Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2005

Spalte:

375 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Knoblauch, Hubert

Titel/Untertitel:

Qualitative Religionsforschung. Religionsethnographie in der eigenen Gesellschaft.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2003. 199 S. m. Abb. kl.8 = UTB Religion - Soziologie, 2409. Kart. Euro 8,90. ISBN 3-506-99517-0 (Schöningh); 0-8252-2409-0 (UTB).

Rezensent:

Maren Lehmann

Die Schwierigkeit und damit zugleich den Reiz seines titelgebenden Gegenstandes benennt das vorliegende Buch in seinem letzten Kapitel über "Die Güte der Untersuchung und ihre Darstellung". "Die Forschenden", schreibt Hubert Knoblauch dort, "sollten (1) möglichst wenig reden und viel zuhören, (2) möglichst genaue Aufzeichnungen erstellen, (3) frühzeitig zu schreiben beginnen, (4) so schreiben, daß auch Leser ihre Schlüsse verfolgen können, (5) vollständig und offen sein, (6) im Feld oder bei Kollegen Feedback suchen, (7) bei der Darstellung die Balance zwischen verschiedenen Aspekten halten, (8) genau schreiben" (167). Das sind Empfehlungen an den qualitativen Sozialforscher, den Erforscher der Religion "in der eigenen Gesellschaft", die mit guten Gründen auch an die Seelsorge- und Predigtpraxis gerichtet werden könnten. Tatsächlich ist Clifford Geertz' Methode der dichten Beschreibung, auf die sich K. beruft, von zahlreichen klassischen Professionen übernommen worden, also von in direkter Interaktion mit Leuten beschäftigten Ärzten, Rechtsanwälten, Lehrern und eben Pfarrern. Sie alle sind, genau besehen, teilnehmende Beobachter ihrer eigenen Gesellschaft, und das gilt erst recht, da sie alle an Universitäten in Reflexionsstilen ausgebildet sind, die vollkommen verschieden sind von dem ihrer jeweiligen Klientel. Sie alle verschriften ihre Beobachtungen in mehr oder weniger hochformalisierten Akten zu einer Art dichter Beschreibung der Organisation (Krankenhaus, Gericht, Schule, Kirche), erkennen darin ihren akademischen Reflexionsstil nicht mehr wieder und vermissen um so mehr eine dichte Beschreibung der Situationen, wie K. sie hier lehrt.

So erscheint, was am Konzept einer "Religionsethnographie in der eigenen Gesellschaft" zunächst aus soziologisch-theoretischer Sicht im besten Sinne fraglich sein mag, zugleich auch als methodisches Problem: die Bestimmung des Begriffs der eigenen Gesellschaft nämlich. Die sinnreiche Verschiebung, die sich ergibt, wenn man von Beobachtungen und Beschreibungen der Religion in der eigenen Gesellschaft und von Beobachtungen und Beschreibungen der Religion der eigenen Gesellschaft spricht, bezeichnet zugleich das Distanzierungs- und damit Urteilsproblem des Ethnographen. K. entscheidet sich, des (von Luhmann so definierten) Subjektiv-und-Objektivgenitivs mehr oder weniger latent eingedenk, für die innen/außen-Unterscheidung. Der Ethnograph hat sich - sonst gerieten seine Beobachtungen idiosynkratisch - in der eigenen Gesellschaft von der eigenen Gesellschaft zu unterscheiden und diese Unterscheidung akribisch zu beobachten; er hat sich als Grenzgänger in der eigenen Gesellschaft ernst zu nehmen und muss sich daher stets fragen, ob, wo und wie sich seine eigene Gesellschaft mit der eigenen Gesellschaft seines Gegenübers kreuzt.

K. beschränkt - etwas anderes ist für eine lehrbuchartige Handreichung wie diese vielleicht nicht möglich - die Überlegungen zu der hier vorliegenden Forschungsaufgabe auf das Vorwort und die Einleitung (das Grenzgängerproblem tritt nur, und nicht zufällig an dieser Stelle, im Kapitel über "Beobachten und Kodieren" nochmals auf, wo die Rede davon ist, Ziel sei eine "gelungene Integration in das Feld", wobei aber unbedingt die "Gefahr der Verkafferung zu umgehen" [i. e. die Gefahr des Ununterscheidbarwerdens von den Eingeborenen, M. L.] sei [97]). Religionsethnographie in der eigenen Gesellschaft sei Erforschung der "Gegenwartsreligion" (10) in der "hiesige[n] Gesellschaft" (9), in der "Heimat" (24, Anf. i. O.). Sehr treffend erscheint gegenüber diesen wohl doch eher metaphorischen Kennzeichnungen das Argument, bei der Ethnographie des Eigenen handele es sich um die Beobachtung und Beschreibung des Fremden im Vertrauten (vgl., leider nur in einer Fußnote, den Vorschlag, den Forschungsgegenstand als "Andersheit" zu bezeichnen [Fn. 16/24]).

Es wäre sicherlich reizvoll gewesen, diese Differenz von Fremdheit und Vertrautheit auch als Definition des Religiösen selbst zu reflektieren. Denn die Verwicklung von Beobachter und Beobachtetem, die das Kardinalproblem jeder Ethnographie ist, fände sich dann in dem Sinne wieder, dass Religionsethnographie selbst zur Religionsform werden oder jedenfalls dafür gehalten werden kann - wenn die Grenzen nicht kontrolliert werden. Gerade um diese Kontrolle aber, mithin: um die methodischen Regeln der Ethnographie, geht es im vorliegenden Buch. Die "Befremdung" durch das Beobachtete (auch dies leider nur in einer Fußnote: Fn. 71/80), der sich jeder Ethnograph auszusetzen und die er unbeteiligten anderen durch dichte Beschreibung zugänglich zu machen hat, tritt aber ebenso beim eher an theoretischen Fragen interessierten Leser auf höchst fruchtbare Weise ein, und es ist (siehe die eingangs zitierten Empfehlungen) zu hoffen, dass dies auch für alle eher an praktischen Fragen interessierten Leser gilt.