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Ausgabe:

April/2005

Spalte:

351–370

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Fechtner, Kristian

Titel/Untertitel:

Im Rhythmus des Jahreskreises. Praktisch-theologische Perspektiven des Kirchenjahres

1. Neues Interesse am Kirchenjahr

"Zwischen dem überfeinerten Kirchenjahres-Empfinden mancher Theologen und dem der Gemeinden besteht im übrigen eine so große Kluft, dass die gemeindliche Erziehung und Unterweisung besser auf zentralere Dinge zu lenken wäre als auf das Kirchenjahr. Für den Nicht-Theologen wird es immer unverständlich bleiben, wenn eine evangelische Kirche in der Welt gegen das Eindringen einzelner bürgerlicher Feste in das Kirchenjahr polemisiert: Weshalb sollen Christen zwar Erntedank, aber nicht den Jahreswechsel gottesdienstlich feiern dürfen?"1

Noch vor einigen Jahrzehnten konnte der Mainzer Praktische Theologe Wilhelm Jannasch an exponierter Stelle, im einschlägigen Artikel der 3. Auflage der RGG, das Kirchenjahr aus der Diskussion verabschieden und zu einem Thema erklären, das bestenfalls zur Arkandisziplin liturgiehistorisch Eingeweihter tauge. Sich mit dem Kirchenjahr zu beschäftigen, ist gleichsam Arbeit im Archiv und in der Gemeindearbeit nicht mehr zu vermitteln. Die spitzen Bemerkungen zielten auf einen liturgiewissenschaftlichen Traditionalismus, der das Kirchenjahr in Reinkultur gegen säkulare Fremdeinflüsse abzudichten versucht. Damit wird aber das Kirchenjahr, so ist Jannaschs Einwand zu verstehen, zu einem Kalender, dessen Logik kaum plausibel und dessen Sinn, wenigstens für den Laien, tendenziell unzugänglich wird. Praktisch-theologisch konnte deshalb das Kirchenjahr höchstens als ein Randthema gelten. Dies hat sich nun in jüngerer Zeit grundlegend gewandelt. Das Kirchenjahr ist in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Davon zeugt nicht zuletzt eine breite Palette von Veröffentlichungen, die sich in den letzten Jahren dem Thema widmen oder die es zumindest direkt berühren. Das Gros der Literatur verfolgt praktische Absichten. Auf mindestens fünf Feldern lassen sich Impulse ausmachen, die teilweise ineinander übergehen, zum Teil aber auch in unterschiedliche Gefilde führen:

1) Kaum mehr zu überschauen sind Beiträge, die sich im religions- und gemeindepädagogischen Feld bewegen: Mit Kindern den Jahreskreis begehen, Die Feste des Christentums Kindern erklärt, Ideen für Kinder rund ums Kirchenjahr - so und ähnlich lauten die einschlägigen Titel.2

Die christlichen Festkalender sind und werden zusehends zur Leitschnur religiöser Erziehung im Kindergarten, in der gemeindlichen Kinderarbeit und in der Grundschule. Das Kirchenjahr bildet gleichsam das Werkbuch, um in den christlichen Glauben einzuführen. Die Festzeiten des Kirchenjahres sind der Gestaltungsraum, in dem christliche Religion erzählt und begangen wird. Wo die Literatur ausdrücklich auch an Eltern adressiert ist, da ist sie zugleich ein Stück Erwachsenenbildung und steht in der Traditionslinie der Hausbüchlein, in denen - zwischen Weihnachtskrippen und Jahreszeitentischen - Familienreligiosität angeregt wird. Dass im religionspädagogischen Feld die Kirchenjahres-Literatur blüht, ist auch eine Reaktion auf die zunehmend multireligiöse Situation in Nachbarschaft, Kindergarten und Schule. Die Pluralität religiöser Festkalender, die heute zur praktischen Erfahrung gerade auch von Kindern gehört, motiviert dazu, nach der eigenen Festkultur zu fragen. Die Selbstverortung in selbstverständlichen und nicht (mehr) selbstverständlichen Festzyklen und Zeitrhythmen wird zur Bildungsaufgabe.

2) Ein anderer Anstoß, sich neu mit dem Kirchenjahr zu beschäftigen, kommt aus dem Bereich feministischer Spiritualität. Hier verknüpfen sich einzelne Stücke christlicher Tradition (etwa Lichtmess oder Johanni) mit Facetten alter und neuer außer-christlicher Religiosität. Orientiert an astronomischen und agrarischen Rhythmen des Naturjahres werden Jahreszeiten gefeiert und naturzeitliche Übergänge rituell begangen. Brauchtum, das traditionell als Volksfrömmigkeit das christliche Jahr unterfüttert hat, wird neu aufgenommen und in post-christliche Choreographien von Jahreskreisritualen eingespeist: Kerzen- und Kräuterweih, Ernte(dank)fest. Die Literatur, die zu diesem Feld gehört, ist vorrangig an spirituellen Methoden interessiert, sie findet ihren Niederschlag in einer feministisch-religiösen Szene von Netzwerken, Workshops und Ritualgruppen.3 Die Korrespondenz und der Spannungsbogen von Jahreskreisritualen und Kirchenjahr sind zugleich eine Brücke zwischen feministischer Spiritualität und kirchlicher Praxis. Die Rezeption geschieht in beide Richtungen, die kirchliche und gemeindliche Frauenarbeit empfängt hier Impulse und rückt das Kirchenjahr in den Fokus ihrer eigenen Praxis.4

3) Im Genus verwandt, gelegentlich aufeinander referierend, aber doch anderen Traditionslinien folgend als die feministisch-religiösen Ansätze sind Titel aufzuführen, die als spirituelle Praxisliteratur das Kirchenjahr als Lebenshilfe erschließen und den christlichen Jahreskreis als heilsamen und heilenden Lebensrhythmus wiedergewinnen wollen. Vor einigen Jahren bereits hat der Benediktiner Anselm Grün, einer der bekanntesten und weit über den katholischen Bereich hinaus wirkenden christlichen Schriftsteller der Gegenwart, das Stichwort gegeben, wenn er das Kirchenjahr als Psychodrama interpretiert.5

Zeitkritisch spitzt er zu: "Es täte uns heute gut, uns nicht von der Hektik unserer Zeit bestimmen zu lassen, die nur noch den Rhythmus von Arbeitszeit und Urlaub kennt, sondern in den heilenden Rhythmus des Kirchenjahres einzuschwingen. Wir würden darin eine gute Form für unser Leben finden."6

Auf dem Hintergrund tiefenpsychologischer Zugänge werden Tiefendimensionen des Jahreskreises ausgelotet, um die Heilkraft der Feste lebenspraktisch neu zur Geltung zu bringen.7 Unter therapeutisch-geistlichen Vorzeichen wird das Kirchenjahr in einen seelsorglichen Horizont gerückt, der Jahreslauf wird symbolisch auf den Lebenszyklus abgebildet und auf Lebensthemen bezogen.

4) Ein viertes Feld von Kirchenjahres-Literatur, das ebenfalls reich bestückt ist, hat einen anderen Boden, es wird kulturgeschichtlich und kulturanthropologisch bewirtschaftet. Im Zuge der kulturwissenschaftlichen Wende in den letzten Jahren haben die älteren, ehedem eher traditionalistisch ausgerichteten Disziplinen von Volkskunde und Brauchtumsforschung einen neuen wissenschaftlichen Zuschnitt gewonnen und bringen ins interdisziplinäre Gespräch gegenwärtig viel diskutierte Referenztheorien ein (beispielsweise Ritual- und Festtheorien).8 Gefragt ist nach der Bedeutung symbolischer Formen - z. B. der Art und Weise, Festzeiten zu gestalten oder Zeit kalendarisch zu strukturieren - innerhalb des kulturellen Wandels, der die Lebenswelt der (Spät-)Moderne prägt.9 Unter diesem Vorzeichen sucht die erneuerte Volkskunde nicht nach vermeintlich ursprünglichen Formen des Kirchenjahres, die sich in der Moderne verschlissen hätten, sondern zeigt, wie sich gerade in deren veränderter Lebenswelt christliche Fest- und Feiertagskultur im heute geläufigen Sinne herausbildet.

Martin Scharfe, als Kulturwissenschaftler und europäischer Ethnologe ausgewiesen, erläutert in einer Tageszeitung, wie sich das Erntedankfest Mitte des 19. Jh.s etabliert hat: "Die ländliche, die alte Welt erhält ein sinnenfällig schönes, ein nach Altertum schmeckendes Fest just in dem Augenblick, da sich die städtische, die industrielle, die neue Welt zur Herrschaft aufschwingt."10

Um das Bedeutungsgewebe gegenwärtiger Kultur (Clifford Geertz) zu entziffern und den sinnhaften Aufbau der Lebenswelt (Alfred Schütz/Thomas Luckmann) nachzuvollziehen, ist die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kirchenjahr von hervorgehobener Bedeutung.

5) Die fünfte Rubrik versammelt Entwürfe, Anregungen und Hilfen zur Gestaltung von Gottesdienst und Predigt im Horizont des Kirchenjahres. Die Agenden und liturgischen Bücher orientieren sich ebenso wie die Gebrauchsliteratur für die homiletische Arbeit am Zyklus des Kirchenjahres. Hinzu kommen nun verstärkt Titel, in denen das Kirchenjahr ausdrücklich als liturgische und gemeindliche Produktivkraft zur Geltung kommt.

Ein Materialband beginnt, indem festgestellt wird: "Das Kirchenjahr gewinnt wieder an Bedeutung in den Gemeinden, das ist allenthalben zu beobachten."11 Deshalb gilt es in dieser wie in zahlreichen anderen Praxishilfen "Zugänge" zu eröffnen, um "die Gemeinde darin [zu] unterstützen, das Kirchenjahr für ihren Kontext wieder zu entdecken und ... einzelne Kirchenjahresabschnitte neu zu verstehen."12

Nicht zufällig konzentrieren sich die Anfragen an die kirchlichen Gottesdienstinstitute auf diesen Themenbereich. Dabei wird nicht nur der besondere liturgische Stellenwert der Festzeitgottesdienste deutlich, sondern es zeigt sich auch, dass ein wesentlicher Teil neuerer gottesdienstlicher Praxis eng mit dem Kirchenjahr verbunden ist - etwa Passions- und Adventsandachten, die vielerorts die liturgische Palette erweitern, oder in anderer Weise Familiengottesdienste, die sich heute als reguläre evangelische Gottesdienste in neuer Gestalt etabliert haben. Das Kirchenjahr erscheint in diesem Feld als Liturgie gestaltende Kraft, die gegenwärtige Gottesdienstkultur in hohem Maße prägt.

