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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

524–526

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Wolter, Johannes

Titel/Untertitel:

Apparitio Dei. Der Theophanische Charakter der Schöpfung nach Nikolaus von Kues.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2004. 313 S. gr.8 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge, 67. Kart. Euro 44,00. ISBN 3-402-04018-2.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Vf. will mit seiner Dissertation, die von der Katholisch-Theologischen Fakultät 2003 angenommen wurde, deutlich machen, dass Nikolaus von Kues die zentralen Themen des christlichen Glaubens auf den Begriff apparitio dei zusammenbringt: "Dieser Terminus kann als Schlüsselkategorie des Cusanischen Denkens betrachtet werden, weil er die Einheit des Verschiedenen ausdrückt" (12). Dies kann freilich auch von anderen Begriffen gesagt werden. Martin Thurner hat kürzlich im cusanischen Offenbarungsverständnis (vgl. ThLZ 127 [2002], 786-788) einen solchen Schlüsselbegriff gesehen. Es bleibt undeutlich, inwieweit die hier zu besprechende Arbeit die von Thurner überbietet oder ergänzt. Darauf geht der Vf. nur ganz kurz ein (72, Anm. 195). Er sieht im Begriff apparitio "die bleibende Verborgenheit und die gleichzeitige Offenbarkeit des göttlichen Geheimnisses" in einem (vgl. auch 205 f.).

Nach einer ausführlichen Einleitung (11-34) widmet sich der Vf. dem "Ausgangspunkt des Cusanischen Denkens" (35-90). In Kapitel 2 stellt er die "Voraussetzungen des Theophanischen Schöpfungsverständnisses" dar (91-157), in Kapitel 3 behandelt er die Schöpfungstheologie (159-203) und in Kapitel 4 den "Theophanische(n) Charakter der Schöpfung" (205-289). Literatur-, Abkürzungs- und Namensverzeichnis sind der Arbeit beigegeben.

Für den Vf. ergibt sich der Theophaniegedanke "als Konsequenz aus der Einsicht in die Unerkennbarkeit Gottes einerseits und in die gleichzeitige Notwendigkeit von dessen Erkennbarkeit andererseits" (23). Als Ansatzpunkt des Cusanischen Denkens "kommt der menschliche Geist in den Blick, der sich in seiner Selbstreflexion als lebendiges Bild des göttlichen Geistes erkennt, als Ort der Erscheinung Gottes (apparitio dei)" (31). Ob diese Selbstreflexion "nicht eines isolierten Subjekts, sondern des menschlichen Geistes" einen Gegensatz darstellt (so 42), wird man zumindest fragen müssen. Dagegen kann man (gegen Flasch) dem zustimmen, dass der Glaube keineswegs "bloß subjektive Voraussetzung des an sich unabhängig von diesem nachzuvollziehenden Denkens (ist), denn er ist die objektive Voraussetzung wahrer Erkenntnis" (49). Wenn der Vf. den menschlichen Geist als "lebendiges Bild der göttlichen Wahrheit" versteht (63 ff.), so muss das Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Geist bei NvK als das Verhältnis zwischen Urbild und Abbild angesehen werden. Mit Recht stellt der Vf. fest, dass NvK den Begriff apparitio dei nirgends definiert. Er will ihn im Koinzidenz-Begriff erläutert sehen. Sein Geschöpfsein könne man nur im Modus der apparitio dei verstehen (80 f.88).

Zentrale Bedeutung hat für NvK unbestritten sein trinitarisches Denken. Auch die Schöpfung kann er nur so begreifen. Ja, Gott erscheint immer "als trinitarischer, weil der menschliche Geist das Absolute nur so denken kann, nämlich als ein in sich selbst bestehendes bzw. durch sich selbst begründetes Einigungsgeschehen" (111; vgl. 164). So ist auch der menschliche Geist "imago complicationis divinae. Durch den Geist wird die gesamte Schöpfung als apparitio dei aktuiert" (118; vgl. 221). In der Schöpfung offenbart sich Gott darum, "dass seine Herrlichkeit vom menschlichen Geist erkannt werde" (134). Und Christus ist die "vollkommene Verwirklichung der höchsten im Geschöpflichen liegenden Möglichkeit", er ist "die perfectissima apparitio dei" (157).

