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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

465 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ventur, Birgit

Titel/Untertitel:

Martin Bubers pädagogisches Denken und Handeln.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2003. X, 236 S. 8. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-7887-1926-5.

Rezensent:

Christian Stäblein

In ihrer Münsteraner Dissertation verfolgt Ventur eine explizit religionspädagogische Rezeption des Buberschen Werkes. Über die geläufige Deutung des Buberschen Erziehungsdenkens als "phänomenologische Ausdeutung seines dialogischen Prinzips" (199) hinaus liegt für V. das Spezifikum von Bubers Ansatz in dessen umfassendem Gottes- und Weltbezug, durch den der Erziehungsgedanke ausdrücklich religiös begründet wird.

Der Aufweis der religiösen Durchdringung der pädagogischen Vorstellungen Bubers wird in drei Schritten geführt. Zunächst entfaltet V. die geistigen Grundlagen (Zionismus, Beschäftigung mit Chassidismus und hebräischer Bibel sowie Dialogphilosophie; 3-41). Im Hauptteil rekonstruiert V. das pädagogisches Wirken Bubers im Gesamtzusammenhang von Leben und Werk, wobei sie einen biographisch-entwicklungsgeschichtlichen mit einem systematisch-begrifflichen Ansatz verbindet (42-198). Die sichtbar gewordenen Grundlinien werden schließlich in Thesen zur religiösen Dimension sowie zum Weltbezug des pädagogischen Denkens bei Buber zusammengefasst (199-208). Das Literaturverzeichnis dokumentiert das umfangreiche Quellenmaterial, das V. zur luziden Darlegung der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge heranzieht.

In der Entfaltung der geistigen Grundlagen erarbeitet V. die charakteristischen Topoi von Bubers pädagogischem Denken. Vor allem die Deutung des Chassidismus als einem Ansinnen, "die Welt in Gott zu lieben" (19), um so die Gottesebenbildlichkeit im eigenen Tun in der Welt und für die Welt sichtbar werden zu lassen (205-207), erweist sich als "Wurzelgrund" und als "Medium" (20) seines pädagogischen Ansatzes. Die chassidischen Geschichten mit ihrer impliziten Aufforderung zum Überdenken von Einstellungen und Verhalten stellen eine "Hilfe zur Selbsterziehung des Menschen" (21) dar. Damit ist ein herausragendes Merkmal von Bubers Erziehungsdenken genannt, das auf den Grundprinzipien seiner Dialogphilosophie, Hinwendung, Gegenseitigkeit und Begegnung, aufbaut. "Wahre Erziehung" ist Selbsterziehung, weil sie den Menschen nicht zu einem passiven Objekt degradiert, sondern ihn als Angeredeten zum antwortenden Subjekt werden lässt (197). Als konstitutiv für ein erzieherisches Verhältnis, das implizit dialogisch sein muss, nennt Buber das Element der "Umfassung" (die "volle Gegenwärtigung des anderen" durch den Erziehenden, der so "bei sich selbst und zugleich drüben beim Zögling" steht; 62 f.) sowie ein in dieser Umfassung gründendes Vertrauen des zu Erziehenden zum Erzieher. Voraussetzung hierfür ist, dass sich der Erziehende als von Gott angesprochen versteht, mithin sich selbst im dialogischen Verhältnis weiß (201). Erst so erhält eine Erziehung zum wahren Menschsein ihren "eigentlichen", religiösen Gehalt als Erziehung zu Gottes Ebenbild. "Echte" Erziehung ist stets religiös (204), denn Menschwerdung realisiert sich im dialogischen Gottesbezug.

Dass diese Erziehung zum wahren Menschsein sich zugleich weltbezogen ereignet, verdeutlicht V., indem sie Bubers umfangreiches Wirken in pädagogisch-gesellschaftspolitischen Kontexten analysiert, angefangen bei dessen kulturzionistischen Aktivitäten über seine Mitarbeit am Freien Jüdischen Lehrhaus, sein Wirken am "Aufbau im Untergang" im Rahmen der "Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung" in der Zeit des Nationalsozialismus bis hin zur Konzeption einer Volkshochschule als Beitrag zum Aufbau einer jüdischen Heimstätte in Palästina. Stets geht es Buber um die Schaffung von Lern- und Lebensgemeinschaften, in denen es durch rechte Erziehung zur Überwindung der Krise und zur geistigen Erneuerung und Heimführung des "hauslos" gewordenen Menschen kommen soll. Dem Judentum kommt hierbei für Buber die Aufgabe zu, "den Völkern auf dem Weg der Menschheitserneuerung beispielhaft voranzugehen" (8 f.205), um so als Partner Gottes auf die Vollendung dieser Welt vorzubereiten.

V. entfaltet nicht nur Bubers pädagogisches Denken und Handeln detailliert und kontextbezogen - die Verschränkung von Leitmotiven mit zeitgeschichtlichen Rekonstruktionen ist inhaltlich erhellend, wenn auch bisweilen auf Kosten der Übersichtlichkeit -, sondern gibt daneben vielfältige Impulse für den gegenwärtigen religionspädagogischen Diskurs. Die Positionierung des Erziehenden etwa, der durch seine "Präsenz" (62) zum Mittler, ja "Medium" (201) wird, durch das Gottes Wille vernehmbar werden kann, und der sich deshalb als "wahrer Lehrer" in Selbstbeschränkung zu üben hat (195), kann der Diskussion um Rolle und Authentizität des Erziehenden neue, religiöse Grundierung geben. Damit ist nur einer von zahlreichen wichtigen Aspekten genannt, die V. herausarbeitet. Die Religionspädagogik kann durch dieses lehrreiche Buch einen kräftigen Anstoß zur (Wieder-)Begegnung mit Bubers Erziehungsdenken erfahren.