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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

391–394

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

1) Herghelegiu, Monica-Elena 2) Johns, Loren L. 3) Lioy, Dan

Titel/Untertitel:

1) Siehe, er kommt mit den Wolken! Studien zur Christologie der Johannesoffenbarung.

2) The Lamb Christology of the Apocalypse of John. An Investigation into Its Origins and Rhetorical Force.

3) The Book of Revelation in Christological Focus.

Verlag:

1) Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2004. 289 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII: Theologie, 785. Kart. Euro 51,50. ISBN 3-631-51764-5.

2) Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XII, 276 S. m. Tab. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 167. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-16-148164-X.

3) New York-Washington/Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2003. XII, 312 S. gr.8 = Studies in Biblical Literature, 58. Kart. Euro 38,50. ISBN 0-8204-6794-4.

Rezensent:

Martin Karrer

Gleich drei Studien widmen sich in jüngster Zeit der Christologie der Apk. Den weitesten Horizont beansprucht Lioy (nach Forschungen in Südafrika, England und den USA); er stellt die Apk insgesamt unter christologischem Fokus vor. Herghelegiu, die aus Rumänien stammt, konkretisiert die Aufgabe und legt christologische Schlüsselabschnitte der Apk aus (in einer Tübinger Dissertation). Johns schließlich bohrt an einer Stelle in die Tiefe, beim Prädikat arnion, "Lamm" (Dissertation in Princeton).

Lioy vertraut dabei methodisch der altkirchlichen Tradition und identifiziert den Autor der Apk mit dem Apostel und Evangelisten (9.161). Besondere Aufmerksamkeit widmet er literarischen Strukturen und gesamtbiblischen Zusammenhängen der Apk, geringere der mittelmeerischen Religionsgeschichte und der jüngeren Kritik an der sozialen und theologischen Position der Apk. Trotz des großen Anspruchs ergibt sich auf diese Weise nur eine allgemeine, bei sehr traditionellen Leseerwartungen gut lesbare Skizze der Apk, kein spezieller Forschungsfortschritt zur Christologie.

Sein betont grammatisch (nicht kritisch) historisches und hermeneutisches Interesse (2 f.) erlaubt Lioy, die Form der Apk (ein Hybrid aus Apokalypse und Prophetie in brieflicher Rahmung; Kapitel 3, 25-44) und ihre Struktur (chiastisch um eine Mitte aus 11,19-14,20 angelegt; Kapitel 4, 45-91) mit gut erwägbaren Thesen zu erschließen (unter Vorgabe von stimmiger Einheitlichkeit des Werks, was in der gegenwärtigen Scheu vor Literarkritik vertretbar, freilich keineswegs zwingend ist). Die Skizze der Interpretationszugänge vom postmillenialen Aspekt bis zur Rezeption der Schriften Israels (die dem Apostel Johannes, gebrochen durch das Prisma von Tod und Auferstehung Jesu, am Herzen lägen) dagegen gerät flächig (Jesus sei die Klimax prophetischer Offenbarung; Kapitel 5, 93-111). Der exegetische Durchgang (Kapitel 6, 113-159) konzentriert sich auf den Erweis, dass die Apk die souveräne Herrschaft des dreieinen Gottes zeige (Trinität 165 nochmals unterstrichen), und betont das Gericht des Lammes. Probleme (die komplexe Auffassung des Geistes ab 1,4 etc.) werden dem untergeordnet. Das Schlusskapitel gelangt auf diese Weise zu einer in sich stimmigen These, die jedoch den gegenwärtigen Diskussionsstand nur eingeschränkt repräsentiert: Die Apk unterstreiche in der Christologie "that God, through the Messiah, will defeat the forces of evil, condemn the wicked, vindicate the righteous, fulfill all His promises, and accomplish His sovereign purpose in history" (173).

