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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

610–615

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

1) Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. von H. D. Betz, D. S. Browning, B. Janowski, E. Jüngel. Bd. 4: I-K.

2) Bd. 5: L-M.

3) Bd. 6: N-Q.

Verlag:

1) Tübingen: Mohr Siebeck 2001. LXXII, 1924 Sp. 4. Lw. Euro 214,00. ISBN 3-16-146944-5.

2) Tübingen: Mohr Siebeck 2002. LXXVI, 1704 Sp. 4. Lw. Euro 214,00. ISBN 3-16-146945-3.

3) Tübingen: Mohr Siebeck 2003. LXXX, 1896 Sp. 4. Lw. Euro 214,00. ISBN 3-16-146946-1.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Die vierte, völlig neu bearbeitete Auflage des Lexikons "Religion in Geschichte und Gegenwart" (RGG) steht kurz vor dem Abschluss. In ThLZ 126 (2001), 852-860 wurden die ersten drei Bände besprochen, die 1998 bis 2000 herauskamen. Seither ist, wie geplant, jedes Jahr ein weiterer Band erschienen. Der achte und letzte Band ist für 2005 angekündigt. Dass dieses lexikalische Großprojekt ganz im Zeitplan liegt, ist eine beachtliche verlegerische und wissenschaftliche Leistung, denkt man nur an die "Theologische Realenzyklopädie", die jeden vernünftigen Zeitrahmen und Umfang gesprengt hat und immer noch auf ihren Abschluss warten lässt. Hier sollen nun die Bände 4 bis 6 vorgestellt werden.

Was grundsätzlich zum Gesamtplan und zur Absicht der vierten Auflage in der oben genannten Rezension ausgeführt wurde, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Die an den ersten drei Bänden beobachteten Stärken und Schwächen treten auch in den weiteren Bänden auf. Gegenüber der dritten Auflage hat die Zahl der Lemmata zugenommen. Stichwörter, die früher einem größeren Hauptartikel zugeordnet waren, findet man nun als Einzelartikel. Das erspart oftmals das mühsame Suchen im Register und erhöht die Benutzerfreundlichkeit des Werkes. Die vierte Auflage enthält z. B. einen eigenen Artikel "immanente/ ökonomische Trinität" (M. Mühling-Schlapkohl, Bd. 4, 58). Das Stichwort findet man in der dritten Auflage nicht einmal im Registerband. Manche der neuen Lemmata sind allerdings sehr speziell, z. B. "Intellektuellenreligiosität" (A. Reuter, Bd. 4, 183) oder "Intelligent Design-Theorie" (W. A. Dembski, Bd. 4, 183-184). Die Neigung zur Kleinteiligkeit zeigt sich, wie schon in den früheren Bänden, häufig auch in der Gliederung größerer Stichwortartikel. Das gereicht der Gesamtdarstellung nicht immer zum Vorteil, jedenfalls dann nicht, wenn relativ kleine Abschnitte unter verschiedene Einzelautoren aufgeteilt werden. Und auch die Unausgewogenheit beim Umgang mit den Literaturangaben ist ein weiteres Mal zu beklagen. Der Artikel "Judentum III. 19. und 20. Jahrhundert" (M. A. Meyer), immerhin vier Spalten lang (Bd. 4, 624-627), führt am Ende nur drei Buchtitel an, wogegen die Bibliographie zum Stichwort "Kommunitarismus II. Ethisch" (W. Reese-Schäfer, Bd. 4, 1531-1532) - der Artikel ist gut eine Spalte lang - immerhin zwölf Titel umfasst. Erfreulich ist dagegen die Zahl neuer Namensartikel, die man in RGG3 nicht findet. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, dass Namensartikel aus der dritten Auflage in der vierten Auflage fehlen. So fehlen in der Neuauflage die Päpste Innozenz II., VII., VIII., IX., X., XII. und XIII. Anders als in der dritten Auflage sind übrigens die Buchstaben I und J getrennt. Auch das erleichtert den Gebrauch des Werkes.

