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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

566–568

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bieritz, Karl-Heinrich

Titel/Untertitel:

Liturgik.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. XXVIII, 770 S. m. Tab. 8 = de Gruyter Lehrbuch. Kart. Euro 39,95. ISBN 3-11-013236-2.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Die lange erwartete Liturgik von Bieritz ist nun endlich erschienen und das Warten hat sich gelohnt: Es liegt ein Lehrbuch im doppelten Sinne vor: ein Buch, das nicht nur der Lehre in Selbststudium und akademischem Unterricht dienen wird, sondern das selbst unverkennbar aus der Lehre hervorgegangen ist. Die vielen tabellarischen Übersichten mit liturgischen Abläufen und synoptischen Vergleichen sind als Orientierungshilfen für die Studierenden deutlich zu erkennen und werden auch den übrigen Lesern des Buches eine Hilfe sein.

Neben der didaktischen Handschrift ist ohne Frage die konzeptionelle von noch größerem Interesse. B. ist es gewesen, der als Erster die Semiotik Umberto Ecos für die Liturgik und dann auch für die Praktische Theologie insgesamt fruchtbar zu machen suchte. Nachdem es in dem großen zweibändigen Liturgik-Lehrbuch von Rainer Volp (Die Kunst, Gott zu feiern, Gütersloh 1992 und 1994; dazu s. ThLZ 118 [1993], 784-786 und 120 [1995], 282-285) erst in Ansätzen gelungen war, die zeichentheoretische Sicht des Gottesdienstes liturgietheologisch zur Geltung zu bringen, nimmt man das neu erschienene Buch mit Spannung zur Hand. In der Tat ist die Gliederung erkennbar semiotisch inspiriert, indem vor den zentralen Kapiteln zum Mahlteil ("9. Brot und Becher", 274-304) und Wortteil ("10. Wort und Mahl", 305-335) die liturgischen Zeichen selbst als Überschriften der Kapitel fungieren.

Nach den Prolegomena ("1. Begriff, Gegenstand, Verfahren, Quellen", 1-26) werden in den Kapiteln 2 bis 8 die "Sprachen", "Zeiten", "Räume", "Klänge", "Rollen", "Körper" und "Worte" im Gottesdienst thematisiert. Hier werden nicht nur viele Einsichten der liturgischen Arbeit der letzten Jahre (etwa zur Körpersprache und zur neuen Aufmerksamkeit für die liturgische Kleidung) in gebündelter Form geboten. Es ist vielmehr auch die für B. typische und aus seinen früheren Arbeiten bekannte Verbindung von liturgiehistorischen Details und Zusammenhängen mit anthropologischen Grundlegungen deutlich auszumachen. Viele der wichtigen Erkenntnisse von B. finden sich jetzt im Rahmen dieses Lehr- und Studienbuches. Das gilt etwa für die folgenreiche Unterscheidung von Struktur und Strukturierung (53 ff.) und für die Ausdehnung des Sprachverständnisses auf die nichtverbalen Zeichensysteme (264). Die semiotisch nüchterne Position ist dadurch gekennzeichnet, dass jetzt das Verhältnis von Wort und Zeichen nicht etwa (im Zuge einer modischen "Ganzheitlichkeit") umgekehrt wird, sondern vermerkt wird, dass das personale Verhältnis von Gott und Mensch, das sich im liturgischen Dialog ausdrückt, nicht durch eine vermeintliche rituelle Unmittelbarkeit, "nicht durch das Postulat eines vermeintlich spezifischen Weltverhältnisses" überholt oder ersetzt werden kann (246). Der reflexive Charakter liturgischen Gestaltens und Erlebens ist damit - aus Sicht des Rezensenten mit vollem Recht - vom semiotischen Standpunkt her unterstrichen und nicht etwa außer Kraft gesetzt. So wie in den Mahlgemeinschaften Jesu nicht Informationen weitergegeben, sondern die Gottesherrschaft "herbeigegessen und herbeigetrunken" wurde (280), so gilt auch von den (bisweilen ernüchternden) gegenwärtigen gottesdienstlichen Versammlungen als rituell jeweils neu realisierte Voraussetzung: "Das Wort Gottes ergeht in, mit und unter der Antwort der Gemeinde" (259).

Im zweiten Hauptteil des Buches findet sich in den Kapiteln 11 bis 14 eine im Vergleich zum ersten Teil eher herkömmliche Liturgiegeschichte, in der die Liturgien im Westen, Osten, Norden (gemeint sind mit dem "Norden" die reformatorischen Kirchen) sowie die Liturgiereformen, vornehmlich im 20. Jh., dargestellt sind (Kapitel 11-14, 336-565).

Den Schluss des Buches bilden drei Kapitel zur Taufe ("15. Wasser und Geist", 566-605), zum Stundengebet ("16. Tag und Stunde", 606-641) und zu den - von der Taufe grundlegend unterschiedenen - Handlungen Beichte, Trauung und Bestattung ("17. Schwellen", 642-694). Ausführliche Register (davon alleine 60 Seiten Sachregister, 711-770) beschließen den Band und rechtfertigen die im Vorwort erwähnte Charakterisierung auch als Nachschlagewerk.

