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Ausgabe:

Mai/1998

Spalte:

459–641

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Friedl, Alfred

Titel/Untertitel:

Das eschatologische Gericht in Bildern aus dem Alltag

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1996. 355 S. 8 = Österreichische Biblische Studien, 14. Kart. DM 95,-. ISBN 3-631-48533-6.

Rezensent:

Friedrich Beißer

Das Buch von Friedl bildet eine Monographie, die auf 319 dichtgedrängten Seiten ein einziges biblisches Diktum behandelt, das bei Mt und Lk in unterschiedlicher Fassung überliefert ist, nämlich den Spruch: Es werden zwei auf einem Lager sein (Mt: "zwei auf dem Feld"), einer wird angenommen und einer zurückgelassen werden; es werden zwei mit der Mühle mahlen, eine wird angenommen und eine zurückgelassen (Mt 24,40 f., Lk 17,34-36).

Bei einer derart schmalen Basis wird das Buch zu einer Etüde der Auslegungsmethoden, die der Reihe nach vorgeführt werden. - Die "Textologie" dient einer Textabgrenzung gegenüber dem Kontext und endet mit der Rezitierung des Textes und seiner Übersetzung. Meines Erachtens ist es nicht recht überzeugend, wenn der Absatz über Noah bzw. über Lots Frau, der in beiden Evangelien vorangeht, nicht zum Text gerechnet wird. Ausführlich wird die Textkritik vorgeführt und auch begründet. In heutigen Zeiten ein meines Erachtens sinnvolles Beispiel für eine solche Arbeit. Der Text wird dann einer "synchronen" und danach einer "diachronen" Analyse unterworfen. Davon der erste Abschnitt ist der umfangreichere. Hier soll also der Text analysiert werden abgesehen von seiner geschichtlichen Entstehung und seiner Überlieferungsgeschichte. F. reiht aneinander eine "sprachlich-syntaktische", eine "stilistische", eine "phonemische-phonetische" und weiter eine "Strukturanalyse". Das mag ja alles zutreffen und mag der methodischen Vollständigkeit halber auch dargeboten werden, aber gelegentlich streifen diese Ausführungen meines Erachtens das Selbstverständliche und das Banale. In eine andere Richtung weist meines Erachtens die "semantische Analyse", in der F. die einzelnen vorkommenden Vokabeln (nach der Art eines der theologischen Wörterbücher) nach ihrer Bedeutung befragt.

Hier entsteht ein methodisches Problem. F. begnügt sich nicht mit der Frage, was die Vokabeln im vorliegenden Text bedeuten, sondern er fragt darüberhinaus nach der Bedeutung, die die Wörter sonst in der Bibel bzw. anderwärts haben. Meistens dient ihm diese Übersicht dazu, seinen Text pointierter auszulegen (z. B. bei "nyx"). Manchmal entstehen aber auch Listen, die Bedeutungen aufhäufen, die weit über den auszulegenden Text hinausgehen (z. B. zu "kline").

Vom Wort "paralambano" aus entwickelt F. mit zahlreichen ägyptischen, altorientalischen und endlich biblischen Belegen einen umfangreichen Exkurs über "die religionsgeschichtliche Entwicklungslinie der Entrückungskonzeption". Aber hat dieses "Angenommen-Werden" wirklich etwas zu tun mit "Entrückt-Werden"?

In diesem Zusammenhang gibt F. auch einen "religionsgeschichtlichen Überblick" über die Gerichtskonzeption im Alten Orient, in der klassischen Antike und (was in der Überschrift nicht genannt wird) in Israel bzw. im Neuen Testament. Hier macht sich das angegebene methodische Problem bemerkbar. Der Text setzt gewiß das eschatologische Gericht Gottes voraus. Was er darüber sagt, bildet aber nur einen Aspekt, ein Moment. Was also setzt dieser Text genau voraus? Dies wäre am ehesten aus dem Kontext zu entnehmen. Statt dessen mutet sich F. eine Aufgabe zu, die nur mit Hilfe von mehreren weiteren Monographien zu bewältigen wäre, nämlich eine Übersicht zu geben über die Vorstellung von einem vergeltenden Gericht in der Antike überhaupt bzw. im Judentum und schließlich im Neuen Testament. F. bietet dazu eine geraffte Zusammenfassung, die meines Erachtens in ihren Grundzügen zutreffend ist.

F. betont zwar (mit Recht), daß die Gerichtspredigt ein wesentliches Element der Verkündigung Jesu - bzw. der Synoptiker - bildete, er neigt aber (wie manche andere) dazu, insbesondere die Liebe, die Vergebung, die Annahme hervorzuheben. Gerade durch die behandelte Textstelle wird betont, daß das Gericht die große Scheidung vollziehe. Auch wenn F. erklärt, das Gericht sei (allenthalben in der jüdischen Tradition und im NT) Gott vorbehalten, sei sein Werk, so kann er doch gelegentlich behaupten, diese Scheidung bedeute, daß nun alle Entscheidung bei uns und an uns liege. Das bedeutet m. E. eine Vergröberung des Textes.

