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Ausgabe:

Juni/2005

Spalte:

607–610

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Pinnock, Clark H.]

Titel/Untertitel:

Semper reformandum. Studies in Honor of Clark H. Pinnock. Ed. by St. E. Porter and A. R. Cross.

Verlag:

Carlisle: Paternoster 2003. XIII, 414 S. m. 1 Porträt. gr.8. Kart. Euro 32,72. ISBN 1-8422-7206-3.

Rezensent:

Ulrich L. Lehner

Clarke Pinnock kann als einer der einflussreichsten und stimulierendsten evangelikalen Theologen der englischen Sprachwelt betrachtet werden. Anlässlich seines 65. Geburtstages und der Emeritierung als Professor für Systematische Theologie an der McMaster University (Kanada) entstand die vorliegende Festschrift, die P.s theologische Ansätze disputiert.

Barry L. Callen, der bereits eine intellektuelle Biographie P.s publizierte, stellt in einem ersten Beitrag mehr deskriptiv Leben und Werk des Jubilars dar (1-15). Dagegen unternimmt Roger E. Olson den Versuch einer Einordnung des theologischen Denkens P.s (16-37). Er rechnet ihn zur "postkonservativen" Strömung innerhalb der evangelikalen Theologie, die sich mit dem status quo ihrer Wissenschaft nicht abfindet und eingedenk der vier Säulen ihres Bekenntnisses (Biblizismus, Konversions- und Kreuzzentriertheit sowie aktive Mission) eine Erneuerung herbeizuführen sucht, die keineswegs "anti-konservativ" (17) ist, sondern vielmehr eine Flexibilität und Dynamik in den theologischen Erklärungsmodellen einfordert. Postkonservative Theologie ist also ganz und gar nicht "postevangelikal" (20), sondern etabliert vielmehr die "Vision einer kritischen und generösen Orthodoxie" (21), welche die Bedingtheit der theologischen Sprache anerkennt, auf Erfahrungsbezogenheit pocht (23) und ökumenisch ausgerichtet ist. Besonders stark ist die Kritik der genannten Bewegung, der P. als Speerspitze vorsteht, am klassischen Theismus, wie er sich aus der aristotelisch geprägten Scholastik entwickelte.

Gregory A. Boyd analysiert daher die für P. entscheidende Frage nach der prinzipiellen Offenheit der Zukunft (38-58). Dabei zeigt er, dass P. sich seit den 1970er Jahren vom scholastischen Axiom des "unbewegten Bewegers" zu Gunsten eines Bildes von Gott als dem "am meisten bewegten Beweger" abwandte. Diese Sicht führte zur Etablierung des so genannten "offenen Theismus", der impliziert, dass die Zukunft prinzipiell offen ist und sich freie Handlungen dem Vorherwissen Gottes entziehen (neben P. verneinen etwa auch W. Hasker, R. Rice, R. Swinburne, J. Polking- horne und K. Ward eine praescientia Dei). Grund dafür ist ein libertinistisches Freiheitsverständnis. Denn ein totales Vorherwissen der Zukunft würde die Bestimmtheit aller Ereignisse implizieren, was die Freiheit, Handlungen so und nicht anders zu setzen, verneinen würde (43). Der offene Theismus hat nach Boyd den weiteren Vorteil, dass er parallel zu den postmodernen Dynamiktheorien zu sehen ist und daher die Verkündigung erleichtert (45). Er kritisiert aber auch, dass P. in seinen Werken philosophisch nicht darauf eingeht, seinen Gegnern die Vernachlässigung von kontrafaktischen "might"-Propositionen nachzuweisen (52). Boyd geht davon aus, dass Gott allwissend ist und keine falschen Meinungen besitzt, dass sein Vorherwissen freier Handlungen allerdings mit so etwas wie moralischer Gewissheit - er selbst benutzt den Begriff nicht!- geschieht. Die bisher nicht unternommene Auseinandersetzung Boyds, P.s u. a. mit der historischen Analyse des Konzepts der "moralischen Gewissheit" durch T. Ramelow und S. Knebel würde erheblich zur philosophischen Schärfung ihrer Position beitragen.

Delwin Brown hingegen expliziert, dass "agape" das Wesen eines "offenen" Gottes ausmacht (59-72) und Robert Cook geht in seinem Beitrag "Knowing and Supposing: The Prescience of God" (73-93) auf kritische Anfragen an den offenen Theismus ein. Dabei macht er darauf aufmerksam, dass es in den letzten Jahrzehnten zu einer Revision des Zeitbegriffs gekommen sei, die in der Theologie in der Betonung der "Heiligung der Zeit" durch einen in sie involvierten Gott ihren Niederschlag gefunden hat (z. B. P. Fiddes, W. Craig). Auch wenn Brown sichtliche Sympathie für P.s Anliegen zeigt, wehrt er sich gegen dessen Dogmatismus - auch P. müsse die Fallibilität seines Systems anerkennen. Auch die "Weginterpretation" eindeutiger biblischer Passagen sowie die Erklärung, Vorherwissen impliziere automatisch einen theologischen Fatalismus, prangert Brown an. Allerdings stimmt er durchaus Haskers Analyse zu, dass nur eine scientia media für Gottes Weltfürsorge wirklich von Nutzen sein kann (85). Dagegen versucht Terrance L. Tiessen in "Can God be Responsive if the Future is not Open?" (94-110) mit Hilfe eines molinistischen Modells die Einwände des offenen Theismus gegen den Calvinismus zu entkräften.

