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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

560–562

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Pannenberg, Wolfhart

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Ethik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 247 S. gr.8. Kart. Euro 72,00. ISBN 3-525-56950-5.

Rezensent:

Martin Honecker

Der Sammelband kündigt schon im Titel an, dass es um eine Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen geht, die P. bereits publiziert hatte. Es sind 20 Beiträge aus den Jahren 1977 bis 1998. Der Titel Beiträge zur Ethik ist freilich insoweit etwas missverständlich, als es nicht eigentlich um Ethik, sondern um Ethos und um die Grundlagen der Kultur geht. Ethik wäre wohl eher zu verstehen als eine auch Methodenfragen einbeziehende Erörterung von moralischen Urteilen und Wertungen bzw. von Normbegründungen.

Der Bogen der Beiträge spannt sich thematisch von Grundsatzüberlegungen zum Verhältnis von Reich Gottes, Kirche und Gesellschaft in den beiden ersten Texten aus den Jahren 1977 und 1982 bis zu der Aufgabe von Kirche und Theologie bei der entstehenden Einigung Europas in den beiden letzten Texten. Schwerpunkte bilden ferner die Möglichkeit einer christlichen Rechtsbegründung, die Betonung der Verbindung von Recht und Religion, das Verhältnis von Moral und Religion, eine kritische Auseinandersetzung mit der Zivilreligion - hier findet sich auch der Wiederabdruck eines Lexikonartikels aus dem Staatslexikon -, die Beurteilung der Säkularisierung. Ein Kirchentagsvortrag "Leben in Gerechtigkeit" (1992) und eine Stellungnahme zur Friedensfrage "Schwerter zu Pflugscharen" (1982) sowie ein kurzes Statement zur Homosexualität (1994) vervollständigen das Spektrum der Themen.

Methodisch wird in geschichtlichen Rückblicken eine Fülle von Namen und Positionen referiert - beginnend beim alten Israel und über die Anfänge und die Entwicklung des Christentums hinweg bis zu Themen der Aufklärung - beispielsweise werden John Locke und Kant behandelt, oft unter Rückgriff auf Dilthey, aber auch in Auseinandersetzung mit H. Blumenberg. Es geht in diesen Überblicken vor allem um eine Vergewisserung der geschichtlichen Herkunft und des gegenwärtigen Standorts. Thematisch und in der sachlichen Darstellung finden sich Wiederholungen. Autoren und Topoi kommen immer wieder vor. Inhaltliche Schwerpunkte setzen die Anerkennung von Menschenrechten, Religionsfreiheit und Toleranz, die Ablehnung einer Zivilreligion. Ein durchgehendes Leitmotiv ist die kritische Abgrenzung gegen die neuzeitliche Individualisierung und gegen eine das Christentum negierende Deutung der Säkularisierung. Das Interesse gilt dagegen der Begründung einer allgemeinen moralischen Verbindlichkeit, die ohne Rückbezug auf Gott und Religion nicht möglich sei. Dafür steht z. B. der Beitrag "Verbindliche Normen ohne Gott?" (147 ff.) genauso wie die Erinnerung an die moralischen Grundlagen der modernen Gesellschaft (173 ff.). Die Individualisierung der Moral und die Überbetonung des Gedankens der sittlichen Selbständigkeit führen nach P. zur Auflösung der Sittlichkeit überhaupt. Der Beitrag "Einer ist gut (Mt 19,17)" (90-98) stellt eine Synthese von Platons Bestimmung des Guten mit dem christlichen Gottesgedanken her. Die philosophische Idee des höchsten Gutes ist christlich begriffen die Gemeinschaft des Menschen mit Gott, die durch die Teilnahme des Menschen an der Bewegung der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen ermöglicht wird (89). Der weithin historisch angelegte Beitrag "Gesetz und Evangelium" (185-201) ist besonders aufschlussreich, da er an die mittelalterliche Verbindung von Gesetz und Gnade anknüpft und offenkundig der Vorstellung eines tertius usus legis verpflichtet ist. Eine aktuelle Bedeutung der Terminologie wie der reformatorischen Lehrbildung hinsichtlich der Fundamentalunterscheidung von Gesetz und Evangelium hält P. nicht mehr für vertretbar, weil an die Stelle der Antithese von Gesetz und Evangelium in der Neuzeit "die Lehre von der theonomen Konstitution der menschlichen Freiheit" getreten sei (199).

Die Thesen und der Standpunkt P.s sind in früheren Veröffentlichungen bereits enthalten und begründet und eingehend entfaltet worden, so z. B. im 3. Teil der Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983, oder im 1. Kapitel der Grundlagen der Ethik, 1996: "Moral und Ethik in der säkularen Kultur der Gegenwart". Kritische Anfragen müssten auf seine Deutung des Säkularisierungsprozesses und seine Zeitdiagnose ausführlich eingehen, vor allem aber die Frage stellen, welche Rolle und welches Gewicht dem Bösen in P.s Theologie überhaupt zukommt. Das Böse - und das Rätsel der Sünde - bedeutet ja nicht nur die Infragestellung des Guten, sondern lässt angesichts geschichtlicher Katastrophen überhaupt an der Sinnhaftigkeit der Geschichte und an der Zielhaftigkeit von Geschichte zweifeln. Diese Anfrage kann freilich hier nur angedeutet werden; eine Beantwortung wäre nur unter Einbeziehung des theologischen Gesamtwerkes und der Konzeption P.s als solcher möglich. Die in den "Beiträgen zur Ethik" gesammelten 20 Texte dokumentieren Voten P.s zu aktuellen Fragen, regen zum Nachdenken an, vermitteln erhellende Einsichten und sind gewichtige Beiträge zur Diskussion um die Kulturverantwortung von Kirchen und Christen.