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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

522–524

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Tewes, Götz-Rüdiger, u. Michael Rohlmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich. Politik, Kultur und Familiengeschäfte in der europäischen Renaissance.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. VIII, 609 S. m. Abb. gr.8 = Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 19. Lw. Euro 129,00. ISBN 3-16-147769-3.

Rezensent:

Gerhard Müller

Als Giovanni de' Medici zum Papst gewählt wurde, waren die Verbindungen mit Frankreich zerrüttet. Sein Vorgänger Julius II. hatte nicht nur mit Frankreich Krieg geführt, sondern es nicht einmal verhindern können, dass französische Kardinäle ein Konzil einberufen hatten - und das nach der Verurteilung des Konziliarismus! Julius berief daraufhin zwar auch ein Konzil ein, aber auf ihm fehlten die Franzosen, so dass von einer allgemeinen Kirchenversammlung keine Rede sein konnte. Obwohl Giovanni de' Medici von den Franzosen 1512 im Krieg gefangen genommen worden war, setzte er als Papst die Politik von Julius nicht fort, sondern bemühte sich um eine Verständigung mit Frankreich. Dabei kam ihm die Florentiner guelfische Tradition zu Gute, die noch durch beste Kontakte der Familie Medici mit Frankreich unterstützt wurde.

Es ist also ein wichtiges Thema, dem sich eine Tagung in Rom 1999 gewidmet hat. Die dort gehaltenen Vorträge werden hier publiziert. Neben Historikern arbeiteten Kunsthistoriker und auch ein Musikwissenschaftler mit, so dass nicht nur den politischen, sondern auch den kulturellen Fragen nachgegangen wurde. Treibende Kraft dürfte G.-R. Tewes gewesen sein, der in seiner Habilitationsschrift 2001 bereits auf den Pontifikat Leos X. eingegangen war und weitere Forschungen über ihn für erforderlich erklärt hatte. Zwar gibt es über ihn zahlreiche und wichtige kunsthistorische Arbeiten, aber es war angebracht, ein interdisziplinäres Symposion durchzuführen und kein rein historisches, um ein klareres Bild zu erhalten.

Im ersten Beitrag behandelt G.-R. Tewes das Thema "Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X. Ursachen, Formen und Folgen einer Europa polarisierenden Allianz". Der Vf. verweist auf die früheren guten Kontakte der Familie Medici mit Frankreich, die der neue Papst sofort am Beginn seiner Amtszeit mit Geschick und Tatkraft wiederbelebte. Es wird die These formuliert, das Verhältnis von Leo und Franz I., der seit 1515 regierte, sei "eines der engsten, interessantesten und perfektesten do ut des-Systeme, die im ausgehenden Mittelalter existierten", gewesen. Damit es dazu kommen konnte, war seit dem Regierungsantritt Leos im Jahr 1513 eine Menge zu leisten gewesen. Der Vf. zeigt, welch ein intensives Netzwerk zwischen beiden Höfen auf- und ausgebaut wurde. Das Interesse Frankreichs bestand in größerem politischen Einfluss in Italien, aber auch in regem Austausch mit der römischen Kurie im Hinblick auf französische Benefizien. Dadurch vermochte der französische König etwa ihm genehme Bischofskandidaten gegen störrische Domkapitel durchzusetzen. Aber auch der Papst profitierte von der Allianz. So wurde 1516 mit dem jungen König ein Konkordat abgeschlossen, aber es wurde auch eine aktive Familienpolitik möglich. Leo wollte sich nicht mehr mit dem Patrizierstand seiner Familie in Florenz begnügen, sondern wollte sie in den europäischen Hochadel erheben. Dazu diente Heiratspolitik, wenn etwa sein Bruder mit einer Dame aus dem französischen Hochadel vermählt wurde. Das waren langfristige Ziele, die durchaus erreicht wurden: Die Medici wurden Herzöge (später Großherzöge), und Caterina und Maria de' Medici wurden Frauen und Mütter französischer Könige. Der Vf. weist nach, wie entscheidende Weichenstellungen von Leo vollzogen wurden.

