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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

402–404

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Breitenbach, Alfred

Titel/Untertitel:

Das "wahrhaft goldene Athen". Die Auseinandersetzung griechischer Kirchenväter mit der Metropole heidnisch-antiker Kultur.

Verlag:

Berlin-Wien: Philo 2003. XII, 352 S. gr.8 = Theophaneia, 37. Geb. Euro 59,80. ISBN 3-8257-0355-X.

Rezensent:

Susanne Ruge

Der Name Athen war schon in der Antike ein Inbegriff für griechische Bildung und gerade deswegen für das junge Christentum suspekt, da sich mit dieser Bildung für sie die heidnische Religion und Kultur verbanden. Tertullians Gegenüberstellung der Chiffren Athen und Jerusalem ist bekannt. Dennoch hat auch Tertullian in seinem Schaffen immer wieder auf seine klassische Bildung zurückgegriffen. Wie verhalten sich Christen zu Athen als der Metropole heidnisch-antiker Kultur, als das Christentum immer mehr Gebildete in seinen Reihen zählt?

Am Beispiel von vier Theologen des 4. Jh.s (Euseb von Caesarea, Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa) untersucht der Altphilologe und Theologe Alfred Breitenbach in seiner an der Universität Trier eingereichten Dissertation, welches Bild von Athen sich bei diesen Autoren findet und wie sie sich "mit ihrem eigenen Verhältnis zu der Chiffre Athen, d. h. mit der eigenen Vergangenheit auseinander setzen" (7).

Zunächst untersucht B. die Chronik, die Kirchengeschichte und die Praeparatio Evangelica des Euseb von Caesarea. Er stellt dabei fest, dass Euseb auf die üblichen Topoi der Athenpanegyrik zurückgreift, allen voran die Entstehung des Götterglaubens und den Ursprung der Philosophie, sie aber nicht panegyrisch verwendet, sondern sie benutzt, um die Geschichte und Errungenschaften der heidnischen Umwelt in eine christliche Sicht der Geschichte zu integrieren und zwar so, dass keine einfache Gegenüberstellung Athen-Jerusalem entsteht. So ist beispielsweise Athen die Stadt, in der berühmte Philosophen wie Sokrates und Platon gewirkt haben, deren Philosophie viele Wahrheitsmomente enthält. Sie stellt z. B. die Vielgötterei in Frage und ist damit Wegbereiterin des Christentums. Andererseits versucht Euseb nachzuweisen, dass die griechische Philosophie von der hebräischen Philosophie abhängig ist, wobei Athen als Ort der Vermittlung eine besondere Rolle zukommt.

Der differenzierte Umgang altkirchlicher Apologetik mit heidnischer Kultur, Geschichte, Religion und Philosophie wird am Beispiel von Eusebs Umgang mit den Athen-Topoi exemplarisch vorgeführt und durch viele Quellenzitate belegt.

Für Euseb sind nach B. "Athen, seine Philosophie und seine Philosophen ... die Grundlage für eine auch griechische Identität der Christen" (123). Um die "griechische Identität der Christen" geht es auch bei den Kappadozischen Kirchenvätern. Allerdings kennen sie Athen nicht nur aus der Literatur wie Euseb, denn zwei von ihnen, Basilius und Gregor von Nazianz, haben selbst in Athen studiert. So beschäftigt sich dieser Teil der Untersuchung ausführlich mit der Frage, wie die Kappadozier diese biographische Erfahrung mit der in ihrem christlichen Umfeld verbreiteten kritischen Sicht auf Athen als Hort der heidnischen Philosophie und Religionen verbinden.

Auffallend ist dabei, dass Basilius Athen in biographischem Zusammenhang fast nie erwähnt, es höchstens strategisch abwertend einsetzt als die negative Vergangenheit, die er nun hinter sich gelassen hat. Gregor von Nazianz hingegen behält immer eine positive Sicht dieser Stadt, da während seiner dortigen Studienzeit die Freundschaft mit Basilius begonnen hat, die ihm so unendlich viel bedeutet. Aber er fühlt sich auch genötigt, den Studienaufenthalt in Athen zu verteidigen, und betont daher zum einen seine und Basilius' Standhaftigkeit gegenüber den nicht zu unterschätzenden heidnischen Versuchungen dieser Stadt. Zudem bleibt er sein Leben lang ein Verfechter der These, dass die klassisch-heidnische Bildung ein Mittel zur Verkündigung gerade auch gegenüber den Heiden sein muss. Daher sei das Studium in Athen ein sinnvoller Abschnitt seines Lebens gewesen und sei auch anderen jungen Männern der christlichen Oberschicht zu empfehlen.

Bei Gregor von Nyssa finden sich neben Bemerkungen über seinen vom Studium aus Athen zurückgekehrten Bruder, die ein weniger günstiges Licht auf Basilius und die Ausbildung in Athen werfen, keine biographischen Aussagen über Athen. Aber bei ihm wie bei allen dreien finden sich Exempla aus der attischen Geschichte, wie z. B. Begebenheiten aus den Perserkriegen oder bekannte Sprichworte (Eulen nach Athen tragen). Sie werden als rhetorische Mittel eingesetzt, um bestimmte Aussagen zu verdeutlichen. Auch Paulus' Rede auf dem Areopag aus Apg 17 findet in solchen Zusammenhängen Verwendung.

Es entsteht also das facettenreiche Bild von drei Christen der gebildeten Oberschicht, die sich mit der eigenen Vergangenheit und der Situation, in zwei Welten zu leben, auseinander setzen. Dass dieses Bild nicht ohne Widersprüchlichkeiten sein kann, verwundert nicht.

In einem ausblickartigen Schlusskapitel wird der Sprung ins 12. Jh. gewagt unter der Fragestellung, ob das Bild von Athen sich in der nun durchweg christlichen Stadt gewandelt hat. Zu diesem Zweck werden die Schriften des Michael von Chonia untersucht, der ab 1182 Bischof von Athen war. Es stellt sich heraus, dass Athen von Michael nach wie vor mit der antiken, philosophischen Tradition verbunden wird, die er nun allerdings durchweg positiv als ein geradezu goldenes Zeitalter der Bildung und des Wohlstands betrachtet. Er verwendet die antiken Topoi des Athenlobs als Kontrast, um seine Klagen über die wirtschaftliche Lage, aber auch die intellektuellen Fähigkeiten seiner Predigthörer zum Ausdruck zu bringen. - Hier wäre sicher zu fragen, ob Michael Choniates eine Einzelerscheinung seiner Zeit bleibt oder ob dieses Bild von Athen sich auch bei anderen byzantinischen Autoren seiner Zeit findet. Dies könnte das Thema einer weiterführenden Untersuchung sein.

Die gut lesbare Untersuchung arbeitet auf dem neuesten Stand der Forschung und bietet eine Fülle von Material. Dadurch, dass viele Zitate aus den Quellen zweisprachig wiedergegeben sind, ermöglicht B. es einem breiten Publikum, seine Ergebnisse selbst nachzuvollziehen und an der einen oder anderen Stelle auch kritisch zu hinterfragen. Zudem entsteht ein lebendiges Bild der untersuchten Autoren selbst, das zur weiteren Beschäftigung mit ihnen anregt. Mit seiner Perspektive auf die Chiffre Athen untersucht B. aus einem neuen Blickwinkel die alte Frage der Auseinandersetzung zwischen der griechisch-heidnischen und der christlichen Welt im 4. Jh. Möge diese Studie viele Leser und Leserinnen finden und ihr Interesse an diesem Prozess wecken oder neu entfachen!