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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

376–378

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Küenzlen, Gottfried

Titel/Untertitel:

Die Wiederkehr der Religion. Lage und Schicksal in der säkularen Moderne.

Verlag:

München: Olzog 2003. 207 S. 8. Geb. Euro 19,80. ISBN 3-7892-8122-0.

Rezensent:

Hans-Jürgen Ruppert

Das neue Buch von Gottfried Küenzlen analysiert und deutet die religiöse Gegenwartslage aus der Perspektive der Rückkehr der Religion als "Lebensmacht" (M. Weber) in die Geschichte (9). Der Vorgang der kulturellen "Entmächtigung des europäischen Christentums" in der säkularen Moderne (Kap. I/I) hat tiefe herkunftsgeschichtliche Wurzeln. Und sie betrifft mittlerweile nicht nur dieses selbst, denn "entkräftet ist auch eine an ihren säkularen Glaubenshoffnungen müde gewordene Moderne" (25). Übrig geblieben ist eine "schiere Diesseitigkeit" und "jedes christliche Lebens- und Orientierungsangebot muss mit einer solchen geistigen Lage rechnen", die durch die fortgesetzte "Tendenz säkularer Verdiesseitigung" geprägt ist (26).

Im Weltmaßstab betrachtet erweist sich dieser Vorgang "marginalisierter Religion und vollzogener Säkularität" in Westeuropa jedoch nur als "weltgeschichtlicher Sonderfall" (33). Parallel zur "Entmächtigung des europäischen Christentums" vollzieht sich eine "weltweite Ermächtigung der Religion" (Kap. I/II). Den beiden hervorstechendsten Beispielen widmet K. das II. Kapitel seines Buches: Fundamentalismus und Esoterik. Die Präsenz dieser Strömungen in der modernen Welt widerlegt die im sozialwissenschaftlichen Denken verbreitete so genannte "Säkularisierungsthese", wonach "die Entwicklung moderner Gesellschaften ... einhergehe mit einem zunehmenden Rückgang religiöser Daseinsauffassungen" (53). K. kritisiert das Verständnis dieser Bewegungen als "Fluchtbewegungen" aus der Moderne: Es handelt sich keineswegs um antimodernistische Bewegungen, sondern präzise um "modernen Antimodernismus". An Stelle der Säkularisierungsthese definiert K. "die Krise der säkularen Religionsgeschichte" der Moderne und ihrer Zukunftshoffnungen, die selbst einen "säkular-religiösen Charakter" trugen, als den "Deutungs- und Verstehenshintergrund" (61) seiner Analyse und Diagnose neuer religiöser Bewegungen der Gegenwart und führt damit den Ansatz seines Hauptwerkes "Der Neue Mensch" (1994) weiter.

Auf einen in der Vergangenheit besonders wirkkräftigen Bereich solcher "säkularer Religion" in der Moderne geht K. näher im III. Kapitel ein: die so genannten "säkularen Ideologien" und ihre "politische Religion". Am Schwinden ihres Einflusses seit dem Ende des Kommunismus lässt sich die "Krise der säkularen Religionsgeschichte" besonders gut erfassen, die ebenso den Hintergrund für das Erscheinen neuer religiöser Bewegungen wie auch für die gleichzeitige Dominanz der einen Kultur bestimmenden Ideologie der Gegenwart - der Ideologie ökonomischer Rationalität und ihres Dogmas des "gesellschaftlichen Nutzwerts" (117; vgl. 152) - bildet. Auch die von K. am Ende dieses Kapitels diskutierten "Grundfragen der Bioethik" (135 ff.) gehören in diesen Kontext, kehren doch mit dem biotechnischen Fortschritt auch "die alten säkularreligiösen Hoffnungen von der Herstellbarkeit des Neuen Menschen wieder" (151 f.) und damit auch die Aufgabe der Verteidigung der Würde und Unverfügbarkeit der menschlichen Person.

In den beiden letzten Kapiteln geht es um die "Kulturchancen" des religiösen Aufbruchs in der säkularen Welt von heute. Erhellend ist K.s Kritik der "Karriere funktionaler Religionsauffassung im theologisch-kirchlichen Raum" (IV, 172) bis hin zur Vereinnahmung von Rockkonzerten, Fußballspielen oder Werbespots für eine "Wiederkehr von Religion". Auch dem Schlusskapitel (V) kann man in den Tagen der Verabschiedung einer neuen europäischen Verfassung und der Diskussion um die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei schlechterdings nur höchsten Aktualitätsgrad zuerkennen. "Die Zeiten sind nunmehr vorüber, in denen man das Thema Religion auch als Frage nach der Zukunft Europas als erledigt abtun konnte ... Mit den muslimischen Migrationsströmen hält der Islam in Europa Einzug" und niemand kann sagen, was dies noch für Europa bedeuten wird (187). Mit dieser "Wiederkehr der Religion" in Europa ist die Beantwortung der Frage nach der Identität der Kultur Europas auch da unausweichlich geworden, wo man sich von der christlichen Herkunftsreligion Europas bereits verabschiedet hat.

Die Kernfrage bezieht sich auf das für das moderne Europa identitätsstiftende liberale Verständnis der Trennung von Staat und Kirche: Kann der Islam, der als Religion, als das die gesamte Gemeinschaft bestimmende "Gesetz Gottes" diese Trennung nicht nachvollziehen kann, ohne sich selbst aufzugeben, gleichwohl mit der Religionsneutralität des säkularen Staates vereinbart werden? (190) Viele Erwartungen bezüglich eines "sich wandelnden", sich "modernisierenden" oder sich unserer Kultur "annähernden" Islam könnten sich angesichts der Unausweichlichkeit dieser Frage, mit der die Identität dieser Religion steht und fällt, als Illusion erweisen.

Es ist ein weites Spektrum der "Wiederkehr der Religion", das K. vor dem Leser entfaltet. Mit wohltuender Sachlichkeit und Scharfsinn stößt er an den entscheidenden Punkten zu den Kernfragen vor, die diese "Wiederkehr" stellt. Sein Buch bezieht selbst Position und führt unmittelbar zu den in der Praxis sich entscheidenden Fragen der kulturellen Zukunft. Es gehört daher, auch wo es Widerspruch hervorrufen wird, zur Pflichtlektüre für "Entscheidungsträger" in Politik, Kirche und Gesellschaft.