Der erste Rundgang hat in den verschiedenen Bereichen nicht nur eine Vielzahl praktischer Impulse zu Tage gefördert, er markiert zugleich grundlegende praktisch-theologische Herausforderungen. Dabei erwächst das neue Interesse am Kirchenjahr nicht nur aus der kirchlichen Praxis, sondern speist sich im weiteren Sinne auch aus (religions-)kulturellen Veränderungen, die auf kirchliches Handeln zurückwirken. Das Interesse artikuliert sich vor dem Hintergrund von Traditionsabbrüchen, in denen sich das Kirchenjahr gottesdienstlich und kirchlich-kulturell ausdünnt - so erodiert etwa die Kultur der zweiten Feiertage. Zugleich aber lässt sich beobachten, dass sich in den letzten Jahren alte Traditionen erneuern - man denke an die Osternachtfeier, die in vielen Gemeinden als liturgisches Ereignis gestärkt worden ist - oder sich neue liturgische Traditionen herausbilden, wie mancherorts und heftig umstritten ein Gottesdienst an Halloween. Alle drei Tendenzen wiederum sind eingebettet in eine nach wie vor beständige lebensweltliche Verankerung des Kirchenjahres in seinen zentralen Festzeiten, nicht nur, aber in besonderer Weise durch Advent und Weihnachten. So ist es kein Zufall, dass das Kirchenjahr seit geraumer Zeit auch wieder zum fachwissenschaftlichen Thema geworden ist.13

2. Zur praktisch-theologischen Wahrnehmung
des Kirchenjahres


Karl-Heinrich Bieritz hat in den letzten zwei Jahrzehnten das Thema wie kein anderer aufgegriffen und eine zeitgenössische Praktische Theologie des Kirchenjahres entfaltet. Seine Arbeiten sind die Grundlage, das Kirchenjahr in seiner Geschichte und in seinen gegenwärtigen Veränderungen zu verstehen.14 Bieritz rekonstruiert das Kirchenjahr, indem er es metaphorisch als "Haus in der Zeit"15 interpretiert. Das Kirchenjahr ist eine der grundlegenden kulturellen Gestaltungen des christlichen Glaubens, in der Zeit wahrgenommen, erfahren und organisiert wird. Baugrund sind kosmisch-vegetative Zyklen und kulturelle Rhythmen - also etwa der Wechsel von Hell und Dunkel, die Jahreszeiten, die Mondphasen als elementare Gegebenheiten, die zugleich kulturell abgegrenzt und damit bestimmt werden. Beides wird im christlichen Kalender als liturgischem Bauplan zu Zeit- und Festkreisen verbunden und theologisch durchgestaltet, zunächst der Osterfestkreis, dann der Weihnachtsfestkreis. Die heortologisch bestimmten Wegmarken und Zeitspannen, die kirchlichen Feiertage und die Folge der Sonntage fungieren als christlich-religiöse Zeitzeichen und bilden zusammen die Lebensgestalt eines liturgischen Jahreskreises: "So, wie die Christenheit in ihrer zweitausendjährigen Geschichte Häuser in die Landschaft gesetzt hat - Kirchen, Kathedralen, Klöster-, so hat sie auch ein Haus in die Zeit gebaut: das Kirchenjahr."16

Dessen Architektur sind, wie derjenigen der Kirchenbauten auch, theologischer Sinn und religiöse Bedeutung eingestiftet. In traditionalen Lebensverhältnissen, so Bieritz, erscheint das Kirchenjahr als ganzes Haus, das von allen gemeinschaftlich bewohnt wird, es repräsentiert eine umfassende christliche (Zeit-) Kultur, in der Tag, Woche, Jahr und Lebenszeit religiös und sozial strukturiert und integriert sind. Das Prinzip des Kirchenjahres als ganzes Haus aber zerbricht im Übergang in die Moderne. Indem sich Arbeits- und Lebensverhältnisse ausdifferenzieren, zerfällt auch die einheitliche und verbindliche Zeitordnung. Zeitrhythmen vervielfältigen sich und legen sich, durchaus konfligierend, übereinander. Die Veränderungen schlagen sich in den neuen, moderne Kirchlichkeit prägenden gottesdienstlichen Teilnahmerhythmen nieder, die nicht länger am Sonntag-für-Sonntag-Kirchgang orientiert sind. Aus dem Schoße des ehedem christlichen Jahres wächst das weltliche Jahr, das gleichsam von innen heraus das Kirchenjahr verwandelt.

Zum weltlichen Jahr gehören die Institutionen des Wochenendes und des Urlaubs ebenso wie die sukzessive Verweltlichung einzelner christlicher Festzeiten (von der kulturell-ökonomischen Überformung von Weihnachten bis zur Verselbständigung von Fasching) und die Etablierung eines säkular bestimmten Kalenders (politischer und gesellschaftlicher Feiertage vom 3. Oktober bis zum Muttertag).

Wie das traditionelle Kirchenjahr begegnet allerdings auch das weltliche Jahr der modernen Herausforderung, dass kollektive Zeitrhythmen insgesamt an Bedeutung verlieren. Auf die Krise des Kirchenjahres reagiert Gemeinde, indem der gottesdienstliche Spielplan (Peter Cornehl) zusehends ausgefächert wird und sich gemeindeeigene Festkalender lokal und regional
in Anknüpfung an das angestammte Kirchenjahr ausbilden.
Dabei geht es, so Bieritz, einerseits darum, neue Gegebenheiten, Festzeiten oder Lebensthemen (etwa auch des weltlichen Jahres) christlich zu codieren oder zu prädizieren, und andererseits darum, den Lebensbezug (Klaus-Peter Jörns) der Kirchenjahrestradition zugänglich und erfahrbar zu machen.

Karl-Heinrich Bieritz kommt das Verdienst zu, das Kirchenjahr in seinen differenzierten Zeiten und Zeitebenen sachkun-
dig erläutert und damit ein handliches evangelisches Nachschla-
gewerk zu den christlichen Festen, Gedenk- und Feiertagen in Geschichte und Gegenwart17 geschaffen zu haben. Seine Arbeiten geben zu verstehen, wie sich der Jahreskreis im Kirchenjahr als gewachsener (liturgischer) Ordnung der Zeit theologisch bestimmt, und stärken evangelisches Traditions- und Herkunftsbewusstsein für die Zeitzeichen des Kirchenjahres. Zugleich sensibilisieren sie zeitdiagnostisch für die kirchlich-kulturellen Umbrüche, denen die Praxis des Kirchenjahres ausgesetzt und durch die sie herausgefordert ist. Dabei richtet sich das Augenmerk insbesondere darauf, wie in der Moderne das christliche Jahr durch ein weltliches Jahr ausgehöhlt und überformt wird. Die von ihm geprägte Metapher allerdings ist Anlass, kritisch weiter zu denken. Wird das Kirchenjahr traditionsideal als ein ehedem kollektiv bewohntes und im Blick auf Jahres- und Lebenszeiten ganzes Haus verstanden, dann erscheint das heute gelebte Kirchenjahr als eine Verfallsform: "Risse zeigen sich im Gewölbe, der Putz bröckelt von den Wänden; immer mehr Menschen verlassen das Haus, schauen nur noch gelegentlich hinein; viele Räume werden nicht mehr genutzt, stehen leer ... Schon dient es als Steinbruch, als Materialressource für andere Gebäude; ganze Teile werden abgerissen, irgendwo anders eingefügt ..."18.

Die Metapher führt auf die falsche Spur. Das Kirchenjahr - wie eben auch das Kirchengebäude, das in Analogie im Hintergrund steht - ist kein Wohnsitz. Vielmehr bildet das Kirchenjahr in seinen Grunddaten Wegmarken, Zwischenstationen und Durchgangsorte. Unter diesem Vorzeichen geht es gerade nicht darum, sich im Kirchenjahr wohnlich einzurichten, sondern dort gleichsam punktuell zu Gast zu sein. In seiner neuzeitlichen Gestalt repräsentiert das Kirchenjahr Kirche von Zeit zu Zeit. Es steht für besondere Zeiten und für Zeiterleben, das dem Alltag fremd bleibt. Hinzu kommt ein zweiter Aspekt, der kritisch weiter zu verfolgen ist. Hinter der Beschreibung, wie das christliche Jahr zum weltlichen Jahr transformiert wird (ohne sich allerdings darin aufzulösen), steht, relativ klassisch gedacht, die alte Säkularisierungsthese. Das weltliche Jahr ist ein säkularisiertes Kirchenjahr, das wiederum prägend auf die kirchliche Praxis zurückwirkt, den Jahresfestkreis zu begehen. Unbeschadet dessen, dass die Säkularisierungsthese weiterhin aufschlussreich bleibt, wird im Blick auf die Entwicklung des Kirchenjahres deutlich, dass die bipolare Logik christlich - weltlich unzureichend ist. Verschiedene Facetten des weltlichen Jahres und etliches, was traditionell nicht dem Kirchenjahr zugerechnet wird, sind religiös grundiert oder haben religionsaffine Züge.

Diese reichen von Silvester/Neujahr mit kosmologischen und kulturreligiösen Anteilen19 bis zur Walpurgisnacht mit ihrer Bedeutung für feministisch-esoterische Spiritualität20 einerseits oder zum Muttertag mit seinen familienreligiösen Aspekten anderseits,21 von den Heimatfesten22 wie Kirmes, ein exzessives Fest des Kirchspiels, bis zum Volkstrauertag als Ausdruck kirchlich-religiös mitgeprägter Erinnerungskultur.23

Der durch das Kirchenjahr geprägte und durch vielfältige andere Motive angereicherte Jahreskreis lässt sich nicht trennscharf in einen christlich-religiösen und einen weltlich-säkularen Kalender auseinander dividieren, sondern bildet ein Lebensfeld von Kirche, Religion und Kultur. Praktisch-theologisch ist vor allem die Frage virulent, ob und wo christliches und weltliches Jahr auf gelebte Religion hin transparent sind. Dies betrifft nicht nur einzelne Festereignisse des öffentlichen Kalenders. Man kann ebenso fragen, inwieweit der touristische Urlaub als konstitutives Element des Jahreszyklus' in seiner rituellen Logik von Präparation, Aufbruch, Auszeit, Rückkehr und Erinnerung nicht auch religiöse Dimensionen in sich birgt.24 Den Jahresrhythmus auf die vermeintlich schönsten Stunden des Jahres zu justieren, strukturiert und qualifiziert erlebte Zeit. Die Rückfrage an den kirchlichen Kalender lautet dann: Wie religionsfähig ist das Kirchenjahr heute?

Neben Karl-Heinrich Bieritz ist es Peter Cornehl, der die praktisch-theologische Diskussion um die Bedeutung und das Verständnis des Kirchenjahres entscheidend vorangebracht hat.25 Seine verschiedenen Beiträge zum Thema enthalten deutlicher auch konzeptionell-gestalterische Perspektiven, sie sind "ein Plädoyer für das Kirchenjahr"26 in zeitgemäßer Form, an der sich kirchliche Praxis zu orientieren vermag. Ansatzpunkt seiner Reflexionen sind die empirischen Einsichten zur gelebten zeitgenössischen Kirchlichkeit, die seit Beginn der 1970er Jahre aus den EKD-Mitgliedschaftsuntersuchungen resultieren. Dass sich der Besuch des Gottesdienstes heute weithin auf Kasualien und auf größere Kirchenjahresfeste konzentriert und beschränkt, folgt einer eigenen "Logik"27.

