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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

542–544

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Willaschek, Marcus

Titel/Untertitel:

Der mentale Zugang zur Welt. Realismus, Skeptizismus und Intentionalität.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Klostermann 2003. XII, 321 S. gr.8 = Philosophische Abhandlungen, 87. Kart. Euro 24,00. ISBN 3-465-03247-0.

Rezensent:

Alois Rust

Der Titel des Buches, Der mentale Zugang zur Welt, verspricht eine weitere Studie zum Problem der Intentionalität und des Bewusstseins, wie sie in den letzten Jahren in der anglo-amerikanischen Philosophie nicht gerade spärlich publiziert worden sind. Zum Standard-Repertoire solcher Studien gehört der Nachweis, dass wir diesen Zugang zur Welt nur als Konstrukt des menschlichen Geistes haben können, wobei eine breite Palette von Möglichkeiten denkbar ist, von einer rein neurologischen Konzeption des Geistes bis zu Formen des Konstruktivismus, welche kulturelle Gegebenheiten einbeziehen.

Doch die Lektüre belehrt rasch eines Besseren: W. bricht mit eingespielten Überzeugungen und wartet mit einer Analyse auf, die nicht nur eine grundsätzlich neue Position beliebt zu machen versucht, sondern dies auch noch in einem argumentativen Stil, von dem sich viel lernen lässt, auch dann, wenn man mit seinen Argumenten letztendlich nicht einverstanden sein sollte.

Obwohl das Buch auf die im Titel zentrale Frage nach dem mentalen Zugang zur Welt abzielt, liegt der Ertrag der Studie keineswegs bloß in dieser Thematik, sondern in der kritischen Durchleuchtung zentraler Elemente der zeitgenössischen Philosophie, insbesondere des Antirealismus und des naturwissenschaftlichen Naturalismus oder Materialismus.

Die Konfrontation mit dem Antirealismus wird auf eine indirekte Weise geführt. Anstatt wie üblich Realismus und Antirealismus gegeneinander antreten zu lassen, werden die neuzeitlichen Voraussetzungen dieser philosophischen Problematik hinterfragt. Im Blickfeld ist nicht der ältere (Universalien-)Realismus, sondern die neuzeitliche Thematik der Unabhängigkeit der Wirklichkeit von unserem Denken. Gegenbegriff zu diesem Begriff des Realismus sind Formen des Idealismus oder Antirealismus.

Gängige Formen des Antirealismus stützen sich auf eine Auffassung, die zu Beginn der Neuzeit in der Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus geläufig geworden ist, die Auffassung nämlich, dass die unmittelbaren Gegenstände des menschlichen Geistes so etwas wie Vorstellungen seien, welche sich auf die Außenwelt beziehen. Diese Vorstellungen repräsentieren im Geist die Gegenstände der Außenwelt. Der scheinbare Gewinn dieser Auffassung liegt darin, dass der Geist diese Vorstellungen haben kann, ohne dass die skeptische Frage nach ihrer Wirklichkeit in der Außenwelt beantwortet werden muss. Es ist prinzipiell möglich, dass jede einzelne dieser Vorstellungen falsch ist. Der Repräsentationalismus trägt somit dem skeptischen Einwand Rechnung. Der Auffassung von der Wirklichkeit der Außenwelt, in der antiken und mittelalterlichen Philosophie eine Selbstverständlichkeit, wird damit zu einem philosophischen Problem.

