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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

404–406

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Carriker, Andrew

Titel/Untertitel:

The Library of Eusebius of Caesarea.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2003. XVI, 358 S. gr.8 = Supplements to Vigiliae Christianae, 67. Geb. Euro 97,00. ISBN 90-04-13132-9.

Rezensent:

Friedhelm Winkelmann

Die großen christlichen Bibliotheken der Spätanike haben ihre Zeit nicht überdauert, selbst Kataloge ihrer Bibliotheksbestände sind im Unterschied zu antiken medizinischen Spezialbibliotheken nicht erhalten geblieben. Nur über den Umfang der von Origenes begründeten, von Pamphilos, von Euseb und dessen Nachfolgern auf dem Bischofsthron erweiterten und fortgeführten Metropolitanbibliothek zu Caesarea (Palästina) sind wir glücklicherweise in der Lage, einige Schlüsse aus Werken des Origenes, des Euseb und des Hieronymus zu ziehen. Insbesondere Euseb zitierte, benutzte und verarbeitete offensichtlich vor allem Material aus dieser seiner Bibliothek.

Der Vf. der vorliegenden Dissertation, die er am Department of History der Columbia University erarbeitete, hat sich in verdienstvoller Weise der bislang noch nicht in Angriff genommenen Aufgabe gewidmet, die Bestände dieser Bibliothek zu eruieren, und damit Neuland betreten. Seine Untersuchung fußt vornehmlich auf in den Hauptwerken Eusebs (Chronik, Kirchengeschichte, Praeparatio evangelica, Vita Constantini) zitierten und verwendeten Quellen, zieht dazu sporadisch die übrigen Schriften Eusebs, Werke des Origenes, Bemerkungen des Hieronymus und einige Subskriptionen in Handschriften hinzu (siehe dazu XIV). Es ist durch diese Untersuchung also das Wichtigste, aber doch nicht alles von den in Frage kommenden Quellen vollständig erfasst und durchgesehen.

Die Prüfung der Methode der Quellenbenutzung und -zitierung durch Euseb (45-74) und die Untersuchung vor allem der genannten Werke Eusebs auf ihre Tauglichkeit, Einblicke in die Bibliothek zu Caesarea zu geben (75-298), stehen im Mittelpunkt der Arbeit. Ein grundlegendes Problem für das Unternehmen ist natürlich die Frage, ob Euseb bei seinen Quellenzitaten und -anspielungen die Werke selbst vorliegen hatte oder auf Kompendien fußte. "This question is sometimes impossible to answer, and no general rules can be offered" (45). Diese Vorsicht ist angebracht. Der Vf. bemüht sich in gründlicher Weise um den Nachweis, dass Euseb vor allem auf seiner Bibliothek aufbaute. Auf den Seiten 69-74 stellt er die Nachrichten zusammen, die die Benutzung anderer Bibliotheken entweder durch eigenen Augenschein oder über die Vermittlung durch befreundete Bischöfe belegen (Jerusalem, Tyros, Antiocheia, Edessa). Zu sehr nützlichen Ergebnissen führt auch die Untersuchung der Eusebschen Einleitungsformeln der Zitate (50-59.63-68).

Den Kern der Arbeit (75-298), in dem auch der eigentliche Wert der Studie liegt, bildet ein Überblick vor allem über die in Eusebs Hauptschriften verwerteten Quellen und die Prüfung der Zuverlässigkeit seiner Angaben, dazu werden auch bei einzelnen Problemen zudem Nachrichten aus Werken des Origenes oder des Hieronymus hinzugezogen. Es handelt sich bei dieser Dissertation also vornehmlich um einen sehr nützlichen Beitrag zur Eusebforschung. Diesen Abschnitt gestaltet der Vf. so, dass er die Materialien, die auf den Bestand der Bibliothek zu Caesarea schließen lassen könnten, nach Quellengruppen zusammenfasst und in jeder Gruppe die Schriftsteller in alphabetischer Reihenfolge abhandelt. Damit ist eine gute Übersicht erreicht.

