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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

384–386

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Condra, Ed

Titel/Untertitel:

Salvation for the Righteous Revealed. Jesus amid Covenantal and Messianic Expectations in Second Temple Judaism.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2002. XVIII, 391 S. gr.8 = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums, 51. Geb. Euro 102,00. ISBN 90-04-12617-1.

Rezensent:

Gottfried Schimanowski

Die Person Jesus und seine Botschaft in den Kontext der messianischen Erwartungen seiner Zeit einzeichnen, das ist das erklärte Ziel dieser überarbeiteten Dissertation, die im Jahr 2002 an der Neutestamentlichen Fakultät am Dallas Theological Seminary fertiggestellt wurde. Der Vf., lange Jahre als Übersetzer des Neuen Testaments und Missionar in Papua/Neuguinea tätig gewesen, ist sich dessen bewusst, dass die Kenntnisse der theologischen und historischen Hintergründe zur notwendigen Voraussetzung zum Verständnis der Jesusgestalt und ihrer Botschaft gehören. An bestehende Heilserwartungen knüpft also die Botschaft Jesu an; andererseits gilt: "Jesus necessarily met his audience on their own conceptional ground and then streched those concepts to point to the nature of his offered salvation" (273). Dies versucht das Buch an den jüdischen Heilserwartungen wie Bundes- und Gesetzesvorstellung, Hoffnungsgütern wie ein Leben nach dem Tode, Messiaserwartungen und verwandten Themen aufzuweisen.

Als Schwerpunkt der allgemeinen Heilserwartungen zur Zeit Jesu wird die Darstellung der Heils-Vorstellungen der Qumrangemeinde gewählt, die in ihrer Vielfalt als ein exemplarischer und aussagekräftiger Indikator der soteriologischen Erwartungen zur Zeit des Zweiten Tempels und damit der Hörerschaft Jesu angesehen wird. Die Qumran-Texte sind durch ihre Entstehungszeit vor der Tempelzerstörung zeitlich gut zu fixieren, wodurch der Vf. den Datierungsfragen anderer Textbereiche der jüdischen Tradition weitgehend entgeht; die Frage nach möglichen Vorstufen oder Verwerfungen, Spannungen und Gegensätzen in den Qumranschriften wird allerdings nicht gestellt. Durch diese Entscheidung der Textbeschränkung bleibt grundsätzlich das Problem bestehen, inwieweit die Auswahl nicht gleichzeitig auch eine massive künstliche inhaltliche Vorentscheidung beinhaltet. Darauf wird am Schluss noch einmal zurückzukommen sein.

Das Buch gliedert sich in drei rahmende, etwas allgemeinere Kapitel und die mit gut 70 Seiten etwa gleich langen drei Hauptkapitel zu Bund (The covenantal "burden" within the apocalytic hope), Heil (Salvation in the scrolls) und zur messianischen Frage (The messianic "edge").

Nach der Einleitung, einer knappen Skizze zur vermuteten Zuhörerschaft Jesu, nimmt der Vf. Stellung zur Einheitlichkeit und Unterschiedlichkeit der Gruppen in Palästina. Er warnt vor einer verbreiteten Überreaktion, allein die Verschiedenheit jüdischer Gruppierungen und Vorstellungen ("Judaisms", wie z. B. J. Neusner) herauszustellen. Der Vf. plädiert für "diversity within a fundamental cohesion" (38). Allerdings wehrt er sich genauso gegen die Überzeichnung eines so genannten "normativen Judentums". Die Position eines "covenantal nomism" (E. P. Sanders) wird zwar als hilfreich angesehen, letztlich aber als eine zu einfache Darstellung abgelehnt, wenn sie nicht beide Seiten beinhaltet: den Blick auf die uneingeschränkte Gnade Gottes und den unbedingten menschlichen Gehorsam gegenüber dem erwählenden Bund. Trotz der Konstatierung von hellenistischem Einfluss in Palästina, wie sie in den griechischen jüdischen Texten zur Sprache kommt, bleiben die Diaspora und ihre Bezüge zum Mutterland in der Regel draußen vor.

