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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

615–617

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Thrall, Margaret]

Titel/Untertitel:

Paul and the Corinthians. Studies on a Community in Conflict. Essays in Honor of Margaret Thrall. Ed. by T. J. Burke and J. K. Elliott.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2003. XXIV, 349 S. m. 1 Porträt. gr.8 = Supplements to Novum Testamentum, 109. Geb. Euro 95,00. ISBN 90-04-12920-0.

Rezensent:

Christian Wolff

Die hohe internationale Wertschätzung, deren sich M. E. Thrall erfreut, beruht auf ihren profunden Paulusstudien, vor allem auf ihrem großen Kommentar zum Zweiten Korintherbrief (vgl. die Rezension von K.-M. Bull, ThLZ 127 [2002], 401- 403). Schüler und Freunde haben die Festschrift zum 75. Geburtstag der in Wales wirkenden Neutestamentlerin daher auf Themen zu den Korintherbriefen konzentriert.

Den ersten Teil ("Text and Traditions") beginnt J. K. Elliott (3-15) mit einer Untersuchung der Textvarianten zu den nomina sacra in den Korintherbriefen, in der die Austauschbarkeit bzw. Anpassungsfähigkeit dieser Namen konstatiert wird. - M. M. Mitchell (17-53) zeigt anhand der Korintherkorrespondenz, wie die Interpretation der paulinischen Briefe mit dem Apostel selbst beginnt, der seine Ausführungen des Öfteren erläutert bzw. vor Missverständnissen schützt und in späteren Briefen dialogisch mit den Lesern des früheren Briefes auf deren Fragen und Einwände eingeht. Die subtilen Beobachtungen sind auch dann aufschlussreich, wenn man der Vfn. in der Aufteilung des 2Kor in fünf Einzelbriefe (von denen 2Kor 8 den ältesten darstellen soll) nicht folgt. - C. Tuckett (55- 73) vergleicht 1Kor 2,9 mit Thomasevangelium 17 und kommt zu dem vielfältig abgesicherten Ergebnis, dass im Thomasevangelium eine sekundäre Fassung von 1Kor 2,9 vorliegt. - N. L. Collins (75-92) weist für 2Kor 3,7-11 bewusste Abweichungen vom Kal-va-chomer-Schluss nach. Darüber hinaus wird vermutet, dass Paulus zuerst 3,9, dann 3,7 f. als Erweiterung, dann 3,11 als spätere Version von V. 7 f. in einem Notizbuch formulierte, auf das er beim Schreiben des 2Kor zurückgriff. Warum der Apostel sämtliche "Vorarbeiten", noch dazu in abweichender Reihenfolge, übernahm, wird nicht erörtert.

Im zweiten Teil ("Culture, Conflict and the Rhetoric of Paul") informiert zunächst T. J. Burke (95-113) über die in 1Kor 4,14-21 enthaltenen spätantiken Charakteristika des Vater-Kind-Verhältnisses und meint, Paulus wolle im Gegensatz zu rivalisierenden Hausgemeinden die korinthischen Christen als eine Familie mit ihm als Vater darstellen. Röm 16,23 schränkt die Annahme von der Existenz verschiedener Hausgemeinden in Korinth jedoch ein. - C. A. Wanamaker (115-137) analysiert die Rhetorik in 1Kor 1-4 unter der Fragestellung, wie Paulus angesichts der Gefährdung seines Ansehens seine Autorität als Apostel und Gründer der Gemeinde geltend macht. Der dabei des Öfteren betonte Herrschaftsaspekt wäre freilich gegenüber 2Kor 1,24 abzuklären. - B. W. Winter (139-155) ermittelt, dass sich 45 % des 1Kor mit rein innergemeindlichen Konflikten befassen, die in Kap. 12-14 abschließend beantwortet werden. 48 % haben Verhaltensweisen zum Inhalt, die auf durch Konformitätsdruck verursachte Kompromisse mit den sozialen und ethischen Verhältnissen in der römischen Kolonie zurückzuführen sind. Zu diesen Konflikten, denen ein bestimmtes Leibverständnis zu Grunde liegt, werde in Kap. 15 das letzte Wort gesagt. - C. Marsh (157-176) wendet die Reader-response-Methode auf die Betrachtung der paulinischen Auseinandersetzung mit den korinthischen Gruppen an. Bestimmend ist dabei die Frage nach der Normativität der Theologie des Apostels für die Gegenwart. - J. Renshaw (177-193) spürt der Booleschen Logik in der theologischen Argumentation vor allem in den Korintherbriefen nach und erkennt darin die Aufnahme rhetorischer Logik aus der hellenistischen Umwelt.