John Sanders, neben P. vielleicht der bedeutendste Vertreter des offenen Theismus, weist den Einwand, dieser reduziere Gott auf menschliche Ausmaße, zurück (111-126), indem er aufzeigt, dass sich aus der Offenbarung nur zwei Grundkategorien ergeben, nämlich die Unterschiedenheit Gottes von der Schöpfung sowie die einzigartige Gottessohnschaft Jesu (119). Alle anderen Attribute entstammten philosophischen Traditionen und daher metaphysischen Voraussetzungen. So etwa auch die Kritik des Kalvinisten P. Helm am offenen Theismus, der anführt, dass es unangebracht sei, Gott menschliche Eigenschaften - wie etwa Meinungsänderungen oder Emotionen - zuzuschreiben. Dabei argumentiert er mit biblischen Texten. Er fordert, die "schwachen" Stellen, die für den offenen Theismus sprechen, im Licht der "starken" Textbefunde zu sehen, die den klassischen Theismus favorisierten. Allerdings ist diese Forderung zirkulär, da die metaphysischen Voraussetzungen ja bereits die Einordnung der jeweiligen Texte (121-122) bestimmt. Sanders resümiert: "Für die offenen Theisten ist Gott keine formlose Masse, aber auch kein Stein. Gott ist unerschütterlich in seinem Bund, aber die genaue Art und Weise, wie er ihn ausführt, ist nicht genau dargelegt. Gottes unbedingte Versprechen sind unabänderlich, aber Gott kann sich in seinen Gedanken ändern, seinen Entscheidungen und Emotionen. Und vor allem kann er von den Gebeten seines Volkes affektiert werden." (123)

C. Mark Steinacher untersucht den Zusammenhang von Prädestination und Chaos-Komplexitätstheorien (127-143), während die Brüder David und Randall Basinger in ihrer bekannten Geistesschärfe eine vergleichende Untersuchung zur Theodizee anstellen (144-159). Stanley E. Porter weist auf das bisher kaum beachtete Problem des fehlenden neutestamentlichen Fundaments des offenen Theismus hin (160-182). David Guretzki analysiert schließlich das Filioque-Problem aus evangelikaler Sicht (183-207), und Amos Young bringt assoziative Überlegungen zu P.s Pneumatologie anhand von Hegel ein (208-231). Auch John A. Vissers setzt sich mit P.s bedeutender Pneumatologie "Flame of Love" auseinander, insbesondere aber mit der gegenwärtigen Bedeutung des Heiligen Geistes für die kanadischen Protestanten (232-246). Donald Bloesch charakterisiert P.s Werk als "kreative Reinterpretation apologetischer Theologie" und zeigt seinen Wandel vom Calvinisten zum Arminianer auf (247-260).

Mit besonderer Aufmerksamkeit wird man John B. Cobbs Ausführungen lesen, die P.s Verhältnis zur Prozesstheologie zum Thema haben (261-274). Cobb zeigt sehr deutlich die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Ansätzen auf. Damit entkräftet er auch den Vorwurf, der offene Theismus sei eine Spielart der Prozesstheologie, der er als prominenter Vordenker selber angehört.

Alan Padgett bringt einen Beitrag zum hermeneutischen Schriftverständnis ein und weist auf die theologischen Umbrüche hin, die sich seit P.s berühmtem Buch "The Scripture Principle" ereignet haben (275- 288). Auch Kurt A. Richardson analysiert P.s Beitrag zur Bibelhermeneutik (288-299). Archibald Spencer hingegen stellt die heilsinklusivistische Position P.s und dessen Auslegung des sensus divinitatis gegen den Pluralismus Hicks dar, ohne deren gemeinsamen Appell an eine "allgemeine Offenbarung" zu verschweigen (300-321).

Die weiteren Beiträge von Howard Marshall (322-346) und John Stackhouse (347-354) beschäftigen sich mit dem Erlösungstod Jesu und der Bekehrungserfahrung, während die Beiträge von Anthony Cross (354-377) und Stanley Grenz (378-391) P.s Auslegung des sakramentalen Taufgeschehens und die Idee der Antizipation der Teilhaftigkeit am trinitarischen Leben in der Liturgie untersuchen.

Auch wenn die Kapitel der Festschrift von sehr unterschiedlicher Qualität sind, so ehren sie einen Theologen, der auch im deutschen Sprachraum mehr Aufmerksamkeit verdient. Vor allem zeigen sie - ebenso wie die umfangreiche Bibliographie des Jubilars (393-405) - das facettenreiche Denken von Clark Pinnock, das Theologen seit Jahrzehnten stimuliert. Dass in seiner Festschrift nicht nur Befürworter, sondern auch Kritiker seines Ansatzes zur Sprache kommen, lässt den Geist seiner "kritischen und generösen Orthodoxie" erkennen.