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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

437–440

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Grube, Dirk-Martin

Titel/Untertitel:

Unbegründbarkeit Gottes? Tillichs und Barths Erkenntnistheorien im Horizont der gegenwärtigen Philosophie.

Verlag:

Marburg: Elwert 1998. XII, 278 S. 8 = Marburger Theologische Studien, 51. Kart. Euro 29,80. ISBN 3-7708-1108-9.

Rezensent:

Michael Moxter

Der Vf. sucht einen "Mittelweg zwischen Aufklärungsdenken und Postmodernismus" (3), der aus den Alternativen von Konstruktivismus vs. (naivem) Realismus, (kontinentaleuropäischer) Transzendentalphilosophie vs. (angloamerikanischem) Empirismus sowie Letztbegründung vs. Relativismus hinausführen soll. Auch im Blick auf den dogmatischen Binnendiskurs geht es um die Überwindung des als epochal verstandenen Gegensatzes: Barth oder Tillich?

Der erste Teil behandelt "Erkenntnisbegründung und -kritik bei Paul Tillich" (16-87), der zweite unter derselben Generalüberschrift Karl Barth (88-161), der dritte Teil wendet sich der gegenwärtigen Philosophie und Theologie zu, um aus dem Standpunkt eines kohärentistischen Holismus Barth und Tillich systematisch zu würdigen (162-257).

1) Tillich sei in seinen deutschen Schriften vor allem aus den 20er Jahren an der epistemologischen Frage und d. h. an Problemen der Außenperspektive orientiert und wolle "die Notwendigkeit des Postulates des Unbedingten mit Hilfe transzendentaler Mittel nachweisen" (18). Nach der Emigration berück- sichtige er dagegen die theologische Binnen- und die Außenperspektive gleichermaßen, sein Anliegen verlagere sich vom metaphysisch Abstrakten zum theologisch Konkreten (17 f.). Tillichs Argumentation kulminiere "in einem vermittels transzendentalphilosophischer Überlegungen hergestellten gegenseitigen Begründungszusammenhang von Metaphysik und Epistemologie" (27), insofern sein Absolutes einen "self-guaranteeing" Charakter habe. Tillich gewinne "Transzendenz aus Transzendentalität" (30), vertrete aber vor allem eine Inexhaustivitätstheorie, insofern das Unbedingte durch kein Bedingtes erschöpft werden kann. Darin wird es (nicht anders als bei Barth) als das Ganz-Andere alles Bedingten gedacht und zwar ontologisch (nicht methodologisch oder epistemologisch) (39). Nach Meinung des Vf.s gründet Tillichs Realismus in einer kantischen Hintergrundthese, nach der "hinter allen bedingten Phänomenen ein Unbedingtes" steht (42). Aber Tillich unterscheide sich darin von Kant (und John Hick), dass dieses Unbedingte kein bloßes Postulat bleibe, sondern in einer Unmittelbarkeitserfahrung gegeben sein könne. Allerdings sei Letztere so entleert und formalisiert, dass im Vergleich zur konkreten Religion eine Unterbestimmung notiert werden müsse (52 f.).

Beim späten Tillich verändere sich die Orientierung an der Epistemologie insofern, als die Ontologie nun gleichrangig zum Zuge komme (in der Folge gewinne auch der Offenbarungsbegriff an Relevanz) (57). Die Theologie des späten Tillich sei deshalb auch nicht mehr als strikter Gegentyp zur Barthschen Theologie interpretierbar (56 f.). Zwar versuche Tillich etwa durch die Betonung der Rezeption (z. B. der für die Christologie konstitutiven Bedeutung der Aufnahme des Christus im Glauben) einem Supranaturalismus zu entkommen, aber seine theoretischen Mittel (vor allem die Unterscheidung von unschematisiertem Gehalt und Interpretationsschema) reichten zur Durchführung nicht aus (61). Tillichs Denkweg sei in diesem Sinne gescheitert (die Methode der Korrelation antworte nicht mehr auf das Legitimations-, sondern allein auf das Anknüpfungsproblem). Und in Verschärfung dieser Diagnose: Insofern Tillich sich am Gedanken der Letztbegründung orientiert, sei er nicht nur faktisch gescheitert, sondern "wie alle derartigen Positionen zum Scheitern verurteilt" (87). (Dieses Urteil scheint auf einer letztbegründeten Gewissheit zu beruhen, dass Letztbegründungen nicht durchführbar sind, bleibt also gegenüber den sonst stets um Vermittlung bemühten Ausführungen überschüssig.) Die von Tillich erkannte apologetische Aufgabe müsse folglich von einer Theorie aufgenommen werden, die zwischen der Skylla des Konstruktivismus und der Charybdis eines objektivistischen Offenbarungsbegriffs hindurch kommt: von einem holistischen Realismus bzw. Kohärentismus.

