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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

463–465

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wenzel, Knut

Titel/Untertitel:

Zur Narrativität des Theologischen. Prolegomena zu einer narrativen Texttheorie in soteriologischer Hinsicht.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1997. V, 396 S. 8 = Regensburger Studien zur Theologie, 52. Kart. DM 98,-. ISBN 3-631-30229-0.

Rezensent:

Eckart Reinmuth

Mit der anzuzeigenden Arbeit - sie wurde von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg im Wintersemester 1995/96 als Dissertation angenommen - handelt es sich um eine systematisierende Aufnahme und Erweiterung der fruchtbaren Anstöße, die vor rund 25 Jahren vom Programm einer Narrativen Theologie ausgegangen waren. Damals kaum systematisch entfaltet, waren insbesondere seine schwache theologische Grundierung und unzureichende Erzähltheorie bemängelt worden. War die Kritik möglicherweise ihrerseits von einem korrekturbedürftigen Verständnis einer als im eigentlichen Sinn "theologisch" empfundenen argumentativen Diskursweise geprägt, so leistet die Arbeit von W. eine grundlegende Vergewisserungsarbeit im Blick auf das, was theologische Sprache im diskursiven Zusammenspiel von narratio und argumentatio, im Sachbezug von Erzählen und Erörtern, leisten muß und kann. Vor diesem Hintergrund geht es den Studien um das Entdecken und Aufweisen der Narrativität des Theologischen (als der "Gottesrede", die immer auch Rede vom Heil ist) anhand der Narrativität der Sprache.

Mittlerweile kann ein Versuch wie der vorliegende auf eine verbreiterte Bezugsfläche zurückgreifen - und das nicht nur in der systematisch-theologischen Theologie, sondern auch in anderen theologischen Disziplinen. Darüberhinaus ist die Bedeutung philosophischer, literatur- und geschichtstheoretischer Arbeiten für die gegenwärtige theologische Reflexion hoch zu bewerten. Sie werden denn auch - über die Auswahl ließe sich streiten - in meisterhafter Weise in den theologischen Diskurs einbezogen. Hatte u. a. das Stichwort von der Kirche als "Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft" am Anfang eines Entwurfs der Narrativen Theologie gestanden (Johann Baptist Metz), so ist damit ein Einsatzpunkt für die vorliegenden Untersuchungen gegeben, insofern es mit der Tätigkeit des Erzählens zugleich um das Problem der Zeit und ihrer narrativen Repräsentanz geht. W. geht deshalb von der Ricurschen These der Narration als der Reflexion menschlicher Zeiterfahrung aus, die ihrerseits an Aristoteles und Augustin entwickelt wird. Erzählung produziert Zeit-Raum; sie benennt und vermittelt komplexe Zeiterfahrung, in der Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart verbunden sind. Zeit kommt so nicht nur zur Darstellung, sondern in solcher Komplexität auch zur Rezeption: Zukunft wird als Erwartung, Vergangenheit als Erinnerung, Gegenwart als Vergegenwärtigung realisiert. Im Zeit-Raum der Erzählung kommt deshalb Wesentliches menschlichen Sich-Verstehens zur Sprache, insofern dem Menschen "reine" Gegenwart ebenso entzogen ist wie Vergangenheit oder Zukunft - sein "Leben in Geschichten" entspricht in dieser Hinsicht seinem "Sein in der Zeit". Damit ist eine wichtige Voraussetzung für das Verstehen der "jüdisch-christlichen Erzählung" formuliert. Denn die anthropologischen Dimensionen der Narrativität weisen ihr gegenüber wichtige Analogien auf. Dies gilt z. B. im Blick auf ihre Verweigerung gegenüber rationalen Letztbegründungen ("Offenbarung"), auf Bedeutung und Funktion des Metaphorischen in ihr, auf die Bestimmung des Gegenwärtigen (also etwa auch der "Heilsgegenwart") in der Spannung zwischen Erwartung und Erinnerung. Zugleich ist damit ein sachgemäßes Verhältnis zum Fakten- und Geschichtsbezug des Glaubens vorbereitet. Dem Erinnerungshandeln des Glaubens bleibt die abstrakte Faktizität des Erinnerten prinzipiell entzogen, denn nicht sie konstituiert die Erinnerung, sondern die erinnerte Sinnerfahrung. Auch der Kontext geschichtlicher Erfahrungen ist ja durch Erwartung und Erinnerung bestimmt (Reinhart Koselleck). Da aber die christliche Erzählung - wie jede narratio - nicht mit dem, wovon sie spricht, zusammenfallen kann, ist folgerichtig ihre Metaphorizität zu bedenken. Sie bringt als "Gottesrede" die Unanschaulichkeit Gottes narrativ zur Sprache.