An der vierten Auflage haben wieder zahlreiche Autoren aus aller Welt mitgearbeitet. Auch aus der Feder der Herausgeber und der Fachberater stammen etliche Artikel. Manche von ihnen bringen es auf eine stattliche Zahl. Einsame Spitze ist E. Herms mit sage und schreibe 50 Artikeln allein in den hier zu besprechenden drei Bänden. Aber auch F. W. Graf ist mit 46 Artikeln ein Vielschreiber, wogegen es E. Jüngel mit einem einzigen Artikel zum Stichwort "Perichorese" (Bd. 6, 1109-1111) gut sein lässt. Herms' Themen reichen von "Ideal", über "Kulturstaat" bis "Lehramt", von "Liebe" über "Medien" bis "Moral", von "Naturrecht" über "Ordnung" bis "Person". Die thematische Breite und Souveränität, mit der Herms dogmatische wie ethische Begriffe bearbeitet, ist eindrucksvoll. Gelegentlich macht sich bei ihm allerdings die Neigung bemerkbar, Lexikonartikel als Instrumente der Theoriepolitik einzusetzen.

Aus der Fülle der Stichwörter können zur Besprechung nur wenige Artikel ausgewählt werden. Neu gegenüber der dritten Auflage ist zum Beispiel das Lemma "innerer Mensch" (Bd. 4, 154-157). Dieser Artikel von Ch. Markschies, W. Burkert, G.-D. Betz und M. Heesch gibt einen guten Überblick über Begriff und Vorstellung in der Antike, dem Neuen Testament, der Alten Kirche und in der Systematischen Theologie von Luther bis Ritschl, Letzteres zwar knapp, aber informativ.

Umfangreicher als in der dritten Auflage ist z. B. der Artikel "Inkarnation" (Bd. 4, 139-142; M. Burger/C. Gunton). Der entsprechende Artikel in Bd. 3 der dritten Auflage (753-754, F. C. Grant) war ausschließlich religionsgeschichtlich. In der vierten Auflage ist das Stichwort um einen religionsphilosophischen und einen dogmengeschichtlichen Abschnitt erweitert.

In 30 Spalten informiert die vierte Auflage (Bd. 4, 250-280) über den Islam, seine Entstehung und Verbreitung, speziell auch über den Islam in Europa und in Nordamerika, über islamische Philosophie und Kunst sowie über den modernen politischen Islamismus. Ergänzt wird die Darstellung durch zwei Abschnitte über Christentum und Islam sowie über das Verhältnis von Judentum und Islam. Im Vergleich zur dritten Auflage (Bd. 3, 907-932) ist der Islam-Artikel übersichtlicher gegliedert. Verzichtet wird auch auf die apologetische bzw. polemisch-missionarische Ausrichtung mancher Teile des Artikels in der dritten Auflage, die schon durch Überschriften wie "Die biblische Botschaft gegenüber dem Islam" (Bd. 3, 920-923) oder "Christliche Mission unter Mohammedanern" (923-928) zum Audruck kam. Der Artikel ist insgesamt sehr gelungen. Die Darstellung, die A. Schimmel in der dritten Auflage (Bd. 3, 907-920) gegeben hat, bleibt aber daneben durchaus weiterhin lesenswert.