Im historischen Teil ist die weite ökumenische Orientierung im umfassenden Sinne hervorzuheben. Durchgehend wird das Gespräch mit wichtiger katholischer Literatur geführt, bisweilen intensiver als mit einschlägigen evangelischen Arbeiten der letzten Jahre (zu nennen wären hier etwa diejenigen von Ch. Grethlein, R. Kunz, H. Schwier). Breiten Raum nimmt auch der Zusammenhang mit dem jüdischen Gottesdienst ein: So deutlich und klar wie in dem Abschnitt über die Wurzeln des Herrenmahls (dort bes. 279-301) konnte man das in einem Lehrbuch noch nicht lesen. Sehr erhellend ist auch die Passage über Struktur und Entstehung des römischen Kanons (415-428).

Das eigene theologische Engagement B.s scheint an so mancher Stelle auf, so etwa, wenn die Diskrepanz zwischen den überlieferten Taufliturgien und deren gegenwärtig verbreiteten zivilreligiösen Interpretationen in Theologie und Kirche vermerkt wird (589 und 682). Gewünscht hätte man sich jedoch, dass die eigene liturgietheologische Position im Gespräch mit anthropologischen Grundlagen und Zeichentheorie noch deutlicher herausgearbeitet worden wäre. Gewiss: Ein Lehrbuch hat grundlegende Informationen bereitzustellen und das gelingt hier in vorbildlicher Weise (auch durch die erwähnten Tabellen und Übersichten). Aber zur Wiederholung der Fakten bedarf es einer durchgängig erkennbaren Standortmarkierung, mit der sich die Lernenden auseinander setzen können. B. hätte mit seinem eigenen Ansatz so gut aufzeigen können, wie die zeichentheoretische Sicht von Liturgik die unfruchtbaren Alternativen zwischen "liberaler" zivilreligiöser Sichtweise und "kerygmatischer Zuspitzung" zu Gunsten einer fundamentalliturgischen Beschreibung überholt, die den Verweis auf das "Außen" des Zeichens und dessen subjektiver Realisierung als gleichermaßen konstitutiv für religiöse Zeichenprozesse erfasst. Das liturgische Handeln ohne Verweis auf das im darstellenden Handeln von ihm unterschieden Bleibende kollabiert im religiösen Selbstbezug, so wie das allein das "extra nos" Repräsentierende in der Gefahr steht, gar nicht die Subjekte zu erreichen. Derlei fundamentalliturgische Bewertungen und Zukunftsperspektiven hätten die materialreichen Kapitel zu Wort, Mahl, Liturgiereformen, Taufe, Konfirmation und Kasualien so abrunden können, dass sich aus theologischen und anthropologisch-empirischen Aspekten Handlungsoptionen ergeben (während hier die Kapitel in der Regel mit der Präsentation des neuesten agendarischen Materials abschließen).

Mit seinem Lehrbuch der Liturgik hat B. viele seiner Einsichten, die bisher nur auf Einzelstudien bezogen vorlagen, aufgenommen, zusammengefasst und in den Rahmen eines alle einschlägigen Themenbereiche behandelnden Werkes gestellt. Vieles aus seinen früheren Studien (zur Struktur, zur lutherischen Wortbezogenheit, zum Syntagma der Messeröffnung etc.) begegnet damit jetzt im Gesamthorizont der Liturgik. Manches aus der neueren Diskussion wird allerdings auch ausgespart oder nur gestreift, wie etwa die durch die Medien veränderten aktuellen Rezeptionsbedingungen, die Diskussionen um das Verhältnis von Liturgie und Theater (bzw. um die "liturgische Präsenz") oder die system- oder spieltheoretischen Sichtweisen (Ch. Dinkel, T. Klie). Doch ist von einem Lehrbuch ja in der Tat viel eher die solide Grundinformation gefordert als die Auseinandersetzung mit der Spezialliteratur.

Damit abschließend wenige Bemerkungen zum Äußeren: Das Buch ist zwar durch die Register hervorragend erschlossen; dennoch vermisst der kundige Leser ein Gesamtliteraturverzeichnis, das Überblick zu den verarbeiteten Titeln gibt. Dass man die Fußnoten in einem Buch wie diesem gesammelt am Ende jeden Kapitels druckt, will mir nicht einleuchten - man vergleiche dazu nur die wichtigen Grundinformationen und Diskussionen zur Liturgiereform (562 ff.) und zur Konfirmation (603 ff.). Die beim geordneten Aufnehmen des Gedankenganges notwendige Blätterei ist mehr als lästig! - Hingegen nimmt man mit großer Freude den sorgfältig korrigierten, fehlerfreien Textbestand zur Kenntnis.