleichwohl profiliertes Urteil aus. Dass mit ihnen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und sie der kritischen Prüfung bedürfen - Selbstkorrekturen eingeschlossen -, weiß der Vf. nur zu gut. Am Ende des Vorworts schreibt er: "I hope that the readers will experience as much pleasure reading these contributions as I did writing them" (4). Wenn das erhoffte Lesevergnügen dann auch noch zu einem konstruktiven Dialog mit dem Vf. führt, und zwar auf einem Niveau, für das er Maßstäbe gesetzt hat, um so besser. Ein Personen- und Sachregister sowie ein Stellenverzeichnis runden den ertragreichen Aufsatzband ab.