Vom Neuen Testament bis zum zeitgenössischen Film reichen die Themen des umfangreichen Artikels "Jesus Christus" (Bd. 4, 463-502). J. Roloff gibt eine ausgewogene Darstellung zum Stand der Jesus-Forschung (463-467), P. Pokorny' informiert über die Anfänge neutestamentlicher Christologie (467-470). Im Vergleich mit dem großen Artikel "Jesus Christus" von H. Conzelmann in der dritten Auflage (Bd. 3, 619-653) ist der Informationsgehalt jedoch geringer. Wenn es um die Methodenprobleme, die Geschichte der Frage nach dem historischen Jesus und ihre theologiegeschichtlichen Zusammenhänge, aber auch um die Exegese und Theologie der einschlägigen neutestamentlichen Texte geht, bleibt Conzelmanns Artikel unübertroffen. Durch die "third quest" der Jesus-Forschung in den vergangenen beiden Jahrzehnten ist Conzelmanns Darstellung nicht überholt. Wer sich über das historische und das systematisch-theologische Problem des historischen Jesus informieren will, greife nach wie vor besser zur dritten Auflage der RGG. Immerhin findet man manches von dem, was man unter dem Lemma "Jesus Christus" vermisst, im Artikel "Christologie I. Urchristentum" in Bd. 2, 272-288 (M. Karrer). Dass die Autoren der vierten Auflage ausgewiesene Vertreter ihres Faches sind, die ihr Bestes getan haben, soll nicht in Abrede gestellt werden. Die Kritik richtet sich in erster Linie gegen das Gesamtkonzept des Artikels und somit an die Herausgeber, die für die Vorgaben, also Gliederung und Umfang der einzelnen Beiträge verantwortlich zeichnen. Die weiteren Abschnitte des Artikels in der vierten Auflage informieren über Jesus Christus in der Geschichte des Christentums, in der Religionsgeschichte, in der Sicht des Judentums und des Islam sowie in der künstlerischen Darstellung. Der Bogen spannt sich von der Frömmigkeits-, der Sozial- und der Missionsgeschichte über die bildende Kunst, Musik und Literatur bis zum Film. Das ist sehr zu begrüßen, weil in dieser Hinsicht die Schwächen eher auf Seiten der dritten Auflage der RGG und ihrem Artikel "Jesusbild der Gegenwart" (C. H. Ratschow, Bd. 3, 655-663) zu finden sind. Dessen Gewicht liegt nämlich zu einseitig auf systematisch-theologischen Fragestellungen.

Zu den gewichtigen Artikeln der Neuauflage gehört derjenige zum Lemma "Kirchengeschichte/Kirchengeschichtsschreibung" (Bd.4, 1170-1196). Er hat gegenüber der 3. Auflage einen erheblich größeren Umfang. Besonders hervorgehoben sei die Einbeziehung der Kirchengeschichte außerhalb Europas (1191-1193, K. Koschorke) sowie der christlich-orientalischen Kirchengeschichtsschreibung 1193-1194, S. Gerö/Ch. Markschies). Dieser Artikel, an dem Autoren wie E. Plümacher, A.Beutel und H. Ch. Brennecke mitgewirkt haben, ist insgesamt sehr zu empfehlen. Lehrreich ist insbesondere Ch. Markschies' Darstellung und Diskussion der Begrifflichkeit und der Voraussetzungen von Kirchengeschichtsschreibung in Geschichte und Gegenwart (1170-1179).

Deutlich umfangreicher als in der dritten Auflage wird das Stichwort "Liebe" in der Neuauflage (Bd. 5, 335-349) abgehandelt, zumals es noch eigens einen Artikel zum Stichwort "Liebe Gottes und Liebe zu Gott" (350-359) gibt. Allerdings gibt es zwischen dem Abschnitt "Liebe II. Biblisch" und den alt- und neutestamentlichen Abschnitten im Artikel "Liebe Gottes und Liebe zu Gott" Überschneidungen. Auch wundert man sich, dass es keinen humanwissenschaftlichen, sondern nur einen praktisch-theologischen Unterabschnitt gibt, der die sozialwissenschaftlichen, sexualwissenschaftlichen und psychologischen Aspekte des Themas kurz streift. Die religionsphilosophischen, ethischen und systematisch-theologischen Abschnitte tragen die Handschrift von K. Stock und E. Herms.

