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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

398–400

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Voss, Florian

Titel/Untertitel:

Das Wort vom Kreuz und die menschliche Vernunft. Eine Untersuchung zur Soteriologie des 1. Korintherbriefes.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. 320 S. gr.8 = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 199. Lw. Euro 64,00. ISBN 3-525-53883-9.

Rezensent:

Thomas Knöppler

In einer hermeneutisch orientierten Monographie zur Rolle der Vernunft im Rahmen der Soteriologie des 1Kor geht Florian Voss der Frage nach, wie Paulus die Relation der menschlichen Vernunft zu dem allein im logos tu stauru gründenden Glauben bestimmt. Die von Hans Weder betreute und 2001 von der Theologischen Fakultät der Universität Zürich angenommene Dissertation klärt die Funktion der Vernunft unter der grundlegenden Perspektive der paulinischen theologia crucis.

Auf eine forschungsgeschichtlich akzentuierte Einleitung in das Thema folgt der Hauptteil der Arbeit mit sieben Exegesen von Texten aus dem 1Kor (1,17; 1,18-25; 1,26-2,5; 2,6-16; 3,1-4; 8,1-6; 13,1-13). Nach einer Gliederung in Sinnabschnitte werden diese Texte ausgelegt und schließlich in einem auf das Thema der Arbeit konzentrierten Rückblick ausgewertet. Den Abschluss bildet eine Zusammenfassung mit hermeneutischem Ausblick.

In der Einleitung (9-50) profiliert V. nach einem Einblick in die Forschungslage und einem Exkurs über die korinthischen Parteien die Frage nach dem Ansatzpunkt der paulinischen Theologie. Konkret geht es darum, ob Paulus den in 1,18-25 gewonnenen Ansatzpunkt auch in 2,6-16 konsequent durchhält oder ob er dort eine Weisheit jenseits des Kreuzes legitimiert. Eine Analyse von 8,1-6 und 13,1-13 soll die paulinische Auffassung von Weisheit und Erkenntnis vertiefen.

Nach einer knappen, 1Kor 1-4 gliedernden Vorbemerkung (51-53) legt V. 1,17 aus (53-61). Paulus geht es in diesem Vers um mögliche Sprachformen und -inhalte, die das Kreuz Christi nicht entleeren, sondern angemessen zur Geltung bringen.

In der Exegese von 1,18-25 (61-109) konstatiert V. zunächst die paulinische Position einer Inkompatibilität von menschlicher Weisheit mit dem Kreuzeswort und benennt dann Indizien für eine potentiell positive Relation von Verkündigung und Vernunft. Ist menschliche Weisheit zur Gotteserkenntnis untauglich, so kann doch die durch das Kreuzeswort in Anspruch genommene Vernunft im auferweckten Gekreuzigten Gottes Weisheit erkennen.

Zu 1,26-2,5 (109-139) hebt V. die Unansehnlichkeit der korinthischen Gemeindeglieder und der paulinischen Verkündigung hervor. Eben dieses Törichte und Schwache hat sich Gott zum Ort erwählt, an dem er seine Weisheit und Stärke widerfahren lässt. Auf diese Weise werden Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf voneinander unterschieden, und jeder Selbstruhm des Menschen wird ausgeschlossen. Die von solcher Unterscheidung geleitete Vernunft verzichtet auf jeglichen soteriologischen Anspruch.

Nach Auskunft über die Probleme der Zuordnung von 2,6-16 zu 1,18-25 und einem religionsgeschichtlichen Exkurs sowohl zum Begriff teleios als auch zum Dualismus von pneumatikos und psychikos kommt V. in Hinsicht auf 2,6-16 (139-199) zu dem Ergebnis, "daß es auch in diesem Text um nichts anderes als den gekreuzigten Christus" (190) und somit um die "Identität von Kreuzeswort und Weisheitswort" (ebd.) geht. Der Dualismus in 2,14 f. ist darum nicht gradualistisch als Differenz zwischen Anfangs- und Aufbauverkündigung zu fassen, nach der Paulus den fortgeschrittenen Gemeindegliedern nun spezielle, über die Kreuzesrede hinausgehende Erkenntnisse mitteilen würde. Der Dualismus ist vielmehr antithetisch zu fassen und impliziert die kritische Frage an die Korinther, ob sie sich am Kreuzeswort orientieren oder nicht, ob sie also zu den Glaubenden oder zu den Nichtglaubenden gehören. Der Weisheitsbegriff wird hier positiv bestimmt: Die Vollkommenen (2,6), die für Paulus mit den Glaubenden schlechthin identisch sind, erkennen den Gekreuzigten durch den Geist als Weisheit Gottes.

