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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

460–462

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Lück, Christhard

Titel/Untertitel:

Beruf Religionslehrer. Selbstverständnis - Kirchenbindung - Zielorientierung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 426 S. m. Abb. u. Tab. gr.8 = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 25. Geb. Euro 38,00. ISBN 3-374-02097-6.

Rezensent:

Anton Bucher

Religionslehrerinnen und -lehrer sind in den letzten Jahren in den Fokus des religionspädagogischen und kirchlichen Interesses gerückt. Schon längst ist allen kirchlichen Interessensvertretern bewusst, dass Religionslehrer für zusehends mehr Heranwachsende die einzigen Repräsentanten institutionalisierter Religion sind. Zum einen kann dies die Erwartungen an die Religionslehrer steigern: Sie sollten - zumindest punktuell - kompensieren, was früher in den stärker religiösen Elternhäusern geschah - das erwarten die katholischen Bischöfe vom Religionsunterricht an den Grundschulen ausdrücklich. Zum anderen kann den Religionslehrern gegenüber eine Haltung des mitleidigen Bedauerns aufkommen. Sie müssten, bei angeblich immer schwieriger werdenden Kindern, nahezu Unmögliches leisten und stünden in der Gefahr, dass ihre anfängliche Begeisterung unweigerlich in der kalten Asche des Burnout erstickt.

Von daher ist es von besonderem Interesse, Einblicke in den Alltag von Religionslehrern zu erhalten, insbesondere in ihre subjektiven Sichtweisen, weil diese für die Unterrichtenden die Realität sind. Solche Erkenntnisse zu liefern, die über episodische und zufällige Eindrücke in Richtung Objektivität hinausgehen, ist Aufgabe der empirischen Religionspädagogik, die in den letzten Jahrzehnten einen beträchtlichen Aufschwung erlebt hat. Einen besonders bemerkenswerten Baustein der empirischen Religionspädagogik lieferte Christhard Lück mit seiner groß angelegten und differenziert ausgewerteten Befragung von evangelischen Religionslehrerinnen und -lehrern, die in Nordrhein-Westfalen tätig sind. Die Wahl seiner Population begründete er damit, dass die Grundschule speziell in der evangelischen empirischen Religionspädagogik ein Stiefkind sei - in der katholischen Religionspädagogik lägen etliche Studien vor. Diese Lücke sei umso notwendiger zu schließen, als sich die Diskussion über die Zukunft des Religionsunterrichts generell, insbesondere über seine organisatorische Gestalt (konfessionell, interkonfessionell-kooperativ etc.), auf die Grundschule fokussiert habe.

L. legt eine methodologisch einwandfrei durchgeführte Studie vor, die von der theoretischen Annahme ausgeht, "dass im Sinne eines Interdependenzzusammenhangs zwischen der äußeren und der inneren Form des Religionsunterrichts besonders die den Lehrer(inne)n inhärenten Grundüberzeugungen über die im Religionsunterricht zu verfolgenden Aufgaben, Ziele und Inhalte ihr Wahlverhalten determinieren" (21). Konkret erfragte er also nicht nur die gegenwärtige Organisationsstruktur des Religionsunterrichts, speziell ob konfessionell getrennt (an westfälischen Schulen schon längst nicht mehr die Regel, 44) oder ökumenisch, sondern auch, wie die Lehrer diesen Formen gegenüber eingestellt sind, insbesondere auch gegenüber konfessioneller Kooperation. Zusätzlich erfragte L. die von den Religionslehrern verfolgten Ziele, die bevorzugt eingesetzten Unterrichtsformen, die von ihnen registrierten Probleme, beispielsweise Mangel an religiösen Vorkenntnissen bei den Kindern (von 57 % bejaht, 172) oder Disziplinstörungen (von mehr als einem Drittel registriert), die Beziehungen zur Schule, den Eltern etc. Anders als zahlreiche empirische Studien, die sich mit der Auflistung von Prozenten begnügen, führte L. - professionell - eine Faktorenanalyse durch, welche die den konkreten Items zu Grunde liegenden Strukturen (10 Faktoren) zu Tage förderte.

Obschon es nicht Aufgabe einer Rezension ist, empirische Ergebnisse zu beschreiben, verdient vor allem festgehalten zu werden, dass L. zu differenzierenden Ergebnissen gelangte, die möglichen Stereotypen des Religionsunterrichts den Boden entziehen. Religionslehrerinnen und -lehrer, die interreligiöses Lernen unterstützen, sind deswegen keineswegs "konfessionell neutralisierte Religionsunterrichtsautomaten" (397), sondern - im Gegenteil - in das Leben ihrer Pfarrgemeinde stärker eingebunden als die Vergleichsgruppen (330). Obschon immerhin 40 % der Befragten angaben, nicht aktiv am Leben einer Pfarrgemeinde teilzunehmen, sind christliche Optionen nicht aus dem Zielkatalog der Religionspädagogen verschwunden:

"Christliche Werte vermitteln" ist 88 % wichtig, "biblisches Grundwissen vermitteln" für 67 %, und selbst die Beheimatung in der Konfession ist den Befragten mehrheitlich "eher wichtig" (137). Und nicht zuletzt: Obschon allenthalben geklagt wird, wie schwierig Religionsunterricht geworden sei (schwindende Voraussetzungen, Zunahme an verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern etc.), sind die von L. befragten Religionslehrer in einem überraschend hohen Ausmaß mit ihrem Beruf zufrieden, diejenigen, die sich aktiver am Leben einer Pfarrei beteiligen und sich mit der evangelischen Kirche besonders verbunden fühlen, noch mehr als die anderen.

Abgeschlossen wird die Studie mit einer zusammenfassenden Diskussion und mit Handlungsorientierungen. Zu Recht ist L. mit normativen Schlussfolgerungen, die einem Empiriker ohnehin so nicht zustehen, zurückhaltend. Nüchtern hält er noch einmal fest, dass speziell in der ersten Grundschulklasse "die konfessionelle Trennung ... nahezu vollständig aufgehoben ist" (390), was den Schluss rechtfertigt, institutionell-verbindliche Kooperationen nicht auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben. Allerdings, binnenkatholische Entwicklungen (symbolisiert durch "Dominus Jesus") machen entsprechende ökumenische Gespräche, in die L.s empirische Ergebnisse unbe- dingt mit einfließen müssten, nicht leichter.

Alles in allem: Empirische Religionspädagogik gewinnt an Format. Wer über die Realität des evangelischen Religionsunterrichts an Grundschulen urteilen will, kommt an L.s ausgezeichneter Studie nicht vorbei. Vor allem ist zu wünschen, dass die für Religionsunterricht Verantwortlichen in Kirche und Staat solche Einblicke zur Kenntnis nehmen und in ihre Konzeptbildungen bzw. Erwartungen an die Unterrichtenden mit einfließen lassen.