Die "jahreszyklisch[e] Teilnahme an den Gottesdiensten der großen Kirchenjahresfeste", die verbunden mit der "lebenszyklische[n] Inanspruchnahme der Amtshandlungen" heute die verbreitetste Form des Gottesdienstbesuchs darstellt, ist nicht der schrumpfende Restbestand eines allsonntäglichen Kirchgangs, sondern erscheint präzise als "das Muster evangelischer Volkskirchlichkeit, wie es sich in Deutschland seit der Aufklärung herausgebildet hat".28

Aus der Perspektive selektiver Kirchlichkeit - Signum neuzeitlichen Christentums - wird das Kirchenjahr im Zyklus der Jahresfeste zugänglich. Eine Praktische Theologie des Kirchenjahres ist deshalb, so Cornehl, fest(zeit)theoretisch zu konzipieren und zu reflektieren. Die christlichen Feste und Feiertage verbinden in sich drei wesentliche Momente: Sie haben öffentlichen Charakter und bilden einen "kollektiven Lebenskontext", in den biographisch-familiäre Existenz eingebettet und eingebunden ist. Sie sind in ihrem Festgehalt und in ihrer religiösen Symbolik theologisch bestimmt und bringen die "zentralen Inhalte der christlichen Offenbarung" zur Geltung.29 Und sie sind verbunden mit "anthropologische[n] Schlüsselthemen"30, mit Fragen der gemeinschaftlichen Wertorientierung und der individuellen Sinnvergewisserung. In ihrer gesellschaftlichen Dimension sind die Kirchenjahresfeste nun aber nicht spannungsfreie Orte, sie sind vielmehr "Kampfplätze im Streit um die Interpretation der Wirklichkeit, im Kampf um die Werte und die Bilder dessen, was als Wahrheit in unserer Gesellschaft gelten soll"31. Cornehl verbindet mit dieser Analyse die kirchliche Aufgabe, eine integrale Festzeitpraxis zu entwerfen, die sich auf die Festsequenzen des Kirchenjahres konzentriert und an ihnen entlang liturgische, gemeindepädagogische und seelsorgliche Praxis vernetzt.32

Peter Cornehl eröffnet mit seinen Arbeiten die Möglichkeit, den Sinn des Jahresfestkreises praktisch-theologisch neu zu bestimmen. Dass und in welcher Weise das Kirchenjahr heute bedeutsam ist, erschließt sich nicht aus der historisch-theologischen Rekonstruktion eines ehemals vollständigen Kirchenjahres.

Liturgiegeschichtlich lässt sich das Kirchenjahr auf den Wochentakt der Sonntage und der Sonntagsgottesdienste zurückführen: "Die Kette der Sonntage liefert ... dem christlichen Jahr die Grundbausteine und bestimmt so seine Grundgestalt. Im Zusammenhang des Festkodes behauptet der Sonntag sein eigenes Gewicht; Prägungen durch Feste und Festzeiten ... sind sekundär gegenüber der ihm eigenen, durch nichts zu ersetzenden und verdrängenden Bedeutung."33

Wird der historische Rekurs auf den traditionellen Aufbau nun aber normativ in Anschlag gebracht und damit der Gottesdienst Sonntag-für-Sonntag zum Modell, das Kirchenjahr angemessen zu begehen, dann erscheint die gegenwärtige Praxis (und damit die (spät-)modernen Formen gottesdienstlicher Teilhabe) einseitig als Verschleiß- und Verlustgeschichte des christlichen Jahres. Cornehls festzeittheoretischer Zugang hingegen schärft den Blick dafür, dass gerade unter den Bedingungen partieller Beteiligung am gottesdienstlichen Leben das Kirchenjahr als Horizont gelebter Kirchlichkeit an Bedeutung gewinnt. Es repräsentiert im Zeiterleben der Gegenwart den Rhythmus des Jahres, nicht - jedenfalls nicht in erster Linie - den Wochentakt der Sonntage.34 Liturgische Praxis ist heute wesentlich auf der Zeitebene des Jahreskreises angesiedelt, weil der Gottesdienstbesuch vorrangig festzeitlich, feiertäglich oder im weiteren Sinne kasuell veranlasst ist.35 Die Festzeiten und -sequenzen sind unterschiedlich ausgeprägte und in ihrer kirchlichen und kulturellen Resonanz abgestufte "Kernzonen des Kirchenjahres"36, durch die der Jahreskreis Konturen als "gestaltete Landschaft"37 bekommt, die gesellschaftlich und gemeindlich begangen wird. Die christliche Festzeitpraxis des gottesdienstlichen Lebens wird gestärkt, wenn es gelingt, neuere praktisch-liturgische Erfahrungen aufzunehmen, in denen die geprägten Kirchenjahreszeiten zeitgenössisch zugänglich werden. Eine Rückfrage richtet sich an Cornehls Leitbild einer integralen (oder auch integrativen) Kirchenjahrespraxis. Im Rahmen einer gemeindepädagogischen Strategie verbindet sich damit die Perspektive, gottesdienstliche Teilhabe von Zeit zu Zeit auf "festere Gewohnheiten und engere Bindungen"38 hin zu intensivieren. Integration wird leitmotivisch als Integration von Gemeinde verstanden.39 Im Gegenzug ist noch einmal genauer auszumachen, wie im Lebensraum der Kirchenjahresfeste sich die Lebensgeschichte des Einzelnen integriert. Die Frage nach dem biographischen Zugang konterkariert nicht die gemeindliche Dimension. Sie macht allerdings geltend, dass die biographische Intensität des gottesdienstlichen Erlebens im Kirchenjahr sich primär nicht aus ihrem gemeindlichen Kontext speist - und markiert insofern auch die Grenzen alter und neuer Gemeindeaufbau-Programme.

Eine Praktische Theologie des Kirchenjahres hat die Überlegungen von Bieritz und Cornehl aufzunehmen und weiterzuführen. Dies geschieht in jüngerer Zeit vornehmlich in Gestalt von Einzelstudien, in denen (christliche) Festzeiten und (kirchliche) Feiertage in ihrem heutigen lebensweltlichen Zuschnitt, in ihrem kirchlichen, kulturellen wie biographischen Kontext und/oder in ihrer gottesdienstlichen Textur erkundet und interpretiert werden.

3. Praktisch-theologische Einzelstudien zur religiösen und gottesdienstlichen Praxis im Kirchenjahr

Dass das Kirchenjahr praktisch-theologisch in den Blickpunkt des Interesses rückt, schlägt sich in einer ganzen Reihe von Arbeiten nieder, die in den letzten Jahren entstanden sind. Aus diesen sollen im Folgenden drei Beiträge genauer skizziert und zugleich auf ihre Relevanz für das Verständnis des Kirchenjahres befragt werden. Auf je eigene Weise erkunden Matthias Morgenroth, Tilman Walther-Sollich und Petra Zimmermann die Bedeutung hervorgehobener Festzeiten und christlicher bzw. kirchlicher Feiertage in der Gegenwart. Mit Weihnachten, Karfreitag/Ostern und Totensonntag widmen sie sich nicht nur signifikanten Ereignissen im angestammten Kirchenjahreskreis, sondern beschreiten zugleich exemplarisch unterschiedliche methodische Wege und eröffnen verschiedene Perspektiven.

3.1 Weihnachts-Christentum

Matthias Morgenroth hat eine luzide Darstellung des gegenwärtigen "Weihnachts-Christentums" vorgelegt in der Absicht, "moderner Religiosität auf die Spur" zu kommen.40 Die Studie setzt bei der Beobachtung an, dass Weihnachten heute in der Schnittmenge von familiärem, öffentlichem und kirchlichem Leben das herausragende Festereignis darstellt. Nicht zufällig erscheint der Heiligabendgottesdienst seiner in den letzten Jahrzehnten steigenden Beteiligung nach als Hauptgottesdienst im Kirchenjahresfestkreis. Morgenroth konstatiert: "Das gelebte Christentum der Gegenwart ist vor allem ein Weihnachts-Christentum." Dieses bildet nun keine eigene organisatorische Gestalt, sondern wird - es weihnachtet - spürbar in einer "unverwechselbaren Fest- und Feierstimmung" (11), in einem besonderen Festivitätsgefühl (Karl Kérenyi), an dem Menschen Jahr um Jahr teilhaben. Als Atmosphäre einer Festzeit ist das Weihnachts-Christentum aber mehr als subjektive Gestimmtheit. Es manifestiert sich im weihnachtlichen Brauchtum, in den Vorbereitungs- und Festtagsritualen, in den (aus den biblischen Überlieferungen gespeisten) Bildern und (religiös geprägten) Symbolen. In ihnen gewinnt das Weihnachts-Christentum lebensweltliche Prägnanz. Morgenroth verfolgt und erhärtet in seiner Studie die These, dass Weihnachten die "spezifisch neuzeitlich-bürgerliche Form christlicher Religiosität" (20) darstellt. Dies gilt unbeschadet der Einsicht, dass die Christenheit seit dem 4. Jh. das Geburtsfest Jesu gottesdienstlich feiert und sich etliche Facetten der heutigen kirchlichen und der häuslichen Liturgie des Festes aus älterer Tradition speisen. Das "Insgesamt des weihnachtlichen Brauchtums" in seiner heutigen lebensweltlichen Komposition aber erschließt sich, indem es als "Welt- und Lebensdeutung" (32) des Christentums in der Moderne gelesen wird. Die praktisch-theologische Interpretation der Weihnachtsfrömmigkeit vermittelt sich in dieser Perspektive mit der neueren volkskundlichen und kultursoziologischen Weihnachtsforschung, die den konstitutiven Zusammenhang von bürgerlicher Gesellschaft und Weihnachtstradition ausweist.41

Morgenroths Analyse nimmt zugleich Abstand von geläufigen Interpretationsmustern, die für das traditionelle Verständnis des Kirchenjahres bestimmend gewesen sind: a) von der historisch und/oder inhaltlich begründeten Unterscheidung von vor- oder außerchristlichen Traditionen einerseits und genuin christlichen Anteilen im Jahresfestkreis bzw. in den einzelnen Jahresfesten andererseits; b) von der liturgiegeschichtlichen Rückführung des heutigen Kirchenjahres auf seine altkirchliche Entstehung und Entfaltung, aus der sich die Bedeutung erschließt; c) von einem Verständnis des Kirchenjahres als Vermittlungsgestalt einer vorgängig dogmatisch-christlichen Lehre; d) von der Begründung und Bestimmung des Kirchenjahres aus seinen kirchlich-liturgischen Vollzügen heraus.