Im ersten Hauptkapitel wird die Bundestheologie der Qumrangemeinde in einen weiten apokalyptischen Horizont eingezeichnet; grundsätzlich wird damit vorausgesetzt, in ihr einer apokalyptischen Bewegung zu begegnen - alternative Deutungsversuche (z. B. von H. Stegemann) werden verschwiegen. Die Vorstellung der Endzeit verknüpft sich mit dem Bewusstsein, in einer "realised eschatology" zu leben. Die Gemeinschaft von Qumran, deren Disparatheit und Veränderung innerhalb mehrerer Generationen allerdings nur ansatzweise diskutiert wird, stellt in ihrem Selbstverständnis eine real existierende, endzeitliche Heilsgemeinde in engelgleicher Vollendung dar. Ein Leben nach dem Tod wird für die Mitglieder der eigenen Gemeinschaft (die "Gerechten") erwartet und damit eine künftige Auferstehung sowie ein grundlegender Gehorsam gegenüber den Bundesverpflichtungen. Allerdings geschieht das dort alles aus freier Entscheidung und der Freude, dem Willen Gottes zu entsprechen. Auf der anderen Seite bestätigt diese Entscheidung paradoxerweise gerade die Angewiesenheit des Menschen auf die göttliche Erwählung.

Differenziert nach neun Einzeltexten oder Textkomplexen aus Qumran werden im nächsten Hauptkapitel diachron soteriologische Vorstellungen dargestellt. In erster Linie handelt es sich dabei um die von Anfang an bekannten Texte wie die Damaskusschrift (CD), die Gemeinde- und Gemeinschaftsregel (1QS und 1QSa), die Loblieder (1QH), die Kriegsregel (1QM), das Florilegium (4Q 174) und den Melchisedek-Text (11QMelch). Aus den in den letzten zehn Jahren vollständig veröffentlichten fragmentarischen Texten der Höhle 4 werden allerdings nur zwei behandelt: der so genannte halachische Brief ("Einige Werke der Tora", 4QMMT) und die Weisheitstexte (4Q416-418), wobei der letzte Textbereich sicher aus älterer Zeit stammt; die gesamte Pescher-Literatur wird dagegen lediglich gestreift.

Die Texte werden nach ihrem Aufbau und ihrer Aussagerichtung befragt und so die Einzelstellen jeweils auf diese Gesamtstruktur hin untersucht. Fleißig werden dabei die aktuelle Sekundärliteratur, aber auch ältere Arbeiten, zitiert. Eine kurze, prägnante Zusammenfassung schließt die jeweiligen Unterkapitel ab. Ein besonderer Augenmerk wird auf die Frage nach dem Heil der Mitglieder der eigenen Gemeinschaft gelegt.

Zu den grundlegenden Merkmalen der Gemeinschaft gehört es, dass allein den eigenen Gliedern ein Zugang zum Heil zugestanden wird. Der entscheidende Begriff der "Gerechten", der nur gelegentlich in den Qumrantexten erscheint, wird allerdings nicht näher untersucht oder diskutiert. Es wird grundsätzlich vorausgesetzt, dass sich die Glieder der Gemeinschaft im umfassenden Sinne als solche verstehen, die nach den Weisungen Gottes ihr Leben gestalten. - Neuere Akzente werden in den neuerdings veröffentlichten Texten nicht gefunden; die Texte selbst tauchen in der abschließenden Zusammenfassung auch nicht mehr explizit auf. Das gilt nach Meinung des Vf.s ebenfalls für den Text der "Werke der Tora". Selbst wenn den Gegnern eine Nähe zum eigenen Toraverständnis zugestanden wird, bleibt die (strengere) Interpretation des Autors, des "Lehrers der Gerechtigkeit", allein maßgeblich.

Messianische Vorstellungen werden im dritten Hauptteil untersucht. Trotz der Unterschiedlichkeit wird in den Texten (siehe auch die Tabelle der 21 relevantesten Stellen [245]) eine Einheitlichkeit der Messiaserwartungen ("a certain cohesiveness" [244], wenn auch zunächst auf die Erwartung einer davidischen, königlichen Gestalt) postuliert. An der Zeitenwende wuchs die allgemeine messianische Erwartung, so dass bei der Hörerschaft Jesu mit einer lebendigen Verbreitung gerechnet werden muss. Anhand von fünf Paradigmen (königliche, priesterliche, prophetische, transzendente oder lehrende Gestalt) wird diese vorgestellt. Vor allem die Erwartung des königlichen Davididen scheint zu dieser Zeit ein ganz entscheidendes messianisches Paradigma gewesen zu sein, wobei eine variable Vielfalt nicht abgestritten wird. Diese gilt nicht nur für seine Funktionen, sondern auch für die Gestalten selbst, die ineinander fließen und nicht zu weit voneinander abgesetzt werden dürfen. Sogar die Erwartung einer prophetischen Gestalt wird mit einer lehrenden Gestalt nach Meinung des Vf.s zu verbinden sein.