Herghelegiu wählt die derzeit verbreitetste Auffassung über die Entstehung der Apk zum Ausgangspunkt: Ein damals bekannter judenchristlicher Prophet namens Johannes ermutige seine Mitchristen in den Auseinandersetzungen des späten 1. Jh.s zum Bekenntnis (9). Darauf basierend, trifft sie ihre grundlegende Entscheidung religionsgeschichtlich, nämlich die Kontexte der Christologie strikt jüdisch zu entschlüsseln. - Im Einzelfall bringt das bemerkenswerte Erträge. Nennen wir das wichtigste Beispiel: Die AO-Formel in 1,8; 21,6 und 22,13 gewinnt einen Horizont nicht nur in allgemeiner griechischer Buchstabenspekulation, sondern speziell im IAO für den Gottesnamen, das in Einzelfällen vor das Neue Testament zurückreicht (4QLXXLevb fr. 20,4 und fr. 6,12; 152). Anderweitig entsteht aber ein gezwungenes Gefälle, so bei der Lösung des Hadesschlüssels in 1,18 aus griechischen Kontexten, obwohl jüdische Quellen (TPsJ, Dtn 28,12 usw.) erheblich jünger sind (156 f.).

Anders als Lioy widmet Herghelegiu der literarischen Analyse kein eigenes Kapitel. Dadurch erhält die Einzelexegese mehr Raum, verlieren sich indes die Chancen einer literarischen Tiefenschichtung der Christologie. Da zudem das Prinzip der Textauswahl nicht eindeutig begründet wird, erwächst ein Gesamtbild nur über die einzelnen "Studien" (wie der Titel signalisiert) zu 1,4-8.9-20 (29-157), 5,9 f. (65-67), 14,14-20 (158-174), 6,1 f. und 19,11-16 (175-221). Immerhin bezieht Herghelegiu von 6,1 f. aus Apk 5 und das arnion ein (Apk 12; 19,7 u. a. allerdings bleiben vernachlässigt). Insgesamt werden die Konturen erheblich schärfer als bei Lioy:

Die Apk zeichnet ein eschatologisches "Exodusgeschehen, in das alle Stämmen (sic) der Erde hineingenommen sind" (72). Christus, der Zeuge, Erstgeborene und Herrscher aus 1,5 (nach Ps 88[89] LXX und Dan 7; 44-53), der sühnend starb (5,9 f.; 64 u. ö.), erscheint dazu als Menschensohnähnlicher (1,7.13), erhält als solcher in 14,14 das messianische Diadem und trägt es als Weltenrichter in der Herrschaft über alle Schöpfung (bes. 172 f.). Nachdem schon der erste Reiter in 6,1 f. partiell auf ihn durchsichtig wird (186; Herghelegiu partizipiert hier am jüngeren Forschungswandel), markiert der Reiter auf dem weißen Pferd in 19,11 ihn als göttlichen Kämpfer unter Anlehnung an Vorstellungen über Gott als Kämpfer in Israel (Jes 63,2 f. usw.; 220 f. u. ö.). Das arnion schließlich vollendet den "komplexen messianischen Zusammenhang" und wird zum Weltenrichter funktionsgleich (bauend auf Thesen zum Tamid- und Pascha-Hintergrund, Zitat 203).

Das Schlusskapitel gibt diesem Bild eine Perspektive auf die nizänische Christologie (237 ff.). Das wirkt gezwungen und deckt indirekt Unschärfen auf, die die ganze Studie durchziehen (angefangen bei der messianischen Begrifflichkeit). Das Fehlen einer Enddurchsicht behindert die Rezeption zusätzlich.

Zahlreiche Verschreibungen und Fehler, die unkundige Leser gravierend in die Irre führen und eine verlässliche Benützung erschweren, blieben dadurch stehen (z. B. S. 12: M. Weber statt M. Werner, S. 219: Jes 62,2 f. statt 63,2 f., Fehler im Griechischen bei Zeilenumbrüchen u. Ä.).

Johns wählt den kleinsten Ausschnitt, erzielt aber den größten Ertrag der drei Studien. Seine These formuliert er - der historischen Kritik verpflichtet, durch den Dekonstruktivismus angeregt und mennonitischen Gemeinden verbunden (14-21, vgl. VIII) - vorab: Unbeschadet ihrer Gewaltmetaphern eigne der Apk eine gewaltbefreiende ethische Kraft. Denn sie erkenne in Tod und Auferstehung Jesu den endgültigen Sieg über Böses in der Geschichte und das Pattern für gewaltfreien christlichen Widerstand gegen Böses (20).