Volkskundlich instruiert wird der religiöse Sinn von Weihnachten an den Phänomenen der gegenwärtigen Festgestaltung ausgemacht. Deren spezifisch moderner Ort ist die "Privatkathedrale des [bürgerlichen] Weihnachtszimmers" (31). Hier lassen sich nun vermeintlich äußerliche Insignien des Weihnachtsfestes als Sinnträger der zeitgenössischen Festzeitpraxis interpretieren: Der Weihnachtsbaum erscheint (zusammen mit dem Adventskranz) als Hauptsymbol von Weihnachten als einem Lichtfest; die Geschenke zelebrieren Weihnachten als Gaben- und Bescherfest; die häusliche Krippe bringt Weihnachten als Bibelfest zur Anschauung und verschränkt die private Religiosität mit der christlichen Ursprungserzählung.42 Das Weihnachts-Christentum, das sich in diesen drei Sinnzeichen ausdrückt, verkörpert christliche Religion im Modus der Moderne. Ihr Resonanzraum ist vorrangig die private Sphäre, in die hinein die biblischen Bilder und Symbole überspielt werden. Noch der Gottesdienst an Heiligabend kann als Teil des familienreligiösen Festes begangen werden. Biblisches Grundmotiv ist das Zur-Welt-Kommen Gottes und damit das Motiv der Geburtlichkeit, das wiederum familienreligiös grundiert ist. Die weihnachtliche Religiosität kommt in einem "Lebensgefühl" zum Tragen, das sich sinnenfällig aus all dem speist, was es in der Advents- und Weihnachtszeit zu sehen, zu riechen und zu hören gibt. In dieser Weise ist sie Festreligion par excellence. Jedes Jahr aufs Neue zelebriert sie ein "Weihnachts-Fest-Spiel" (147), das die Motive von heiliger Familie und Kindheit, vom offenen Himmel und von der Botschaft der Liebe in Szene setzt. Morgenroths instruktive Analysen sind lebensweltlich verankerter Religion auf der Spur. Zugleich aber wird der Raum gegenwärtiger Weihnachtsfrömmigkeit auch zum Ort ihrer Theologie. Gelebte Festzeit-Religion trägt eine theologische Textur in sich, die es durchsichtig zu machen gilt. Wenn für modernes Christentum die Wendung vom Kreuz zur Krippe charakteristisch ist, dann lässt sich diese, so Morgenroth, als Inkarnationstheologie aufnehmen, für die es theologiegeschichtlich verschiedene Anschlussstellen gibt. In diese Perspektive gerückt erscheint ein solches Weihnachts-Christentum nicht mehr als regressive Verkürzung, sondern artikuliert theologisch substantielle Gehalte des christlichen Glaubens.

Über eine natologische Theologie, die hier avisiert wird, muss man systematisch-theologisch streiten. Zugleich provoziert die Studie die praktisch-theologische Rückfrage, ob zeitgenössisches Christentum hier nicht einlinig als Privatreligion verstanden und in seiner öffentlichen Dimension zu stark ausgeblendet wird. Vor allem bleibt kirchliche Praxis, insbesondere der Heiligabendgottesdienst, unterbestimmt, wenn er lediglich als "Baustein in einem viel größeren, privat und familiär ausgerichteten Fest" begriffen wird, dessen wesentliche "Funktion" darin besteht, "die eigentliche Festzeit im intimen Feierkreis einzuläuten".43 Die gottesdienstliche Praxis unterbricht und überschreitet das familienreligiöse Fest, sie steht zugleich gegen die Auflösung des Weihnachts-Christentum in vage Gefühligkeit.44

Morgenroths Studie verkörpert gleichwohl einen ertragreichen praktisch-theologischen Zugang zur gelebten Religion des Kirchenjahres. Sie weist aus, dass für deren Verständnis heute kulturwissenschaftliche, in diesem Fall volkskundliche Einsichten, unabdingbar sind. Sie zeigt auch, dass damit die Frage nach dem, was durch das Kirchenjahr theologisch kommuniziert wird, gerade nicht ausgesetzt wird, sie bekommt vielmehr einen Sitz in der lebensweltlichen Praxis.

3.2 Karfreitags- und Osterpredigt

Um den Bedeutungswandel des Osterfestes im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen, geht Tilman Walther-Sollich einen anderen Weg.45 Seine Überlegungen setzen bei einem gegenläufigen empirischen Befund ein: Der Karfreitagsgottesdienst, traditionell als höchster protestantischer Feiertag angesehen, verliert an Resonanz, der Besuch liegt heute nur geringfügig über dem gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst. Innerhalb des österlichen Festzyklus gewinnt demgegenüber der Ostergottesdienst, in letzter Zeit insbesondere die Osternachtfeier, an Gewicht.46 Gegenstand der Untersuchung sind Karfreitags- und Osterpredigten aus den ersten acht Jahrzehnten des 20. Jh.s, die in veröffentlichter Form vorliegen. Diese werden einer festtheoretischen Analyse unterzogen, um sie auf "grundlegende Momente des Bedeutungswandels, dem das Osterfest im Rahmen der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse in Deutschland unterliegt" (229), hin transparent werden zu lassen. Die Fest- bzw. Feiertagspredigt wird als derjenige Akt verstanden, durch den die "religiös-sinnstiftende Identität" des Festes und dessen "Bedeutung ... für den historischen Augenblick" (96) artikuliert wird.

Feste definieren sich, indem sie sich von Alltagszeit und Alltagsordnung unterscheiden. Sie bilden - so Walther-Sollich im Anschluss an den Kulturanthropologen Victor Turner - eine öffentliche Schwellenphase, erschließen als (ursprünglich) religiöses Fest eine "außergewöhnliche Wirklichkeitssphäre" (64), während Feste als freizeitliches "Refugium" (36) lediglich den Alltag sistieren. Beide Spielarten - die großen Kirchenjahresfeste bilden in der Moderne einen Misch- und Übergangstypus - sind auf Alltagswirklichkeit und ihre spezifischen Konflikte bezogen: Das Fest ist Ort der Regeneration, sei es im Sinne von Erholung von den Alltagskonflikten oder im Sinne von Erneuerung der Alltagswirklichkeit. Jedes vitale Festgeschehen entfaltet in sich unterschiedliche Dynamiken, die vor dem Hintergrund tiefenpsychologischer Erwägungen als regressive Vorgänge (etwa in Gestalt von Rückreisen in Kindheitserinnerungen und -muster) und als progressive Perspektiven beschrieben werden können, in denen widersprüchliche Erfahrungen der Lebenswirklichkeit transzendiert werden.

Sinnstiftend und lebensdeutend ist das (religiöse) Fest durch seinen Festmythos (Manfred Josuttis), d. h. seine Grunderzählung und Symbole, die sich aus ihr speisen. Der (biblische) Festmythos wird aber in den großen christlichen Kirchenjahresfesten Weihnachten, Ostern und Pfingsten nicht zeitlos gültig aufgeführt, sondern im Blick auf spezifische Konflikte einer Zeit ausgelegt und aktualisiert.

In diesem festtheoretischen Rahmen formuliert Walther-Sollich seine These: Die inhaltlichen Veränderungen, die in den Karfreitags- und Osterpredigten greifbar werden, repräsentieren einen grundlegenden, sozialpsychologisch zu interpretierenden Wandel. Sie dokumentieren den Übergang von den ödipal bestimmten Identitätskonflikten des klassisch-bürgerlichen Subjektes zur narzisstisch geprägten Mentalität eines spätmodernen Persönlichkeitstypus.47 In diesem gesellschaftlich begründeten Wandel verschieben sich die zentralen psychischen Aus- einandersetzungen und Lebensthemen, die Selbst- und Wirklichkeitswahrnehmung leiten. Typologisch zugespitzt bedeutet das: Die identitätsbildende Frage heißt im ersten Fall Was will ich und was darf ich tun?, im zweiten Fall Wer bin ich und was bin ich wert?. Der ödipale Grundkonflikt ist Schuld und Umgang mit Schuld, während der Grundkonflikt der narzisstischen Persönlichkeit die Erfahrung des Ungenügens oder der Ohnmacht ist sowie die Überwindung damit einhergehender Schamgefühle. Beide Themen nun lassen sich predigtgeschichtlich in der Karfreitags- und Osterverkündigung identifizieren, man kann sie sogar, so Walther-Sollich, im 20. Jh. zeitgeschichtlich periodisieren.

Für das Verständnis des Kirchenjahres haben die Überlegungen Konsequenzen: Die sozialpsychologischen Muster erklären den Plausibilitätsverlust von Karfreitag. In der traditionellen Kreuzestheologie und kirchlichen Karfreitagsfrömmigkeit sind Passion und Tod Jesu fest mit der Schuldthematik verknüpft. Mentalitätsgeschichtlich tritt diese aber in den Hintergrund. Unter klassisch dogmatischen Vorzeichen büßt der Feiertag seine lebensbewältigende Kraft ein. In den Karfreitagspredigten der letzten Jahrzehnte liegt der theologische Akzent auf dem ohnmächtigen Leiden und darauf, wie ihm standzuhalten ist. Zugleich verschiebt sich festdramaturgisch das Gewicht hin zum Ostertag als Schwelle und Akt, Leid zu überwinden.48

Walther-Sollichs sozialpsychologisch angeleitete Analyse steht in der Gefahr, konkrete Predigten zu Anwendungsbeispielen einer vorausgestellten These zu machen. Auch wenn damit ihr Gehalt homiletisch verkürzt wird, zeitigt die mentalitätsgeschichtliche Interpretation jedoch Früchte. Die Praxis des Kirchenjahres und die Bedeutung der Festzeiten sind nur in ihrem lebensweltlichen Zusammenhang verständlich. In ihm verändern sich auch theologisch die Sinnlinien eines kirchlichen Feiertages, weil sie sich mit den entscheidenden Momenten von Wirklichkeitserfahrung und Identitätsbildung vermitteln bzw. vermitteln müssen. Nicht zufällig konzentriert sich in diesem Fall das Augenmerk auf Predigten im Kirchenjahr.49 Festtheoretisch sind sie die zentrale protestantische Deutungsinstanz. Der methodische Zuschnitt ist aber auch dem Sujet geschuldet. Sehr viel weniger als Advent und Weihnachten sind Passion und Ostern familienreligiös geprägt, sie sind kirchlich bestimmte Festzeiten. Allerdings ist dem wechselseitigen Zusammenhang von theologischer Deutung und lebensweltlicher Bedeutung, von Verkündigung und Feiertagspraxis auch im Kontext öffentlicher Kultur und privaten Lebens nachzugehen. Was gibt beispielsweise das Fernsehprogramm am Karfreitag zu erkennen, wenn es, wie jüngst in einer TV-Zeitschrift, unter die Überschrift Horror an Karfreitag gesetzt wird; wie werden hier, in mehrfach gebrochener Form, eigene Karfreitagsthematiken generiert und/oder christliche Karfreitagsgehalte transformiert?50