Lediglich der priesterliche Messias in den Qumrantexten bleibt als störende Konzeption über. Sie wird durch die Zeitumstände des sich Absetzens vom Jerusalemer Tempel erklärt. Auch dieses Paradigma wird als "eschatologische Erlösungsgestalt" (eschatological deliverer) interpretiert und bleibt damit dem königlichen Messias zugeordnet.

Das Schlusskapitel "Jesus the Messiah of the needed greater righteousness" fasst die an den Texten von Qumran erarbeiteten Beobachtungen zusammen und konfrontiert sie mit der Botschaft Jesu. Diese wird - wie schon die Überschrift erkennen lässt- in erster Linie anhand der Bergpredigt und der Darstellung des Matthäusevangeliums vorgestellt. Das Stellenregister am Ende umfasst so für den ersten Evangelisten ausführliche drei Spalten; Markus und Lukas werden mit nur je einer Spalte "bedacht", Johannestexte kommen selten vor (halbe Spalte des Registers). Die Botschaft des Täufers interessiert nur am Rande. Andere zeitgenössischen Gruppen (wie z. B. die Zeloten) werden ganz ausgeblendet.

Etwas abenteuerlich wirkt die behauptete Nähe der Rechtfertigungsbotschaft des Matthäus mit der des Paulus (311 und vor allem der allerletzte Abschnitt: "Jesus, Paul, and the continuity of Grace", 321-328). In der Konfrontation mit den paulinischen Texten werden nun allerdings kaum die bisher im Mittelpunkt stehenden (ethischen) Texte aufgegriffen, sondern Rechtfertigungstexte des Lukas, die vorher keine Rolle spielten. Beeinflusst auch hier wieder entscheidend die Textauswahl das beabsichtigte Ergebnis?

Eigene Textuntersuchungen werden selten gewagt, historische oder soziale Bezüge selten aufgewiesen. Oft wird "über" die Texte gesprochen, sie selbst werden sehr spärlich zitiert, was von den Lesenden die parallele, eigene Textlektüre erwartet. Der Vf. stützt sich in weiten Teilen auf die (reich aufgearbeitete) Sekundärliteratur. Eigene, neue Akzente werden kaum gesetzt, sondern es eröffnet sich in erster Linie eine zusammenfassende Perspektive einer durchaus kontrovers geführten Diskussion um Erlöser und Erlösungsgestalten und das Heilsverständnis um die Zeitenwende in Palästina. Die deutsche Literatur - und vor allem auch die methodische Diskussion um das Bild des "historischen Jesus" - wird weitgehend ignoriert. Autorinnen sind oft als männliche Kollegen eingeordnet.

Ein Buch für wen? Der Wissenschaftler wird angesprochen, weniger eine allgemeine, interessierte Leserschaft. Letztlich geht es dem Vf. um "Konzeptionen", die jedoch nicht immer am Textmaterial nachvollziehbar sind und durchsichtig werden. Am Ende erscheint noch einmal in thetischer Kürze das Ergebnis der Studie, das die pastorale, apologetische Gesamttendenz erahnen lässt (328): "Jesus affirms the truth which Judaism grasped (though only partially), that God's salvation is for the righteous ... The truth that salvation is for the righteous afforded Jesus the opportunity to proclaim his good news within the conceptional world of his audience. However, Jesus extended their dominant conception of a behavioral righteousness to include a righteousness of nature. He pointed to himself, the unique Messiah, as the fulfiller of the Law's demand and thus the giver of his greater righteousness to sinners, enabling them to act righteously from the heart." In dieser Weise werden das "Kommen Jesu", seine Messianität und seine Botschaft als heilsgeschichtlich notwendig aufgewiesen. So begegnet Jesus seiner Hörerschaft "where they were and pointed the way" (329).