Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

468–470

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sæbø, Magne with Ch. Brekelmans, and M. Haran [Ed.]

Titel/Untertitel:

Hebrew Bible/Old Testament. The History of Its Interpretation. I: From the Beginnings to the Middle Ages (Until 1300).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 847 S. gr.8. Lw. DM 210,-. ISBN 3-525-53636-4.

Rezensent:

Christoph Bultmann

Auf dem IOSOT Kongreß in Jerusalem 1986 stellte M. Sæbø seine programmatischen Überlegungen zu einer neuen umfassenden Darstellung der Geschichte der Exegese des Alten Testaments vor. Zehn Jahre später ist nun der erste Band mit Beiträgen von 26 Autoren erschienen. Das vom Norwegian Research Council geförderte Gesamtwerk ist auf drei (in fünf) Bände angelegt: Bd. I "From the Beginnings to the Middle Ages (Until 1300)" mit den Teilbänden "Antiquity" und "Middle Ages", Bd. II "From the Renaissance to the Enlightenment (1300-1800)", Bd. III "From Modernism to Post-Modernism" in zwei geplanten Teilbänden. Gemäß dem Prolegomenon des Herausgebers (einer revidierten Fassung des Jerusalemer Vortrags) ist Gegenstand des großen Vorhabens "the understanding of the Hebrew Bible/Old Testament expressed through interpretation and exegesis"; der Begriff "Interpretation" im Titel des Werkes steht für "theological understanding, hermeneutical reflection and exegetical exposition of the biblical text, through the ages up to the present time" (26). Mit dieser Ausrichtung ist eine doppelte Begrenzung des Themenbereiches gegeben: als eine Geschichtsdarstellung, die auf die alttestamentliche Wissenschaft der Gegenwart zulaufen soll, konzentriert sich das Werk zum einen auf den ersten Teil des christlichen Kanons und grenzt zum anderen die Interpretation oder die Erforschung der Hebräischen Bibel/des Alten Testaments von einer weiter gefaßten Wirkungsgeschichte in Synagoge, Kirche, Kunst und Kultur ab.

So sehr die Notwendigkeit einer thematischen Beschränkung einleuchtet, ist doch zu fragen, wie von der christologischen Exegese des AT profiliert die Rede sein soll, wenn die Interpretation des NT ausgeklammert wird, und wie die vom Herausgeber wiederholt betonte Einbettung der großen Repräsentanten der Theologie in ihren jeweiligen institutionellen kulturellen Kontext erfaßt werden soll, wenn dessen allfällige Prägung durch die Präsenz biblischer Motive unberücksichtigt bleibt. Aufgrund der Qualität der meisten Beiträge des ersten Bandes sei dennoch die Prognose gewagt, daß nach Abschluß des Projekts eine unentbehrliche, jüdische und christliche Schriftauslegung gleichermaßen umfassende Orientierung über die gelehrten und theologisch bedeutsamen Weisen der Aneignung der religiösen Tradition des antiken Israel vorliegen dürfte.

Band I/1 zeigt zunächst, wie der Prozeß der Herausbildung eines kanonischen Textbestandes mit dem Phänomen der Interpretation verknüpft ist. M. Fishbane, E. Tov, J. Barton und J. W. Wevers schreiben Beiträge über "Inner-Biblical Exegesis", über Fragen eines "Standard Text" und eines "Fixed Canon" sowie über die Septuaginta (33-107). In Verbindung mit späteren Kapiteln über die Targume, die syrische und die lateinische Übersetzung (E. Levine, M. Weitzman, E. Schulz-Flügel) ist damit ein informatives textgeschichtliches Fundament für die Untersuchungen der Interpretation der Überlieferung als "Scripture" gewonnen. Das Problem der Autorität einer als Kanon definierten, fixierten und scheinbar harmonisierten Heiligen Schrift erscheint in der Brechung durch eine kritische Erörterung von Aspekten wie "textual plurality" und "closing of the canon".

Kapitel 3-8 bieten eine Darstellung der jüdischen Interpretation der Hebräischen Tradition (108-331). Der Bogen spannt sich von Qumran (J. Maier) über das hellenistische Alexandria (F. Siegert) zum rabbinischen Judentum (J. M. Harris, D. Kraemer, R. Kalmin, J. Neusner) und schließt Abschnitte zur Frage "kanonischer Schriften" in den Apokryphen und Pseudepigraphen, bei Josephus und in frühen jüdischen Sekten ein (R. A. Kraft, S. Mason, J. Fossum). Eine interessante Verbindung zwischen diesen Kapiteln und den folgenden über die Interpretation der Hebräischen Bibel im frühen Christentum ist G. Stembergers nüchterne Prüfung angenommener "Exegetical Contacts between Christians and Jews in the Roman Empire" (569-586).