Am Anfang des dritten Teils ("Theology in the Letters") verteidigt G.D. Fee (197-213) eingehend den breiten Konsens im Verständnis von 1Kor 7,1b (sexuelle Beziehungen), 7,2 (Unzucht; Vollzug des ehelichen Lebens) und 7,6a (Bezug auf V. 5b). - L. L. Belleville (215-231) stützt unter Berücksichtigung der spätantik-römischen Haar- und Kleidermode die Sicht, dass in 1Kor 11,2-16 von den Frauen eine Bedeckung ihres Kopfes mit dem Obergewand gefordert wird, und betont die theologische Ausrichtung sowie die prinzipielle Gleichheit der Geschlechter in den paulinischen Überlegungen. - M. D. Hooker (233-239) entfaltet ihr Verständnis der Wendung pistis Christou als Genitivus subjectivus in einer tief schürfenden Exegese von 2Kor 1,17-24: Wer "in Christus" ist, hat Anteil an der Treue Christi, in dem sich Gottes Treue verkörpert. Die Treuesprüche (vg. 1Kor 1,9 u. ö.), auf die für diese Sicht verwiesen wird, sind jedoch stets Gottesaussagen, für Christus wird das Adjektiv "treu" bei Paulus nicht gebraucht. - P. Woodbridge (241-258) argumentiert gut begründet gegen die These einer Entwicklung in der paulinischen Vorstellung vom Zeitpunkt der Auferstehung zu Gunsten eines sich auch in 2Kor 5 durchhaltenden Bezugs auf die Parusie. Phil 1,23 findet zwar keine Berücksichtigung, lässt sich aber in die Interpretation von 2Kor 5, 6-8 integrieren. - J. Lambrecht (259-266) betont in einer konzentrierten Exegese von 2Kor 4,6-5,10 die Beziehung des "äußeren Menschen" (4,16) auf das soma, wobei aus 5,1 ersichtlich ist, dass der Mensch durchaus einen Leib "haben" kann. - A. J. M. Wedderburn (267-283) erklärt die "surprising logic" in 2Kor 5,14 aus dem paulinischen Verständnis des Todes Jesu als lebensschaffendes Gericht Gottes, in das der Mensch durch die Proklamation dieses Geschehens, vor allem im Akt der Taufe, einbezogen wird. Zu Recht wird für ein komplementäres Verständnis aller soteriologischen Aspekte in der paulinischen Theologie plädiert.

Zu Beginn des vierten Teils ("Sects, Polemic and the Apologetics of Paul") weist C. K. Barrett (287-302) die im 1Kor erörterten zahlreichen Gemeindeprobleme jeweils verschiedenen Gruppen, vor allem den in 1,12 genannten, zu (die Paulusgruppe wird übergangen). Dass im 2Kor nicht mehr die im 1Kor angesprochenen Probleme reflektiert werden, sondern durchweg der Apostolat thematisiert ist, zeige keine Erledigung der alten Streitpunkte an, sondern deren Verdrängung durch antipaulinische Aktivitäten. Haben die Zwischenereignisse (Besuch des Timotheus, Paulus und Titus) nicht zu weiterer Klärung der im 1Kor diskutierten Fragen beitragen können? - M. D. Goulder (303-312) bestreitet, dass Paulus mit dem "Menschen in Christus" (2Kor 12,2) sich selbst meint. Vielmehr argumentiere der Apostel mit dem Erlebnis eines ihm bekannten Christen und betone in V. 4b gegenüber den sich ihrer Visionen rühmenden Opponenten, dass man über solche Erfahrungen nicht sprechen dürfe. Aber in V. 4b geht es nur um die gehörten Worte, die vor Profanierung geschützt werden sollen, nicht um das bei der Entrückung Geschaute. Überdies bezeugen bereits die frühchristliche "Apokalypse des Paulus" - deren Charakteristika V. K. Robbins (327-339) in instruktiver Weise präsentiert - und z. B. auch Johannes Chrysostomus, dass ein Bezug auf Paulus selbst das Nächstliegende ist. - Nach P. Barnett (313-326) prägt die Selbstverteidigung des Paulus die beiden Korintherbriefe in besonderer Weise. Die Mehrzahl der verhandelten Probleme wird auf Einflüsse von Apollos und Kephas zurückgeführt, die beide (!) vor Abfassung des 1Kor die Gemeinde besuchten. Man fragt sich dann aber, warum Paulus den Apollos "oft gebeten" hat, erneut nach Korinth zu kommen (1Kor 16,12) und weshalb weder er noch Kephas/Petrus im 2Kor erwähnt werden.

Insgesamt enthält die Festschrift vielseitige und wichtige Impulse für die weitere Arbeit an den Korintherbriefen und stellt somit eine würdige Ehrung der Jubilarin dar. Es fällt auf, dass in den meisten Beiträgen die Diskussion mit europäisch-kontinentalen Publikationen, wenn überhaupt, nur marginal erfolgt. Niveauvolle anglophone Exegese kann also weithin ohne diese auskommen; das sollte nachdenklich stimmen.