Diese These birgt ihre Probleme. Ihretwegen liest Johns den Christus-Reiter von Apk 19, der uns eben als Kämpfer begegnete, gewaltzerbrechend; dessen Gewand sei - schlägt er 20 f. vor - nicht mit dem Blut der Völker, sondern mit seinem eigenen Blut getränkt (gegen die von der Apk benützte Vorstellung aus Jes 63; 184). Korrespondierend entscheidet er sich dafür, arnion wegen der Schlachtungsmotivik (ab Apk 5,6) mit Lamm ("Lamb") zu übersetzen (gegen das präzisere "junger Widder"), obwohl das Macht- und Gewaltzüge etwas mindert (22-39; richtig S. 38 die Abweisung der semantisch reizvollen Deutung als Kryptogramm nach Ps 2,9 autos rabdo nikesei Iesus ho Nazarenos).

Von großem Wert ist die motivgeschichtliche Untersuchung. Denn Johns erschließt 40-75 die breiten griechisch-römischen und ägyptischen Zusammenhänge von Widder und Opfer, Widder und defensiver Gewalt, Schaf/Lamm und Verletzbarkeit, schließlich von Widder/Lamm und Divination und öffnet damit den religionsgeschichtlichen Horizont über Herghelegiu und Lioy hinaus (die arnion-Legende um Bokchoris von Sais wäre dabei wohl höher als S. 52.75 zu veranschlagen; s. Manetho fr. 65a Syncellus S. 140; Aelian, nat. 12,3; Vienna P.Dem.D. 10000; vgl. außerdem Suda s.v. und Töpferorakel in der Version OxyPap 2332,34 [amnos]). Richtig kritisiert er zugleich die Überbewertung der Astrologie bei B. Malina (On the Genre and Message of Revelation, 1995).

Den jüdischen Horizont hält Johns über die Widder- und Lammsymbolik der Schrift differenziert aufrecht (Pascha; Jes 53 usw., H. 108-149; zu gering beachtet er allerdings das Tamid, da er P. Stuhlmachers einschlägigen Aufsatz in der Festschrift M. Hengel III, Tübingen 1996, 530-541, nicht kennt). In einer Untersuchung des Judentums (76-107) bis zu rabbinischen Legenden (Lamm für die Verletzlichkeit Israels ShemR 5:21 u. Ä.; S. 99) bestätigt sich der Reichtum des Bildes, ohne dass es sich vor der Apk auf eine Erlöserfigur zuspitzte.

Demnach ist die Symbolik der Apk nicht von einer einzelnen jüdischen Tradition abzuleiten, sondern ihre eigene Rhetorik vor den antiken Horizonten zu beachten. Dem wendet sich das Schlusskapitel zu (150-205), freilich nun vergleichsweise knapp, mehr um den großen Bogen als um Einzelexegesen der arnion-Stellen bemüht. Johns weist die Apk einer pathetischen, oft epideiktischen Rhetorik zu (155-158), vergleicht die Metapher des Löwen (vor der Apk unmessianisch) mit der Vertiefung des arnion zum Leit-Symbol ab 5,6 (167) und schlägt sukzessive vor, das Lamm ersetze in seiner inneren Spannung zwischen Sieg und Ermordung Christi (s. die Belege von 5,6-13 bis 17,14) den Löwen (195). Der Reichtum der religionsgeschichtlichen Horizonte (Divination etc.) wird ebenso wie weitere Textaspekte (die Metapher der Wurzel etc.) in diesen Rahmen eingebettet und dadurch begrenzt. Apk 19,9-22,3 (mit neuen arnion-Belegen) bleibt überhaupt fast unbehandelt.

Das schmälert den Ertrag der Studie in den religions- und traditionsgeschichtlichen Kapiteln nicht. Doch auf die These fällt dadurch ein Schatten. Johns plausibilisiert sie in einem großen Bogen und bündelt sie S. 202 umgeben von ethischen und hermeneutischen Reflexionen (185-202.204 f.): Die Apk kehre die konventionellen Ansichten über Macht in der Welt um. Aber die strikte Verifizierung in religionsgeschichtlich vertieften Einzelexegesen aller Apk-Belege steht aus.

Überschauen wir alle drei Studien, gewinnt die Forschung vor allem durch Johns neues Material. Indes bleiben auch ältere Arbeiten zur Christologie der Apk unverändert von Wert (T. Holtz 21961 u. a.), und es muss an zentralen Aspekten von der Religionsgeschichte bis zur Hermeneutik weiter gearbeitet werden.