Kapitel 9-21 behandeln die Geschichte der christlichen Rezeption des Alten Testaments von den Autoren des Neuen Testaments (H. Hübner, 332-372) bis Augustin. O. Skarsaune schreibt über die frühen Kirchenväter, über die Exegeten in Alexandria schreiben J. F. Procopé und J. N. B. Carleton Paget, über die Exegeten in Antiochia S. Hidal (373-568). Die syrische Überlieferung stellen M. Weitzman und L. Van Rompay dar (587-641), nach dem Kapitel über den lateinischen Text (E. Schulz-Flügel) schreiben R. Kieffer über Hieronymus, C. Jacob über die origenistische Tradition und D. F. Wright über Augustin (642-730).

Der Band vereinigt Beiträge sehr unterschiedlicher Art. Die Mehrzahl der Autoren verbindet übersichtliche Informationen zum jeweiligen historischen Thema mit systematischen Gesichtspunkten und Ausblicken auf die Diskussionslage und macht das Werk auf diese Weise zu einer hilfreichen und anregenden Einführung in die frühe jüdische und patristische Exegese. Bibliographische Angaben sind jeweils auf eine sinnvolle, strenge Auswahl beschränkt. Gelegentlich liegt der Schwerpunkt auf der Erörterung einer kontroversen Einzelfrage (z. B. J. Maier über drs in Quellen aus Qumran, S. Mason über Josephus’ "22 Bücher"). Das Spektrum von Texten reicht von J. W. Wevers "practical demonstration" einer Untersuchung des Übersetzungscharakters der Septuaginta am Beispiel der Genesis bis zu H. Hübners Darstellung der theologischen Aufnahme des AT im NT, die selbst eine Art "theological argumentation" sein soll und das vergleichende historische Studium von "terms, motives, methods of interpretation, etc." hinter der Deutung der Relation von "kerygma and Scripture" zurücktreten läßt (334-337).

Neben den ausgezeichneten judaistischen Beiträgen verdienen die ausführlichen Darstellungen zur Entwicklung der Hermeneutik in Alexandria besondere Beachtung. F. Siegert formuliert thetisch, "Hellenistic culture ... first gave birth to the art of hermeneutics. Scholarly interpretation is a product of the Greek mind" (130). Sein Kapitel über Homerexegese und Philologie, den Aristeasbrief, Aristobul und Philo gibt dazu eine Erläuterung (130-198). Dies wird ergänzt durch die beiden Beiträge von J. F. Procopé und J. N. B. Carleton Paget, die bis zu Origenes als Exegeten neben seinen "pagan competitors" (477) führen (451-542). "He is the first Christian exegete seriously to consider the problem of how one should read and understand the Bible", und er steht dabei in einer vergleichsweise engen Beziehung zur jüdischen Exegese (532 f., vgl. 578-80).

Der Herausgeber hat den Autoren große Freiheit gelassen. Auf der einen Seite hat er damit verhindert, daß eine eintönige Sammlung ausgewogener Überblicke entstand, auf der anderen Seite wären doch in mehreren Fällen konzisere Zusammenfassungen etwa zur Beurteilung der exegetischen Methodik oder zum theologischen Stellenwert der Schriftinterpretation wünschenswert gewesen. Im Blick auf die Gesamtanlage dieser "History of the Interpretation of the Hebrew Bible/Old Testament" wäre zu fragen, ob nicht ein etwas festeres Schema einer Berücksichtigung von Einzelthemen wie Schöpfung, Gesetz, Prophetie, Psalmen, Geschichte des Volkes Israel hilfreich wäre. Die beigegebenen Register (765-847), in denen wenige Namen, Stichwörter oder Belegstellen mehr als einen Seitenverweis haben, schaffen keinen Ausgleich.

Was z. B. unter "creation", "Hexaëmeron" oder "Genesis" (dies nur im Stellenregister) aufgeführt wird, ist dürftig, und selbst wer die Allegorie unter "allegory, allegorical", "exegesis- allegorical", "meaning/understanding/sense - allegorical" auffindet, wird noch nicht zu der zusammenfassenden Beurteilung von Augustins Hermeneutik (726) geführt. So unzuverlässig das Stichwortregister ist, so übertrieben ist das Stellenregister: Müssen 80 Zeilen auf die zehn Seiten zum Aristeasbrief oder 40 Zeilen auf die zwei Seiten zum Jubiläenbuch verweisen? Schließlich wird man die editorische Entscheidung, die Beiträge durchgehend auf Englisch zu bieten, gern akzeptieren; es ist jedoch eine peinliche Unterlassung, daß einige der übersetzten Beiträge nicht von einem kompetenten native speaker revidiert worden sind.