Anders als zuvor differenziert Paulus in 3,1-4 (199-211) zwischen den korinthischen Christen selbst. Auf Grund ihrer Ansicht, dass das Wort vom Kreuz eine insuffiziente Elementarlehre sei, sind sie unmündig. Mündig wären sie, wenn sie in eben dem Kreuzeswort die letztgültige Wahrheit über Gott und Mensch ausgesprochen sehen und erkennen, dass ihnen im Gekreuzigten alles geschenkt ist.

Auf Grund der in 8,1b-3 vorgenommenen und hermeneutisch relevanten Konfrontation von Erkenntnis und Liebe wendet sich V. auch 8,1-6 (212-239) zu. Eine Erkenntnis, die sich selbst sucht, bläht auf und würdigt den Mitmenschen zum Material der eigenen Selbstbestätigung herab. Eine durch das Kerygma vom Gekreuzigten ermöglichte Erkenntnis dagegen ist wesenhaft rezeptiv, existentiell und durch die Liebe relativiert: Die im Erkanntsein durch Gott gründende Erkenntnis des Christen dient dem Nächsten.

Auch in 13,1-13 (239-271) werden Erkenntnis und Liebe in Relation zueinander gesetzt: An der bei Paulus staurologisch verankerten Liebe ist die für geistliche Selbsterbauung anfällige Erkenntnis zu messen (vgl. 13,2). Vom Ort dieser Liebe aus übt Paulus die Gemeinde in die diesseitige Wirklichkeit ein, entfaltet er das Erkennen des christlichen Glaubens. Derart mit agape und pistis verbunden hat Erkenntnis auch eschatologisch Bestand (vgl. 13,8 f. mit 13,12 f.).

V. schließt seine Abhandlung mit einer Zusammenfassung der Exegesen (271-296), wobei die hermeneutische Relevanz des gekreuzigten Christus hervorgehoben und die paulinische Relation zwischen dem Christos estauromenos und dem Vorgang des Verstehens wechselseitig expliziert wird.

Die Monographie enthält ein sorgfältig angefertigtes Literaturverzeichnis (297-314), das zwar nicht zwischen Quellen und Hilfsmitteln, wohl aber zwischen Kommentaren, Lexikonartikeln und weiterer Literatur differenziert. Den Abschluss bildet ein Register ausgewählter Stellen (315-320).

Es ist zu würdigen, dass V. die Struktur der Abschnitte aus dem 1Kor präzise herausgearbeitet, den Argumentationsgang des Paulus erhellend nachgezeichnet und einen überzeugenden Weg durch den Dschungel der exegetischen Anschauungen gebahnt hat.

Freilich hätte V. seine Analysen durch eine gesteigerte Wahrnehmung der exegetischen Literatur besser begründen können. Bei den textkritischen Entscheidungen (125 f.249) fehlt eine Einbeziehung der dafür grundlegenden Monographien, bei den Einleitungsfragen (15-18) eine Verarbeitung der neueren Lehrbücher. In Hinsicht auf die im Literaturverzeichnis aufgelisteten Lexikonartikel (300 f.) fällt auf, dass das ThWNT ausgesprochen häufig, das EWNT dagegen nur im Fall eines Verfassers zu Rate gezogen worden ist. Vor allem in ihrer zweiten Hälfte leidet die Lesbarkeit der Arbeit an den mehr oder weniger umfangreichen Verweisen im Haupttext.

Gleichwohl ist der Arbeit von V. eine sehr solide wissenschaftliche Darlegung des von Paulus formulierten Problems zu attestieren. Zur Relation von Vernunft und theologia crucis bei Paulus ist hier das Wesentliche und Entscheidende gesagt.

Man kann im Blick auf die expliziten Aussagen im 1Kor fragen, ob die Einbeziehung von 8,1-6 und 13,1-13 sinnvoll war. Schließlich wird man aber feststellen müssen, dass V. auf diese Weise das sachliche Problem als Ganzes in den Blick bekommen hat. Denn diese Abschnitte konkretisieren die problematische Selbstbezogenheit der Vernunft, der das befreiende Kreuzeswort entgegentritt. Indem Paulus die soteriologischen Anspruch erhebende Vernunft einer radikalen Kritik unterzieht, weist er ihr einen dem Glauben und der Liebe dienlichen Gebrauch zu. Das hat V. exegetisch einleuchtend und theologisch profiliert zur Sprache gebracht.