Breiten Raum nehmen in der Neuauflage Stichwörter zum Begriffsfeld "Literatur" ein. Die starke Aufnahme der Literaturwissenschaft ist erfreulich. Es gibt ausführliche Artikel zu "Literatur und Religion" (B. Auerochs, Bd. 5, 391-403), zu "Literatur/Literaturgeschichtsschreibung" im Alten und Neuen Testament, in Judentum und Kirchengeschichte (403-425), sowie zur biblischen Literaturwissenschaft (425-429, Ch. Hardmeier). Hier zeigt sich gegenüber der dritten Auflage der methodische Fortschritt auf dem Feld der Exegese, der durch die Auseinandersetzung mit Linguistik, Semiotik, Strukturalismus und poststrukturalistischen Texttheorien zu Stande gekommen ist.

Dem Vergleich mit G. Ebelings Luther-Darstellung in Bd. 4 der dritten Auflage (480-520) muss sich der Luther-Artikel von R. Schwarz in Bd. 5 der Neuauflage (558-588) stellen, der um einen Abschnitt über Luthers Wirkung aus der Feder von K.-H. zur Mühlen (588-600) ergänzt wird. (Die dritte Auflage hatte dafür als eigenes Stichwort "Lutherbilder" [Bd. 4, 523-527, O. Thulin]). Für die These, Luthers Theologie sei eine im Wesentlichen einheitliche Theologie, die nicht nach der gängigen Abfolge von Lehrpunkten aufgebaut ist, beruft sich Schwarz auf die neuere Lutherforschung, vor allem von Ebeling (573). Andernfalls werde man den Eigentümlichkeiten von Luthers Theologie nicht gerecht, welche "umfassender das Grundverständnis der christ[lichen] Rel[igion] berührt" (ebd.). Die richtungweisende Bedeutung Ebelings für die Lutherforschung im 20. Jh. unterstreicht auch K.-H. zur Mühlen im Artikel "Luther III. Wirkung" (596 f.). Schwarz gibt zunächst eine gediegene Darstellung von Luthers Leben und theologischer Entwicklung, die sich methodisch an der Chronologie und Entstehung von Luthers Schriften orientiert. In der Frage nach Zeitpunkt und Inhalt von Luthers reformatorischer Entdeckung gehört Schwarz zu denjenigen, die einen Kompromiss zwischen Früh- und Spätdatierung vertreten (559 f., vgl. auch zur Mühlen, 597). Schwarz spricht von Luthers "Schwellenzeit" (573), in der "immer deutlicher" aus einem augustinisch gefärbten Paulinismus der evangelische Paulinismus wurde (561). Da sich Luther über das biographische Erlebnis seiner reformatorischen Entdeckung chronologisch unscharf äußert, empfiehlt es sich nach Schwarz nicht, "seine theol[ogische] Entwicklung möglichst unabhängig von jenem Vorgang nachzuzeichnen" (560).