Immer noch in diesem Abschnitt (oder synchronen Analyse) fällt weiter ein Blick auf "die soziologischen Verhältnisse", d.h. F. geht nun auf die in dieser Bildrede angesprochenen sozialen Bedingungen und Umstände ein. Es zeigt sich freilich, daß sich hier nicht allzu viel ergibt. Die hier aufgenommenen Bilder sind "weder für ländliche oder urbane Verhältnisse noch für eine bestimmte soziale Zugehörigkeit (arm - reich; Sklave - Freie etc.) ausschließlich typisch" (206). Richtig. Es ist aber eine Übertreibung, wenn man daraus eine absichtlich verwendete "Unbestimmtheitsrelation" machen möchte. An dieser Stelle zeigt sich übrigens, daß der Titel des Buches nicht recht passend ist. Es handelt weder umfassend vom Jüngsten Gericht, noch liefert es seine Botschaft in ausgeprägten Bildern aus dem Alltag.

Es folgt in der "diachronen Analyse" die eigentlich historische und traditionsgeschichtliche Auslegung. Die Frage nach der älteren Textform und nach ihren Abwandlungen läßt F. aber so gut wie ganz offen. Er registriert lediglich, z. B. welche Autoren die Mt-Fassung für ursprünglich halten, welche die des Lukas etc. Nach meinem Dafürhalten kann man sich eher vorstellen, daß zuerst von "zwei in einem Bett" die Rede war, was von Mt verändert wurde zu "zwei auf dem Feld". Diese Seite der Sache ist nur kurz behandelt. Weit mehr Raum nimmt die Vorstellung zweier etwas entfernt verwandter Überlieferungen ein (im Thomasevangelium bzw. der Zefanja-Apokalypse).

Im nächsten Teil führt F. aus der gesamten Theologiegeschichte der Reihe nach eine Fülle von verschiedenen Auslegungsbeispielen unseres Textes an. Auch wenn F. dabei jede Auslegung am Ende pointiert zusammenfaßt, so ergibt sich doch mehr ein Mosaik von Auslegungen als eine "Wirkungsgeschichte". Dazu hätten insbesondere Verschiebungen der Hermeneutik herausgearbeitet werden müssen. Während die Auslegung der Alten Kirche und des Mittealters mit großem Fleiß zusammengetragen sind, ist die evangelische Auslegung eher dürftig behandelt. Schließlich unternimmt es F. auch noch, einige Perspektiven einer psychologischen Auslegung zu entwerfen. Er betont dabei freilich (meines Erachtens mit Recht), es dürfe nicht etwa das Handeln des Subjekts Gott ersetzt werden durch das Agieren des menschlichen Selbst.

Der Schlußabschnitt ist geradezu ein Stück Systematischer Theologie. F. bekennt sich zu einer Hermeneutik eschatologischer Aussagen, wie sie K. Rahner vorgetragen hat. Diese Konzeption versucht, die eschatologischen Erwartungen mit der heute sich vollziehenden Glaubenserfahrung zu verbinden, ja zu identifizieren. Ich frage mich, ob dabei nicht am Ende doch nur die gegenwärtige Erfahrung übrig bleibt, zu der natürlich auch ein Wissen um Ausstehendes gehört. Aber ergibt dies wirklich ein Wissen von dem, was dann kommen wird?

Die kurze Zusammenfassung der theologischen Aussage von Mt 24,20 f. (etc.) enthält meines Erachtens vieles Sinnvolle. Einiges befremdet mich auch. Kann man wirklich aus der Angabe "zwei" herauslesen, daß menschliches Dasein ein MitSein mit anderen sei? Es trifft sicher zu, daß wir jederzeit mit dem Gericht zu rechnen haben, aber darf man deshalb behaupten, nun werde "das irdische Leben selbst ... als eine Art Gerichtsprozeß aufgefaßt" (318)? Der Text verweist doch auf das kommende Gericht.

Alles in allem liegt eine überaus fleißige, materialreiche Untersuchung vor, die auch durch Scharfsinn und pointiertes Urteil ausgezeichnet ist. Im Ganzen entsteht mir daraus aber zunächst der Eindruck einer Unübersichtlichkeit. Man muß erst alles gelesen haben, um die Dimensionen dieser Auslegung einigermaßen wahrzunehmen. Natürlich könnte in dieser Vielfalt eine Bereicherung liegen. Die Vielfältigkeit entsteht durch das Hintereinander vielerlei verschiedener Methoden, unter denen die historische nur eine von vielen bildet. Je mehr Perspektiven der Text zu haben scheint, um so mehr droht sein Sinn ins Beliebige zu entschwinden.