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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

527–529

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Greyerz, Kaspar von, Jakubowski-Tiessen, Manfred, Kaufmann, Thomas, u. Hartmut Lehmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Interkonfessionalität - Transkonfessionalität - binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2003. 290 S. gr.8 = Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 201. Geb. Euro 29,95. ISBN 3-579-01760-8.

Rezensent:

Matthias Asche

Zur Konjunktur der Studien zum Konfessionellen Zeitalter hat bekanntlich nicht zuletzt das überaus erfolgreiche Konzept der Konfessionalisierung maßgeblich beigetragen. Die Vorteile dieses zu einem "Schlüsselprozess" aufgewerteten Forschungskonzepts liegen auf der Hand: das Ende der starren Engführung des Begriffspaares "Reformation" und "Gegenreformation", die Betonung des Faktors Konfession bei frühneuzeitlichen Formationsprozessen, zudem seine bedeutenden sozialgeschichtlichen Implikationen. An diesem makrohistorischen, strukturgeschichtlichen Paradigma entzündete sich jedoch zum Teil leidenschaftliche Kritik unter dem Schlagwort der "Grenzen der Konfessionalisierung". In diesem Sinne dokumentiert der vorliegende Sammelband, der sich bewusst in die Tradition der drei wegweisenden Sammelbände des "Vereins für Reformationsgeschichte" zur reformierten, katholischen und lutherischen Konfessionalisierung stellt, den Fortgang der Forschungsdebatte. Aus der Haltung "pro oder contra" bezüglich der Konfessionalisierungsthese wurde ein "sowohl als auch" - keiner der Autoren des vorliegenden Sammelbandes versteht sich als ein dezidierter Gegner des Konzeptes. Vielmehr halten alle am Paradigma generell fest, betonen aber zugleich die Vielgestaltigkeit der konfessionellen Alltagspraxis. Die Lektüre macht deutlich, dass die "historische Wirklichkeit" in vermeintlich homogenen "Konfessionsstaaten" in mikrohistorischer Perspektive ungleich differenzierter war - bei aller generellen konfessionellen Frontstellung.

Nicole Grochowina untersucht "Dissidententum und konfessionelle Indifferenz im Ostfriesland des 16. und 17. Jahrhunderts" (48-72). Hier gab es ein enges Nebeneinander von konfessionellen und nicht-konfessionellen Gruppen, das es schwierig machte, eine einheitliche konfessionelle Identität des Fürstentums zu formen. Es wird deutlich, dass angesichts des "Markts der Möglichkeiten" und kalkulierter Machtpolitik der lutherische bzw. reformierte Konfessionsstaat ein Torso blieb, gerade weil hier konfessionelle Mischformen, Indifferenz und Dissidententum in großer Vielfalt vorhanden waren. Grochowina spricht von "individuellen Sinn-Systemen" und meint, dass eben mehrere theologische Sinn-Angebote miteinander konkurrierten. Einen ähnlichen Befund für den katholischen Raum stellt auch Rebekka von Mallinckrodt bei ihrer Studie über die Kölner Laienbruderschaften fest (16-47). Entgegen der Vorstellung eines weitgehend homogenen Katholizismus nach dem Tridentinum kann sie nachweisen, dass für die Zeitgenossen die gleichzeitige Mitgliedschaft bei einer Laienbruderschaft und in einer jesuitischen Sodalität keinen Widerspruch bedeuten musste. Beide Frömmigkeitsangebote - sowohl die "neuen" jesuitischen als auch die "älteren" vortridentinischen - bewegten sich im Rahmen des gemeinsamen katholischen Bekenntnisses.