Systematisch lässt sich Luthers Theologie nach Schwarz "als Unterweisung in der christ[lichen] Rel[igion]" darstellen (573). Die Rechtfertigungslehre ist nicht nur der wichtigste Lehrgegenstand unter anderen, sondern in ihr bündelt sich Luthers Grundverständnis des göttlichen Heilshandelns und des auf ihn bezogenen Glaubens. Schwarz gliedert seine systematische Darstellung der Theologie Luthers folgendermaßen: a) Schriftprinzip, b) das Evangelium des Jesus Christus und der Glaube, c) das Gesetz in Differenz zum Evangelium, d) die Befreiung des Menschen vom Unheil zum Heil, e) die Person des Jesus Christus in ihrem Mittlerdienst, f) der Glaube in seiner Heilsgewissheit, g) die Ethik der Nächstenliebe, h) die Kirche mit ihrem Auftrag. Durchgängig spricht Schwarz von der "christlichen Religion", wobei er auf die Überschneidung von Luthers Religionsbegriff und seinem Theologiebegriff hinweist (573). Der Glaube wird von Schwarz als "religiöses Prinzip" (574.581) Luthers definiert, das an die Stelle der Gottesliebe trete, die seit Augustin die Funktion des religiösen Prinzips erfüllte (574). Dieser Begriff irritiert insofern, als Luther selbst die Klarheit der Schrift als "principium" aller Theologie bezeichnet hat (WA 7,97,26 ff.; 7,317, 1 ff.). Der Glaube ist bei Luther eine Existenzbewegung. Was hier der Begriff "religiöses Prinzip" bedeuten soll, wäre zu diskutieren. Verkürzend ist auch der Ausdruck "Schriftprinzip" für Luthers Schriftverständnis. Warum erfährt man außerdem inhaltlich so wenig über Luthers Schriftauslegung, vor allem über seine Paulusexegese? Die Galatervorlesungen und die Römerbriefauslegung werden wie die anderen exegetischen Vorlesungen Luthers zwar aufgelistet, jedoch kaum kommentiert. Ganz anders kommt demgegenüber der Exeget Luther bei Ebeling zu Wort. Interessanterweise koppelt Schwarz die Schriftlehre von der Verkündigung des Evangeliums und den Sakramenten ab, die er erst im Abschnitt über die Kirche und ihren Auftrag behandelt (586 f.). Das hängt offenbar damit zusammen, dass der Begriff des Wortes Gottes für seine Lutherdarstellung keine konstitutive Bedeutung hat. Der Unterschied zu Ebeling, der seine historische Lutherdeutung mit einer theologischen Hermeneutik des Wortes Gottes verband, wird hieran besonders deutlich. So wird aber auch die Möglichkeit verspielt, den Unterschied zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, zwischen Geist und Buchstabe und die Pointe von Luthers Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium in diesem Kontext zu verdeutlichen. Kaum beachtet wird auch Luthers Begriff der promissio (vgl. O. Bayer), der nicht nur für sein Verständnis des Evangeliums, sondern auch für die Struktur des Glaubens zentral ist. Wohl spricht Schwarz von der zugesprochenen Gerechtigkeit (579) und von "Gottes Heilszusage" (582), aber der Begriff der promissio selbst taucht nicht auf, auch nicht in der Darstellung von Luthers Kritik am spätmittelalterlichen Bußsakrament (vgl. 579). Das überrascht. Bemerkenswert ist auch, dass der Gotteslehre Luthers kein eigener Abschnitt gewidmet wird. Lässt sich das mit der Kritik an einer systematischen Darstellung von Luthers Theologie, die sich am Aufriss einer Normaldogmatik orientiert, hinreichend begründen? Zumindest hätte wohl Luthers Unterscheidung zwischen dem Deus praedicatus und dem Deus absconditus in "De servo arbitrio" eine ausführlichere Darstellung verdient als nur die beiläufige Bemerkung: "In seiner vielschichtigen Auseinandersetzung mit der Argumentation des Erasmus bündelt L[uther] in der Glaubensgewißheit die ganze, auf Gott bezogene Wirklichkeitserfahrung des Menschen, auch die disparaten Erfahrungen von Zufälligkeit und Notwendigkeit sowie die Erfahrung eigener, geschöpflicher Endlichkeit, für die Gott verborgen bleibt, wenn er sich nicht in seinem Wort mitteilt" (582 f.). Eher beiläufig verwendet Schwarz auch den Begriff des Gewissens (578), der für Ebelings Luther-Deutung zentral ist. Die Luther-Darstellung von Schwarz ist zweifellos lehrreich und profund. Wer sich aber intensiv mit Luther beschäftigen möchte, kommt nach wie vor an Ebelings Luther-Artikel in der 3. Auflage der RGG, der Maßstäbe gesetzt hat, nicht vorbei, selbst dann nicht, wenn man Ebelings Hermeneutik des Wortes Gottes nichts mehr abgewinnen zu können meint.

