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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

465 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bauks, Michaela

Titel/Untertitel:

Die Welt am Anfang. Zum Verhältnis von Vorwelt und Weltentstehung in Gen 1 und in der altorientalischen Literatur.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1997. XII, 362 S. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 74. Lw. DM 138,-. ISBN 3-7887-1619-3.

Rezensent:

Horst Seebass

Das Marie Luise Henry gewidmete Buch ist nach Auskunft der Autorin eine stark gekürzte Fassung ihrer 1995 in Heidelberg angenommenen, von B. Janowski betreuten Dissertation. Ihr gelang ein feines specimen eruditionis, das ihr mit Recht bereits 1995 zur Professur in Montpellier verhalf.

B. konzentriert sich in dieser Arbeit biblisch auf Gen 1,1-3 (ganz am Ende kündigt sie an, daß die Ergebnisse auch in eine Beziehung zu Gen 1,1-2,3 gesetzt werden sollten). Drei Kapitel (A, B, C = 146 S.) widmet sie der Erhellung dieser drei Verse. Knapp die Hälfte ist einer Forschungsgeschichte gewidmet, etwas mehr als die Hälfte syntaktischen und semantischen Problemen. Als Ergebnis darf man notieren, daß B. wie inzwischen die meisten Vers 1 als Überschrift und Mottovers des ersten Schöpfungsberichts versteht, syntaktisch jedoch als Anakoluth wie Gen 2,4b: "Am Anfang, als Gott Himmel und Erde erschuf".

In "Genesis I. Urgeschichte" (1996) S. 60 habe ich ein Dictum von W. H. Schmidt aufgenommen, nach dem zu Gen 1 "die Exegese einen kaum mehr überbietbaren Grad der Verfeinerung (und des Aufwands) erreicht" hat. B. dreht auf 146 S. noch ein bißchen mehr an der Schraube. Ich fand diesen Teil mühsam zu lesen und bei großer Gelehrsamkeit wenig Gewinn.

Ganz anders die beiden folgenden Kapitel D und E (153 S.)! Im religionsgeschichtlichen Kapitel hat B. meines Erachtens vorbildlich und vorzüglich sowohl ägyptische als auch mesopotamische, ugaritische und phönizische Traditionen aufgearbeitet. Vorbildlich möchte ich das Kapitel deswegen nennen, weil B. sich tief auf die Details eingelassen hat, die die jeweiligen Fachleute miteinander diskutieren, und so die Vielfalt der Traditionen erst recht hat leuchten lassen. Ein ganz besonderer Gewinn scheint mir aus ihrer sehr sorgfältigen Entfaltung des ägyptischen Materials zu resultieren. Es zeigt eine bunte Vielfalt und bestätigt die Vermutung, daß Gen 1 ohne beträchtlichen ägyptischen Einfluß nicht erklärbar sein wird. Direkt ist der Einfluß nur selten faßbar. Aber man bekommt einen stark erweiterten Einblick in den geistigen Raum, dem auch Gen 1 zuzuordnen ist. Gut und nützlich ist zweifellos auch die Bearbeitung mesopotamischer Traditionen, die dazu verhilft, Enuma Elisch in das Gesamtcorpus vergleichbarer Vorwelt- und Schöpfungstraditionen einzuordnen. Besonders eindrücklich war mir die Entfaltung dessen, daß auch in Mesopotamien der Anfang der Zeit reflektiert worden ist. Für Ägypten und Mesopotamien gemeinsam zeigt B. auf, daß ihre Kulturen wohl zwei Vorstadien vor dem Werden der geordneten Welt (des Kosmos) ansetzen, während Gen 1 nur die Negation des Gegenwärtigen verbalisiert.

Das fünfte Kapitel leistet den Vergleich der alttestamentlichen Aussagen mit den altorientalischen. Es bleibt auf dem gleichen hohen Niveau wie das vierte Kapitel. Beide Kapitel sollte man ganz und gar lesen. Einzelne Ergebnisse und Anregungen anzuführen, schiene mir hier unangemessen, weil gerade die Unterschiedlichkeit der Traditionen und ihrer Interpretationen das Gelingen dieses Buches begründen.

Ein knapper Schluß von 9 S. rundet das Ganze. Man kann jedoch die Wiedergabe nicht beschließen, ohne auf die bemerkenswerte Literaturliste am Ende zu verweisen. Die Fülle der Anmerkungen belegt, wie gründlich B. mit der vorliegenden Literatur umgegangen ist.

Nachdem ich soeben die Urgeschichte kommentiert habe(1), muß ich mich wie mancher andere fragen, ob man nun nicht Vieles neu schreiben müßte. Zu V. 1 (meines Erachtens ein Hauptsatz) und zu V. 2 (Ruach Elohim meines Erachtens kosmischer Atem Gottes) bin ich unverändert geringfügig anderer Meinung als B., ohne daß dies im Grundduktus viel ändert. Was man B. verdankt, ist m. E. hauptsächlich eine beträchtliche Horizonterweiterung zu altorientalischen Bemühungen um ein Verstehen unserer Welt aus Vorzeitmotiven, Theogonien und Kosmogonien. Wie neuere Forscher (u. a. B. Jacob, B. Janowski, dem B. folgt) sehe ich einen Zusammenhang zwischen der P-Schöpfungsgeschichte und der Offenbarung des Zeltheiligtums am Sinai, meine jedoch, darauf achten zu sollen, daß der Zusammenhang in P über viele Stationen gebrochen ist und eine allzu große Direktheit einige für P äußerst wichtige Zwischenstationen wie den Exodus mit Passa und die Sabbatentdeckung mit Gotteserscheinung (!) zu sehr einebnet. P geht nicht so unmittelbar auf das Heiligtum zu wie Urhügeltraditionen in Ägypten und Mosopotamien. Jedoch treten diese Erwägungen bereits in einen wissenschaftlichen Diskurs mit der vorliegenden Arbeit ein, was sie unbedingt wert ist. Darauf rudimentär einzugehen, soll nur erneut auf die Vorzüglichkeit der Arbeit verweisen.

Fussnoten:

(1) Genesis I. Urgeschichte (1996)