Die Arbeit ist in 10 Kapitel untergliedert. Ricurs Erzähl und Metapherntheorie bietet eine fundamentale Vorgabe - nicht nur, weil sie zeitgenössische Fragekomplexe aufarbeitet, sondern auch, weil sie theologisch-hermeneutische Problemstellungen durchaus im Blick hat. Referat und Reflexion seines dreifachen Mimesiskonzepts werden in Kap. 2 geboten. Damit hat sich W. eine Grundlage erarbeitet, die versichernd und kritisch im weiteren Gang der Untersuchung präsent bleibt. Die nachfolgenden Kapitel sind wie Bausteine zu lesen, mit denen wichtige Denkfelder bearbeitet werden - eine Arbeit, die im Blick auf die im Untertitel angegebene Zielsetzung unabdingbar ist. Es geht im einzelnen zunächst um die Eigenarten der Geschichts- und der Fiktionserzählung, der erzählten Zeit und des Lektüre-Ortes. Regelmäßige "Theologische Zwischenbilanzen" werten die Erträge aus. Ausführungen zur Werkhaftigkeit des Textes (Mündlichkeit-Schriftlichkeit, Sinn- und Textautonomie usw.), zu Wesen und Tragfähigkeit der Metapher sowie - unter dem überschreibenden Stichwort "Revision" - zu wesentlichen Konstituenten theologischen Textdenkens münden in eine "Letzte theologische Zwischenbilanz" (335-382) aus. Sie führen in die Konsequenz, das Stichwort "Heilsgeschichte" von der Vorstellung einer "Historie des sich real durchsetzenden Heils" zu befreien (356). Es gehe mit ihr vielmehr um "die Geschichte des erinnernd-hoffenden Erzählens vom Heil", um das "Wachhalten dieser Erzähltradition in einer Geschichte des Unheils" (ebd.). Diese These schließt die Forderung nach einer Korrektur substantialistischer, geschichtsabstrakter Rede vom "Heil" und seiner Gegenwart ein.

W. zeigt, daß eine systematische Entfaltung der narrativen Funktion von Sprache eine neue Zuordnung von Erzählen und Erörtern erfordert. Beide Tätigkeiten partizipieren in theologischer Sprache an der Unerzählbarkeit dessen, was sie metaphorisch vermitteln, insofern sie vom Heil sprechen. Mit dem Stichwort "Gegengeschichten" (für die unter anderen Beispielen die Gottesreichverkündigung Jesu herbeigezogen wird) verfolgt W. die theologisch zu fordernde, narrativ, z. B. im Gestus des Eingedenkens, der Klage, der Metaphorisierung von Rettungs- und Ohnmachtserfahrungen, sich vollziehende Entkopplung von Erinnerung und Macht. Diese Entkopplung geschieht dekonstruktiv; sie verhindert immer wieder die Endgültigkeit der "herrschenden Geschichten" und hält so die Erwartung eschatologischen Sinns wach: "Erinnerung, die nicht vorm Horizont der Hoffnung Kontur erhält, ist keine, und Hoffnung, die nicht im Eingedenken konkret wird, hat keine Bedeutung" (363). Die Erzählungen der christlichen Gottesrede können so als "Präfigurationen des Heils" (370 ff.) verstanden werden. Mit solchem Erzählen wird die Erwartung eschatologischen Heils erinnernd wachgehalten. Damit ist eine Offenheit verbunden, die auch die Geschichte als unabgeschlossene einbezieht - Eingedenken erscheint so als "offener und öffnender Umgang mit der Vergangenheit" (377). Die Rede vom Heil aber ist auch da, wo sie vom "Jetzt" spricht, immer in eschatologischer Bezogenheit zu verstehen, wie sie aus der erinnernd-erwartenden Spannung des Erzählens erwächst. W. hat mit seinen konzentrierten Studien einen anregenden Beitrag geleistet, dem u. a. auch im Blick auf das Verständnis und die Zielsetzung exegetischer Arbeit eine eingehende Diskussion zu wünschen ist.