3.3 Gottesdienst am Totensonntag

Das Stichwort Leiden verbindet Karfreitag mit einem weiteren Beispiel: dem Gottesdienst am Totensonntag. Die Brücke ist allerdings mehr als nur thematischer Art. Komplementär dazu, dass in der jüngeren Vergangenheit die Bedeutung von Karfreitag zurückgegangen ist, hat diejenige des Totensonntags/Ewigkeitssonntags zugenommen. Sich erinnernd mit dem Tod auseinander zu setzen, bekommt im Kirchenjahr nicht nur einen zweiten Ort, sondern auch einen spezifischen lebensgeschichtlichen Bezug. Petra Zimmermann, die sich in verschiedenen kleineren Beiträgen mit dem letzten Sonntag im Kirchenjahr beschäftigt hat,51 verweist darauf, dass im Bewusstsein evangelischer Kirchenmitglieder der Totensonntag in etwa den gleichen Rang gewonnen hat wie Erntedankfest, Pfingsten und eben Karfreitag. Auch hier bilden empirische Einsichten zur gegenwärtigen Situation den Einstieg, um ein Element des Kirchenjahres praktisch-theologisch zu erkunden. Verglichen mit den beiden anderen Studien wird wiederum ein eigener methodischer Weg eingeschlagen. Gegenstand ist das gottesdienstliche Geschehen und dessen (religiöse) Bedeutung, die es rituell entfaltet. Ausgehend von einem rezeptionsästhetischen Verständnis des Gottesdienstes basieren die Erwägungen auf der Auswertung und Interpretation von Gesprächen mit einzelnen Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern. Anhand von themenorientierten narrativen Interviews soll die "subjektive Perspektive" derjenigen rekonstruiert werden, die den Totensonntagsgottesdienst zumeist als Menschen erlebt haben, die persönlich jemanden verloren haben und die das gottesdienstliche Geschehen in ihren eigenen biographischen Zusammenhang einzeichnen.52

Der Gedenktag der Entschlafenen, so seine traditionelle agendarische Bezeichnung, ist, - seitdem er im 19. Jh. ins protestantische Kirchenjahr eingeführt worden ist - theologisch höchst strittig gewesen und im Grunde bis heute geblieben. Als Totenfest, so wird befürchtet, verdrängt er am letzten Tag des Kirchenjahres genuin christlich-eschatologische Verkündigung durch Privatfrömmigkeit, die von den eigenen Toten nicht lassen kann, und durch einen "sentimentalen Glauben"53, der mit Vorstellungen von der Unsterblichkeit der Seele durchsetzt ist. Es ist kein Zufall, dass noch im Evangelischen Gottesdienstbuch der letzte Kirchenjahressonntag ausdrücklich als Ewigkeitssonntag bezeichnet ist und ein Gottesdienst, der dem Gedächtnis der Verstorbenen gilt, als "zusätzlicher Früh-, Predigt- oder Vespergottesdienst" rubriziert wird. In der kirchlichen Praxis und in der öffentlichen Wahrnehmung hat sich jedoch der Totensonntag mit Gedenken und Fürbitte als Proprium des Tages weithin durchgesetzt.54 Den besonderen Stellenwert im Kirchenjahreskreis hat er deshalb durch die bewusste liturgische Gestaltung von Erinnerung auf dem Hintergrund eigener lebensgeschichtlicher Erfahrung.

Der Gottesdienst fungiert, so zeigt Petra Zimmermann exemplarisch an den Äußerungen einer jungen Frau, deren Mutter ein knappes Jahr zuvor verstorben ist, als gemeinschaftlicher Resonanzraum individueller Trauer. Es ist der persönliche Verlust, der als Erfahrung das, was im Gottesdienst erlebt wird, grundiert und fokussiert. Zugleich zeigen die Gesprächsprotokolle, dass der Gottesdienst eine für die Beteiligten "hochambivalente Gefühlslage dramatisch inszeniert"55: Es geht um eine neuerliche intensive Begegnung und zugleich wieder und doch neu um einen Akt der inneren Trennung. Nicht zufällig hat sich vielerorts ein "Ritualkern"56 des Totensonntagsgottesdienstes ausgebildet, in dem - als erweitertes Kyrie und/oder personalisierte Fürbitte - die Namen der Verstorbenen verlesen und jeweils eine Kerze für sie entzündet werden. In diesen Akten kann die Verstorbene, so erzählt die junge Frau, als anwesend erlebt werden. "Die Toten werden bei ihren Namen gerufen und stellen sich ein."57 In diesem Akt werden die Toten aber auch, indem sie fürbittend Gott anvertraut werden, losgelassen und sie entrücken. Erinnerungsfähig bedeutsam, dies wird in den Nachgesprächen deutlich, sind primär die liturgischen Handlungen (auch Lieder) und symbolischen Gesten, die eine gottesdienstliche Atmosphäre schaffen, die im individuellen Erleben Resonanz findet. Diese Resonanz bleibt allerdings religiös nicht unbestimmt, sondern artikuliert sich in Bildern und (Glaubens-) Aussagen, die sich aus dem Reservoir der christlichen Tradition speisen, die dem Totensonntag/Ewigkeitssonntag als Element des Kirchenjahres eingestiftet ist: Erlösungsvorstellungen und Jenseitshoffnungen, in unserem Fall etwa konkretisiert in der Rede vom "Paradies".58 Die Erkundung stößt also auch von dieser Seite auf eine theologische Textur des Kirchenjahres, die sich, wenn auch keineswegs spannungsfrei, mit der kirchlich bestimmten Theologie des Kirchenjahres vermittelt. Dass der letzte Sonntag im Kirchenjahr als Totensonntag und Ewigkeitssonntag codiert ist, wäre demnach - so ließe sich schlussfolgern- keine agendarisch zu entscheidende Alternative, sondern eröffnet einen Gestaltungs- und Deutungsraum gelebter Religion und sie reflektierender Theologie.

Der praktisch-theologische Zugang zum Kirchenjahr, der in Zimmermanns Studie exemplarisch gesucht wird, folgt der Erfahrung der Subjekte. Er stellt insofern einen Perspektivenwechsel dar, der sich auch methodisch niederschlägt. Einsichten und Instrumentarien der neueren qualitativen sozialwissenschaftlichen Biographieforschung bilden die Grundlage und deren hermeneutische Prämissen - man denke an das Individualisierungstheorem - werden zu Referenztheorien. Für eine Praktische Theologie des Kirchenjahres insgesamt ergeben sich daraus zwei Punkte: Zum einen wird die eingespielte Wendung vom Lebensbezug des Kirchenjahres (s. o.) unterlaufen, insofern diese nahe legt, dass sich dessen theologische Bedeutung vermittelt, indem es auf gegenwärtiges Leben bezogen wird. Die Bedeutung des Kirchenjahres konstituiert sich aber in seinen lebensweltlichen Bezügen und hier zugespitzt am Ort seiner lebensgeschichtlichen Realisierung. Das Kirchenjahr zu begehen, wird zu einem Moment der Biographie und biographischen Erlebens. Dieses biographische Erleben beruht nicht auf sich selbst, es haftet vielmehr an dem, was gottesdienstlich erlebt worden ist, und damit am Sinn, der gottesdienstlich in actu kommuniziert wird. Zum anderen zeigt sich in dieser Perspektive, wie kirchliche Praxis im Jahreskreis religionsfähig wird und ist. Gottesdienst (und Predigt) bestimmen oder klären nicht individuelle Religiosität, indem sie diese theologisch deuten, sie sind vielmehr konstitutiver Teil eines Prozesses, der im Horizont des Kirchenjahres Religion am Ort der Subjekte erzeugt.

Der methodische Subjektivismus eines solchen Zugangs wirft allerdings auch zwei Rückfragen auf. Streng genommen wird die Bedeutung des Kirchenjahres hier in der reflektierenden (Nach-) Erzählung eruiert. Ihr Gegenstand ist also nicht unmittelbar Kirchenjahresfrömmigkeit, sondern deren narrative Interpretation, die durch den Kasus und auch das spezifische Gesprächsarrangement zusätzlich eine eigene seelsorgliche Prägung hat. Es muss zumindest offen bleiben, ob das, was hier als Kirchenjahr erlebt wird, nicht bereits eine seelsorglich aktivierte Kirchenjahreserfahrung ist, die sich ohne die Befragung gar nicht artikulieren könnte. Die zweite Rückfrage greift noch etwas weiter aus. Die Bedeutung des kirchlichen Feiertages wird im Wechselspiel von kirchlicher Praxis und individueller Religiosität ver-ortet. Der Totensonntag ist aber, wie andere Ereignisse des Kirchenjahres auch, ein Element der öffentlichen Abschieds- und Erinnerungskultur. In diesem Zusammenhang hat er noch einmal eine eigene Prägnanz und Sinn gebende Bezüge. Dies betrifft gegenwärtig beispielsweise die Frage nach Anonymität der Toten, als Auseinandersetzung in den Umbrüchen der Bestattungspraxis virulent, oder auf anderer Ebene neue Jenseitsvorstellungen einer Liebe nach dem Tod, die sich in zeitgenössischen populären Filmen finden.59 Zum Verständnis des Kirchenjahres gehört es, die impliziten und expliziten kulturellen Bezüge mit zu reflektieren.

Die drei herangezogenen Studien sind Tiefenbohrungen an signifikanten Stellen des Kirchenjahres. Sie stimmen darin zusammen, dass sie das Kirchenjahr als gegenwärtige Kirchenjahrespraxis erkunden und - je auf ihre Weise - dessen Bedeutung in lebensweltlichen Zusammenhängen erschließen. Liturgiegeschichtliche Perspektiven erübrigen sich damit nicht, sie werden aber durchweg hermeneutisch, nicht normativ eingebracht. Die Beiträge thematisieren, auch darin konvergieren sie, Kirchenjahr unter spätmodernen Vorzeichen, indem sie dessen subjektive Seite in den Blickpunkt rücken: Weihnachts-Christentum als subjektiv gestimmtes religiöses Lebensgefühl, Deutung und Transzendierung spätmoderner Identitätskonflikte im Horizont der Karfreitags- und Osterbotschaft, Totensonntagsgottesdienst als religiöses Erleben individueller Lebensgeschichte. Zum Verständnis gelebten Kirchenjahres heute bedarf es weiterer solcher Einzelstudien.

Themen liegen auf der Hand, sie lassen sich zugespitzt formulieren: Wie lässt sich gegenwärtig Passionszeit/Fastenzeit im Kontext von Jahresrhythmus und Jahreszeit, im Blick auf die kulturellen Inszenierungen von Körperlichkeit und Brigitte-Diät, in der Wiederaufnahme spiritueller Praxis von Reinigung, (Konsum-)Verzicht und intensiviertem Erleben (und anderen Momenten mehr) genauer fassen? Was sind auf diesem Hintergrund zeitgemäße Passions-Andachten? Knapper gefasst: Warum erleben wir trotz des kulturellen und biographischen Wiedererstarkens des Engel-Motivs kaum Resonanz des Michaelisfestes? Welche (christlich-?)religiösen Aspekte bringt uns das kommerziell durchgesetzte Halloween zurück? Wohinein ist kirchlich, kulturell und individuell das Pfingstfest diffundiert? Wie hat sich christliche Frauenreligiosität im Kirchenjahr etabliert und welche Formen bildet sie aus (Weltgebetstag)? Die Liste lässt sich unschwer verlängern.

