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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

512–514

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vos, Johan S.

Titel/Untertitel:

Die Kunst der Argumentation bei Paulus. Studien zur antiken Rhetorik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XII, 220 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 149. Lw. Euro 59,00. ISBN 3-16-147849-5.

Rezensent:

Hans Dieter Betz

Die vorliegenden Studien zur Rhetorik der Briefe des Apostels Paulus reihen sich an eine Anzahl von einschlägigen Beiträgen an, die von Neutestamentlern besonders in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht wurden. Es handelt sich um sieben Kapitel, von denen zwei neu (Kap. I und VI), die anderen als Einzelartikel nach 1990 erschienen und nunmehr überarbeitet sind. Das einleitende Kapitel "Die Kunst, recht zu behalten" (1-28) gibt einen Überblick über die klassische Definition der Rhetorik als Mittel, "den schwächeren Logos zum stärkeren zu machen". Im Blick auf Paulus stellt sich die Aufgabe zu prüfen, ob sich die Argumentationen in seinen Briefen durch die von der zeitgenössischen Rhetorik bereitgestellten Mittel erhellen lassen. Dieser Test wird in Form von kommentarartigen Analysen ausgewählter Texte durchgeführt.

Kap. II (29-64) behandelt die Unterscheidung von "Weltlicher und geistlicher Rhetorik", mit der in 1Kor 1,10-3,4 argumentiert wird. Hier geht Paulus von der schwächeren Position des Skandalon des Kreuzes aus, um die im Evangelium geoffenbarte Weisheit Gottes als die mächtigere zu erweisen. Kap. III (65-86) richtet sich auf die "Sophistische Argumentation im Römerbrief". Die oft behaupteten Widersprüche im Gesetzesverständnis entsprechen einer planmäßigen Strategie der Dissoziation von Begriffen, die es Paulus erlaubt, je nach argumentativem Ziel mit dem mehrdeutigen Nomosbegriff zu arbeiten. Wie angeführte Beispiele belegen, gehört diese Technik zum Arsenal sophistischer Debatten. Kap. IV (87-114) wendet sich der Sparte "Offenbarungsrhetorik" in Gal 1,1-2,11 zu. Diese Art von Rhetorik ergibt sich aus dem Streit zwischen Paulus und seinen Gegnern über die Beweiskraft der von jenem behaupteten und von diesen bestrittenen göttlichen Legimitation seines Apostolates. Auch hier geht Paulus von einer schwächeren Position aus, um diese durch eine grundlegende Umwertung apostolischer Legitimation zur überlegenen zu machen. Kap. V (115-134) befasst sich mit dem Thema "Juristische Rhetorik (Gal 3,11-12; Röm 10,5-10)". Hier geht es um die Frage einer "hermeneutischen Antinomie", d. h. der logischen Beziehung von zwei scheinbar entgegengesetzten Schriftstellen. Das oft diskutierte Problem wird in Beziehung gesetzt zur juristischen Lehre vom status legum contrariarum, wobei gezeigt wird, dass Paulus sich in Übereinstimmung mit den Empfehlungen rhetorischer Handbücher befindet. Kap. VI (135-157) wendet sich der "Rhetorik des Erfolges" anhand von Phil 1,12-26 zu. Was für rhetorische Strategien stehen dem Apostel zur Verfügung, der sich in einer nahezu hoffnungslosen Lage im Gefängnis befindet? Im Rückgriff auf die militärische Rhetorik spricht Paulus die Philipper an als einer, der den Sieg im Grunde bereits errungen hat. Ohne seine Lage zu beschönigen, kann er darauf hinweisen, dass sie sich mit der Kreuzespredigt im Einklang befindet und keinen Anlass zu Klage oder Verzweiflung gibt, sondern vielmehr bereits zum Fortschritt des Evangeliums und der Gemeinde geführt hat. Diese Rhetorik findet sich reichlich in den Reden von Militärführern bei den Historikern und als militia spiritualis bei den Philosophen. Kap. VII (158-171) nimmt sich schließlich das äußerst komplizierte Problem von "Logik und Rhetorik in 1Kor 15,12-20" vor. Gegenüber korinthischen Skeptikern, die eine Auferstehung der Toten ablehnen, zeigt sich Paulus in einer schwierigen Ausgangslage. Dennoch gelingt es ihm in einer atemberaubenden Beweisführung, den Glauben an die Auferstehung der Toten als dem Evangelium logisch angemessen zu erweisen. Allerdings ist zu fragen, warum durch die Beschränkung auf 1Kor 15,12-20 der zweite Hauptteil des Beweisganges in 1Kor 15,21-57 unberücksichtigt bleibt.

Im Ganzen stellt der vorliegende Band einen deutlichen Fortschritt dar. Die Analysen der paulinischen Strategien beruhen auf gründlicher Kenntnis sowohl der antiken Primärquellen als auch der Sekundärliteratur. Am Ende steht Paulus da als ein ausgewiesener Meister in der Handhabung rhetorischer Argumentationstechniken, der auch schwierigste Probleme glänzend bewältigt. Dass der Vf. ihm angesichts dessen immer noch eine "rhetorische Schulbildung" abspricht (27-28.63), ist entweder ein alter Zopf oder stellt den Wert einer solchen ernstlich in Frage. Es kann dem Vf. wohl unterstellt werden, dass seine rhetorischen Stichproben nur Teilaspekte der Argumentation des Paulus darstellen und dass theologische, ethisch-paränetische und religionsgeschichtliche Sachargumente hinzutreten müssen, um aus schwachen überzeugende Denkpositionen werden zu lassen. Für die ausführlichen Register gebührt dem Vf. zusätzlicher Dank.