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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

547–550

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Peng-Keller, Simon

Titel/Untertitel:

Gottespassion in Versunkenheit. Die psychologische Mystikforschung Carl Albrechts aus theologischer Perspektive.

Verlag:

Würzburg: Echter 2003. X, 361 S. 8 = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 39. Kart. Euro 24,50. ISBN 3-429-02529-X.

Rezensent:

Bardo Weiß

Das Buch ist die Veröffentlichung einer Dissertation, die von der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) am 29.01.02 auf Antrag von G. Vergauwen (1. Referent) und A. M. Haas (2. Referent) genehmigt wurde.

Mit seinem postum im Jahr 1974 veröffentlichten Werk "Das mystische Wort" wurde Carl Albrecht (1902-1965) einem größeren Publikum bekannt und im katholischen Raum zu einem wichtigen Anreger für die Wiederentdeckung der Mystik in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh.s. Auch wenn die Rezeption von Albrechts Gedanken in wissenschaftlichen Veröffentlichungen seit den 70er Jahren kontinuierlich verläuft (vgl. 89 f.), ist sein Name heute auch Menschen, die sich für Mystik interessieren, weitgehend unbekannt. Das vorliegende Buch kann das Interesse für Carl Albrecht neu wecken.

In der Einleitung wird eine wichtige Eingrenzung vollzogen (3): Untersucht wird die psychologische und nicht die philosophische Seite des Werkes von Albrecht. Deswegen bleibt sein Buch "Das mystische Wort" weitgehend unberücksichtigt (Ausnahme: 228-245).

Der erste Teil (19-94) stellt die Biographie Albrechts dar. Dabei wird insofern Neuland betreten, als viele unveröffentlichte Manuskripte und Aussagen noch lebender Verwandter Albrechts benutzt werden. Sein geistiger Weg vom atheistischen Existentialisten über den Gottsucher mit einer Sehnsucht nach apersonaler Verschmelzungsmystik hin zu einem gläubigen Christen in der Konversion zur katholischen Kirche mit personaler Mystik wird mit allen Verästelungen nachgezeichnet. Man lernt dabei einen Menschen kennen, der zwischen extremen Polen schwankt. So tritt Albrecht, der sich als Mitglied des Sozialistischen Studentenbundes 1922 an einer Demonstration gegen Antisemitismus beteiligt (24 f.), im Jahr 1934 als Sanitätsführer in die SA ein. Eine Schwierigkeit, klar abgegrenzte Stufen in seiner geistigen Entwicklung aufzuzeigen, besteht darin, dass Albrecht oft etwas dunkel vorausahnt, was sich ihm später erst klar zeigt. So rechnet er schon in den 30er Jahren mit der Möglichkeit einer Konversion (29), die er erst 1959 vollzieht (72). Obwohl er mit ihr seine Abwendung von einem apersonalen Gottesbild datiert (72), findet man lange vorher personale und danach noch apersonale Aussagen über Gott. Für den weiteren Verlauf der Arbeit ist die in der Biographie belegte Tatsache wichtig, dass Albrecht gegen Ende der 30er Jahre in seinen Versenkungen redet und dieses Aussagen von seiner Frau protokollieren lässt (41-43), ein Faktum, auf das er in seinen von ihm selbst herausgegebenen Werken nur nebenbei eingeht.

Der dritte Teil, in dem Albrechts Psychologie der Mystik behandelt wird (176-245), stellt das Zentrum des Buches dar. Im Frühjahr 1949 entschließt sich Albrecht, die Psychologie des mystischen Bewusstseins zu erforschen (63). Als Methode wählt er die deskriptive Psychologie und damit einen phänomenologischen Ansatz (176). Das Besondere seines Vorgehens besteht darin, dass die Beschreibung nicht wie üblich auf Patientenberichten und damit auf Fremdzeugnissen, sondern auf den Protokollen eigener Aussage in der Versunkenheit beruht (178; auf die Problematik dieser Methode macht P.-K. auf S. 253 aufmerksam).

Hilfreich sind bei dieser Beschreibung die vielen klaren Begriffsunterscheidungen. Grundlegend ist das Begriffspaar "Versenkung - Versunkenheit". "Die Versunkenheit ist der Endzustand, auf den hin der Versenkungsvorgang ausgerichtet ist" (179). Bei der Versenkung versucht der Mensch am Anfang, sich aus der Welt äußerer Wahrnehmungen zu lösen (183-187). Dabei entstehen verschiedenartige Leiberlebnisse, Gefühle und Gestimmtheiten (187-191); auch Störungen können auftreten (191-193). Wichtig ist, dass das Icherleben gewahrt bleibt (193-196). In einer zweiten Versenkungsstufe ist das rationale Denken weitgehend überflüssig geworden (196 f.).

Die Versunkenheit ist ein "voll integrierter, einheitlich und einfach gefügter, überklarer und entleerter Bewusstseinszustand" (Albrecht zitiert nach P.-K., 199). Im Unterschied zur östlichen Meditationstechnik sieht Albrecht aber in der nun einsetzenden Innenschau ein inhaltliches Erleben gewahrt, welches auch durch die mitgebrachte Einstellung und das Wertsystem des Menschen geprägt ist (200 f.) Von dieser Versunkenheit unterscheidet Albrecht die Ekstase. In ihr tritt das Icherleben so stark zurück, dass ein Sprechen nicht möglich ist (202). Wichtig ist, dass Albrecht das mystische Erleben nicht schon in der Versunkenheit und auch nicht allein in der Ekstase beginnen lässt (203).