Das erste und an Material ergiebige Kapitel (75-130) ist den antiken philosophischen Schriftstellern gewidmet und basiert vor allem auf der Praeparatio evangelica Eusebs und einigen Schriften des Origenes. Auf den Seiten 131-138 werden die von Euseb zitierten Werke der Poesie und Rhetorik behandelt. Mit Recht wird hier das geringe Interesse Eusebs an diesen literarischen Genera festgestellt. Aus dieser Beobachtung wird man aber nur mit größter Zurückhaltung Rückschlüsse auf den Bibliotheksbestand von Caesarea ziehen können. Der Vf. lässt hier nicht die nötige Vorsicht in seinen Schlussfolgerungen walten. Interessant ist das Ergebnis der Prüfung der von Euseb in Chronik und Praeparatio evangelica zitierten historischen Werke der Antike (139-154). Dem Vf. ist zuzustimmen, dass Euseb auf diesem Gebiet vielfach nur auf seinem Schulwissen fußte und nur wenige Werke gründlicher zur Kenntnis genommen hatte. Für die jüdische Literatur (155-177) wertet der Vf. die Praeparatio evangelica und die Kirchengeschichte Eusebs sowie Werke des Origenes aus. Für die christliche Literatur und die älteren christlichen Dokumente fließt das Material am umfangreichsten (179-277). Hier ist natürlich vor allem die Kirchengeschichte Eusebs eine Fundgrube. Daneben werden auch der Katalog des Hieronymus in ep. 33, 4 und Origenes ausgeschöpft (242 f.). Die zeitgenössischen Dokumente, die die Kirchengeschichte, die Vita Constantini und in geringerem Maße die Laus Constantini enthalten, werden gesondert behandelt (279-298). Der Vf. bemüht sich in diesem Hauptteil der Arbeit um eine gut begründete, kritische Urteilsbildung und beweist seine gute Orientierung über die neueste Forschung. Es liegt damit eine sehr nützliche Untersuchung der Beschaffenheit und der Herkunft der Hauptquellen Eusebs vor.

In der Zusammenfassung der Ergebnisse (299-315) hätte der Vf. noch einmal besonders auf seine nicht vollständige Quellenerfassung und den hypothetischen Charakter so mancher seiner Schlüsse hinweisen sollen. Er macht sich hier Gedanken über den zahlenmäßigen Umfang der Bibliothek und zählt 400 Schriften und Urkunden auf, für die er bewiesen zu haben glaubt, dass sie zu den Beständen der Bibliothek zu Caesarea gehörten. Voll zustimmen kann man seiner Bemerkung: "The likelihood that Eusebius' library contained more works, even many more works, deserves emphasis" (299); denn zusätzlich habe die Bibliothek wohl auch Handbücher und Doxographien und weitere Werke bekannter Autoren enthalten, die von Euseb und anderen nicht zitiert wurden (302). Man erhält mit den bei diesen Autoren aufgezählten oder verwerteten Schriften also sicher keinen erschöpfenden Einblick in diese große Metropolitanbibliothek. Das hätte der Vf. noch deutlicher herausstellen können. Zu bemängeln ist auch, dass bei den hier aufgelisteten Schriften keine Rückverweise auf die jeweilige Erörterung in der vorhergehenden Untersuchung gegeben werden.

Ein gelungenes Kapitel, das die Geschichte der Bibliothek zu Caesarea behandelt und die bisherigen Ergebnisse der Forschung verarbeitet, leitet den Band ein (1-36). Natürlich bleibt hier vieles im Bereich der Vermutungen, doch sind der kritische Überblick und die Abwägung des Möglichen durch den Vf. sehr zu begrüßen. Weniger können seine Bemerkungen zu Eusebs Vita und seine Datierungsvorschläge überzeugen (37-45). Hier schließt er sich leider zu sehr den Hypothesen von R. W. Burgers (JThSt 48 [1997], 471-504) an. Immerhin verweist er aber auf auf Forschungsliteratur (36, Anm. 2), in der andere Datierungen vertreten werden.

Die Bibliographie (319-338) erfasst das Wesentliche, namentlich der englischsprachigen Forschungsliteratur. Nichtenglischsprachige Literatur ist hier und in den Anmerkungen der Untersuchung zum Teil genannt, aber doch zu wenig verarbeitet, so dass manches Ergebnis als neu erscheint, das schon längst in der patristischen Forschung erreicht war. Wer jedoch einen sehr informativen und zuverlässigen Überblick über den gegenwärtigen Stand der angelsächsischen Eusebforschung sucht, hat mit diesem Buch einen guten Wegweiser in der Hand. Die Aufzählung der Editionen und modernen Übersetzungen (317-319) ist allerdings nicht recht gelungen. Die grundlegende Editio maxima ist nicht immer an erster Stelle genannt. Selbst die Übersetzungen ins Englische sind nicht alle erfasst, geschweige denn anderssprachige. Ein Verweis auf die jeweilige Nummer in der Clavis Patrum Graecorum, die ja alle Editionen und alten Versiones vollständig aufführt, wäre sehr nützlich gewesen.

Fazit: Trotz so mancher Ausstellungen liegt mit dieser Untersuchung eine respektable und sehr nützliche Leistung vor.