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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

516 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schwarz Lausten, Martin

Titel/Untertitel:

Abendländische Kirchengeschichte. Grundzüge von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2003. 329 S. m. Abb. 8. Kart. Euro 45,00. ISBN 3-631-50140-4.

Rezensent:

Volker Leppin

Zuerst und vor allem nötigt es Respekt ab, wenn ein einzelner Forscher sich daran macht, auf knappem Raum die gesamte Abendländische Kirchengeschichte darzustellen. Der Kopenhagener Kirchenhistoriker Martin Schwarz Lausten hat dies 1997 in seiner Muttersprache getan, nun liegt das Werk in deutscher Übersetzung vor. S. L. hat dabei vornehmlich die Entwicklung im deutschen Sprachraum im Blick, zeichnet sich aber darüber hinaus durch eine große internationale Weite, insbesondere die konsequente Einbeziehung des englischen und des französischen Sprachraumes aus. Unterbestimmt bleibt der Raum der Orthodoxie, so dass die Ausführungen zur russisch-orthodoxen Kirche (294-299), die wohl vor allem im Blick auf die ökumenische Bewegung im 20. Jh. abgefasst sind, historisch in der Luft hängen.

Die Disposition des Stoffes folgt der gängigen Epochengliederung - auch in Blick auf den Raum, der der Darstellung der einzelnen Epochen zugebilligt wird: Alte Kirche und Mittelalter haben zusammen etwa so viel Raum wie die Zeit seit der Reformation, und davon bleibt dem Mittelalter wiederum nur knapp die Hälfte. In diesem Rahmen hat S. L. in erstaunlicher Dichte und Fülle das wichtigste Material untergebracht.

Man vermisst kaum einen Namen (Wichern fehlt im Register, nicht aber im Text, s. S. 267): Das Fehlen Daniel Falks oder Julians von Aeclanum mag man dabei eher verschmerzen als das eines Markell von Ankyra, eines Norbert von Xanten, mit dem der gesamte Prämonstratenserorden fortfällt, oder, um die vielleicht gewichtigste Lücke zu nennen, eines Jean de Labadie, dessen Erwähnung es ermöglicht hätte, den lutherischen Pietismus stärker in seinem Zusammenhängen mit reformierter Frömmigkeit darzustellen.

Gewichtiger als das Fehlen einzelner Personen, das man in einem Werk dieses Umfanges gar nicht vermeiden kann, sind die konzeptionellen Folgen der sachlichen und methodischen Festlegungen, die S. L. trifft.

Er ist sehr deutlich an der Kirche als Institution und ihrem Verhältnis zum Staat interessiert. Die entsprechenden Passagen sind ausführlich und erhellend geraten. Daneben spielt auch die Theologie eine große Rolle. Oft gelangt S.L. zu eindringlichen, in ihrer Knappheit überzeugenden Kurzporträts von Theologen - in der Antike mehr als in der Neuzeit, bei der die zwei Absätze zu Schleiermacher kaum mehr leisten können als ein Benennen der allfälligen Schlagworte. Allerdings zeigt sich auch in diesem Bereich die Bevorzugung der lateinischen Christenheit nicht nur darin, dass etwa die Darstellung Tertullians deutlich besser gelungen ist als die Justins, dem es widerfährt, dass seine Theologie nicht ihm individuell, sondern den Apologeten insgesamt zugeschrieben wird. Wenig Sympathie gilt offenbar den äußerst knapp behandelten sieben altkirchlichen Konzilien, deren inhaltliche Problemgeschichte angesichts der starken Betonung der äußeren Einflussnahmen kaum zureichend erkennbar wird.