Die Fragen sind nur zu verfolgen, wenn sie in der praktisch-theologischen Arbeit, wie in den vorgestellten Beiträgen, interdisziplinär vorangetrieben werden. Dafür sind gegenwärtig die erneuerte Volkskunde/Kulturanthropologie, Sozial- und Tiefenpsychologie sowie Biographieforschung wesentliche Gesprächspartner, hinzu kommt eine stärker medienkundige Kulturhermeneutik. Zugleich wird die praktisch-theologische Reflexion des Kirchenjahres durch ihre gegenwärtigen Leitbegriffe Fest und Ritual, die das theoretische Feld markieren, neu auf die Bedeutung der gottesdienstlichen Praxis eingestellt. Schließlich: Wo sich Praktische Theologie in kulturwissenschaftlicher Perspektive mit dem Kirchenjahr befasst, wird sie gerade nicht aus dem Feld der Theologie herausgeführt. Sie stößt vielmehr auf elementare Themen und Auseinandersetzungen von Theologie und christlichem Glauben, die im Kirchenjahr nicht nur ihren sachlichen Gehalt, sondern auch ihre Lebensbedeutung entfalten - wenn auch nicht immer in Übereinstimmung mit einer kirchlich inaugurierten Theologie.

4. Praktisch-theologische Perspektiven

4.1 Gelebtes Kirchenjahr

Was in verschiedenen Studien zu einzelnen christlichen Festzeiten und Feiertagen erkundet und reflektiert wird, lässt sich noch einmal in eine praktisch-theologische Gesamtperspektive rücken. Das Kirchenjahr ist nicht nur interpretationsbedürftig, es ist zugleich ein mehrschichtiges Phänomen. Die traditionelle Lesart begreift das Kirchenjahr als symbolische Ordnung liturgischer Zeit, die in den kirchlichen Agenden greifbar wird. Der christliche Sonn- und Festtagskalender stellt eine historisch gewachsene Komposition dar, die sich in ihren liturgischen Grundlinien und im theologischen Grundgefüge fest ausgeprägt hat und die zugleich in Agendenrevisionen veränderlich bleibt und fortgeschrieben wird. Das agendarische, offizielle Kirchenjahr verkörpert kirchliche Theologie in ihrer jeweiligen Zeit und wird in deren Horizont als Gesamtzyklus interpretiert.

Das Kirchenjahr wird als geschlossener theologischer Zyklus verstanden und als Jahreskreis christlicher Glaubensthemen konzipiert. Ein profiliertes Zeugnis ist die "Denkschrift über die kirchliche Ordnung des Jahres" von Theodor Knolle und Wilhelm Stählin aus den 1930er Jahren.60 Das Kirchenjahr entspricht einem Christusjahr und dem Christusweg. Die Gottesdienste und ihre Abfolge im kirchlichen Jahreskreis werden entlang theologischer Themen anhand ihres jeweiligen Propriums durchbestimmt, so dass sich das Kirchenjahr zusammenhängend als Glaubenslehre entfaltet. Die Komposition verfolgt erklärtermaßen ein restauratives Anliegen im Gegenzug zur neuzeitlichen "Verwüstung des Kirchenjahres als des Jahres der Kirche"61. Theologie- und liturgiegeschichtliche Vorläufer finden sich im 19. Jh., etwa in der Praktischen Theologie von Theodosius Harnack.62 Die Linie lässt sich bis heute fortsetzen. Inhaltlich neu und anders akzentuiert, dem Prinzip aber folgend, erläutert Karl-Heinrich Bieritz den Gottesdienst im Kirchenjahr im Anhang der erneuerten Agende, indem die Sonn- und Feiertage jeweils unter ein biblisch-theologisches Leitmotiv gestellt werden.63

Demgegenüber vollzieht die zeitgenössische Praktische Theologie einen Perspektivenwechsel. Ihr Augenmerk richtet sich auf das Kirchenjahr als Element gelebter Religion.64 Sinn und Bedeutung entfaltet das Kirchenjahr in seinen lebensweltlichen Zusammenhängen, in denen es inkulturiert ist. Die vorgestellten Arbeiten zeigen exemplarisch, wie sich die Praxis des gelebten Kirchenjahres nur in weiter gefassten kirchlichen, kulturellen und biographischen Horizonten erschließt. Durch die gegenwärtige liturgische Wende innerhalb der Praktischen Theologie rückt aber - auch im Blick auf gelebte Religion - das gottesdienstliche Geschehen in den Fokus einer Praktischen Theologie des Kirchenjahres. Dies hängt nicht nur daran, dass Liturgik zur spätmodernen Leitdisziplin der Praktischen Theologie geworden ist. Das Kirchenjahr, das in der Lebenspraxis sehr viel weiter reicht und mehr umfasst als den Gottesdienst, ist im christlichen Festkreis wesentlich liturgisch bestimmt. Es ist der Gottesdienst, an dem das Kirchenjahr feiernd zur Darstellung gebracht und begangen wird und damit als je besonders geprägte und erlebte Zeit zur Geltung kommt. Offizielles und gelebtes Kirchenjahr sind, unter diesem Aspekt betrachtet, keine disparaten Größen. Jede gottesdienstliche Feier inszeniert sich im Spannungsfeld von agendarischem und lebensweltlichem Kirchenjahr.65 Das bedeutet aber: Das gelebte Kirchenjahr ist keine defiziente Form eines agendarisch gültigen Kirchenjahres, sondern das Ensemble seiner partikularen lebens- weltlichen Gestaltungen.

4.2 Gegenwartsbedeutung

Das Kirchenjahr prägt Zeit in der Gegenwart. Angesichts anhaltender und sich verschärfender Zeitkonflikte kommt dem Kirchenjahr mindestens in zwei Hinsichten besondere Bedeutung zu:66



a) Rhythmus des Lebens im Zyklus des Jahres

Das Kirchenjahr bildet einen wahrnehmbaren Rhythmus des Lebens im Jahreskreis, in dem Menschen Zeitbewusstsein ausbilden. Die Gegenwart tendiert dazu, Zeit durchgängig ökonomisch und numerisch zu bemessen. In den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Ausdehnung ökonomisch nutzbarer Zeiten nivellieren sich kulturelle Zeitmuster wie Arbeit und Ruhe, Werktag und Sonntag, Alltag und Festzeit. Gelebte Zeit ist demgegenüber immer mehr als nur formal strukturierte Zeit. Im Horizont des Kirchenjahres wird der Jahreskreis zur erlebten und bewussten Zeit: Zeiten des Jahres gewinnen einen besonderen Charakter, Übergänge werden begangen, unterschiedliche Lebensenergien werden in verschiedenen Zeiten angeregt. Das Kirchenjahr als Lebensrhythmus ist auch in nach-agrarischer Gesellschaft eng verwoben mit jahreszeitlichem Erleben, ohne darin aufzugehen. Als Rhythmus gliedert es festzeitliche Schrittfolgen des Jahres, verdichtet und dehnt Zeit, unterbricht den Zeitfluss und gestaltet den Zeitlauf. Das Kirchenjahr qualifiziert Zeit als je besondere Zeit.

Das Kirchenjahr zeichnet in die Lebensgeschichte als fortschreitender Zeit ein (jahres-)zyklisches Element ein. Es stärkt den Sinn dafür, dass Zeiten im Jahreskreis wiederkehren, und ebenso dafür, dass gelebtes Leben angewiesen ist auf die Kraft ritueller Wiederholungen. Die Wiederkehr bestimmter Zeiten im Kirchenjahr schafft biographische und gemeinschaftliche Orte der Erinnerung. Die christlichen Feste und Feiertage sind herausgehobene Orte des religiös-kulturellen Gedächtnisses. In den wiederkehrenden Ereignissen des Kirchenjahres kommt Zeit zu Bewusstsein.



b) Kollektiv gelebte Zeit und elementare Lebensthemen

Das Kirchenjahr bildet einen gemeinsamen symbolischen Horizont, der Zeit als kollektiv gelebte Zeit erfahrbar werden lässt. Die Gegenwart tendiert dazu, kollektive Zeit auszudünnen und als etwas anzusehen, was entweder individuell genutzt oder fremdbestimmt wird. Zeit im Kirchenjahr kollektiv zu erleben, ist aber ein Drittes. Es bedeutet, dass Menschen in eine Zeitordnung eintreten, die sie nicht selbst hervorbringen und die nicht aus ihrer innerlichen Befindlichkeit herauswächst. Das Kirchenjahr umspannt individuelle Zeitmuster. Durchaus im Gegenzug zu einer protestantischen Tradition, die Religion vornehmlich im Inneren eines Menschen verortet hat, steht das Kirchenjahr für die Einsicht, dass Religion auf äußere Formen angewiesen ist und dass gelebte Religion Gestalt braucht. Diese Einsicht tritt derzeit wieder stärker ins Bewusstsein. So wie der Sinn für (Kirchen-)Räume und Rituale erkennbar gewachsen ist, so auch für äußere Zeiten, die sich aus dem Zyklus des Kirchenjahres heraus bestimmen. Das Kirchenjahr ist mehr und anderes als lediglich ein äußerlicher Rahmen. Die kollektiven Kirchenjahreszeiten prägen vielmehr persönliches Zeiterleben, sie sind äußere Verbündete für die Seele (Fulbert Steffensky).

Die Symbolik des Kirchenjahres birgt in sich Lebensthemen im Horizont des christlichen Glaubens und gibt ihnen Zeitraum: Abschied begehen, mit Schuld konfrontiert sein, in Erwartung stehen, mit Treue und Verrat leben und vieles mehr. Dass im Kirchenjahr Feste neu virulent werden oder verblassen, zeugt davon, dass sich Lebensthemen auch entwickeln und umprägen. Das kirchliche Jahr hat durchaus lebensthematische Leerstellen, es ist in dieser Hinsicht kein zeitloses Kompendium. In seiner Grundanlage jedoch ist das Kirchenjahr eine Textur des Jahreskreises, in der zentrale Glaubensinhalte zugänglich werden. Im Kirchenjahr werden Lebensthemen und Glaubensinhalte füreinander transparent. Dabei bilden sich im Kirchenjahr die Themen eines Lebens nicht einfach ab, sondern sie werden im Medium der Glaubensüberlieferungen fokussiert. Die symbolischen Ordnungen des Kirchenjahres bewirken - ubi et quando visum est Deo - heilsame lebensgeschichtliche Umordnungen (Harald Schroeter-Wittke), weil sie gelebtes Leben in einen weiteren Sinnhorizont stellen. In dieser Weise wird das Kirchenjahr zu einer Lebensgestalt(ung) des Evangeliums.

