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Ausgabe:

März/2005

Spalte:

340 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Ziekow, Arne

Titel/Untertitel:

Datenschutz und evangelisches Kirchenrecht. Eigenständigkeit und Eigengeartetheit des Datenschutzgesetzes der EKD.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XVI, 296 S. gr.8 = Jus Eccesiasticum, 67. Lw. Euro 49,00. ISBN 3-16-147783-9.

Rezensent:

Karsten Baumann

Die Existenz umfangreicher kirchlicher Datenbestände hat im Zeitalter der Automatisierung der Datenverarbeitung und der damit verbundenen Möglichkeiten der schnellen Übermittlung großer Datenmengen bereits frühzeitig zu einer Sensibilisierung der (Kirchen-)Rechtswissenschaft für das Verhältnis von "Kirchen und Datenschutz" (mit diesem Titel etwa bereits Thomas Hoeren, 1986) geführt.

Die hier anzuzeigende, von Gerhard Robbers betreute Trierer Dissertation beschäftigt sich nicht mit den einzelnen Ausformungen des Datenschutzrechts der EKD, sondern widmet sich einem - soweit ersichtlich - bislang vernachlässigten Aspekt: der Frage, ob und inwieweit aus der weitgehenden Entstehungs- und Regelungsparallelität zwischen staatlichem (BDSG) und kirchlichem (DSG-EKD) Datenschutzrecht auf eine Schutzgut- und damit nicht zuletzt auch Auslegungsparallelität beider Gesetzeswerke geschlossen werden kann. Der Untersuchungsgegenstand bekommt damit auf den ersten Blick sehr theoretische Züge, was umso mehr gilt, als die Schutzzweckbestimmung vordergründig für die Gesetzesauslegung des DSG-EKD schon deshalb nicht prägend zu sein scheint, weil sich der kirchliche Gesetzgeber aus mehr oder weniger praktikabilitätsorientierten Motiven gerade mit dem Ziel einer Auslegungsparallelität zwischen weltlichem und kirchlichem Datenschutzrecht weitgehend an der mit dem BDSG vorgefundenen Rechtslage orientiert hat. Z. stellt dies völlig zutreffend sogleich einleitend fest, gibt sich mit diesem Befund jedoch nicht zufrieden. Vielmehr verfolgt er seinen Untersuchungsansatz mit begrüßenswerter Beharrlichkeit und lässt sich hierbei auch von scheinbar schlagenden Gegenargumenten wie der Entstehungsgeschichte des DSG-EKD oder der identischen Schutzzweckbestimmung in 1 Abs. 1 BDSG bzw. DSG-EKD nicht irritieren. Dies verdient Beachtung, finden doch juristische Auslegungsbemühungen nicht selten an dieser Stelle ein jähes, oft vorschnelles Ende.

Die Untersuchung geht sodann im Wesentlichen zwei Hauptfragen nach, denen sich Z. eingehend und für den Leser gut nachvollziehbar widmet: Zum einen wird der staatskirchenrechtliche Kompetenzrahmen des Art. 4 Abs. 1 und 2, 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV abgesteckt. Nur wenn das Datenschutzrecht eine "eigene Angelegenheit" der evangelischen Kirche darstellt und soweit die kirchliche Regelungskompetenz nicht durch ein "für alle geltendes Gesetz" im Sinne der letztgenannten Vorschrift begrenzt wird, kann überhaupt Raum für eine Eigenständigkeit dieses Rechts und damit eine Schutzgutdivergenz bestehen. Z. arbeitet insoweit eine Bindung der Kirche allein an den Menschenwürdekern des informationellen Selbstbestimmungsrechts heraus und verneint demgegenüber eine Einschränkung der Regelungsbefugnis durch das BDSG.