Einen interessanten Untersuchungsgegenstand für "Reichweiten und Grenzen der Konfessionalisierung" bietet die frühneuzeitliche Militärgesellschaft, welcher sich die Studie von Ralf Pröve widmet (73-90). Der Autor hat das bislang kaum beachtete Themenfeld "Militär und Religion" erstmals skizziert. Konfessionalisierung war in der Militärgesellschaft zwar einerseits ein propagiertes Instrument zur Austragung religiöser Konflikte nach innen und außen, andererseits zeigt die soziale Realität - die "Binnenlogik" des Militärs - durchaus partielle Toleranzphänomene. Die Vorstellung von der Gelehrtenrepublik, in der konfessionelle Gegensätze angeblich nur eine untergeordnete Rolle spielten, hinterfragt Anselm Schubert am Beispiel einer Gelehrtenfreundschaft im 17. Jh. (105-131). Er kann belegen, dass es trotz des geselligen Austausches über die Konfessionsgrenzen hinweg dennoch viel Intoleranz - in gleichem Maße Kommunikation und konfessionelle Konkurrenz - gab. Tatsächlich - so legt die Studie von Martin Mulsow über "Mehrfachkonversion, politische Religion und Opportunismus im 17. Jahrhundert" nahe (132-150) - muss im Späthumanismus deutlich zwischen der "religio politica" als obrigkeitlich geforderter, öffentlich praktizierter Konfession und der "religio prudentum" als mehr oder weniger indifferente Privatreligion der Gelehrten unterschieden werden.

Die Bemühung um eine konfessionell eindeutige Positionierung war ein besonderes Spezifikum des Luthertums. Dieses vermittelt die Untersuchung von Thomas Kaufmann über die "Wahrnehmung der Schwärmer im frühneuzeitlichen Luthertum" (179-231). Er sucht nach den Gründen für die scharfe Abgrenzung des Luthertums gegenüber den Schwärmern und zeichnet den Anti-Schwärmer-Diskurs nach. Es wird dabei deutlich, dass die Kämpfe gegen die Heterodoxie - die Auseinandersetzungen zwischen Biblizismus und individueller Inspiration des disziplinierenden Luthertums gegen die religiöse Pluralität der Schwärmer - ein "integrales Moment konfessionskirchlicher Etablierung" bei der Suche nach der lutherischen Identität gewesen sind. Dass es zur selben Zeit immer auch Versuche einer irenischen Behandlung von konfessionellen Konflikten gegeben hat, zeigt die kommunikationsgeschichtliche Studie von Hans Joachim Müller am Beispiel eines Theologen-Streits in Danzig (151-178), welche detailliert Chancen und Grenzen der Irenik in der ersten Hälfte des 17. Jh.s auslotet.

Insgesamt vermittelt der interessante Sammelband einen breiten Überblick über die Grenzen der Konfessionalisierung. Die von den Herausgebern vorgeschlagenen Begriffe "Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität" - von Thomas Kaufmann in der Einleitung definiert (9- 15) - wirken jedoch etwas bemüht und werden auch im Text nur selten benutzt.

Traditionelle Formulierungen wie "Devianz", "Heterodoxie", "Indifferenz" oder "Multikonfessionalität" reichen zur Beschreibung der behandelten Phänomene völlig aus. Dass nach der Lektüre Konfessionalisierung nur ein Mythos ist, ja das Paradigma womöglich zu den Akten gelegt werden kann, muss jedoch bestritten werden. Heterodoxe oder mehrkonfessionelle Phänomene können nur dort auftreten, wo zuvor eine spezifische Konfessionsnorm formuliert wurde. Die These, dass indifferentes und deviantes Verhalten trotz propagierter konfessioneller Identität vermutlich verbreiteter war als bisher angenommen, können jedoch nur weitere Mikrostudien nach dem Muster der hier vorgeführten nachweisen. Stimulierende Impulse für weiterführende Forschungen in diesem Bereich bietet der Sammelband jedenfalls reichlich. Hilfreich ist etwa der Hinweis von Frauke Volland, dass Konversionen und Mischehen keineswegs nur innerhalb der gesellschaftlichen Eliten, sondern auch im einfachen Volk sehr verbreitet waren (91-104), welches wohl erst im Laufe des 18. Jh.s zu einer spezifischen konfessionellen Identität fand. In ähnlichem Sinne - nämlich als einen intergenerativen Prozess - versteht auch Hartmut Lehmann die Konfessionalisierung (242-249), der u. a. für eine systematische Auswertung von Selbstzeugnissen plädiert. Ob sich jedoch das Judentum in das Konfessionalisierungsschema einfügen lässt, wie es Gerhard Lauer auf originelle Weise unternimmt (250- 283), mag indes noch bezweifelt werden.