4.3 Herausforderungen und Maßgaben

Eine zeitgenössische Praktische Theologie des Kirchenjahres hat im Blick auf die kirchliche und im engeren Sinne gottesdienstliche Praxis drei wesentliche Aspekte zu reflektieren und maßgebend zu machen:

1) Das Kirchenjahr wird heute punktuell wahrgenommen, die Fremde Heimat Kirchenjahr wird heute (gottesdienstlich) nicht am Stück und d. h. Schritt für Schritt begangen. In der Kirchlichkeit der Spätmoderne wird das Kirchenjahr - weithin jedenfalls - immer nur partiell, zu bestimmten Anlässen zugänglich. Hinzu kommt, dass es in den Jahresrhythmen gegenwärtigen Lebens ein Zeit gebendes Element darstellt, das sich mit anderen Rhythmisierungen verbindet und in mancher Hinsicht auch gegen andere Rhythmen steht, man denke an Urlaubszeit(en). Partikularität ist damit gleichermaßen die Zugangsweise, die Grenze wie die (liturgische) Maßgabe kirchlicher Praxis im Horizont des Jahreskreises. Das Kirchenjahr steht für das Ganze des Lebens und es vergegenwärtigt die religiöse Dimension des Lebens gelegentlich, ausschnitthaft und damit unvollständig. Beides zusammen kennzeichnet christliche Religion, die zeitgenössisch rezeptions- und gestaltungsfähig ist. In der punktuellen Teilhabe erschließt sich, exemplarisch an signifikanten Stationen des Jahreskreises, nicht das Gesamt, wohl aber erschließen sich elementare Grundgehalte des christlichen Glaubens in der Zeit. So wie die Kasualien Kirche von Fall zu Fall darstellen, repräsentiert das Kirchenjahr Kirche von Zeit zu Zeit.

2) Das Kirchenjahr liturgisch zu begreifen und zu bestimmen, zielt darauf, es im christlich-religiösen Sinne deutlich werden zu lassen. Angesichts dessen, dass sich die Konturen des (christlichen) Jahres verwischen, ist Deutlichkeit eine wesentliche Kategorie, das Kirchenjahr wahrzunehmen und zu gestalten. Sie setzt voraus, dass das kirchliche Jahr eine Gemengelage unterschiedlicher Bedeutungen in sich trägt, die nicht - im Sinne eines Reinheitsgebotes - zu vereindeutigen sind. So lässt sich die Frage, welche Ereignisse und Daten zum Kirchenjahr zu zählen sind, nicht durch ein kirchliches Traditionsprinzip schlüssig beantworten. Das praktisch-theologische Kriterium ist vielmehr, ob alte und neue Feste - seien es Erntedank, Jahreswechsel oder Halloween - substantiell gottesdienstfähig sind und ob sich durch das gottesdienstliche Geschehen das, was sie zum Leben beitragen, im Horizont christlichen Glaubens verdeutlicht. Prägnant wird das Kirchenjahr, wenn in den christlichen Glaubenssymbolen die Ambivalenzen versehrten und erfüllten Lebens aufgenommen und ausgetragen werden, um in ihnen der bewahrenden und verändernden Kraft Gottes teilhaftig zu werden.

3) Schließlich: Das Kirchenjahr steht in den gegenwärtigen Veränderungen und Umbrüchen der gottesdienstlichen Kultur für die Nachhaltigkeit liturgischer Praxis. Nachdem sich seit den 1970er Jahren in vielen Gemeinden Gottesdienste in neuer Gestalt etabliert haben - allen voran Familiengottesdienste -, sind seit Mitte der 1990er Jahre in einer zweiten, eher evangelistisch ausgerichteten Welle an verschiedenen Orten so genannte alternative Gottesdienste entstanden.67 Sie reagieren darauf, dass die traditionellen Formen des gottesdienstlichen Lebens unvertrauter und damit unzugänglicher werden. Die Versuche mögen im Einzelnen unterschiedlich beurteilt werden. Gerade wenn aber das Anliegen geteilt wird, Gottesdienste zeitgemäß zu gestalten, kommt man nicht umhin wahrzunehmen, dass die Neuerungen den Formbestand gottesdienstlicher Tradition verschleißen und vielfach selbst kaum zu einer liturgischen Gestaltung finden, die sich längerfristig einlebt. Für eine liturgische Praxis, die darauf aus ist, nachhaltig zu wirken, ist die Alternative zum Traditionalismus nicht die Preisgabe von Tradition, sondern deren kritisch-konstruktive Vergegenwärtigung. Liturgische Nachhaltigkeit orientiert sich daran, in der schöpferischen Fortentwicklung gottesdienstlicher Praxis deren elementare Formen (als "Ressourcen" religiösen Lebens) zu erhalten. Dass dies gelingt, hängt heute m. E. mehr als vom parochialen Sonntagsgottesdienst von Gottesdiensten ab, die in den je besonderen Zeiten des Kirchenjahres auf je eigene Weise zu einer nachhaltigen liturgischen Gestaltung kommen und damit liturgisch die Form wahren.

Summary

In recent years the Ecclesiastical Year has attracted increasing attention as one of the great cultural embodiments of the Christian religion. This is largely due to the many transformations our "time culture" has undergone. Against the backdrop of the works of Karl-Heinrich Bieritz and Peter Cornehl, a number of studies have appeared examining the culture and characteristics of individual Christian festival periods and Church holidays. They can be conceived of as building blocks for a contemporary practical theology of the lived Church Year. Within and as the very rhythm of the seasons, the Ecclesiastical Year unfolds its time-determining and life-giving power and embodies one of the decisive junctures of the Church and both individual and public Christianity: today it represents the Church "from time to time".

Fussnoten:

1) Wilhelm Jannasch, Art. Kirchenjahr, 3RGG Bd. 3, Tübingen 1959, 1442.

2) Vgl. als einen Titel unter vielen: Joachim Schmidt, Die Feste des Christentums Kindern erklärt, Gütersloh 22002.

3) Vgl. exemplarisch: Ziriah Voigt, Ritual und Tanz im Jahreskreis, Bonn 1997. Ein Forum in diesem Feld ist die Schlangenbrut. Zeitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen (Münster) mit entsprechenden Kolumnen und Angeboten.

4) Vgl. Andachten für die Arbeit mit Frauen in der Gemeinde. Bd. 3: Jahreszeiten - Feste - Kirchenjahr, hrsg. von Martina Gerlach/Angelika Weigt-Blätgen, Gütersloh 2002.

5) Anselm Grün/Michael Reepen, Heilendes Kirchenjahr. Das Kirchenjahr als Psychodrama, Münsterschwarzach 1985. Vor einem pastoralpsychologischen Hintergrund kann auch Joachim Scharfenberg im Kirchenjahr die "Struktur eines Curriculum Vitae" ausmachen und davon sprechen, dass in ihm elementare Lebensthemen geistlich dramatisiert werden: Joachim Scharfenberg, Einführung in die Pastoralpsychologie, Göttingen 21994, 79 ff.

6) Grün/Reepen, a. a. O., 81.

7) Ausführlich und durch den gesamten Festzyklus des Kirchenjahres hindurch beispielsweise bei Hans Gerhard Behringer, Die Heilkraft der Feste. Der Jahreskreis als Lebenshilfe, München 1997.

8) Vgl. als Dokument dieser Wende: Hermann Bausinger u. a., Grundzüge der Volkskunde, Darmstadt 41999.

9) Vgl. Christel Köhle-Hezinger, Fest im Rhythmus? Das Kirchenjahr und andere Jahresrhythmen aus volkskundlicher Sicht, Arbeitsstelle Gottesdienst 17 (2003), Heft 3, 5-13.

10) Martin Scharfe, Ernte 1966/2002. FR vom 30.11.2002, 36. Die Gastkolumne widmet sich in unregelmäßigen Abständen (christlichen) Festzeiten und (kirchlichen) Feiertagen. Die Tatsache, dass in Tageszeitungen und Illustrierten in den letzten Jahren immer wieder Kolumnen auftauchen, in denen Sinn und Bedeutung christlicher Feste erläutert werden, verweist auf drei Dinge: auf Traditionsabbrüche kirchlich-kulturellen Wissens, auf Interesse an Herkunftsgeschichte religiös geprägter Kultur und schließlich darauf, dass Auskunft über christliche Religion hier nicht in der Theologie, sondern in der Kulturwissenschaft gesucht wird.

11) Zugänge zum Kirchenjahr. 2 Bde. Materialhefte der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten (EKHN) 77/83, Frankfurt 1996/ 1998 (Bd. 1, 5). Auch für diesen Bereich soll lediglich exemplarisch Literatur genannt werden: Hermann-Josef Frisch, Vorbereitungsbuch Gottesdienst durch das Kirchenjahr, Gütersloh 2002; Willi Hoffsümmer, 70 Symbolpredigten für Familiengottesdienste durch das Kirchenjahr, Mainz 2002.

12) Zugänge zum Kirchenjahr, Bd. 1 (Anm. 11), 6.

13) Ich konzentriere mich im Folgenden auf die neuere Diskussion auf evangelischer Seite. Vgl. von katholischer Seite beispielsweise Adolf Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern, Freiburg im Breisgau 1995; Benedikt Kranemann, Unterbrechung. Das Kirchenjahr in der Erlebnisgesellschaft, BiLi 70 (1997), 259-267.

14) Vgl. Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, München 11986 (u. ö.); Klaus-Peter Jörns/ders., Art. Kirchenjahr, in: TRE Bd. XVIII, Berlin-New York 1989, 575-599; ders., Das Kirchenjahr, in: Handbuch der Liturgik, hrsg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber/ders., Leipzig-Göttingen 11995 (u.ö.), 453-489; ders., Liturgik, Berlin-New York 2004, 58-85.

15) Ich orientiere mich an: Ders., Ein Haus in der Zeit. Kirchenjahr und weltliches Jahr, in: Ders., Zeichen setzen. Beiträge zu Gottesdienst und Predigt, Stuttgart u. a. 1995, 177-187.

16) A. a. O., 177.

17) Bieritz, Das Kirchenjahr, 62001 (Anm. 14).

18) Bieritz, Haus in der Zeit (Anm. 15), 177.

19) Vgl. Fechtner, Schwellenzeit. Erkundungen zur kulturellen und gottesdienstlichen Praxis des Jahreswechsels, Gütersloh 2001, 50 ff.; Ders., "Der du die Zeit in Händen hast ...". Zur Liturgie des Jahreswechsels, Arbeitsstelle Gottesdienst 17 (2003) 3, 56-62.

20) Vgl. Voigt, Ritual (Anm. 3), 128-162; Sabine Bobert, Ein verzauberter Lebensweg. Selbsttransformative Rituale einer spätmodernen Religion: der Wiccakult, PrTh 36 (2001), 235-248.

21) Vgl. Alexander Boesch (Hrsg.), Produkt Muttertag. Zur rituellen Inszenierung eines Festtages, Wien 2001; Ruth Huber, Heute Mutter und Hausfrau sein. Ein Gottesdienst zum Muttertag, KatBl 120 (1995), 287- 293.