Noch größere Bedenken ergeben sich im Blick darauf, dass S.L.s Konzentration auf die traditionellen institutionen- und theologiegeschichtlichen Fragen mit einem starken Zurücktreten sozial- und frömmigkeitsgeschichtlicher Fragen verbunden ist. So kommt die Reformation praktisch vollständig über die Entwicklung Martin Luthers und die reichsrechtliche Umsetzung ins Blickfeld. Die Bedeutung der Städte tritt ganz zurück - erst der Calvinismus erhält das Prädikat "ausgeprägt städtische Bewegung" (196). Für die soziale Realität von Kirche so wichtige Entwicklungen wie die Konventikelbildung im Pietismus oder der Verbandsprotestantismus des 19. Jh.s werden zwar erwähnt, in ihrer Bedeutung aber kaum konturiert.

Die frömmigkeitsgeschichtlichen Defizite werden besonders akut an den von S.L. vorausgesetzten Epochenschnitten. Die Änderung des Bußverständnisses durch die iro-schottische Mission wird zwar erwähnt - wie viel sich damit aber für die Stellung des Menschen vor Gott änderte, bleibt dem unkundigen Leser verborgen. Komplementär dazu wird der Ablass nur sehr verkürzend und unzureichend dargestellt (160.174) - wie auch die damit verbundene Lehre vom Fegefeuer (174). Grob vereinfachend ist es, wenn im Zusammenhang der Devotio moderna von einer "Trennung von Theologie und Frömmigkeit" (165) die Rede ist, gleichzeitig aber die von Berndt Hamm aufgezeigte Frömmigkeitstheologie verbal und der Sache nach völlig ignoriert wird: Johannes von Paltz fehlt ebenso wie Pupper von Goch oder auch Gregor von Rimini; Jean Gerson erscheint lediglich im Zusammenhang konziliarer Theorien. Nimmt man noch hinzu, dass die Bewegung um Petrus Waldes nicht im Rahmen einer breiten Frömmigkeitsbewegung dargestellt wird, sondern unter der Überschrift "Ketzerverbrennungen" (129 f.), womit dann das Gegenüber von "volkstümlicher Kirche im Gegensatz zu der von Päpsten und Bischöfen regierten Kirche" (130) illustriert und zementiert wird, ergibt sich ein höchst traditionelles Bild vom finsteren Mittelalter.

Dies ist leider nicht das einzige in der Forschung überholte Klischee, das S. L. bedient: Die Konstantinische Wende wird ebenso ungeschützt mit der Schlacht an der Milvischen Brücke eingeleitet wie am Beginn der Reformation noch immer unproblematisiert ein wuchtiger Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 steht; das Papsttum bietet im 9. und 10. Jh. ebenso wie in der Renaissance beste Gelegenheit zu moralisierender Geschichtsschreibung, während der Speyerer Reichstag von 1526 immer noch in dem Sinne gedeutet wird, dass hier die Verantwortung zu reformatorischer Gestaltung freigegeben worden sei. So wenig wie diese Beispiele einer differenzierten Wahrnehmung des historischen Befundes dienen, so wenig ist auch begriffliche Schärfe die Sache dieses weitgehend narrativ angelegten Buches- wobei freilich nicht leicht festzustellen ist, wie viel hier auf das Konto des Übersetzers geht. Man schaue sich nur an, wie die Beschreibung Markions zwischen Zuordnung zur Gnosis und Rücksichtnahme auf die in der Forschung gängige Verselbständigung gegenüber der Gnosis schwankt, man achte nur darauf, wie nicht nur schon zum Beginn von Luthers Tätigkeit, sondern gar schon bei der Taufe Chlodwigs eine "römisch-katholische" Kirche als existent angesehen wird oder wie die nonchalcedonensischen Kirchen schlicht unter den Oberbegriff Orthodoxie gefasst werden. All das ist für jemanden, der "konkrete Informationen" sucht (9), wenig hilfreich - am allerwenigsten für Studierende der Theologie.

So unterstreicht das Werk von S. L. bei allem Respekt vor der komprehensiven Kraft doch auch die Schwierigkeit der Gestaltungsaufgabe einer Präsentation von 2000 Jahren Kirchengeschichte auf knappsten Raum. Der Renner auf diesem Gebiet - Bernd Moellers "Geschichte des Christentums" (Göttingen 72000) - ist durch dieses neue Werk jedenfalls keineswegs überholt.