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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

418 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Koschorke, Klaus, Ludwig, Frieder, u. Mariano Delgado [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Außereuropäische Christentumsgeschichte. (Asien, Afrika, Lateinamerika) 1450-1990. Hrsg. unter Mitwirkung v. R. Spliesgart.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004. VIII, 342 S. 8 = Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, 6. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7887-2045-X.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Die seit 1977 eingeführte und für eine ganze Generation von Theologiestudierenden bereits bewährte Reihe "Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen" wird mit dem hier vorgelegten Band ergänzt um eine Quellensammlung zur Christentumsgeschichte Asiens, Afrikas und Lateinamerikas vom 15. Jh. bis zur Gegenwart.

Die Herausgeber haben sich die Verantwortung für die Auswahl und Übersetzung der Dokumente in der Weise geteilt, dass Klaus Koschorke für Asien zuständig war, Frieder Ludwig für Afrika und Mariano Delgado für Lateinamerika (unterstützt durch Roland Spliesgart, insbesondere für protestantische Texte aus Lateinamerika). Dementsprechend ist die Hauptgliederung des Bandes eine geographische: auf den ersten 106 Seiten finden sich Quellen aus Asien, dann folgend 108 Seiten Dokumente zur afrikanischen Kirchengeschichte und schließlich 106 Seiten zu Lateinamerika. Jeder geographische Teil ist in sich untergliedert in dieselben fünf Epochen: 1450-1600, 1600-1800, 1800-1890, 1890-1945 und 1945-1990. Innerhalb dieser Blöcke ist das Material grundsätzlich chronologisch geordnet, folgt aber dem bewährten Verfahren der "Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen", dass oft mehrere Dokumente (auch verschiedener Datierung) zu thematischen Einheiten zusammengestellt werden und diese Einheiten quer durch den ganzen Band durchnummeriert sind (insgesamt 317).

Die mit diesem Band nun verfügbare Sammlung war ein Desiderat - betrachtet man die in der deutschsprachigen Lehrtradition von "Kirchengeschichte" noch weithin geübte Praxis, mit der fortschreitenden Zeit durch die 2000 Jahre Christentumsgeschichte hindurch den geographischen Fokus immer mehr zu verengen. Die ursprüngliche Konzeption der "Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen" war darin symptomatisch für die Horizontverengung des ganzen Fachs: Ab der Reformationszeit wird unter "die Kirche" (so im Titel des dritten Bandes) etwas verstanden, das nicht einmal gesamteuropäisch ist, sondern wo schon Polen nicht mehr wirklich im Blickfeld liegt. In der ersten Generation der Reihe enthielt der die Moderne betreffende Band einzelne "außereuropäische" Texte wie das Gründungsdokument der Kirchenunion von Südindien (1947) oder ein Zitat aus der lateinamerikanischen Bischofssynode von Medellin (1968) - ohne Kontext in einer völlig von Dokumenten aus den deutschsprachigen Kirchen dominierten Sammlung.

So füllt das neue Konzept der Reihe mit dem hinzugefügten sechsten Band sehr verdienstvoll zusätzliches Textmaterial dorthin, wo bisher eine riesige Lücke klaffte im Fundus der auf diese Weise für Studierende leicht zugänglich aufbereiteten und übersetzten kirchen- und theologiegeschichtlichen Dokumente.

Gleichzeitig sollte hier aber doch auch protokolliert werden, dass dieser sechste Band und das hinter ihm stehende Münchner und Fribourger Projekt einer "außereuropäischen Kirchengeschichte" zwar ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung ist, aber dass zu einer wirklichen Überwindung der in das akademische Lehrfach "Kirchengeschichte" eingebauten Horizontverengung noch weitere Schritte folgen müssten.

1. Die Unterbringung des "außereuropäischen" Materials in einem eigenen Band, ausgegliedert aus der sonst das Konzept der Reihe bestimmenden Epochenfolge, enthält in sich die Gefahr, dass Kirche außerhalb Europas weiterhin als etwas qualitativ anderes wahrgenommen wird als Kirche in dem Teileuropa, das seit Menschengedenken geographisch Gegenstand von "Kirchengeschichte" war. So empfinde ich es als misslich, dass die Herausgeber von einer "neue[n] Teildisziplin der Kirchengeschichte im deutschen Sprachraum" (VI) sprechen.

2. Die Tatsache, dass der vorliegende Band mit dem 15. Jh. einsetzt, droht das weit verbreitete Vorurteil noch zu verstärken, das Phänomen eines "außereuropäischen Christentums" sei ein Produkt des neuzeitlichen europäischen Kolonialismus und damit insgeheim etwas, das besser nicht ins Dasein hätte treten sollen. Dabei hatte "die Kirche" mit Beginn des 15. Jh.s nach der Zerschlagung des chinesischen und mongolischen Christentums sowie nach dramatischen Einbrüchen des persischen und arabischen Christentums gerade erst angefangen, ein fast ausschließlich europäisches Phänomen zu sein.

3. Lateinamerika, Afrika und Asien, wie sie Gegenstand dieses Bandes sind, sind noch nicht alle Gebiete, wo es außerhalb Europas "Kirchen- und Theologiegeschichte" gibt. Australien und Ozeanien fehlen zu einer Kirchengeschichte dessen, was man einmal die "Dritte Welt" genannt hat; Nordamerika ist weder Europa noch findet es das Interesse der außereuropäisch Interessierten; der geographische Gegenstandsbereich der "Ostkirchenkunde" (gleich, ob in Europa oder nicht) hat wiederum seine eigene Geschichte der Marginalisierung aus dem Hauptaugenmerk von "Kirchengeschichte" hinaus.

4. Die Herausgeber des sechsten Bandes bekunden ihr Interesse, die Kirchen- und Theologiegeschichte Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu befreien von der verengten missionsgeschichtlichen Perspektive, unter der sie bisher in der Regel behandelt wurde. Dennoch stammt der überwiegende Teil der hier zusammengestellten Dokumente (zumindest für die Perioden zwischen 1450 und 1890) aus der Feder von Missionaren. Quellen für eine andere Perspektive der weltweiten Christentumsgeschichte gibt es durchaus, aber diese sind oft in schwer zugänglichen Sprachen verfasst und es fehlt an Forschenden, die sowohl mit der Sach- als auch der Sprachkompetenz ausgestattet wären, um solches Material so weit zu erschließen, dass die aussagekräftigsten Texte daraus Eingang in eine deutschsprachige Textsammlung des Gesamtfachs "Kirchengeschichte" finden könnten.

So ist das Erscheinen dieses Bandes sehr zu begrüßen, aber es ist noch nicht alle Arbeit damit getan.