22) Vgl. Manfred Josuttis, Heimatfeste, in: Ders., Texte und Feste in der Predigtarbeit. Homiletische Studien 3, Gütersloh 2002, 130-140.

23) Axel Kapust, Der Beitrag der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Volkstrauertag, Frankfurt 2004.

24) Vgl. Christoph Hennig, Reiselust. Touristen, Tourismus und Urlaubskultur, Frankfurt-Leipzig 1997: "Reisen, Ritual und religiöse Erfahrung stehen in einer systematischen Beziehung. Sie rührt aus dem Bruch mit dem gewöhnlichen Leben her, der gleichermaßen die Reise wie das spirituelle Erleben kennzeichnet" (79).

25) Die einschlägigen Titel sind in diesem Zusammenhang: Peter Cornehl, Christen feiern Feste. Integrale Festzeitpraxis als volkskirchliche Gottesdienststrategie, PTh 70 (1981), 218-233; ders., Gottesdienst als Integration, in: Handbuch der Praktischen Theologie, Bd. 3 Praxisfeld: Gemeinden, hrsg. von Peter C. Bloth u. a., Gütersloh 1983, 59-78; ders., Zustimmung zum Leben und Glauben. Eine Besinnung auf den Sinn der Feste und Feiertage, PTh 74 (1985), 410-425; ders., Teilnahme am Gottesdienst. Zur Logik des Kirchgangs - Befund und Konsequenzen, in: Kirchenmitgliedschaft im Wandel. Untersuchungen zur Realität der Volkskirche, hrsg. von Joachim Matthes, Gütersloh 1990, 15-53; ders., Liturgische Zeit und Kirchenjahr. Sinn, Gestalt und neue Gestaltungsmöglichkeiten aus evangelischer Sicht, Gemeinsame Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen 23 (1995), 39-73.

26) Cornehl, Christen feiern Feste (Anm. 25), 218.

27) Cornehl, Teilnahme am Gottesdienst (Anm. 25).

28) Cornehl, Christen feiern Feste (Anm. 25), 223. Für die praktisch-theologische Neubewertung gottesdienstlicher Teilhabeformen im Zusammenhang der empirischen Studien vgl. auch Gerhard Rau, Rehabilitation des Festtagskirchgängers, in: Gottesdienst und öffentliche Meinung, hrsg. von Manfred Seitz/Lutz Mohaupt, Stuttgart u. a. 1977, 83-99.

29) Cornehl, Christen feiern Feste (Anm. 25), 224.

30) A. a. O., 225.

31) A. a. O., 226. Vgl. zur gesellschaftlichen Bedeutung auch Peter Steinacker, Warum die christliche Religion gut ist für ein Land. Am Beispiel christlicher Feste, in: Albrecht Grözinger u. a. (Hrsg.), Protestantische Kirche und moderne Gesellschaft. Zur Interdependenz von Ekklesiologie und Gesellschaftstheorie in der Neuzeit, Zürich 2003, 259-290.

32) So jüngst noch einmal auch in praktischen Konsequenzen ausgeführt in Cornehl, Liturgische Zeit und Kirchenjahr (Anm. 25), 57 ff.

33) Bieritz, Das Kirchenjahr, 11995 (Anm. 14), 465. Historisch konsequent wird im Artikel der Sonntag vor den Festen und Festzeiten im Jahreskreis behandelt.

34) Wochentakt und Jahresrhythmus gliedern Zeit in unterschiedlicher Weise und entsprechen damit verschiedenen Dimensionen des Zeiterlebens: Der Takt (der Sonntage) ist die gleichbleibende Abfolge im abgemessenen Zeitmaß der Woche; der Rhythmus ergibt sich aus den periodischen Wechseln verschiedener (Fest-, Jahres-, Alltags- und besonderer) Zeiten.

35) Vgl. Cornehl, Teilnahme am Gottesdienst (Anm. 25), 24 ff.; Fechtner, Schwellenzeit (Anm. 19), 229 ff.

36) Cornehl, Liturgische Zeit und Kirchenjahr (Anm. 25), 49.

37) A. a. O., 39.

38) Cornehl, Teilnahme am Gottesdienst (Anm. 25), 27.

39) Dies hängt damit zusammen, dass Gottesdienst wesentlich als Ort verstanden wird, an dem sich die Einheit der Gemeinde zur Darstellung bringt. Vgl. Cornehl, Gottesdienst als Integration (Anm. 25), 65. Differenzierend und weiterführend dazu noch einmal ders., Individuum und Gemeinschaft im Gottesdienst. Altes Thema, neue Herausforderungen, PTh 85 (1996), 292-310.

40) Matthias Morgenroth, Weihnachts-Christentum. Moderner Religiosität auf der Spur, Gütersloh 2002 (32004). Vgl. auch von katholischer Seite Guido Fuchs, Heiligabend. Riten - Räume - Requisiten, Regensburg 2002.

41) Vgl. die mittlerweile klassische Analyse von Ingeborg Weber-Kellermann, Das Weihnachtsfest. Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Weihnachtszeit, München-Luzern 1978.

42) Alle drei Momente gehören, so zeigt die Brauchtumsgeschichte, zum spezifisch neuzeitlichen Interieur des privaten Festraumes.

43) Matthias Morgenroth, Wir Christkinder. Von der Bedeutung des Heiligabendgottesdienstes in einem weihnachtlichen Christentum, Arbeitsstelle Gottesdienst 17 (2003) 3, 51-55 (52).

44) Vgl. Manfred Josuttis, Weihnachten, in: Ders., Texte und Feste (Anm. 22), 62-76; Jan Hermelink, Weihnachtsgottesdienst, in: Liturgisches Kompendium, hrsg. von Christian Grethlein/Günter Ruddat, Göttingen 2003, 282-304.

45) Tilman Walther-Sollich, Festpraxis und Alltagserfahrung. Sozialpsychologische Predigtanalysen zum Bedeutungswandel des Osterfestes im 20. Jahrhundert, Stuttgart u. a. 1997.

46) Peter Cornehl, Die längste aller Nächte. Zumutungen der Osternacht, in: ... in der Schar derer, die da feiern. Feste als Gegenstand praktisch-theologischer Reflexion, hrsg. von Peter Cornehl u. a., Göttingen 1993, 117-133.

47) Im Hintergrund steht die seit den 1970er Jahren geführte Debatte um einen so genannten neuen Sozialisationstypus der narzisstischen Persönlichkeit. Vgl. klassisch Thomas Ziehe, Pubertät und Narzissmus, Frankfurt 1975 (u. ö).

48) Einen instruktiven Beitrag zum Verständnis von Ostern hat von katholischer Seite Hans-Ulrich Wiese vorgelegt. Seine Studie widmet sich dem Karsamstag als radikalem Ort des Dazwischen. Wiese lotet den Topos Karsamstag liturgie- und theologiegeschichtlich aus und geht zugleich dessen Inszenierungen in der modernen Kunst nach. Leere, Verwandlung, Transitus werden in der Wechselperspektive von Liturgie und Kunst, von Theologie und Ästhetik zu Chiffren und zu Lebensmomenten von Karsamstagsexistenz. Hans-Ulrich Wiese, Karsamstagsexistenz. Auseinandersetzung mit dem Karsamstag in Liturgie und moderner Kunst, Regensburg 2002.

49) Vgl. auch Andreas Quade, Ostern in Bremen gepredigt. Theologische Predigtanalysen, Bremen 1994; Birgit Weyel, Ostern als Thema der Göttinger Predigtmeditationen. Eine homiletische Analyse zu Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit, Göttingen 1999.

50) Vgl. die Beobachtungen zum Karfreitags-Fernsehprogramm bei Albrecht Grözinger, Die Wiederkehr des Heiligen - Die pluralistische Kultur des Feiertags und des Gottesdienstes, in: Ders., Die Kirche - ist sie noch zu retten? Anstiftungen für das Christentum in postmoderner Gesellschaft, Gütersloh 1998, 84-110 (91 ff.).

51) Petra Zimmermann, Toten Sonntag Ewigkeit. Trauerritual und Feier der Hoffnung, Lernort Gemeinde 15 (1997), Heft 3, 15-19; dies., Der Gottesdienst am Totensonntag. Wahrnehmungen aus der Perspektive der Trauernden, PTh 88 (1999), 452-467; dies., Den Totensonntag erleben. Zur liturgischen Gestaltung und seelsorgerlichen Bedeutung eines Gottesdienstes, PrTh 37 (2002), 209-214.

52) Zimmermann, Gottesdienst am Totensonntag (Anm. 51), 455.

53) A. a. O., 456.

54) Vgl. Bettina Naumann, Tod oder Ewigkeit. Zum Proprienstreit am letzten Sonntag des Kirchenjahres, Arbeitsstelle Gottesdienst 17 (2003) 3, 45-50.

55) Zimmermann, Gottesdienst am Totensonntag (Anm. 51), 461.

56) Zimmermann, Totensonntag erleben (Anm. 51), 211.

57) Zimmermann, Gottesdienst am Totensonntag (Anm. 51), 461.

58) A. a. O., 464.

59) Ich denke, um ein Beispiel anzuführen, ohne es hier weiter verfolgen zu können, an den Film Hinter dem Horizont (USA 1998), der erzählt, wie der tödlich verunglückte Chris im Jenseits sich auf den Weg macht zu seiner geliebten Frau Annie, die als Strafe für ihren Selbstmord in der Hölle ist.

60) Das Kirchenjahr. Eine Denkschrift über die kirchliche Ordnung des Jahres, im Auftrag der Niedersächsischen Liturgischen Konferenz und des Berneuchener Kreises hrsg. von Theodor Knolle/Wilhelm Stählin, Kassel 1934.

61) A. a. O., 11.

62) Vgl. Cornehl, Liturgische Zeit und Kirchenjahr (Anm. 25), 44 ff.

63) Der Gottesdienst im Kirchenjahr. Einführung in das Proprium De Tempore, in: Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die EKU und für die VELKD, Berlin u. a. 1999, 681-720.

64) Vgl. zu Begriff und Sache jüngst Albrecht Grözinger/Georg Pfleiderer (Hrsg.), "Gelebte Religion" als Programmbegriff Systematischer und Praktischer Theologie, Zürich 2002.

65) Vgl. zur liturgischen und homiletischen Produktivkraft des Kirchenjahres Kristian Fechtner, Zeitgemäßer Gottesdienst? Sonntagspredigt im Kirchenjahr, in: Sonntäglich. Zugänge zum Verständnis von Sonntag, Sonntagskultur und Sonntagspredigt, hrsg. von Ursula Roth u. a., München 2003, 295-305.

66) Die beiden folgenden Erwägungen sind auch in ein Arbeitspapier als Vorlage für die Liturgische Konferenz eingegangen (Kirchenjahr erneuern. Leben im Rhythmus des Jahreskreises, 2004).

67) Vgl. Irene Mildenberger/Wolfgang Ratzmann (Hrsg.), Jenseits der Agende. Reflexion und Dokumentation alternativer Gottesdienste, Leipzig 2003.