2) Ein entsprechendes Fazit ergibt sich auch aus der Barthdarstellung. Dem Vf. zufolge "arbeitet sich" Karl Barth "zu einer konsequenten Vorordnung der theologischen Ontologie vor die Epistemologie vor" (89). De facto mache er die kopernikanische Wende rückgängig (bzw. stelle Kants Kopernikanische Revolution "vom Kopf auf die Füße" [eine interessante Metaphernkonfusion: 158 u. ö.]). Aber es handele sich nicht um einen Rückfall in einen vorkritischen Dogmatismus, sondern um den genauen Ausdruck einer philosophischen Einsicht, die alle Letztbegründung obsolet werden lässt. Barth agiere der Sache nach in der Nachbarschaft Richard Rortys. Allerdings handele sich Barth mit seinem theoretisch avancierten Letztbegründungsverzicht ein Abgrenzungsproblem ein (aus der Verwegenheit des deus dixit wird angesichts der Tatsache, dass ja jeder so kommen könne, wiederum eine Verlegenheit).

Es fällt auf, dass der Vf. die Vorordnung der Ontologie schon auf Barths frühe Theologie des Wortes Gottes datiert. Das Dilemma, von Gott reden zu sollen, ohne es zu können, sei Ausdruck der ontologischen These Gott ist Gott, der in epistemologischer Hinsicht ein "kognitives Nicht-Haben", eine "Methode der dialektischen Negation", entspreche (94). Angesichts des sich nahe legenden Einwandes, eine solche Interpretation überstrapaziere den im Grunde undialektischen Dialektikbegriff Barths, unterscheidet der Vf. zwischen einer Konstitutions- und einer Kognitionsdialektik, deren divergierende Perspektiven es Barth gestatten, unter der Voraussetzung eines übergeordneten eindeutigen (und insofern von keiner Dialektik berührten) Ja zugleich am Ort der menschlichen Erkenntnis eine "Dialektikmaschinerie ins Rollen" zu bringen (97). Vorbild der Konstitutionsdialektik sei Heinrich Barths Ursprungsphilosophie (98- 106), Vorbild der Kognitionsdialektik Kierkegaards Existenzdialektik (106-114). Insofern sei Barth auch von beiden gleichermaßen beeinflusst, ja im Grunde Eklektizist (120 ff.).

Der nach dem Vf. im Wesentlichen kontinuierliche Weg Barths zu einer Offenbarungstheologie wäre allerdings missverstanden, wenn man ihn als Suche nach einem Letztfundament beschriebe. Er ist im Gegenteil Ausdruck eines dezidierten anti-foundationalism. Barth will also gar nicht können, was ihm Kritiker wie W. Härle als nicht gelungen ankreiden: die Wahrheitsfrage sachlich begründet zu entscheiden (154 f.). Barth sei auch nicht vorzuwerfen, dass er das Wagnis des Glaubens zur Grundfigur aller Theologie erklärt und darin den neuzeitlichen Subjektivismus auf die Spitze getrieben habe. Solche Kritik (W. Pannenberg) überschätze "die konzeptionelle Bedeutung von Barths existentialistischer Terminologie", weil sie Barth "unter foundationalist Parametern interpretiert" (156 f.). Die Logik des Letztbegründungsgedankens sei vielmehr gesprengt. Die mitunter gegenläufige Begrifflichkeit Barths resultiere allein daraus, "daß ihm die philosophischen Kategorien fehlen, um seine Abrogation des Letztbegründungsdenkens angemessen ausdrücken zu können" (158). Der Blick über den kontinentaleuropäischen Tellerrand könne hier weiterhelfen. Dabei kommt es allerdings darauf an, die Gründe, die gegen einen naiven Realismus wie gegen einen plumpen foundationalism sprechen, so zu entfalten, dass kein Absturz in die Beliebigkeit des Konstruktivismus droht. Insofern will der dritte (konstruktive) Teil dieser Kieler Habilitationsschrift sowohl Barths Vorordnung der Ontologie als auch Tillichs apologetischem Interesse "die Treue" halten und beide Denker insofern "miteinander ... versöhnen" (164).

