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Ausgabe:

Mai/2005

Spalte:

497–499

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Burkes, Shannon

Titel/Untertitel:

God, Self, and Death. The Shape of Religious Transformation in the Second Temple Period.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2003. X, 287 S. gr.8 = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 79. Lw. Euro 84,00. ISBN 90-04-12954-5.

Rezensent:

Otto Kaiser

Shannon Burkes legt in der Einleitung (1-35) eine differenziert argumentierende Rechenschaft über ihr Vorhaben ab, in dem vorliegenden Band die Entwicklungslinien nachzuzeichnen, die in nachexilischer Zeit zu einem neuen Verständnis des Todes und damit zugleich Gottes und des Menschen geführt haben. In der Tat geht es dabei um einen tief greifenden Wandel des Existenzverständnisses, weil der Tod nicht mehr als das Ende, der Mensch nicht mehr primär im Horizont einer corporate identity als Glied seiner Sippe, sondern als selbständiges sittliches Individuum und Gottes Wirken am Menschen nicht mehr als auf die innerweltliche Wirklichkeit begrenzt verstanden wird, sondern verheißen wird, dass es erst in einer neuen postmortalen Welt seine Vollendung findet. Da diese Entwicklung in die Persische und Hellenistische Epoche der Geschichte Israels fällt und diese Epochen unter dem Einfluss eines im 19. Jh. verwurzelten Denkens nicht im Zentrum der philologischen und archäologischen Interessen standen, hat dieser Wandel nach der zutreffenden Ansicht B.s längst nicht die Beachtung gefunden, die er der Sache nach verdient hat und die ihm nun in der hier angezeigten Abhandlung zuteil wird.

Es ist B. gelungen, ihre Leser auf einem hohen Sprach- und Reflexionsniveau in drei Kapiteln durch die Geschichte zu führen. Sie begleitet sie über die in unterschiedlicher Weise skeptischen Einsprüche des vielstimmigen Hiobbuches und des im Wesentlichen homophonen Koheletbuches (Kapitel 1: 37-85), die um die skeptischen Einwendungen wissenden Verteidigungen des Glaubens an Gottes gerechtes Handeln am Menschen durch Ben Sira, das ihm in den c. 1-6 darin zustimmenden und in den c.7-12 die Lösung dank visionärer Eröffnungen in das Afterlife verlegende Danielbuch (Kapitel 2: 87-157) bis hin zur Weisheit Salomos und zu 4Esra (Kapitel 3: 159-233). In jedem dieser drei Kapitel werden die jeweiligen Autoren unter den vier Gesichtspunkten ihrer Theologie, ihrer Anthropologie, ihrer Epistemologie und ihrer Behandlung des Todes untersucht. Dabei ergibt sich ein innerer Zusammenhang, in dem der traditionelle Gottesglaube Israels auf Grund der individuellen Erfahrung und Sicht der Dinge auf je eigene Weise stabilisiert wird, wobei seit den Erfahrungen der Verfolgung der Gerechten die Lösung der bedrängenden Fragen am Ende der Tage, im jüngsten Gericht und für die Gerechten im nachfolgenden ewigen Leben gesucht wird.

Leider ist es angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes nicht möglich, B.s insgesamt umsichtigen Argumentationen im Einzelnen zu folgen. Daher beschränkt sich der Rezensent auf ein Referat, das den inneren Zusammenhang der behandelten Bücher mit ihren unterschiedlichen Lösungsversuchen so gut nachzeichnet, wie es in diesem Zusammenhang möglich ist: Da das Hiobbuch keine abschließende Lösung enthält, erscheint es als ein großes Experiment, welches die unterschiedlichen Gottesvorstellungen erprobt und damit künftigen Lösungsmöglichkeiten den Weg bereitet. In diesem Zusammenhang gesehen repräsentiert Kohelet die äußerste Möglichkeit, die im Hiobbuch angeschnittenen Probleme der Ferne Gottes in der Welt und der Rätselhaftigkeit des menschlichen Schicksals ohne die Annahme des Glaubens an die persönliche Unsterblichkeit zu lösen (59). Vergleicht man beide, so wird der Unterschied deutlich: Das die Möglichkeiten der Erklärung unschuldigen Leidens auslotende Hiobbuch lässt die Auflehnung des einst so frommen Hiob und seinen Rückzug auf sich selbst in seiner Wiedereinfügung in die Gemeinschaft enden; für Kohelet ist Gott zu weit vom Menschen entfernt, um Leiden über ihn zu verhängen. Die Natur geht ihren ewigen Gang ohne göttliche Intervention. Dem Menschen bleiben nur die Möglichkeiten, die dunkle Schicksalsmächtigkeit Gottes nicht herauszufordern, sich des kleinen vergänglichen Glücks als Lohn für seine Mühsal zu erfreuen und sich mit seinem Todesgeschick abzufinden. "Hiob" leidet unter einer kürzlich eingetretenen Katastrophe, Kohelet beschreibt die grundsätzliche Bodenlosigkeit einer Welt, deren Gang der Einzelne kaum kontrollieren und in der er lediglich versuchen kann, nicht unter die Räder des Zufalls zu geraten. Gott selbst aber ist für beide unberechenbar geworden.