W.s Auseinandersetzung mit den verschiedenen Varianten des neuzeitlichen Antirealismus ist nicht von der Absicht geleitet, den Realismus als eine philosophische Position zu begründen, sondern den Alltagsrealismus als eine Trivialität auszuweisen. Dies geschieht nicht mit einem zentralen Argument, sondern in einer detailreichen Auseinandersetzung mit verschiedenen Varianten des Antirealismus, u. a. mit dem Relativismus von Nelson Goodman. Dieser beruht auf der Annahme, dass der mentale Zugang zur Welt unausweichlich symbolvermittelt sei. Die Position von Goodman wird in neun separate Thesen gegliedert dargestellt, und es erweist sich, dass nur gerade eine dieser neun Thesen mit dem Realismus in Konflikt steht, nämlich die Auffassung, dass es eine Wirklichkeit "an sich" nicht gibt, sondern alle Welten bloß Produkte des menschlichen Geistes seien. Hingegen ist es unproblematisch zu vertreten, dass aller Wirklichkeitsbezug symbolisch vermittelt sei, denn immerhin ist es ja dennoch Wirklichkeit, die in diesen Symbolsystemen dargestellt wird. Der wesentliche Punkt bei Goodman ist denn auch der, dass immer mehrere alternative Symbolisierungen möglich und damit auch untereinander nicht konsistente Konzeptualisierungen des Wirklichen unausweichlich sind. Solange man daraus nicht folgert, dass es die Wirklichkeit als solche gar nicht gibt, ist der Realismus damit aber noch nicht in Frage gestellt.

Allerdings lässt der Relativismus von Goodman die Voraussetzung des Repräsentationalismus unangetastet. An Stelle der Vorstellungen haben wir hier einfach Symbolsysteme, die sich als eine vermittelnde dritte Instanz zwischen Wirklichkeit und menschlichen Geist schieben. Daher könnte die Unabhängigkeit der Außenwelt zwar prinzipiell konstatiert werden, nur wäre sie auf Grund der unausweichlichen Pluralität von symbolischen Formen und deren Inkommensurabilität nicht fassbar, und es würde sich die skeptische Folgerung ergeben, dass sie an sich prinzipiell nicht erkennbar ist.

Nachdem W. ausführlich gezeigt hat, dass die philosophische Zurückweisung des Realismus auf einer Reihe von Voraussetzungen beruht, die ihrerseits mehr als fraglich sind, befasst er sich mit dem Skeptizismus als der zentralen Herausforderung, aus der heraus diese Konzeption einer vermittelnden, "primären" geistigen Repräsentationsebene in der Philosophie zunehmend als unersetzlich erschienen ist. Seine Widerlegung des Skeptizismus ist nun wiederum nicht eine theoretische, sondern eine therapeutische: Er zeigt in einer feingliedrigen Argumentation, wie die bloße Möglichkeit eines Zweifels zu Verschiebungen im Verständnis von Begründung geführt hat, ohne der Wittgensteinschen Einsicht, dass man auch zum Zweifeln der Gründe bedarf, genügend Beachtung zu schenken.

Im Hauptteil des Buches, dem Kapitel V, entwirft W. seine Antwort auf die Frage nach dem mentalen Zugang zur Welt. Er zeigt, dass eine direkte Wahrnehmung von Dingen und Sachverhalten eine begriffliche Strukturiertheit derselben bedingt, damit in Rechtfertigungszusammenhängen auf diese überhaupt Bezug genommen werden kann. Wahre und falsche Überzeugungen haben einen unmittelbaren Weltbezug im Kontext einer normgeleiteten epistemischen Praxis. Die alltägliche Intuition, dass Wahrnehmungen sich dadurch auf die Wirklichkeit beziehen, dass sie in Abhängigkeit davon, was tatsächlich der Fall ist, wahrheitsgemäß sind oder auch nicht, wird von dieser Auffassung ins Recht gesetzt. Die Voraussetzungen, die den Alltagsrealismus als naiv erscheinen lassen, halten einer kritischen Prüfung nicht stand. W. betont, dass es ihm nicht um den Realismus als eine philosophische Position geht, sondern um die Zurückweisung der Voraussetzungen, die ein philosophisches Problem des Realismus/Antirealismus überhaupt erst entstehen lassen.

In seinem argumentativen Stil geht W. einen Zwischenweg zwischen einer rekonstruktiven Argumentation und einem therapeutischen Philosophieverständnis. Anders als in der analytischen Philosophie häufig der Fall wird nicht einfach ein vorgegebenes Problem mittels einer Theorie gelöst, sondern es wird nach der Problemgeschichte gefragt und auf eine therapeutische Auflösung der Problematik abgezielt, ohne dass dem Dogma gefrönt wird, alle philosophischen Probleme ließen sich auf diese Weise lösen.