3) Der kohärentistische Holismus lehnt mit dem Antirealismus "eins zu eins"-Abbildungen von Wirklichkeit und Satz ab, hält aber gegen den Konstruktivismus daran fest, dass Satzsysteme als Ganze mit der Wirklichkeit in einem Verhältnis stehen und sich darum (!) in der Praxis erfolgreich bewähren können. Der Vf. teilt Hilary Putnams Position immer dann, wenn er Argumente gegen einen naiven Realismus formuliert, wünscht aber eine stärkere Form des Realismus, als sie bei Putnam vorliegt, gleichsam einen Internalismus ganz ohne Schwächung des Wirklichkeitsbezugs. Die Entfaltung des onto-epistemologischen Programmes vollzieht sich in Auseinandersetzung mit Rescher, Quine, Putnam und (implizit) mit Joseph Margolis und läuft auf einen methodischen Vorschlag hinaus, der das Verhältnis von Glaube und Vernunft postmodern neu formatiert. An die Stelle der Letztbegründungsrationalität tritt eine Äquilibrierung angesichts von Veränderungen, die Lasten abwägend (also reflektierend) vorgenommen werden muss: manchmal zu Lasten vorausgesetzter theoretischer Annahmen, manchmal auf Kosten der Praxis, aber ohne die Eindeutigkeit, die der klassische Falsifikationismus suggeriert (189). Ein solch reflektierender Umgang eines Überzeugungssysteminhabers erfolgt dann unter der Regie eines auf Sparsamkeit, Bescheidenheit und Behutsamkeit zielenden "epistemischen Konservatismus", nämlich unter dem Prinzip: "Wähle unter den alternativen Möglichkeiten zur Modifikation Deiner Überzeugungen diejenige, bei der von Deinem Gesamtüberzeugungssystem nicht zu viel zu schnell preisgegeben wird!" (191) Es kann folglich nicht vernünftig sein, religiöse Überzeugungen radikal zu kritisieren oder sie von Grund auf auszuwechseln. Nur Modifikationen, welche die Selbigkeit der Tradition wahren, kommen in Frage: "Wie sich ein Spinnennetz etwa dadurch verändern kann, daß neue Auflagepunkte hervortreten und alte wegfallen, dabei aber doch solange dasselbe bleibt, wie es nicht vollkommen in sich zusammengefallen und danach neugewebt ist, können ... ab- weichende Wahrheitswertverteilungen unter einer grundsätzlichen Kontinuität ... toleriert werden" (245).

Das Buch, welches das Verdienst hat, die theologische Alternative Barth oder Tillich? durch eine konzentrierte Einführung in entscheidende Pointen der amerikanischen Neopragmatismusdebatte zumindest aufzuweichen, endet mit einer Überraschung. In einem Nachwort wird das als Verbot jeder Krise interpretierbare Prinzip des epistemischen Konservatismus mit einem Offenbarungsbegriff verbunden, der auf ein Entweder-Oder zuläuft: Im Erschließungsgeschehen könne es "kein langsames Heranpirschen an Offenbarung geben, etwa, indem man einige Wahrheitswerte verändert, den Rest des Gesamtüberzeugungssystems aber beibehält. Sondern Alles fällt einem wie Schuppen von den Augen - oder es wird überhaupt nichts offenbart" (254). In der Form des Nachwortes (gleichsam in einer ersten Selbstkommentierung) tritt unerwartet die revolutionäre Struktur eines Paradigmenwechsels neben die zuvor herausgearbeitete Klugheitsregel kontinuierlicher Reformen, welche beständig etwas in Bewegung setzen, um im Ganzen nur ja nichts verändern zu müssen. Aber wie reimt sich die pragmatische Rationalität mit der bestürzend-umstürzenden Erfahrung von Damaskuserlebnissen (vgl. dazu 255, Anm. 255) zusammen? An diesem Ende des Buches zeigt sich, dass der Vf. die Texte der von ihm bearbeiteten amerikanischen Autoren nicht nur gelehrsam rezipiert und interpretiert, sondern dass er auch an der inneren Spannung festhält, die zur amerikanischen Allianz von Pragmatismus und Religion in der Tat gehört.