Dagegen hat Ben Sira es noch einmal versucht, mittels einer Strategie einer viele Aspekte umfangenden Verteidigung der Gerechtigkeit Gottes, der Güte seiner Schöpfung und der Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun seine Schüler in den traditionellen Lebens- und Deutungszusammenhang einzufügen, wobei man seinen Lehren abspürt, wie sehr ihn die Ferne Gottes und die Unvermeidlichkeit des Todes beunruhigt haben. Das Danielbuch wurde wenige Jahrzehnte später unter dem Einfluss der Religionsverfolgung durch Antiochos IV. abgeschlossen. In seinen ersten sechs Kapiteln treten die Legenden für die Gerechtigkeit des Gottes ein, der die, welche ihm die Treue halten, aus allen Gefahren errettet und durch seine Daniel verliehene Weisheit die Wirrnisse und Geheimnisse der Geschichte zu lösen vermag. In den zweiten sechs Kapiteln berichtet Daniel von seinen Visionen, deren endgeschichtlichen Sinn ihm Engel deuten, so dass er weiß, dass die Erlösung Israels und die Auferstehung der Toten nahe bevorsteht. Der ferne Gott, dessen gerechtes Walten in dieser Weltzeit verborgen ist, wird dann in seiner Treue zu seinem Volk und zugleich in seiner Gerechtigkeit offenbar, und dem Tode wird die Macht genommen werden.

Der Verfasser der Weisheit Salomos versteht es, ein ganzes Arsenal von Argumenten aufzubieten, um die zunehmend bedrängenden Probleme der göttlichen Gegenwart und der Sterblichkeit des Menschen zu lösen. Er gibt unumwunden zu, dass die Gerechten von den Frevlern ermordet werden können, aber verheißt ihnen, dass ihre Seelen im Tode in Gottes Hand fallen und im jüngsten Gericht zum ewigen Leben gelangen werden. Der Schwerpunkt liegt auf dem Schicksal der Frommen, für welches das Los der Frevler lediglich als dunkle Folie dient. Ist die Sapientia Salomonis spätestens in den 40er Jahren des 1. Jh. n. Chr. entstanden, so gehört das 4. Esrabuch als Antwort auf die Katastrophe des Jahres 70 an sein Ende. In ihm klagt Esra über die unverhältnismäßige Züchtigung seines Volkes und die Verderbnis der menschlichen Natur, die es immer wieder zu solchen Katastrophen kommen lässt. Doch im Fortgang seiner Gesichte erhält er vom Erzengel Uriel die Auskünfte, dass das Geheimnis des göttlichen Weltregiments den Menschen in dieser Weltzeit verborgen bleibt, aber in der kommenden Welt und mithin nach dem Tode den Menschen in seiner ganzen Gerechtigkeit offenbar werden wird.

In der Zusammenfassung ordnet B. die Ergebnisse noch einmal systematisch. Die abschließenden Überlegungen aber ziehen das Fazit (262), dass in dem hier behandelten Zeitraum an die Stelle des durch den königlichen Kult vermittelten Zugangs zu Gott für das Rabbinische Judentum wie das Christentum der durch die Schrift getreten ist. Der Verlust des eigenen Landes aber hat paradoxerweise im jüdischen Denken der exilisch-nachexilischen Zeit zu einer Ausdehnung der Herrschaft Gottes erst über die Völker und dann selbst über die Unterwelt geführt. Dabei war es zumal die Verborgenheit seines Wirkens in der Welt, die dem Glauben an die individuelle Unsterblichkeit den Weg gebahnt hat. So ist durch diese Wandlungen eine Theologie entstanden, die monotheistisch und damit monistisch, persönlich und textgebunden ist. Andererseits ist auch das westliche, im Schatten der Aufklärung stehende Denken, das um die Ausgesetztheit des Einzelnen kreist, nicht so neu, wie es den Anschein hat (262).

Die üblichen Verzeichnisse in Gestalt einer Bibliographie (263-276) und eines Autoren- und Stellenverzeichnisses (277- 287) erleichtern die Benutzung des Buches und regen zu weiteren Studien an. Hätte B. die europäischen redaktionskritischen Untersuchungen zur Prophetie und den Weisheitsbüchern zur Kenntnis genommen, hätte sie bei ihrer Begabung das Jahrhundertwerk geschrieben. Trotz dieses Mangels steht der Rezensent nicht an, diese kluge und sorgfältige Abhandlung der Aufmerksamkeit nicht nur der Fachkollegen, sondern auch der der Religions- und Geistesgeschichtler nachdrücklich zu empfehlen.