Als ein letztes Beispiel wählen wir den Artikel "Praktische Theologie" aus (Bd. 6, 1560-1567, Ch. Grethlein/M. Meyer-Blank). Er zeigt schön das programmatische Bemühen der vierten Auflage, die RGG zu internationalisieren. So erfährt man nicht nur etwas über den Begriff und heutige Theorieprobleme der Praktischen Theologie, sondern auch über ihre geschichtliche Entwicklung in Deutschland, den USA, den Niederlanden, in Großbritannien, dem französischen Sprachbereich und Osteuropa. (Warum wird Osteuropa im Zwischentitel unterschlagen?) Außerdem werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen evangelischer und katholischer Praktischer Theologie herausgearbeitet. Interessant wäre vielleicht auch ein Blick in den skandinavischen Raum gewesen, der in der deutschsprachigen Theologie oft zu Unrecht vernachlässigt wird. Der Artikel "Praktische Theologie" von W. Jannasch in der dritten Auflage der RGG (Bd. 5, 504-510) hatte seinerzeit immerhin einen kurzen Hinweis zur Situation der Praktischen Theologie in Dänemark und in Schweden gegeben (505). Der neue Artikel ist insgesamt sehr informativ. Er gibt einen präzisen Überblick über die gegenwärtige Diskussionslage im Fach, z. B. über die Differenz zwischen stärker wahrnehmungsorientierten und stärker handlungswissenschaftlich orientierten Konzeptionen. Grethlein nimmt eine Mittelstellung ein. Die "kulturhermeneutische Horizonterweiterung" sei für die Förderung kirchlicher Praxis ebenso unerlässlich "wie umgekehrt der Bezug auf Kirche zu forschungsstrategischer und theol[ogischer] Präzision verhilft" (1565). Theologische Grundlage für diese gewissermaßen vermittlungstheologische Position könnte der von E. Lange geprägte Begriff der "Kommunikation des Evangeliums" sein, der auch für die Klärung des Verhältnisses der Praktischen Theologie zu den übrigen theologischen Disziplinen hilfreich sei. Zuzustimmen ist Grethlein speziell darin, dass insbesondere die biblischen Fächer wieder stärker ins Blickfeld der Praktischen Theologie rücken sollten (ebd., unter Hinweis auf H. Schwier).

Die wenigen Beispiele an ausgewählten Artikeln können bestenfalls einen ersten Eindruck vermitteln. Die Summe an Wissen, welche die vierte Auflage der RGG für den Fachkundigen wie für den allgemein Interessierten bietet, lässt sich auf diese Weise nicht umfassend würdigen. Die RGG war und ist ein Standardwerk. Dank der Neuauflage wird sie es auch für weitere Jahrzehnte bleiben. Die Zahl der Lemmata hat in der nun auf acht Bände angewachsenen RGG deutlich zugenommen. Das ist zu begrüßen. Zwischen der Menge der Artikel und ihrer Länge ein ausgewogenes Verhältnis zu finden, ist für die Herausgeber und die Fachberater gewiss nicht immer leicht. Der stichprobenartige Vergleich mit der dritten Auflage zeigt in dieser Hinsicht manche Vorzüge der Neuauflage, aber auch einige Schwächen. Bei allem Zuwachs an Wissen und neuen Fragestellungen in der vierten Auflage braucht die dritte Auflage den Vergleich nicht zu scheuen. Ihren wissenschaftlichen Rang wird man ihr nicht so leicht streitig machen. In der Theologie und den Geisteswissenschaften ist die Halbwertzeit wissenschaftlicher Werke deutlich länger als z. B. in den modernen Naturwissenschaften. Viele Artikel der dritten Auflage sind von bleibendem Wert, nicht nur für den theologiegeschichtlich Interessierten, sondern auch für den, der sich heute informieren möchte. Die vierte Auflage hat ihre Bewährungsprobe noch vor sich.