Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2005

Spalte:

447 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Asendorf, Ulrich

Titel/Untertitel:

Heiliger Geist und Rechtfertigung.

Verlag:

Göttingen: V & R Unipress 2004. 692 S. gr.8. Kart. Euro 66,00. ISBN 3-89971-147-5.

Rezensent:

Gunther Wenz

Als Gewährsmann für die Annahme, dass die wahre und notwendige Voraussetzung der Hegelschen Dialektik Luther gewesen sei, wird in der Studie des italienischen Erfolgsautors Sergio Quinzio "Radici ebraiche del moderno" (1990; dt.: Die jüdischen Wurzeln der Moderne, Frankfurt a. M.-New York 1995, hier: 99) Ulrich Asendorf angeführt. Dieser hatte in seinem Werk "Luther und Hegel" von 1982 nicht nur einen ideengeschichtlichen Zusammenhang zwischen dem Reformator und dem Berliner Philosophen hergestellt, sondern zugleich die These vertreten, auf die auch bei Quinzio eigens Bezug genommen wird, dass nämlich die Hegelsche Realdialektik in besonderer Weise geeignet sei, die Systematik von Luthers Theologie zu erfassen. Die Untersuchung zu Luther und Hegel sollte entsprechend, so der Untertitel, der Grundlegung einer neuen Systematischen Theologie dienen mit dem Ziel, die trinitarische Wirklichkeit des in Jesus Christus in der Kraft seines Heiligen Geistes offenbaren Gottes angemessener zu erfassen, als das etwa im Anschluss an einen Neuprotestantismus Schleiermacherscher Prägung oder unter den Bedingungen der Dialektischen Theologie bzw. einer Kerygmatheologie existentialer Interpretation möglich sei.

Die zahlreichen Monographien und Aufsätze, die A. im Vorfeld und im Anschluss an das Luther-Hegel-Buch geschrieben hat, waren je auf ihre Weise auf dieses Ziel ausgerichtet. Das Zentrum der Forschungen bildeten dabei stets der Wittenberger Reformator und seine Theologie, als deren integrales Problem die die Protologie und Eschatologie umgreifende Trinitätslehre bestimmt wurde. Um nur einige Texte zu erwähnen: Eschatologie bei Luther, Göttingen 1967; Gekreuzigt und auferstanden. Luthers Herausforderung an die moderne Christologie, Hamburg 1971; Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten, Göttingen 1988; Lectura in Biblia. Luthers Genesisvorlesung (1535-1545), Göttingen 1998.

Auch die umfangreiche, dem Gedächtnis von Anders Nygren gewidmete Studie zum Thema "Heiliger Geist und Rechtfertigung" ist ein weiteres Element der Realisierung von A.s groß angelegtem Theologieprogramm. Um den articulus stantis et cadentis ecclesiae, wie er mit der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade durch Glauben gegeben ist, präzise zu erfassen, werden im Anschluss an Luther die trinitätstheologischen und christologischen Basisgründe der Soteriologie erhoben, wobei die Pneumatologie als Schaltstelle der ursprünglichen reformatorischen Einsicht fungiert, sofern der Heilige Geist es ist, in dessen Wirklichkeit und Wirken der in Jesus Christus offenbare Gott für uns und das Heil der Welt erschlossen ist. Im Einzelnen umschrieben ist die Aufgabe, die sich A. mit seinem Theologieprogramm in pneumatologischer und rechtfertigungstheologischer Hinsicht gestellt hat, in Prolegomena, die den ersten Teil der Monographie bilden (19-257) und den im zweiten Teil (259-679) entwickelten Grundzügen der Pneumatologie Luthers vorangehen.

Aufschlussreich sind die Einleitungskapitel vor allem in konzeptioneller und forschungsgeschichtlicher Hinsicht. Als Wissenschaft vom Ganzen dürfe eine am Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift und an Luther orientierte aktuelle Theologie ihr Geschäft nicht lediglich als in Unterdisziplinen segmentierte Teilwissenschaft betreiben; sie habe sich vielmehr um Integration ihrer einzelnen Aspekte sowie um Integration der universitas literarum überhaupt zu bemühen und dabei allen antimetaphysischen Tendenzen des Zeitgeistes zum Trotz den traditionellen Kontakt mit der Philosophie konsequent wieder aufzunehmen und zu pflegen. Als Bezugspunkt empfehlen sich nach A. insbesondere Hegel und seine im Durchgang durch Seins-, Wesens- und Begriffslogik sowie die Realphilosophie der Natur und des subjektiven und objektiven Geistes entwickelte Theorie des Absoluten. Eine vergleichbare Bedeutung wird neben Hamann nur noch Nikolaus von Kues beigemessen, in dessen Werk "De docta ignorantia" A. Hegels System vorbereitet sieht.

Auf Hegel und den Kusaner ist auf seine Weise auch der Durchgang durch die Geschichte der neueren Lutherforschung ausgerichtet. Das zeigt u. a. der emphatische Hinweis auf Erwin Metzke und sein Werk "Coincidentia oppositorum" von 1961. Weitaus überzeugender als alle anderen neueren Lutherforscher einschließlich Gerhard Ebeling habe Metzke in Fortführung von Ansätzen Erich Seebergs die unter den Bedingungen eines personalistischen Denkens unumgängliche Minimalisierung der Pneumatologie Luthers vermieden und erwiesen, dass das Geistverständnis des Reformators ein neues nicht nur theologisches, sondern auch philosophisches Paradigma enthalte, das bei allen Unterschieden am ehesten mit den Systemen Hegels und des Kusaners in Beziehung gesetzt werden könne, weil es wie diese auf die Vermittlung radikaler Gegensätze angelegt sei.

Um das nach seinem Urteil bislang nicht eingelöste Vermächtnis von Erwin Metzke wahrzunehmen und zu erfüllen, rekonstruiert A. Luthers Pneumatologie, auf die die Trinitätslehre und die Christologie gleichermaßen hinorientiert sind, um sie als Motiv und Inbegriff einer, wie er sagt, perichoretischen Theologie der Rechtfertigung zu erweisen. In systematischer Hinsicht sind hierfür die Kapitel IV (539-636: Trinität und Heiliger Geist. Der Heilige Geist als Impuls zu einer perichoretischen Theologie der Rechtfertigung) und V (636-679: Christologie und Trinität im Blick auf die Rechtfertigung) besonders entscheidend, nicht zuletzt weil sie ökumenische Perspektiven eröffnen und den Horizont weit über die westliche Christenheit hinaus erweitern. Vorausgeschickt werden detaillierte Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Pneumatologie Luthers, wie sie sich unter augustinischer Vermittlung ausgebildet hat, zum exegetischen Wendepunkt, den A. mit der Sacharjaauslegung von 1527 gegeben sieht, sowie zu Schwerpunkten in Luthers Geisttheologie u. a. nach der Genesispredigt von 1527 und nach den Predigten von 1531 insbesondere über die johanneischen Abschiedsreden. Auch Lutherforscher und Theologen, die dem Gesamtkonzept nicht zustimmen, werden diese Passagen, wie ich annehme, mit großem Gewinn lesen.