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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

462 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Mertin, Andreas, u. Karin Wendt

Titel/Untertitel:

Mit zeitgenössischer Kunst unterrichten. Religion - Ethik - Philosophie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 176 S. m. 67 Abb. gr.8. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-525-61402-0.

Rezensent:

Gerd Buschmann

Bilder begegnen gelegentlich im (nicht nur symboldidaktischen) Religionsunterricht, Kunstwerke schon seltener - und dann in der Regel für den Unterricht funktionalisiert - und moderne Kunst begegnet wohl kaum. Dieser Band des Medienpädagogen (in ähnlicher Aufmachung wie seine Titel "Videoclips im Religionsunterricht", "Internet im Religionsunterricht" und "Werbung als Thema des Religionsunterrichts") und der Kunsthistorikerin, die beide auch als Ausstellungskuratoren tätig sind (u. a. bei der documenta), möchte insbesondere erreichen: dass endlich auch moderne Kunst Eingang in den Religionsunterricht findet und dass Kunst dabei zu ihrem Eigenrecht kommt. Dazu dienen nach einer Einleitung "Zeitgenössische Kunst im Unterricht?" (7-16) fünf Kapitel, drei einführend-theoretisch und zwei praktisch-konkret: I. "Das Bild im Kontext" (17-34), II. "Kunst" (35-74), III. "Kunst erschließen" (75-102) sowie IV. "Mit Kunstwerken arbeiten I" (103- 136) und V. "Mit Kunstwerken arbeiten II" (137-176).

Wozu zeitgenössische Kunst im Religionsunterricht? Ist das nicht Aufgabe des Faches Kunst? Soll die autonom gewordene Kunst religiös missbraucht werden? Nein; angesichts der ästhetischen Kehre am Ende des 20. Jh.s geht es um "sehen lernen", um sinnenhaftes Sich-Einlassen-Lernen auf den autonomen ästhetischen Prozess von Gegenwartskunst. Das ist die Quintessenz der Einleitung - und das bedeutet negativ: Kunst kann heute nicht mehr der Illustration religiösen Gedankenguts dienen und Lernprozesse mit zeitgenössischer Kunst sind nicht immer plan- und steuerbar. Kapitel I. bietet Überlegungen zur Macht der Bilder, zum Bilderstreit, zum Verhältnis von Kunst und Christentum, Freiheit, Leben und Bildung. Kapitel II. klärt die Frage Was ist Kunst? am Verhältnis Bild/Schrift, Kunst/Künste, dem Betriebssystem Kunst (Museen, Kunstvereine, Galerien, Messen, Sammler, documenta), den Kunstformen (Malerei, Skulptur, Performance, Video-Kunst) und der Frage nach Kunst in Moderne und Postmoderne. Kapitel III. Kunst erschließen geht aus vom Widerstreit von Pädagogik und Ästhetik, von Zweck und Zwecklosigkeit, von Gehalt und Form und beschreibt Kunstwerke als Schule der Wahrnehmung, als Erkenntnis der Welt und als religiöse Erkenntnis, bevor sechs praktische Stufen der Annäherung an Kunst im Unterricht entwickelt werden. Die praktischen Kapitel IV. und V. verlassen die ausgetretenen Inhalte wie Christusbilder, Abendmahl oder Schöpfung und thematisieren mit Bezug auf zeitgenössische Künstler u. a.: Kunst und Religion (Georg Baselitz), Menschenbild der Kunst (Francis Bacon, Jeff Wall), Kunst und soziale Fragen (Louis Mueller, Joseph Beuys, Gregor Schneider), Thema Farbe (Barnett Newman, Thomas Huber), Alltägliches (Duane Hanson, Jeff Koons), Abstraktion und Natur (Siegmar Polke, Timm Ulrichs), Intensitäten (Wolfgang Laibs, Madeleine Dietz u. a.), Kirchenraum (Jürgen Brodwolf, Alba D'Urbano, Thom Barth) und Kultur des Erinnerns (Daniel Libeskind, Peter Eisenman).

Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass sich theologisch wie kunstwissenschaftlich gleichermaßen gebildete Verfasser diesem religionspädagogischen Desiderat stellen; denn schwer erträglich ist die zuweilen immer noch nur illustrierende Bebilderung von Religionsbüchern oder die religionspädagogische Fixierung auf Chagall, Habdank o. Ä. Die Verfasser sind auf der Höhe der Zeit und es begegnen in den Praxis-Kapiteln interessante und relevante Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart. Erhellend ist auch, wie diese Zeitgenossen immer mit der kunst- und theologiegeschichtlichen Tradition in Verbindung gesetzt werden, erfreulich auch die inhaltlichen Zuordnungen, die durchaus lehrplanmäßig zuzuordnen sind, ohne dass der Eigenwert der Kunstwerke durch vorschnelle Funktionalisierung verloren geht.

Höchst erfreulich auch die - von Mertins Veröffentlichungen bekannten - Internetverweise (bes. S. 98 ff. sowie elektronischer Anhang des Buchs unter http://www.v-r.de/mertin/kunst.html), mit Hilfe derer manche Materialien schülernah präsentiert und Bearbeitungsmöglichkeiten erschlossen werden können: Wie sehr ermangelt der traditionellen Theologie noch immer die Option Internet. Bedenken stellen sich dem Rezensenten lediglich im Hinblick auf die Frage, inwieweit die vorgestellten zeitgenössischen Kunstwerke tatsächlich schulisch vermittelbar sind: Vieles erscheint in den didaktischen Überlegungen der Verfasser selbst für Oberstufenschülerinnen und -schüler recht hoch angesetzt und auch in den Hinweisen und Erläuterungen allzu knapp und nur angedeutet. Aber eben hier hat die konkrete Arbeit der Unterrichtenden anzusetzen - Impulse dazu sind mit diesem hilfreichen und thematisch innovativen Buch jedenfalls gegeben.