Der Zustand der Versunkenheit muss noch nicht mystisch geprägt sein. Damit dies der Fall ist, ist es notwendig, dass sich das "Ankommende" in verschiedenen Formen ereignet (204- 209). Eine "außerbewusst gedachte Ganzheit" wird zunehmend erfahren (Albrecht zitiert nach P.-K., 204). Doch auch dadurch ist noch nicht notwendig ein mystisches Erleben gegeben. Was ankommt, kann auch etwas Abgespaltenes sein, das heißt abgespaltete Ereignisse tauchen wieder im Bewusstsein auf. Dieser Art des Ankommenden bedient sich der Psychotherapeut (212). Daneben gibt es das "Ankommende als Teilbereich des Selbstes". Dorthin gehören die von C. G. Jung erforschten Symbole und Archetypen (212). Erst im "Ankommen des Umfassenden" entsteht das mystische Erleben. Dieses kann der Versunkene "nur erfassen, wenn er es unter dem Gedanken der absoluten Einheit begreift" (Albrecht zitiert nach P.-K., 214). Dieses Ankommen des Allumfassenden macht sich in einer "allumfassenden Ruhe", im Erleben des "Ur", der "Urliebe" und des "Urschönen" mit personalen Zügen bemerkbar (217-222). Kehrt der Mensch aus dieser Art Versunkenheit zurück, ist er bereit, mit neuem Mut an die Aufgaben in der Welt zu gehen (223-225).

Aus "Ergänzungen und Präzisierungen aus späteren Schriften" ist der Abschnitt über die Echtheitskriterien mystischen Erlebens wichtig. Albrecht nennt zwei: "die Trugsicherheit der Präsenzerfahrung" und "die Vielschichtigkeit und Kohärenz der Erfahrung" (232-238). Beide erlebt der Mensch in der Versunkenheit. Erst nach der Rückkehr aus der Versunkenheit fragt er in der Reflexion nach Echtheitskriterien. Wie kann er aber die Trugsicherheit der Versunkenheit in den Zustand der Reflexion retten? Über diese Frage scheint Albrecht nicht reflektiert zu haben.

Im vierten Teil versucht P.-K., ausgehend von den Gedanken Albrechts eine Definition für eine Mystik innerhalb der christlichen Spiritualität zu geben (262). Man wird voraussagen können, dass diese wohl kaum rezipiert werden wird. Dafür ist sie auf der einen Seite zu wortreich und auf der anderen Seite zu wenig offen für andere christliche Konzepte von Mystik. In der Definition von Mystik und in der Beschreibung der Ostererfahrung als Grund christlicher Mystik (270-273) wird die Freude an der unmittelbaren Gegenwart Gottes als Kern des christlichen mystischen Erlebens beschrieben. Zwar weiß P.-K., dass die Gottespassion dieses Widerfahrnis auch zur Teilhabe an der Passion Christi führt, diese wird aber als Teilnahme an der Passion der Welt beschrieben. Die Compassio mit Christus findet im Wachbewusstsein des Alltags und nicht in der Versunkenheit statt (278-281). Albrecht sieht dies anders. Er berichtet von "völliger Abwesenheit" (Albrecht zitiert nach P.-K., 318) und vom "Einbruch des Fremden" (Albrecht zitiert nach P.-K., 322) und damit von Leiderfahrungen während der Versunkenheit.

Am problematischsten ist der zweite Teil des Buches. In ihm gibt P.-K. einen traditionsgeschichtlichen Überblick über die Theologie der Versenkung, Verzückung und Entrückung (95- 145), der weitgehend aus Sekundärliteratur erstellt ist. Man findet in ihm viele Pauschalurteile, die nicht immer zutreffen (man vergleiche besonders den biblischen Teil, 98-106). Auch die Auswahl der Beispiele, die getroffen wurde, ist nicht immer glücklich. Die Mystikerinnen des Mittelalters, die für das Thema Verzückung und Entrückung so ergiebig sind, werden fast ganz übergangen. Weder Mechthild von Hackeborn noch Gertrud die Große werden auch nur mit dem Namen genannt. Der Bericht über neuere humanwissenschaftliche Forschungen ist ebenfalls ergänzungsbedürftig. Da in den anderen Teilen auf diesen Abschnitt des Buches nur gelegentlich Bezug genommen wird, kann man ihn gut entbehren.

Besonders hervorgehoben werden soll der Anhang, in dem P.-K. zum ersten Mal Versunkenheitsaussagen Albrechts aus den Jahren 1942-1959 veröffentlicht. Da diese oft von sprachlicher Schönheit sind, verdienen sie in einem Separatdruck einem größeren Publikum bekannt gemacht zu werden.

Auch die formale Seite des Buches ist einwandfrei. Die Übertragung der neuen Rechtschreibung auf Zitate aus der Zeit vor der Reform sollte allerdings keine Schule machen.

Trotz der genannten Mängel stellt diese Dissertation ein wichtiges Buch dar, das nicht nur Mystikforscher interessieren dürfte. Der Versuch, den Ertrag der Arbeit in ein Gesamtkonzept heutiger Spiritualität einzubringen (287-300), ist gelungen und besticht durch ausgewogene Urteile.