In seiner Schöpfungslehre macht NvK deutlich, dass der Mensch teilhat am göttlichen Wirken, "damit die Welt apparitio dei sein kann" (160). Für ihn ist die Schöpfung die Koinzidenz göttlichen und geschöpflichen Wirkens. Von daher ist zu verstehen (worauf der Vf. an dieser Stelle nicht hinweist), dass NvK den Menschen als deus creatus bzw. secundus bezeichnen kann. Wenn der Vf. auf das Verhältnis zwischen platonischem und aristotelischem Denken bei Nvk hinweist und behauptet, dass sich bei ihm der Begriff natura "mit dem alles ... bewirkenden und daher in allem ... wirkenden spiritus, dem sich mitteilenden göttlichen Geist" deckt, so gibt er nachträglich noch dem heftigen Gegner des NvK Johannes Wenck von Herrenberg Recht, der diesem ja Pantheismus (wenn auch nicht mit diesem Begriff) vorgeworfen hatte (189). Doch pantheistisches Denken wird man NvK nicht vorwerfen können.

Zuletzt sieht der Vf. im Lob Gottes den theophanischen Charakter der Schöpfung, ja, sie ist einziges Gotteslob. Tatsächlich enden zahlreiche cusanische Schriften mit einem Lobpreis. In zehn "Feldern", die NvK in De venatione sapientiae beschreibt, wird dies verdeutlicht, in dem Feld der docta ignorantia, des Können-Ists, des Nicht-anderen, des Lichts, des Lobes, der Einheit, der Gleichheit, der Verknüpfung, der Grenze und der Ordnung. Begriffen wird unser Erkennen als "die Erscheinung des göttlichen Schöpfungs- bzw. Offenbarungswirkens", dabei ist alles Denken "nur der demütige Versuch, dem unbegreifbaren Geheimnis Gottes ein wenig näher zu kommen" (277.288).

Insgesamt kann man aus der vorgelegten Arbeit vieles lernen und cusanisches Denken begreifen. Doch bleibt ein grundsätzliches Problem. Der Vf. versucht, alles aus dem Begriff "apparitio dei" her zu entwickeln. Nur: Dieser Begriff wird von NvK nun wirklich nicht häufig verwendet. Revelatio bzw. revelare kommt bei ihm häufiger vor; auch ostensio wird von ihm gebraucht. Dabei wird nicht deutlich, dass die Begriffe jeweils etwas Verschiedenes ausdrücken. Wenn der Vf. anderer Meinung ist, hätte er dieses dargelegen müssen. Auch der Begriff theophania erscheint als an NvK herangetragen; der Rezensent findet ihn einmal in De ludo globi (n. 78) und in der Predigt XVIII, wobei die Predigten überhaupt nicht in die Arbeit einbezogen sind. Es ist immer so eine Sache, wenn man von einem Begriff her die ganze Lehre, das ganze Denken erfassen will. Zentral jedenfalls ist der Begriff apparitio dei bei NvK nicht, die Sache schon.

Auch einige andere Fragen müssen gestellt werden: Wenn der Vf. nach der Wirkung cusanischen Denkens fragt (25), so stellt er richtig fest, dass ihm "eine unmittelbare Wirkung auf die Folgezeit versagt blieb", doch meint er, dass Hegel und Rahner seinem Denken nahe stehen. Viel näher stehen ihm aber Schelling und vor allem Tillich. Diese Namen fallen gar nicht. Kann man Luther eine "voluntaristische Allmachtsauffassung" (27) nachsagen? Kann behauptet werden, der Einfluss von Marx habe zu einem "deistischen Schöpfungsverständnis" (29) geführt? "Docta ignorantia" sollte nicht mit "gelehrtes Nichtwissen" (37) übersetzt werden, sondern mit belehrtes. Und seit wann gilt Origenes als "Kirchenvater" (40)? Warum kann man im 15. Jh. noch nicht von einem "Traktat" sprechen? Man sprach in der Scholastik sehr wohl davon! Aber das sind eher Kleinigkeiten.

Insgesamt hat sich der Vf. bemüht, cusanisches Denken deutlich zu machen.