Aber auch auf kirchlichem Gebiet errang er sofort Erfolge. Er verständigte sich am Beginn seines Pontifikates mit König Ludwig XII. von Frankreich, so dass dieser bereits im September 1513 das französische Konzil fallen ließ und das Fünfte Lateranum des Papstes anerkannte. Leo seinerseits sprach "die völlige Absolution des französischen Königs" aus und wälzte die Schuld für die bisherigen konziliaren Misshelligkeiten auf die römische Kurie, was dem französischen König erlaubte, sein Gesicht zu wahren. Der Papst anerkannte sogar die vom französischen Konzil vorgenommenen Benefizienvergaben, so dass es auch um Geld keinen Streit geben musste! Der Vf. meint, die Medici hätten ihre "dynastische Zukunft ... nur in einem Bündnis mit Frankreich liegen" sehen, nicht mit Spanien. Spanien wird aber erst wirklich wichtig durch die Wahl Karls zum Kaiser 1519. Maximilian I. war viel zu schwach gewesen, um als attraktive Alternative zu Frankreich dienen zu können. Auf die Kaiserwahl wird ausführlich eingegangen. Es wird nachgewiesen, dass Leo eine Kaiserkandidatur Franz' bis zuletzt favorisierte und erst auf Friedrich den Weisen einschwenkte, als sich Franz definitiv versagte. Für Leo wäre der französische König der willkommenere Kaiser gewesen, weil Karl als König von Neapel und Erzherzog von Österreich mit Ambitionen auf Oberitalien eine unmittelbare Gefahr darstellte.

Für den Kurfürsten von Sachsen setzte Leo sich gegen Karl ein, obwohl Friedrich "1518 als faktischer Beschützer ... Luthers aufgetreten ist", der schon im Oktober 1518 von Kardinal Cajetan als notorischer Ketzer eingestuft worden war. Konnte Leo trotzdem für Friedrich eintreten? Er konnte: "Luther und die beginnende Reformation wurden durch das Kategoriensystem der Medici nur nachgeordnet ... erfaßt. Mit Sicherheit war Leo X. die Kaisernachfolge erheblich wichtiger als die Luthersache." Das ist nicht neu. Aber auf dem Hintergrund der Politik Leos ist die geringere Wertung dieser kirchenpolitischen Angelegenheit um so verständlicher. Wo der Papst dennoch auch mit Spanien oder dem Kaiserhof verhandelte, wird das vom Vf. als pragmatisch abgetan oder erklärt, er sei "gezwungen" gewesen, "schon Anfang Mai 1521 ... mit dem Kaiser eine Konföderation einzugehen". Aber Politik besteht nicht nur aus Vorlieben, sondern eben auch aus Notwendigkeiten - ganz abgesehen von den spanisch gesonnenen Kardinälen in Rom, die eine allzu starke Anlehnung Roms an Frankreich für gefährlich hielten. Es wird verschwiegen, dass diese "Konföderation" ein Bündnis gegen Frankreich zum Zweck der Eroberung Mailands gewesen ist. Man wird also die richtige These einer starken Annäherung Leos an Frankreich nicht zu exzessiv betonen dürfen.

Die Hauptaussage des Bandes wird dann auch in anderen Beiträgen ein wenig relativiert, wenn etwa auf eine bildliche Darstellung des Sieges über Frankreich 1521 verwiesen wird. Auch wird gezeigt, dass italienische kulturelle Einflüsse am Hof Franz' I. 1515-1521 ganz gering gewesen sind. Erst nach 1526 versuchte Franz, "Italien nach Frankreich zu importieren" (Christine Tauber). Anders war es in umgekehrter Richtung: Für Leo besaß "Frankreich im Vergleich zu den anderen Nationen" eine "zentrale Position" im Hinblick auf Kunstwerke (M. Rohlmann), die er bekanntlich großzügig gefördert hat. Aufschlussreich ist ein Beitrag über die einzige von Leo vollzogene Heiligsprechung, durch die er "seine Verbundenheit mit dem rex christianissimus zum Ausdruck" brachte (Klaus Pietschmann), so der Ehrentitel des französischen Königs. Michael P. Fritz meint, der Papst habe "sich bereits im Frühsommer 1520 innerlich von Franz I. abzuwenden" begonnen. Durch die "unerhörten Forderungen des Franzosen-Königs" habe sich Leo "geradezu lächerlich gemacht" gefühlt. Rohlmann erklärt lakonisch: "Unter Hadrian (Leos Nachfolger) haben Spanien und Habsburg Frankreich an der Kurie abgelöst". Aber unter Leo lag der Schwerpunkt anders. Das nicht zu übersehen, leistet dieses Werk.