Zum anderen wird das Augenmerk auf die kirchenrechtliche Ausfüllung der durch das Staatskirchenrecht gezogenen Grenzen gelegt. Unter dieser Fragestellung postuliert Z. sehr anschaulich, dass sich der Zweck des DSG-EKD - als Kirchenrecht - nicht in der Verwirklichung des Schutzes staatlicher Grundrechte erschöpfen darf, sondern darüber hinaus einen Bezug zum geistlichen Zentrum der Kirche aufweisen, d. h. im Auftrag Jesu Christi stehen muss. Den Anknüpfungspunkt für den Bezug des kirchlichen Datenschutzrechts zum geistlichen Zentrum der Kirche sucht Z. zunächst in dem Beicht- und Seelsorgegeheimnis. In der Tat liegt dieser Schluss nahe, spricht doch einiges dafür, da-rin gleichsam die "klassische" kirchliche Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu erblicken. Z. vertritt gleichwohl die sehr akribisch aus der historischen Entwicklung der Beichte abgeleitete Position, dass das Beicht- und Seelsorgegeheimnis nur den Schutz der Beichtinstitution ohne einen subjektiv-rechtlichen Gehalt schützt, was als geistlicher Bezugspunkt für das kirchliche Datenschutzrecht nicht genüge. Insoweit kann man durchaus anderer Auffassung sein, zumal die Gesetzesbegründung des DSG-EKD selbst explizit auf das Beicht- und Seelsorgegeheimnis abstellt. Z. räumt dies ein, hinterfragt indessen die sachliche Berechtigung dieses Ansatzes. Auch hier wird einmal mehr augenfällig, dass sich Z. nicht formal am Handwerkszeug der juristischen Auslegungsmethodik festhält, sondern stets dem Bemühen Ausdruck verleiht, auch scheinbar gefestigte Standpunkte unvoreingenommen auf den Prüfstand zu stellen, mag dies - zunächst - auch nur de lege ferenda von Bedeutung sein. Den Anknüpfungspunkt des Datenschutzrechts zum geistlichen Zentrum der Kirche findet Z. schließlich im Schutz der Menschenwürde als einer Ausprägung der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Hieraus leitet Z. eine genuin kirchliche Ausprägung des Persönlichkeitsschutzes ab, welche die tragende Säule für sein Verständnis von der Eigenständigkeit und Eigengeartetheit des kirchlichen Datenschutzrechts der EKD darstellt.

Die Konsequenzen des von Z. vertretenen Ansatzes sind vielfältig, lassen sich jedoch auf zwei Kernaussagen zuspitzen: Nach seiner Auffassung beeinflusst das kirchliche Persönlichkeitsrecht, das auf "die kommunikative Freiheit des Glaubens zur Wahrnehmung von Verantwortung für den Nächsten und die gemeinsame Verkündigung des Auftrages Christi" zielt, die Auslegung des 1 Abs. 1 DSG-EKD. Die vom kirchlichen Gesetzgeber selbst angestrebte Auslegungsparallelität weltlichen und kirchlichen Datenschutzrechts wird damit freilich nicht erreicht. Wesentlicher - und hier mag man den eigentlichen Wert der Arbeit erblicken - scheint aber ein Weiteres zu sein: Z.s Überlegungen beanspruchen de lege ferenda für die Kirchengesetzgebung, und zwar über den Bereich des Datenschutzrechts hinaus, Beachtung und Umsetzung, sind sie doch eindringliche Mahnung, das Kirchenrecht stets auf seinen "mittelbaren Schutzzweck", nämlich die Sicherung des geistlichen Auftrages, zurückzuführen.

Vor diesem Hintergrund kann sich der Kirchengesetzgeber nicht darauf beschränken, staatliches Recht einfach zu kopieren bzw. "abzuschreiben", mögen auch tatsächliche Umstände (hier: der Wunsch, weiterhin am Datenaustausch teilzunehmen) dies als zweckmäßig oder geboten erscheinen lassen. Wenngleich sich Z. fast schon bescheiden darauf beschränkt, dies exemplarisch für das der Untersuchung zu Grunde liegende Referenzgebiet zu konstatieren, ist hiermit eine weit über den Untersuchungsgegenstand hinausreichende Problematik des Kirchenrechts angesprochen.

Abschließend ist zu erwähnen, dass die Untersuchung sehr sorgfältig gearbeitet ist und Z. den Leser vorbildlich durch das Werk führt. Auch wenn die Klärung notwendiger Grundlagen mitunter breiteren Raum einnimmt, erschließt sich stets die Relevanz des Behandelten für den Untersuchungsgegenstand, zumal Zwischenergebnisse und Zusammenfassungen das Verständnis des Elementaren erleichtern und den logischen Gedankengang Z.s immer wieder gut nachzeichnen. Der Schrift wird für die evangelische Kirchenrechtswissenschaft, aber auch - und vielleicht insbesondere - für die kirchliche Gesetzgebung Bedeutung zuwachsen. Zu wünschen ist das jedenfalls ohne Einschränkung.